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Von Bord gehen – aber nicht ins kalte Wasser springen

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Eine feste Altersgrenze für den Ausstieg gibt es zwar nur für Angestellte, aber auch der Chef sollte sich ab Anfang 60 Gedanken machen, wie es ohne ihn weitergeht und was er im Ruhestand tun will. Ein über 70-jähriger Chef, der immer noch voll in der Verantwortung steht, wird zwar mit Respekt, aber auch mit Skepsis von Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten gesehen. Und obwohl Ältere oft ihren eigenen Gesundheitszustand als gut oder sehr gut einschätzen, nehmen die Mobilität und die körperliche Kraft allmählich ab.

Durch altersgerechte Arbeitseinteilung lässt sich das teilweise kompensieren, sodass der endgültige Ausstieg verschoben werden kann. Aber nicht nur Alter und Gesundheit sind Faktoren, die den richtigen Zeitpunkt bestimmen, sondern auch die Einsicht, dass es an der Zeit ist, die junge Generation ranzulassen. Gerade dies fällt vielen Seniorchefs schwer und der Gedanke daran muss langsam reifen und schließlich in einen klaren Entschluss münden.

Oft fühlt sich der Seniorchef noch dynamisch genug, um die Übergabe immer wieder hinauszuzögern. Dieser Umstand ist als das „Prinz-Charles-Phänomen“ bekannt: Die englische Königin hat es nie fertiggebracht, ihrem Sohn Charles die Geschäfte zu übertragen. Sind Firma und Privatwohnung in einem Gebäude, wird der Rückzug besonders schwierig sein. Berater empfehlen daher die Suche nach einem neuen Domizil.

Schrittweise die Verantwortung abgeben

Bewährt hat sich der Ausstieg in Etappen, die schrittweise geplante Verringerung der Verantwortung. Wer die endgültige Betriebsübergabe immer wieder verschiebt, steht vielleicht plötzlich unter Druck, wenn es unerwarteterweise gesundheitlich gar nicht mehr geht. Dann ist der ganze Betrieb in Mitleidenschaft gezogen, weil die Verantwortlichkeiten nicht geklärt sind.

Ohne Vorbereitung und bei einem abrupten Ausstieg fallen viele Ruheständler zunächst in ein tiefes Loch. Denn ohne Vorbereitung auszusteigen heißt von hundert auf null. Wer daran gewöhnt ist, immer früh aufzustehen, dem fällt es schwer, auf einmal länger zu schlafen. Und nachdem jahrzehntelang jedes Wochenende wertvolle Zeit für die Erholung vom Arbeitsstress war, kann man sich nicht mehr wirklich auf das Wochenende freuen, da es seine Bedeutung verloren hat.

Ausstieg heißt nicht Langeweile

Im Arbeitsleben haben viele mit Burn-out zu kämpfen – im Ruhestand lauert womöglich der „Bore-out“ (engl. boring = langweilig), wenn man sich nicht beizeiten Gedanken über eine sinnvolle Beschäftigung im Alter macht. Langeweile und Leerlauf machen auf Dauer depressiv. Der Rentnerschock hat viele Gesichter: Der Chef a. D. entdeckt plötzlich sein Putztalent im Haushalt. Oder wird Dauerpatient beim Arzt. Oder sitzt nur noch vor dem Fernseher. Das Problem mit dem Ausstieg ist nicht neu, aber es hat heute eine ganz andere Dimension als früher, denn Rentner sind oft noch fit und können durchaus aktiv sein und einer erfüllenden Tätigkeit nachgehen.

Unternehmensberater empfehlen, sich mit Kollegen, die seit Kurzem auch den Ruhestand genießen, auszutauschen. Sie erleben Ähnliches und werden in dieser Lebensphase oft zu guten Freunden. Es geht um nichts weniger als um einen neuen Lebensinhalt. Der Tagesablauf sollte nicht zu viele leere Stellen aufweisen. Auch die Ehefrau oder Lebensgefährtin ist beim Rückzug betroffen, denn plötzlich ist der Ehemann den ganzen Tag zu Hause! Das bedeutet, dass das Zusammenleben neu geregelt werden muss. Sollte die Partnerin auch in der Firma beschäftigt sein und sich gleichzeitig in den Ruhestand verabschieden, stehen beide vor derselben Situation und können die neue Lebensgestaltung gemeinsam angehen.

