SBZ: Keine SHK Essen, keine IFH Nürnberg, keine GET Nord: Corona hat das Messegeschehen im Jahr 2020 massiv ausgebremst. Wie froh sind Sie, dass die bautec mit dem Termin im Februar so früh im Jahr lag?
Erik Debertshäuser: Wir sind sehr froh und wissen, dass wir damit enormes Glück gehabt haben. Wenn man sich vor Augen führt, wie intensiv die Vorarbeiten für eine Messe sind, die Konzeptionsphasen, Programmerstellung, die Planung des Messestandes, all die vielen Absprachen und Terminkoordinationen, Pressearbeit, in unserem Fall auch noch die Planungen des Karrierecenters, dann wäre eine Absage der bautec ein gravierender Rückschlag gewesen – wirtschaftlich und emotional. Wie schwerwiegend das für alle an den Regionalmessen beteiligten Landesverbände ist, können wir gut nachvollziehen. Daher sind wir auch erleichtert, dass die ISH-Messe im kommenden März nicht ausfällt, sondern stattdessen digital stattfindet. Das ist eine große Chance für die gesamte SHK-Branche. Wir in Berlin und Brandenburg werden nach Kräften das neue Messekonzept unseres Zentralverbands unterstützen.
SBZ: Innerhalb der bautec belegt der SHK-Bereich im Kern eine ganze Halle. Bilden Sie da überhaupt einen Querschnitt durch die Branche ab und wie bedeutend ist der für das SHK-Handwerk in Berlin/Brandenburg?
Andreas Koch-Martin: Die bautec-Fachmesse verfolgt dezidiert einen ganzheitlichen Ansatz, der das Gebäude als Gesamtsystem begreift. Im Mittelpunkt steht das Konzept des Systemverbundes von Gebäudehülle und intelligenter Gebäudetechnik, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Klimaschutz und der Einsatz modernster Baustoffe und Techniken. Wir selber als Aussteller präsentierten uns mit einem breiten thematischen Spektrum: Energieeffizienz, Wärmewende, Trinkwasserhygiene, Lüftungstechnik, Barrierefreiheit, Digitalisierung. Die Ofen- und Luftheizungsbauer berieten speziell zum Einbau von Kachel- oder Speicheröfen. Unser Gemeinschaftsstand bildete das Zentrum der SHK-Halle als Bindeglied zwischen Handwerk, Industrie, Großhandel und den Versorgern. Es war uns möglich, einen Branchentreff zu steuern, bei dem nicht nur Insellösungen präsentiert wurden, sondern im Dialog, im Netzwerk gedacht wurde. Enge persönliche Bindungen können so aufgebaut und gepflegt werden.
SBZ: Außerdem spricht die bautec auch ausdrücklich den Verbraucher an?
Koch-Martin: Unsere Handwerker konnten ihre Kunden zur Messe mitbringen und auf den Ständen ihrer Partner zeigen, welche Technik verfügbar ist. Die Messe ist damit auch ein Kundenbindungselement. Das ist schon singulär. Es gibt nur gebäude- und nutzerspezifische Lösungen und nichts von der Stange. Diese Botschaft wird hier auf dieser Messe wirklich gelebt. Planer und Architekten gehören auch zu den Besuchern der Messe. Auf diese Kombination aus Fach- und Verbrauchermesse haben wir als Mitglied des Messebeirats auch immer sehr geachtet. Insofern bilden wir einen umfassenden Branchenquerschnitt ab. Vom KarriereCenter und der Zielgruppe Nachwuchs haben wir dabei noch gar nicht gesprochen.
SBZ: Dann sprechen Sie auf der bautec ja nicht nur den Fachhandwerker und den Verbraucher an, sondern auch noch Jugendliche – eine ungewöhnliche Kombination. Was ist das KarriereCenter genau?
