Was klingt wie ein schlechter Witz, ist tatsächlich bundesdeutsche Realität 2017: Die freie Wahl eines Heizsystems ist bereits in über 1000 Städten und Gemeinden stark eingeschränkt oder vollständig verboten. Vielmehr wird vorgeschrieben, dass Fernwärme eingesetzt werden muss. Zu den Konditionen und Bedingungen, die der Fernwärmenetzbetreiber vorschreibt. Ohne Chance, sich zu wehren. Ohne Möglichkeit, frei zu entscheiden.
Zum besseren Vergleich: Das ist so, als ob ein Kfz-Händler sagt: „Wenn Sie Auto fahren wollen, dürfen Sie nur dieses Modell kaufen. Und das zu dem von mir festgelegten Preis. Ansonsten müssen Sie halt laufen. Punkt.“ Ob das Auto effizient ist oder nicht. Ob der Preis für das Auto gerechtfertigt ist oder nicht. Ob das Auto den eigenen Vorstellungen und Wünschen entspricht oder nicht. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wird Ihnen dann auch vorgeschrieben, wo Sie zu tanken haben. Denn andere Tankstellen können den speziell für Ihr Auto passenden Treibstoff nicht liefern. Unvorstellbar? In der Wärmeversorgung muss dieses Vorgehen immer häufiger genau so akzeptiert werden.
Das Problem dabei: Wärmenetze und Fernwärme lassen sich generell nicht „über einen Kamm scheren“. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof seine Definition von Fernwärme Ende 2011 recht weit gefasst: „Wird Wärme von einem Dritten nach unternehmenswirtschaftlichen Gesichtspunkten eigenständig produziert und an andere geliefert, so handelt es sich um Fernwärme. Auf die Nähe der Anlage zu den versorgenden Gebäuden oder das Vorhandensein eines größeren Leitungsnetzes kommt es nicht an.“
Vom Braunkohlekraftwerk bis zum Kalt-Nahwärmenetz
Betrachtet man parallel dazu, aus welchen Quellen Wärmenetze tatsächlich gespeist werden, lässt sich die Dimension des Wirtschaftszweiges Fernwärme erst richtig einschätzen. Das Spektrum reicht von alten Kohlekraftwerken, die Abwärme noch gewinnbringend verkaufen wollen, bis hin zu modernen und hocheffizienten Kalt-Nahwärmenetzen auf der Basis erneuerbarer Energieträger. Die tatsächlichen Wärmequellen dabei: Braunkohle, Kohle, Gas, Öl, Biomasse, Müll, Industrie-Abwärme, Geothermie, Solarthermie, Kraft-Wärme-Kopplung und Power-to-Heat.
Weiterhin spielen die Temperaturen im Wärmenetz eine wichtige Rolle. Diese reichen von 180 °C bei Hochdruckheißwasser über 160 °C bei Hochdruckdampf bis hin zu Kaltwasser mit 15 bis 25 °C. Die Wärmeverluste und damit die Effizienz sowie Nachhaltigkeit des Wärmenetzes bei diesen sehr unterschiedlichen Temperaturen sind schnell nachvollziehbar. Ebenso leicht fällt die Betrachtung der einzelnen Wärmequellen. Die Wärmeträger unterscheiden sich in ihrer Ökobilanz in puncto Klimaschutz mehr als nur deutlich. So lässt sich der CO2-Ausstoß eines Braunkohlekraftwerkes kaum mit Verfahren der Geothermie vergleichen oder gar gleichstellen.
Grundsätzlich scheint diese einfache Gleichung jedoch nicht für Wärmenetze zu gelten. Wie sonst lässt es sich erklären, dass die klimaschädliche CO2-Schleuder Braunkohlekraftwerk mit einem Primärenergiefaktor von 0,7 eingestuft wird, sobald ein Wärmenetz im Spiel ist? Mit Klimaschutz und Energiewende hin zu erneuerbaren Energieträgern hat das nichts mehr zu tun.
Wärmenetze erreichen meist den Primärenergiefaktor 0,7
Zur Erläuterung: Beim Primärenergiefaktor handelt es sich prinzipiell um einen nützlichen Bewertungsmaßstab, der hilft, unterschiedliche Energieträger miteinander zu vergleichen. Je geringer der Primärenergiefaktor, desto besser ist die primärenergetische Effizienz inklusive der gesamten Lieferkette. Für Braunkohle liegt er beispielsweise bei 1,2, für Erdgas bei 1,1. Für Strom beträgt der Primärenergiefaktor derzeit 1,8 – mit Tendenz nach unten. Wie relevant der für Fernwärmenetze herangezogene Primärenergiefaktor von 0,7 ist, zeigt eine Untersuchung der 3372 Wärmenetze in Deutschland: 81,7 % aller Wärmenetze erreichen – teils durch Zusammensetzungen von Energiequellen – einen Primärenergiefaktor von 0,7.
