Die Europäische Kommission hat gegen 17 Hersteller von Badezimmerausstattungen wegen eines Preiskartells in sechs EU-Ländern Geldbußen von insgesamt 622 Millionen Euro verhängt. Die Kommission war zunächst der Auffassung, die Absprachen hätten 1985 begonnen. Nach den Erwiderungen der Parteien auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte legte die Kommission den Beginn des Kartells jedoch auf das Jahr 1992 fest. Zudem ließ die Kommission ihre Beschwerdepunkte gegen Geberit und den italienischen Armaturenhersteller Frattini fallen, nachdem diese nachgewiesen hatten, dass die gegen sie verwendeten Beweise ihre Beteiligung nicht belegten.
Bei einem Großteil der mit Bußgeldbescheiden versehenen Unternehmen handelt es sich um bekannte Anbieter wie Artweger, Dornbracht, Duravit, Duscholux, Grohe, Hansa, Ideal Standard, Kludi, Masco (Hansgrohe und Hüppe), Sanitec (Keramag und Sphinx), Villeroy & Boch und Zucchetti. Die höchste Strafe hat der amerikanische Hersteller Ideal Standard mit 326 Millionen Euro erhalten. Es folgen Villeroy & Boch mit 71 Millionen, die Sanitec mit Keramag und Sphinx 57 Millionen und Grohe 54 Millionen Euro. Laut EU-Wettbewerbskommission soll das Kartell zwölf Jahre lang bestanden und Sanitärkeramik, Badewannen sowie Armaturen und Ausstattungen umfasst haben.
Hansgrohe und Hüppe gehen als Kronzeugen straffrei aus
Der US-amerikanischen Unternehmensgruppe Masco mit seinen beiden wichtigsten Tochtergesellschaften Hansgrohe und Hüppe wurde die Geldbuße gemäß der Kronzeugenregelung (wer gegen sich und seine Wettbewerber aussagt geht straffrei aus) vollständig erlassen. Offizielle EU-Begründung: Hansgrohe und Hüppe hatten über den Mutterkonzern Masco als erstes Unternehmen der Kommission Informationen über das Kartell geliefert und das Verfahren in Gang gebracht. Die Kommission berücksichtigte außerdem das kooperative Verhalten von Grohe und Ideal Standard und minderte ihre Geldbußen um 30 Prozent.
Außergewöhnlich ist, dass aufgrund der schwierigen finanziellen Lage die Geldbußen dreier Unternehmen um 50 Prozent und die zweier weiterer Unternehmen um 25 Prozent ermäßigt wurden. Insgesamt gaben zehn Unternehmen an, dass sie nicht in der Lage seien, eine Geldbuße zu bezahlen. Zur Beurteilung dieser Behauptungen prüfte die Kommission u.a. die jüngsten Jahresabschlüsse.
EU-Kommissar Almunia weiter auf der Jagd
„Diese 17 Unternehmen haben in sechs Ländern, in denen insgesamt 240 Millionen Menschen leben, zwölf Jahre lang Preise für Badewannen, Waschbecken, Armaturen und andere Badezimmerausstattungen festgesetzt. Das Kartell hat Betrieben wie Bauunternehmen und Installateure, aber letzten Endes auch zahlreichen Familien geschadet. Da das Ziel der Kartellbekämpfung jedoch nicht darin besteht, den Niedergang von Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten zu beschleunigen, hat die Kommission die Geldbußen für fünf Unternehmen auf ein für sie zumutbares Maß reduziert. Die Unternehmen sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Kommission ihren Kampf gegen Kartelle fortsetzen wird und die Geldbußen weiterhin so hoch sein werden, dass sie Unternehmen davon abhalten sollten, sich überhaupt erst auf illegale Verhaltensweisen einzulassen“, sagte Joaquín Almunia, Vizepräsident der Kommission und Wettbewerbskommissar.
