Durch Personalengpässe und enge Termine wird der Arbeitgeber zeitweise selbst überfordert. Die zusätzlichen Arbeiten werden üblicherweise an das Team delegiert. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich weisungsbefugt, was sich aus § 106 Gewerbeordnung (GewO) bzw. § 315 BGB ergibt. Sie stellen das Recht des Arbeitgebers dar, bei der Arbeitseinteilung dem Arbeitnehmer im Rahmen des Arbeitsvertrags bestimmte Tätigkeiten zuzuweisen. Für das Weisungsrecht gibt es Grenzen, die mit den Fähigkeiten des Arbeitnehmers zusammenhängen, aber nicht im Detail definiert sind. Die Umstände des Einzelfalls müssen berücksichtigt werden. So kann man einem Azubi nicht verantwortungsvolle Aufgaben übertragen, die nicht in seinem Anforderungsprofil stehen.
Überforderung und die Folgen
Nach der Fürsorgepflicht dem Arbeitnehmer gegenüber (§ 241 Abs. 2 BGB) dürfen Mitarbeiter, zumindest dauerhaft, nicht überfordert werden. Die Grenze hierzu ist sehr individuell und wird von ehrgeizigen Mitarbeitern und anspruchsvollen Vorgesetzten oft übersehen. Vorgesetzte, die selbst überfordert sind und unter Druck stehen, überfordern auch ihr Team: immer schneller werden, immer mehr leisten, immer besser werden. Zielvorgaben in Notfällen werden zum Dauerzustand, der permanente Druck überfordert und demotiviert den Mitarbeiter.
Bei Überforderung heißt es, mit dem Mitarbeiter eine Inventur zu machen, in der unterschiedliche Auslöser festgestellt werden. Was Mitarbeiter oft überlastet:
Nach den Regeln der Gleichbehandlung sollte der Vorgesetzte überfordernde Tätigkeiten gleichmäßig an das Team verteilen. Einzelne Personen dürfen nicht ständig über- oder auch unterfordert werden. Dies ist geregelt im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und verbietet jede Benachteiligung von Beschäftigten wegen eines Merkmals, wie Alter, Herkunft oder Beliebtheit (§ 7 Abs. 1 AGG). Benachteiligung heißt auch, jemanden aus vorwiegend persönlichen Gründen anderen gegenüber schlechter zu stellen. Ungleiche Behandlung bei der Arbeitseinteilung kann sogar als Diskriminierung ausgelegt werden.
Prof. Reinhold Würth erläutert an einer Formel, wie sich Überforderung auf den Erfolg auswirkt: Überforderung Stufe 1 führt zum Erfolgsfaktor 1, Überforderung Stufe 2 führt zum Erfolgsfaktor 2, Überforderung Stufe 3 führt zum Erfolgsfaktor 0. Die Stufe 3 entsteht durch die permanente Überforderung mit dem Ziel, 120 % zu bringen (Quelle: Helge Timmerberg „Reinhold Würth, der Herr der Schrauben“, Seite 65, Piper Verlag). Ist das Ziel nicht erreicht, wird der Mitarbeiter trotz Anstrengung kritisiert. Erreicht er trotz Überforderung das Ziel, fehlen Lob und Anerkennung.
Überforderung aus Sicht des Mitarbeiters
Wer weiterkommen will, wer Anerkennung erreichen möchte, überschreitet auch mal die eigene Leistungsgrenze und stellt erst später die Überforderung fest. Zuerst muss das ehrgeizige Anspruchsniveau gesenkt werden. Wer sich immer nach den Besten richtet, setzt sich selbst unter Druck. Wer achtsam mit sich umgeht, erkennt das Anfangsstadium und kann die weitere Entwicklung bremsen. Bei Überforderung sind die Anzahl des Auftretens und die Dauer zu unterscheiden.
Der Mitarbeiter-Typ „Weichei“ fühlt sich sehr schnell überfordert, der Typ „Durchhalter“ lässt sich überfordern, wenn es sich für ihn durch Gehaltszulagen lohnt. Jeder erlebt Überforderung anders. Der eine wehrt sich dagegen, wenn er überfordert wird, ein anderer sieht die Aufgabe als Herausforderung und nimmt sie an mit dem Risiko der Qualitätsminderung der Arbeitsleistung. Widerstandsfähigkeit führt dazu, dass Überforderung zwar nicht beseitigt wird, aber erträglicher erscheint („Man kann sich an alles gewöhnen“).