Doch wie entwickelt sich die Fernwärme in Deutschland derzeit? Betrachtet man die Heizungsstruktur im Wohnungsbestand, liegen Erdgas und Heizöl in den letzten 15 Jahren mehr als deutlich auf Platz eins. Die Fernwärme hält sich bei weitgehend 12 bis 13 % stabil auf Platz zwei. Langsam erkämpft sich die Technologie Wärmepumpe einen neuen Rang. Betrachtet man dagegen die Heizungsstruktur im Neubau, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Hier dominiert in der Hälfte aller Fälle zwar noch der Energieträger Erdgas. Die Fernwärme jedoch hat ihren Anteil innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Ähnlich sieht es bei der Zukunftstechnologie Wärmepumpe aus. Auch hier sieht man einen klaren Aufwärtstrend. Mit jeweils rund 20 % Marktanteil im Neubau.
Marktwirtschaftsregeln gelten nicht für Fernwärme
Das Problem dabei: Während sich Wärmepumpe und Co. den Regeln der freien Marktwirtschaft stellen müssen, werden diese für Fernwärme und Wärmenetze bewusst außer Kraft gesetzt. Gerade deswegen ist hier ein äußerst lukrativer Wachstumsmarkt entstanden. Und zwar für nahezu alle Akteure in einer Win-win-Situation – mal abgesehen von der Umwelt. Für Energieversorger ist Fernwärme interessant, weil die Kunden Anschlusszwängen unterworfen sind. Einen Wettbewerb kennt der Fernwärmemarkt nicht. Energieerzeugung und Energieverteilung müssen auch nicht in getrennten Händen liegen – wie es bei Strom, Gas oder Telekommunikation praktiziert wird. Vielmehr existiert ein reales Preismonopol. Mit langfristigen Verträgen von zehn Jahren wird nicht nur eine langfristige Kundenbindung erreicht, sondern gleichzeitig bestmögliche langfristige Kalkulationssicherheit – ein Traum für jedes Unternehmen. Wohin das führt, zeigen zahlreiche Beispiele – so aus Freiburg. Hier werden pro Kilowattstunde Heizwärme 21,1 Cent verlangt. Der aktuelle Kilowattstundenpreis für Erdgas liegt derzeit bei rund 5 bis 6 Cent.
Ähnlich positiv stellt sich Fernwärme für den Investor dar. Denn ein KfW-subventioniertes Gebäude lässt sich durch den Einsatz eines Fernwärmenetzes, das den Primärenergiefaktor 0,7 aufweist, schneller und kostengünstiger errichten. Alle KfW-Effizienzhaus-Anforderungen lassen sich problemlos realisieren. Zusätzliche Energiesparmaßnahmen am Haus können entfallen – die Investitionskosten und damit der Kaufpreis für den Endkunden sinken. Ähnliche Argumente haben auch die Kommunen, die über die per Gesetz diktierten Anschlusszwänge und die augenscheinliche Umweltfreundlichkeit eine grüne Decke legen.
Es gibt positive Argumente pro Wärmenetze – keine Frage. Und Wärmenetze können in der Tat zur Klimawende und zum Umweltschutz beitragen – z. B. in Form von kalten Nahwärmenetzen. Hierbei dient beispielsweise ein Flächenkollektor oder eine Tiefenbohrung als Energiequelle. Über ein Verteilernetz wird dann rund 15 bis 30 °C warmes Wasser an die Verbrauchsorte transportiert und dort dezentral durch Wärmepumpen auf die benötigten Temperaturen für die Heizwärme- und Warmwasserversorgung gebracht. Das Ergebnis: höchste Effizienz und ein Primärenergiefaktor bis zu 0,0. Ergänzt durch Photovoltaik und Batteriespeicher ergeben sich Plusenergie-Modellprojekte. Mittlerweile existieren mehr als 200 derartige Nahwärmenetze in Deutschland. Mit großem Erfolg. Zum Nutzen der Anwender. Und der Umwelt. Die Gemeinde Wüstenrot in Baden-Württemberg sei hier als eines der vielen überzeugenden Beispiele genannt.