Verbände in der Kritik
Aus dem Beschluss der Kommission geht hervor, dass die Unternehmen in den Jahren 1992 bis 2004 ihre Verkaufspreise für Badezimmerausstattungen in Deutschland, Österreich, Italien, Belgien, Frankreich und den Niederlanden koordiniert haben sollen. Diese Koordinierung erfolgte laut EU-Bericht im Rahmen von Treffen von 13 nationalen Fachverbänden in Deutschland (über 100 Treffen), Österreich (über 80), Italien (65) sowie Belgien, Frankreich und den Niederlanden und durch bilaterale Kontakte. Dabei sollen Preiserhöhungen, Mindestpreise und Rabatte festgesetzt und vertrauliche Geschäftsinformationen ausgetauscht worden sein. Diese Verhaltensweisen würden schwere Verstöße darstellen und sind nach Artikel 101 des EU-Vertrags untersagt. Bei der Festsetzung der Geldbußen habe die Kommission die betroffenen Umsätze der beteiligten Unternehmen, die außergewöhnliche Schwere der Zuwiderhandlung und ihre Dauer berücksichtigt.
Mit diesem Urteil ist die mittlerweile sechs Jahre währende kartellrechtliche Auseinandersetzung zwischen EU und Sanitärindustrie noch längst nicht beendet. Stark gelitten hat die Verbandsarbeit, die in früheren Jahren die Branche immer wieder mit Impulsen voran gebracht hat. So traten nach der Einleitung der Untersuchung beispielsweise Hansgrohe, Hansa und Grohe aus dem Fachverband Armaturen im VDMA und der Arbeitsgemeinschaft der Armaturenindustrie (AGSI) aus. Der Arbeitskreis baden und duschen (abd) lässt seitdem „die Arbeit ruhen.“ Eine konstruktive Verbandsarbeit in derartigen Gremien ist bis auf weiteres äußerst schwer. Inwieweit die Einsprüche der Industrie Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Bleibt zu hoffen, dass in Folge des EU-Urteils nicht das ein oder andere Unternehmen zum Insolvenzverwalter muss. Aber vielleicht gibt es dann ja zur Abwechslung mal wieder einen Unterstützungsfond von der EU. DS
Nachgefragt
So reagieren die betroffenen Firmen
Da die Begründungen für das Urteil bei den Firmen der Sanitärindustrie bei Redaktionsschluss noch nicht eingegangen waren, hielten sich die meisten Firmen mit Stellungnahmen zurück. Hier jedoch die ersten Kommentare:
Duravit-Vorstandsvorsitzender Franz Kook soll 29 Millionen Euro zahlen. Er hält die Vorwürfe gegen sein Unternehmen für absolut ungerechtfertigt: „Wir können das Urteil nicht verstehen und werden es auch nicht akzeptieren. Wir haben zu jeder Zeit gesagt, dass wir die Vorwürfe gegenüber Duravit für unberechtigt halten. Unserer Interpretation nach hat der Hersteller, der mehr als die Hälfte des gesamten Strafmaßes tragen soll (Anmerkung der Red.: Ideal Standard), Dinge behauptet, die uns zu Unrecht beschuldigen. Damit wollte er Rabatt erreichen und hat ihn wohl auch erreicht. Wir werden in geeigneter Weise dagegen vorgehen. Mehr können wir aber erst sagen, wenn wir die ausführliche Begründung gesichtet haben.“
Villeroy & Boch sieht das ähnlich: Das von der EU-Kommission verhängte Bußgeld von über 71 Millionen Euro ist in keiner Weise gerechtfertigt. Villeroy & Boch wird Klage erheben. Die gegen das Unternehmen von der EU-Kommission erhobenen Vorwürfe der Preiskoordination entbehren jeder Grundlage. Die behauptete Preiskoordinierung hat es nicht gegeben. „Aus unserer Sicht ist die Argumentation der EU-Kommission für den Sanitärkeramikmarkt absolut nicht nachvollziehbar“, sagt Vorstandsvorsitzender Frank Göring. „Die EU-Kommission hat zwei Branchen vermischt: die Armaturen- und die Sanitärkeramikbranche. In der Sanitärkeramik haben nur unzureichend Ermittlungen stattgefunden, damit grenzt die Entscheidung an Willkür.“ Villeroy & Boch will jetzt Klage erheben. Die beschuldigten Sanitärkeramikhersteller Roca, Laufen, Sanitec mit Keramag, Sphinx, Allia und Duravit seien im Kern den gleichen Vorwürfen ausgesetzt. Bis eine rechtswirksame Entscheidung getroffen wird, kann der Bußgeldbescheid mit einer Bankbürgschaft bedient werden. Eine angemessene Rückstellung wird im Halbjahresabschluss gebildet.