Bei engen Terminen wird der Mitarbeiter sein Arbeitstempo einfach erhöhen, er entwickelt sich zum „Tempoholiker“, ohne an die Folgen zu denken. Es ist wie beim Autofahren, das Gaspedal wird durchgetreten, wenn es eilt. Hohes Tempo verkürzt zwar die Fahrzeit, erhöht aber das Unfallrisiko. Der Tempoholiker riskiert Arbeitsfehler, Qualitätsanforderungen können nicht erfüllt werden. Andererseits verschafft sich der Tempoholiker ein positives Selbstwertgefühl, wenn er hohes Tempo fehlerfrei durchhält. Schnell sein wird mit Kompetenz gleichgesetzt, der Betreffende entwickelt sich zum Lieblingsmitarbeiter. Je spezialisierter der Mitarbeiter ist, desto schneller entsteht Überforderung, wenn er eine andere Aufgabe, auch wenn es nur zeitweise ist, übernehmen soll. Häufig kommt es zu einem unbemerkten Anstieg des Anspruchsniveaus, entweder durch steigende Erwartungen anderer oder durch die Maximierung der eigenen Ziele.
Für Mitarbeiter ist es ein Kompliment, wenn man ihnen mehr zutraut als anderen und ihnen dafür ausdrücklich Anerkennung gibt. Jeder will den Kollegen gegenüber zeigen, was in ihm steckt, und verdrängt den Gedanken der Überforderung. Überforderung wird anfangs als Herausforderung gesehen, man hofft, die Belastung werde nur vorübergehend andauern. Dabei belastet die Angst vor Fehlern am meisten. Hinzu kommt das Risiko der Kritik, auch von Kollegen.
Unterforderung und die Folgen
Das Gegenstück zur Überforderung ist Unterforderung. Der Begriff „Boreout“ für Unterforderung wurde erstmals 2007 vom Schweizer Philipp Rothlin verwendet. Und bedeutet so viel wie gelangweilt und unterfordert zu sein. Aufgaben, die für die Mitarbeiter nicht sinnstiftend sind, die nicht herausfordernd sind, schaffen Desinteresse. Die Arbeitsfreude lässt nach.
Bei quantitativer Unterforderung gibt es zu wenig Arbeit, zu viel Leerlauf. Bei qualitativer Unterforderung wird der Nutzen der Arbeit für sich selbst infrage gestellt. Es handelt sich dabei meist um Routineaufgaben, für die man sich überqualifiziert fühlt. Bei ständig wiederkehrenden monotonen Arbeiten, die nicht herausfordernd sind, ist der Verantwortungsbereich eingeschränkt, man arbeitet unter seinem geistigen Potenzial. Monotones Arbeiten macht den introvertierten Mitarbeitern weniger aus. Um den Selbstwert zu schützen, achten Mitarbeiter bei unterfordernden Arbeiten darauf, dass die Arbeit wertgeschätzt wird. Paradoxerweise täuschen Betroffene vor, stark beschäftigt zu sein, berichten von einem Berg an Aufgaben. Unterfordernde Arbeiten können keinesfalls als Ausgleich für Überforderung geplant werden. Man kann das eine nicht gegen das andere aufrechnen, meinen Arbeitswissenschaftler.
Langweilige Arbeiten über längere Zeit führen zur Unzufriedenheit und Demotivation. Geringe Tätigkeitsvielfalt führt zu chronischer Langeweile und erhöht das Arbeitstempo, um schnell mit der ungeliebten Arbeit fertig zu werden. Je höher die Qualifikation des Mitarbeiters, desto schneller lehnt er einfache Arbeiten ab. Besonders der erfahrene Kollege aus dem Team sperrt sich gegen häufiges Erledigen einfacher Arbeiten, delegiert diese gerne an die jüngeren. Bei Dauerunterforderung verkümmern geistige Fähigkeiten, so wie ein Muskel verkümmert, wenn er nicht gefordert wird. Man kann es natürlich auch anders sehen: endlich mal eine Arbeit, die nicht Stress verursacht, jetzt kann man mal im Sparmodus arbeiten, im ersten Gang fahren, muss sich nicht verausgaben.
TIPP
O-Töne von Arbeitgebern
Diese Sätze dienen allenfalls zur Selbsttäuschung, aber nicht dem Mitarbeiter.
Sie sollten tunlichst vermieden werden.
Info
Definitionen
Anforderungen: fachliche Kompetenzen und Erfahrungen, die zur Arbeitserledigung benötigt werden. Sie sind im Anforderungsprofil festgeschrieben.
Herausforderungen: entstehen bei der Erledigung einer sehr schwierigen Aufgabe, die besonderes Engagement erfordert. Sie liegen zwischen Anforderung und Überforderung.
Überforderung: eine Arbeitssituation, in der eine Person eine außergewöhnliche Arbeit, für die sie unterqualifiziert ist, unter besonderer Anstrengung erledigt.
Unterforderung: Gegenstück zur Überforderung, bei der die Arbeit unterhalb der Qualifikation einer Person liegt. Dabei entsteht Monotonie.