Debertshäuser: Das KarriereCenter ist die Plattform für Ausbildung, Studium und Weiterbildung in der Bau- und Gebäudetechnikbranche. Es ist keine gewöhnliche Plattform: Im Fokus steht das Miteinander der Branchen und Gewerke, das Aufzeigen aller Phasen im Bauprozess, von der Planung über die Ausführung bis hin zur Fertigstellung und Nutzung. Über 4000 Schülerinnen und Schüler aus Berlin und Brandenburg haben sich an praktischen Beispielen über die Vielfältigkeit der Ausbildungsberufe in Bauplanung, Bauhaupt- und Baunebengewerbe informiert. Innung und Fachverband präsentierten Sanitär- und Trinkwasserinstallationen, eine Wärmebildkamera, einen VR-Film und vor allem Kupferbiegen. Die Klempner führten vor, wie Dachkonstruktionen gebaut werden. Wir zeigten außerdem die Brennwerttechnologie, warben für die Bundeskampagne „Zeit zu starten“ und boten interaktiven Spaß mit einer Fotobox, in der die jungen Besucher zur Erinnerung Fotos von sich anfertigen durften, deren Ausdrucke unsere Webseitenadressen zierten.
Ein Highlight war auch der SHK-Praxistag. Erfahrene Monteure traten in einem direkten Wettbewerb gegeneinander an. Maßgeblich wurde dieses Ereignis von Brötje und Geberit organisiert. Um den Stellenwert der Nachwuchssicherung zu unterstreichen, haben wir schließlich gemeinsam auf der bautec unsere neuen Gesellinnen und Gesellen sowie die Berliner Jungmeister geehrt. Das war die größte und bedeutendste gemeinschaftliche Freisprechung in der Region.
SBZ: Neben dem Ausstellergeschehen haben Sie ein umfangreiches Vortragsprogramm für alle Messetage aufgesetzt. Die Vorträge waren in der Regel ziemlich gut besucht – unabhängig von der Thematik. Ist das Handwerk in Ihrer Region besonders wissbegierig oder waren die einfach froh, einmal sitzen zu dürfen?
Debertshäuser: Dank der Qualität der Vorträge sind alle sehr gerne sitzen geblieben. Wir sprachen in diesem Baupraxiszentrum SHK verschiedene Zielgruppen an und haben für jede dieser Zielgruppen, den Verbraucher, den Planer, Architekten und Handwerker, maßgeschneiderte Angebote unterschiedlicher Themen entwickelt. Wir hatten auch Gäste aus regionalen Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Da saß auch der Häuslebauer und suchte Antworten auf seine Fragen. Gleichzeitig fungierte eine Veranstaltung als Sachverständigenschulung mit Zertifikat. Diese Vorträge spiegeln einmal mehr den ganzheitlichen Netzwerkansatz, und darauf sind wir auch ein wenig stolz.
SBZ: Nicht erst seit Corona wird der Sinn und Zweck von Messen öfters mal infrage gestellt. Nicht so in der Region Berlin/Brandenburg. Was ist bei Ihnen anders?
Koch-Martin: Unsere Messe war vor Corona, seither hat es in der Hauptstadtregion auch viele Einschnitte gegeben. Die Berliner Energietage fanden nur digital statt, alle Ausbildungsmessen fielen aus. Aber tatsächlich experimentieren wir immer wieder mit neuen Formaten, wenn man nur an unsere Barcamps oder unseren Start-up Unternehmertag für Branchenlösungen im letzten Jahr denkt. So können wir die Branche stark nach außen repräsentieren und nach innen Wirkung entfalten. Aussteller der bautec haben sich immer in besonderem Maße mit der Messe identifiziert und unsere Betriebe empfinden die bautec als ihre Messe, nicht nur als Hauptstadtmesse. Da gibt es eine gewisse emotionale Verbindung. Die bautec ist ein Termin, zu dem unsere Mitglieder auch einen Großteil ihrer Belegschaft schicken. Wir haben früh verstanden, dass wir flexibel und agil auf Prozesse und gesellschaftlichen Wandel reagieren müssen. Die Akzeptanz und die Zahlen geben uns recht.
SBZ: Eine große Rolle nimmt bei der bautec zudem die Vernetzung der unterschiedlichen Baudisziplinen ein. Wie funktioniert das?
Koch-Martin: Wir denken sehr gewerkeübergreifend und verknüpfen uns das ganze Jahr über. Im Innungsnetzwerk „Wenn Handwerk dann Innung“ kommunizieren wir mit allen Gewerken. Wir planen gemeinsame Projekte, Aktionen, Gespräche mit Politikern, Maßnahmen zur Fachkräftesicherung oder Weiterbildungsveranstaltungen. Im Kompetenzzentrum der Innung, in dem Fachverband und Innung gemeinsam Weiterbildungen anbieten, finden sich neben Schulungen für den SHK-Fachhandwerker auch Angebote für Planer und Architekten, aber auch Fachleute aus anderen Gewerken kommen zu uns. Wenn man das Gebäude nicht nur technisch betrachtet, sondern als System, können wir gar nicht anders, als gemeinsam Lösungen zu kommunizieren. Die bautec führt dann die meisten von uns zusammen.
