Wir wollen als freie Handwerksunternehmer künftig unsere Interessen unabhängig von staatlichen Dienstellen und Kammern in einem Landesverband organisieren, um so einen wesentlichen Beitrag zur Entfaltung einer marktorientierten Handwerkswirtschaft in der DDR zu leisten und der Jugend eine Perspektive geben“, mit diesen Worten kommentierten Manfred Poetzschner und Rolf Freiberger die Gründung. Sie wurden am 16. Januar 1990 die ersten Landesinnungsmeister der neuen Bundesländer.
Um die Weihnachtszeit waren intensive Gespräche einer DDR-Delegation freier Handwerksunternehmer mit dem Zentralverband Sanitär Heizung Klima in St. Augustin vorausgegangen. So standen in Gera Hauptgeschäftsführer Michael von Bock und Polach, den ZV-Vorstandsmitgliedern Heinz Rautenberg und Gerhard Reß sowie der ZVSHK-Sonderbeauftragte für Ostkontakte Ludwig Ruckelshausen unterstützend zur Seite. Ebenfalls vertreten waren die Vorsitzenden der bis dato aktiven Berufsgruppen und der Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Handwerks.
Zum Start ein Informationspaket aus St. Augustin
Im Rahmen einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ hat der Zentralverband im Nachgang dieser Veranstaltung viele Handwerkskollegen zu einer zweitägigen Schulungsveranstaltung nach St. Augustin eingeladen, um über die „Mechanismen der Wettbewerbswirtschaft“ und der Aufgabenstellung einer modernen Handwerksorganisation zu informieren.
Eine der ersten Aufgaben der neu gegründeten Verbände war die Beseitigung der staatlichen Reglementierung. Dazu gehörte die Verminderung der prohibitiven Gewinnversteuerung von 96 Prozent, die Möglichkeit zum freien Warenbezug, eine marktgerechte Preisgestaltung und einer „der Arbeitsmarktlage entsprechenden Entlohnung der Mitarbeiter“.
Im weiteren Verlauf des Jahres 1990 wurden in ähnlich verlaufenden Veranstaltungen auch die Fachverbände Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Gleichzeitig setzte eine Welle der Neugründung freier Handwerksinnungen ein. SBZ-Verleger Erwin Fidelis Reisch und der aus dem sächsischen Kreischa stammende, leider bereits verstorbene Handwerkskollege und SBZ-Redakteur Erich Werner Streidt, waren bei vielen Veranstaltungen dabei und ließen unsere Leser das Geschehen hautnah miterleben. Die damalige Berichterstattung hat schon fast historischen Wert und ist auch heute noch interessant zu lesen.
Deshalb haben wir die Beiträge rund um die damalige Gründungswelle in der DDR im Jahr 1990 digitalisiert und auf https://www.sbz-online.de/ zum Download bereit gestellt. Zudem finden Sie dort einen chronologischen Rückblick auf die Gründungszeit, den die SBZ im Jahr 2000 anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Fachverbände in den neuen Ländern erstellt hat.
Feste Größe für die Marktpartner
Seit den bescheidenen Anfängen in den 90er- Jahren haben die Landesfachverbände in den neuen Ländern und deren Mitgliedsbetriebe maßgeblich zum „Aufbau Ost“ beigetragen. Im Rahmen der handwerklichen Selbstverwaltung haben sie sich schon vor vielen Jahren als feste Größe und Ansprechpartner für Marktpartner und Politiker etabliert.
Mit dem heutigen ZVSHK-Ehrenpräsidenten Bruno Schliefke wählte der Zentralverband als erste gesamtdeutsche Handwerksorganisation nach der Wende einen Vertreter aus den neuen Ländern zum Präsidenten. In der SHK-Branche jedenfalls ist die Integration der Handwerkskollegen in eine gesamtdeutsche Berufsorganisation beispielhaft gelungen.
Hintergrund
Politik zur Wendezeit
9. November 1989
Öffnung der Grenzübergänge
18. März 1990
Erste freie Wahlen seit Gründung der DDR
22. Juni 1990
Landeseinführungsgesetz
1. Juli 1990
Wirtschafts-, Sozial- und Währungsunion von DDR und BRD
12. Juli 1990
Einführung der bundesdeutschen Handwerksordnung per Gesetz
3. Oktober 1990
Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten
Oktober 1990
Neugründung der ostdeutschen Bundesländer
Extras zum Heft
Die Gründung der Landesverbände im Jahr 1990
Unter https://www.sbz-online.de/tags/extras-zum-heft und im Downloadbereich unserer Homepage haben wir die Berichterstattung aus dem Jahr 1990 zum Download bereitgestellt.
Zudem finden Sie dort einen chronologischen Rückblick auf die Gründungszeit, den die SBZ im Jahr 2000 anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Fachverbände in den neuen Ländern erstellt hat.
Ihr SBZ-Team wünscht Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Kommentar
Gemeinsam die Zukunft gestaltet
Bereits Ende Oktober 1989, als der Niedergang der DDR immer offenkundiger wurde, habe ich meinen väterlichen Freund Ludwig Ruckelshausen gebeten, seine ausgezeichneten Ostkontakte als Sonderbeauftragter des ZVSHK zu nutzen und geeignete Handwerksunternehmer in der DDR ausfindig zu machen. Als wir dann zwei Tage vor Weihnachten die erste kleine Gruppe von freien Handwerksunternehmern unserer Gewerke beim Zentralverband Sanitär Heizung Klima in St. Augustin begrüßen durfte, waren wir uns schon nach kurzem Gespräch einig: wir wollten die Wiedervereinigung unter Gleichen. Wir haben uns in die Hand versprochen, dieses Ziel unabhängig von der politischen Großwetterlage unverzüglich für unsere Handwerke anzugehen. Obwohl es im Dezember 1989 noch keine Länder gab, sollten auch ohne Rechtsgrundlagen Landesverbände gegründet werden und die alten Innungen vor Ort wieder erstehen. Schon drei Wochen später waren die ersten Gründungen in trockenen Tüchern. Dann ging es Schlag auf Schlag!
Im April 1990 waren wir mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern durch. Die DDR existierte zwar noch, aber das interessierte niemanden! Jeder der Beteiligten wird nie vergessen, was sich da in vollbesetzten Kinos, berstenden Hörsälen und verqualmten Gaststätten in geradezu euphorischer Stimmung abgespielt hat. Wir haben improvisiert. Es wurden schon fast vergessene Landeshymnen angestimmt, die Bürgerrechte des Grundgesetzes zitiert und ein freies Handwerk in einer freien Wirtschaftsordnung postuliert. Und dabei wurden immer wieder Stasispitzel aufgedeckt und des Saales verwiesen.
Es ist schon eine Gnade, dabei gewesen zu sein, mitgestalten zu dürfen und den Erfolg der gerne gegebenen Hilfe zur Selbsthilfe wachsen zu sehen. Auch nach 20 Jahren bewegt mich dieses einzigartige Erlebnis immer noch in einer ganz besonderen Weise.
Es grüßt Sie herzlich Ihr Michael von Bock und Polach