Die heutigen Eigentümer der Sanitec (dazu gehören Keramag und Sphinx) und das derzeitige Management wägt das weitere Vorgehen gegen die Entscheidung (57 Millionen Strafe) der Europäischen Kommission, einschließlich eines möglichen Einspruchs beim Europäischen Gerichtshof, ab. Sobald die vollständigen Entscheidungsgründe vorliegen, wird Sanitec die Inhalte prüfen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Sanitec wird Wege finden, um die Bußgeldsumme ohne Beeinträchtigung des laufenden und zukünftigen operativen Geschäfts zu finanzieren.
Von dem Ermittlungsverfahren war auch die Hansa Metallwerke AG betroffen. Der betreffende Bußgeldbescheid lautet auf 14,8 Millionen Euro. Die Begründung für die Geldbuße liegt dem Vorstand der Hansa Metallwerke AG noch nicht vor. Dem Vernehmen nach stützt sich die EU-Kommission auf die von ihr entwickelten Bußgeldleitlinien, die durch den Europäischen Gerichtshof noch nicht geprüft wurden. Diesen Leitlinien stehen erhebliche europarechtliche Bedenken entgegen, weil sie die kleinen und mittleren Unternehmen zugunsten von Großunternehmen unverhältnismäßig stark belasten. Der Vorstand der Hansa Metallwerke AG wird daher nach Eingang der Begründung eingehend prüfen, ob er sich gegen den Bußgeldbescheid zur Wehr setzen und Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben wird. Unabhängig vom Ausgang eines etwaigen Klageverfahrens wird die Geldbuße die Ertragslage des Unternehmens nicht nachteilig beeinflussen, da die Hansa Metallwerke AG für diesbezügliche Risiken bereits in früheren Jahresabschlüssen durch Bildung auskömmlicher Rückstellungen Vorsorge getragen hat. Auch die Finanzierung der Geldbuße ist seit geraumer Zeit gesichert.
Die von der Europäischen Kommission auf eine Höhe von insgesamt 326,1 Millionen Euro veranschlagte Strafzahlung wurde anhand des weltweiten Umsatzes aller von der Untersuchung betroffenen Einzelunternehmen der ehemaligen American Standard Gruppe festgelegt. Die Ideal Standard International Gruppe teilte mit, dass die aus einer Kartellrechtsverletzung resultierenden Zahlungsforderungen bei der Aufteilung von American Standard (Februar 2007) in drei separate Unternehmen vollumfänglich von der WABCO Europe BVBA übernommen wird. Die WABCO hatte bei der Firmentrennung einer Freistellung der Ideal Standard International Holding SARL sowie ihrer Tochtergesellschaften von jeglicher Haftung im Zusammenhang mit der Untersuchung der Europäischen Kommission zugestimmt. Der Kfz-Zulieferer muss nun ggf. 326 Millionen Euro zahlen, Ideal Standard International nicht einen Euro.
Die Masco Corporation (Hansgrohe und Hüppe) bestätigte, dass sie im Rahmen ihres Compliance-Programms (Programm zur Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien) im Jahr 2004 aufgedeckt hat, dass sich einige Tochtergesellschaften in einigen europäischen Ländern an wettbewerbswidrigen Praktiken der Badarmaturen- und Duschabtrennungsindustrie beteiligt haben, und dass sie dieses Verhalten sofort unterbunden hat. Die Verstöße wurden den zuständigen Behörden mitgeteilt. Aufgrund der Kronzeugenregelung müssen Hansgrohe und Hüppe nicht zahlen.
Der Grohe AG und einzelnen Tochtergesellschaften wurde von der Europäischen Kommission im Verfahren gegen die europäische Sanitärindustrie eine Geldbuße in Höhe von 54,8 Millionen Euro auferlegt. Das Unternehmen hat in dem Bußgeldverfahren mit der Europäischen Kommission umfassend kooperiert. Auch wenn das Unternehmen Rückstellungen gebildet hat, wird die Höhe der Geldbuße jedoch Auswirkungen auf künftige Investitionsentscheidungen haben. Grohe prüft derzeit Entscheidung und juristische Optionen einschließlich der Option eines gerichtlichen Vorgehens gegen die Bußgeldentscheidung.
Roca wird die Strafen in Höhe von 38 Millionen Euro (Hansgrohe und Hüppe) nicht akzeptieren und bei der EU Einspruch erheben. Die Kommission bezieht sich bei ihrem Urteil auf die Länderdivisionen in Österreich und Frankreich. Die Wettbewerbsverletzungen sollen nur in diesen Märkten stattgefunden haben.
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