SBZ: Ist die ausstellende Industrie auf Standbesucher dieser Art überhaupt vorbereitet? Es ist doch ein Unterschied, ob man sich auf Fachkundschaft oder Verbraucher einstellt.
Debertshäuser: Es ist der Idealfall, dass der Handwerker mit seinem Kunden kommt. Unsere Marktpartner und Aussteller sind darauf sehr professionell vorbereitet und jeder, der seinen Dienst auf den Ständen der Hersteller versieht, ist geschult, sowohl eine Fachsprache als auch eine allgemein verständliche Sprache zu sprechen. Jeder ist darauf vorbereitet, gut zu erklären, Bedarfe zu ergründen und dann Angebote vorzuführen. Außerdem hat der Handwerker ja schon eine Vorauswahl getroffen. Gemeinsam mit dem Fachbetrieb des Vertrauens kann der Kunde nach dieser haptischen Erfahrung das Erlernte sichten und gewichten. Der Auftrag bleibt im Fachhandwerk, die Mehrstufigkeit gewahrt und der Verbraucher wägt herstellerneutral im Dialog mit seinem Handwerker ab.
SBZ: Lassen Sie uns den Blick in die Zukunft richten. Corona und die bautec 2022 – haben Sie schon Sorgenfalten?
Koch-Martin: Uns bleibt nichts anderes übrig, als das Messe- und das Pandemiegeschehen kritisch zu beobachten. Wir experimentieren jetzt schon mit digitalen Formaten und haben im Rahmen virtueller Ausbildungsmessen erste Erfahrungen gesammelt. Das bauen wir jetzt über den Herbst aus. Die ISH-Messe bildet dann einen weiteren Meilenstein des Lernens. Die nächste bautec ist erst 2022. Das gibt uns ein wenig Luft, alle Optionen offenzuhalten und wirklich ergebnisoffen zu denken. Aber ein Jahr Vorlauf brauchen wir dann schon.
SHK: Warum braucht die SHK-Branche generell Präsenzmessen?
Debertshäuser: Es begeistert uns, wie viel jetzt schon digital möglich ist. Aber das Handwerk lebt vom Anfassen, vom Ausprobieren, vom Sehen. Der haptische Aspekt ist von enormer Bedeutung. Wir sind immer noch ein Handwerk. Und Handwerk lebt auch von Bindungen zwischen Betrieb und Kunde. Das zeichnet uns doch gerade aus. Bei uns gibt es neben der handwerklichen Leistung die individuelle Beratung und den Kundenbesuch. Denken Sie nur an das Wartungsgeschäft. Unsere Handwerker stehen mit ihrem Namen für Qualität. Zum Teil sind das jahrelang gewachsene Beziehungen. Unser Handwerk hat seinen Arbeitsplatz beim Kunden, nicht am Smartphone. Und genau so, wie viele Konzerne nach Corona auch wieder ihre Meeting-Kultur beleben werden, die Leute aus den Homeoffices holen und Videokonferenzen auf ein Normalmaß zurückführen werden, erwartet unser Handwerk weiterhin Produktpräsentationen auf Präsenzveranstaltungen.
SBZ: Handwerksunternehmer werden doch mittlerweile „von allen Seiten“ mit Informationen versorgt. Sogar ganze Neuheiten-Präsentationen wandern ab ins Internet. Reicht das nicht?
Koch-Martin: Wir leben in Zeiten der Multichannel-Kommunikation. Viele digitale Präsentationen sind dabei echt beeindruckend, auch im Bereich Augmented Reality. Aber gerade wegen dieser Flut an Informationen und Reizen und weil das Anfassen, das Befühlen der Materialien zentraler Teil unserer Wahrnehmung ist, reicht das nicht. Das Erleben fehlt völlig. Die Corona-Krise hat genau das unterstrichen. Je digitalisierter wir werden, je größer die Informationsmenge, desto stärker auch die Notwendigkeit eines Filters. Inspiration und Vertrauen entstehen nur durch echte, ehrliche Gespräche.
SBZ: Herr Debertshäuser, Herr Koch-Martin, ich danke Ihnen für das Gespräch.