Neue Aufgaben suchen

Mit zunehmendem Alter geht man, auch wenn das bestritten wird, zunehmend auf Abstand zu allem, was neu und ungewohnt ist. Ältere sind oft skeptisch und reagieren verhalten auf Neuerungen. Eine Umstellung geht nicht mehr leicht von der Hand, denn die Bindung an Gewohnheiten ist weit größer als in jungen Jahren. Nichtsdestotrotz sollte man für den neuen Lebensabschnitt auf die Suche nach neuen Tätigkeiten gehen. Interessante Aufgaben sind z. B. der Auftritt als Referent bei Verbandstagungen, die Arbeit in der Innung, die Mitarbeit als Autor der Fachpresse, ein Ehrenamt im Sportverein oder in der Gemeinde. So findet sich rasch ein neuer Lebensinhalt. So manche Aktivität kann man auch durchaus als eine Art Zweitkarriere betrachten.

Hier ist allerdings Vorsicht geboten: Rentner-Stress ist ein verbreitetes Phänomen! Zu viele Ämter und Verpflichtungen können überfordern und bringen den Ruheständler schnell an die Grenze der Belastbarkeit. Deshalb ist es wichtig, sich von alten Überzeugungen zu lösen, die im Berufsleben als Motivatoren und Antreiber gewirkt haben: Ich muss mich um alles kümmern, immer alles im Blick haben. Alles muss perfekt sein. Diese Einstellung entstammt der Zeit als Unternehmer und ist auch danach noch ein heimlicher Antreiber. Daher gilt es, sich stets vor Augen zu halten: Beim Ehrenamt geht es nicht um Leistung und Erfolg. Dabei sein ist alles.

Der neue Chef

Der Nachfolger gehört einer anderen Generation an und hat höchstwahrscheinlich einen anderen Arbeitsstil, vielleicht andere Prioritäten als der Senior und sicherlich viele neue Ideen. Denn er ist technisch auf dem neusten Stand und weiß, wie seine Altersgenossen ticken. Oft ist er besser qualifiziert und drängt nach vorne. Die U-30-Jährigen zählen zu den Veränderern und wollen nicht Abziehbild des früheren Chefs sein. Sehr wahrscheinlich wird der Nachfolger also manches im Betrieb auf den Kopf stellen, neu strukturieren und ganz neue Wege einschlagen. Der Senior muss akzeptieren, dass der Neue den Betrieb nicht genauso führt, wie er dies getan hat. Jetzt heißt es loslassen und dem Jüngeren die Chance einräumen, sich zu bewähren – auch wenn ihm anfänglich noch die Erfahrung des alten Hasen fehlt. Dabei darf der scheidende Chef nicht vergessen, dass es ihm genauso ging, als er vor Jahrzehnten als Youngster einstieg und sich gegen den damaligen Senior durchsetzen musste.

Abnabelung in drei Schritten

  1. Vorbereitungsphase: Idealerweise befasst sich der Unternehmer bereits drei bis vier Jahre vor seinem Abschied mit der Betriebsübergabe, unabhängig davon, ob er den Betrieb an einen Externen oder den eigenen Nachwuchs übergeben wird.
  2. Planungsphase: Wenn ein Nachfolger feststeht, werden die Dauer der Einarbeitungsphase und der endgültige Abgabetermin verbindlich festgelegt. Kunden und Lieferanten werden entsprechend informiert, auf der Homepage muss der Nachfolger vorgestellt werden. Die anstehende Übergabe ist damit offiziell und nicht widerrufbar.
  3. Durchführungsphase: Die Übergabe ist nicht nur ein formaler und organisatorischer, sondern auch ein emotionaler Prozess. Ambivalente Gefühle beim Abschied sind normal, Bedauern oder Wehmut sollten nicht unterdrückt werden. Ein formeller Akt in Form einer Abschiedsfeier im Betrieb hilft, diesen Schritt zu tun und zu akzeptieren.

Autor

Rolf Leicher ist Dipl.-Betriebswirt, Fachautor und Referent. Er lebt in Heidelberg. Telefon (0 62 21) 80 48 82, Rolf.Leicher@T-Online.de