Wärmelieferanten auch im Netz frei auswählen
Das führt fast automatisch zur Frage: Warum stellt sich die Fernwärme nicht den Bedingungen der freien Marktwirtschaft – mit einer strikten Trennung von Erzeuger und Netzbetreiber? Mit einer Möglichkeit für jeden Erzeuger, seine Wärme in das Netz einzuspeisen? Mit der Chance für angeschlossene Haushalte, sich ihren Wärmelieferanten aus dem angeschlossenen Wärmenetz frei auszusuchen? Sei es Strom, sei es Gas, seien es Kommunikationsverbindungen – genau diese Gesetze der freien Marktwirtschaft und des fairen Wettbewerbs haben hier ihre Gültigkeit. Und haben bewiesen, dass sie funktionieren.
Im Gesamtwerk „Heating & Cooling Strategy“ der Europäischen Union spielen Wärmepumpen und Wärmenetze eine wichtige Rolle. Ziel ist die Dekarbonisierung der Gebäude. Doch hier steht neben den erneuerbaren Energieträgern prinzipiell auch die Energieeffizienz im Fokus. Dennoch werden Fernwärmenetze in die Betrachtungen mit aufgenommen. Das Gleiche gilt für den Klimaschutzplan 2050 aus der deutschen Gesetzgebung. Hier dreht es sich u. a. um die Sektorkopplung und Wärmeversorgung im Quartier sowie die konsequente Nutzung industrieller Abwärme in Nah- und Fernwärmenetzen. Gleichzeitig wird aber auch betont, dass erneuerbare Energieträger in Wärmenetzen verstärkt eingesetzt werden sollen.
Im Entwurf der kommenden RES-Directive (Erneuerbare-Energien-Richtlinie) der EU – der „Mutter“ des deutschen EEWärmeG – ist dazu bereits enthalten, dass der Kunde eines Wärmenetzes vom Anschlusszwang befreit werden kann, wenn er eine Technologie zur Wärmeversorgung umsetzt, die höhere Anteile erneuerbarer Energie erbringt als das zur Verfügung stehende Wärmenetz.
Ähnliche Aussagen werden auch im Grünbuch Energieeffizienz 2016 des Bundesministeriums für Wirtschaft getroffen. Wärmenetze werden als Sektorkopplungstechnologie gesehen (darunter versteht man die gemeinsame Betrachtung und Vernetzung der Bereiche Elektrizität, Wärmeversorgung und Verkehr). Gleichzeitig wird ein frühzeitiger Anstoß für Investitionen in mit erneuerbarer Energie gespeisten Wärmenetzen gefordert. Wärmenetze werden dabei immer wieder als Mittel gesehen, um verschiedenste Technologien zusammenzubringen und Schwankungen im Stromnetz abzufangen. Das heißt: Strom-Wärme-Technologien wie Wärmepumpen und Kraft-Wärme-Kopplung, flexible Ausgleichstechniken wie Gaskessel und Erneuerbare-Energie-Technologien wie Geo- und Solarthermie versorgen Wärmenetze.
Die ersten Zeichen stehen also auf Richtungswechsel – pro Wärmenetz und pro Vernunft hin zu wirklich effizienten Lösungen. Das dient allen – nicht nur wenigen.
Fazit: Das Monopol politisch aufbrechen
Es gibt sie noch – die weißen Flecken auf der Landkarte, in denen die Gesetze und Regeln der freien Marktwirtschaft nicht gelten. Schon in über 1000 Städten und Gemeinden ist für Haus- und Wohnungseigentümer die freie Wahl eines Heizsystems extrem eingeschränkt bzw. unmöglich. Doch nach geltendem Regelwerk erreichen fast 82 % aller deutschen Wärmenetze einen Primärenergiefaktor von 0,7. So z. B. auch die CO2-Schleuder Braunkohlekraftwerk. Positives Beispiel sind die bereits über 200 Kalt-Nahwärmenetze in Deutschland, die auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit setzen. In den relevanten Zukunftsplänen sind sowohl in der EU als auch Deutschland erste Aussagen dazu getroffen worden, die das Monopol Fernwärme aufbrechen wollen.
Autor
Dipl.-Kfm. Martin Schellhorn ist Fachjournalist und Inhaber der Fachpresseagentur Kommunikationsmanagement Schellhorn in 45721 Haltern am See. Telefon (0 23 64) 10 81 99; martin.schellhorn@die-agentur.sh; www.die-agentur.sh