Dass Wohnhäuser und Gewerbebauten zum überwiegenden Teil mit Solarstrom vom eigenen Dach versorgt werden können und zwar für Strom, Wärme und Elektromobilität, ist für viele immer noch kaum vorstellbar. Immerhin wird Solarstrom größtenteils im Sommer erzeugt, die meiste Wärme wird aber im Winter benötigt. Wie soll das gehen? Wie können solche Energiekonzepte wirtschaftlich sein und welche neuen Geschäftsmodelle bieten sich dadurch für Wohnungsunternehmen?
Darum ging es bei der Veranstaltung „Kabel statt Rohre – Potenziale der solarelektrischen Haustechnik im Wohnungsbau“, zu der My-PV Anfang November bei der Moonich GmbH in Sauerlach bei München eingeladen hatte. Die Referenten, darunter auch der Energieexperte Prof. Dipl-Ing. Timo Leukefeld, stellten zahlreiche Bauvorhaben aus dem Neubau und Bestand vor, bei denen große Photovoltaikanlagen im Kombination mit anderen Technologien wie Stromspeicher, Infrarotheizung und Leistungsstellern für eine hohe Energieunabhängigkeit sorgen. Nutzen Wohnungsunternehmen den hohen Solaranteil, um ihren Mietern eine Pauschalmiete mit Energieflatrate anzubieten, können sie eine höhere Mietrendite erwirtschaften, betonte Leukefeld.
Hohe Eigenversorgung mit Solarstrom dank Leistungsstellern
Markus Gundendorfer, Vertriebsleiter von My-PV, definierte den Begriff „solarelektrisch“. Ein solches Gebäude deckt mindestens 50 % des Strom- und Wärmebedarfs mit einer entsprechend dimensionierten Photovoltaikanlage. Dabei ist für Gundendorfer der Warmwasserbedarf der Dreh- und Angelpunkt des Energiekonzeptes, denn warmes Wasser wird rund ums Jahr in etwa gleicher Menge benötigt. Dementsprechend brauche es für eine solarelektrische Haustechnik eine netzgekoppelte Photovoltaikanlage, einen Warmwasserspeicher und eine elektrische Fußboden/Flächenheizung oder Infrarotheizung, so Gundendorfer. Essenziell sei zudem, dass das Gebäude gut gedämmt ist und einen Heizwärmebedarf von maximal 50 kWh/m² im Jahr hat.
Der Ingenieur, der seit 30 Jahren in der PV-Branche tätig ist, stellte mehrere Gebäude mit Photovoltaik vor, bei denen der Leistungssteller AC-Thor von My-PV die Energietechnik regelt und für eine hohe Eigenversorgung mit Solarstrom sorgt. In den Gebäuden gibt es entweder eine Infrarotheizung oder elektrische Flächenheizungen, aber keine Wärmepumpe. Da passte es gut, dass Gundendorfer die erst seit kurzem vorliegende erste Jahresenergiebilanz des eigenen Firmengebäudes in Neuzeug in Oberösterreich vorstellen konnte. Die Jahresenergiebilanz wird in den kommenden Wochen erst veröffentlicht, die Gäste vor Ort erhielten eine erste Vorabinformation.
Das laut Gundendorfer „voll elektrische Gebäude“ hat Solarmodule mit 60 kW Leistung auf dem Dach, 30 kW an der Südfassade und 10 kW an der Ost- sowie Westfassade. Die Fundamentplatte dient als Speichermasse für die elektrische Bauteilaktivierung, im Obergeschoss gibt es Heizmatten als elektrische Fußbodenheizung. Leistungssteller von My-PV regeln die Energieverteilung für die Warmwasserbereitung und die Heizung.
Mit Blick auf Einfamilienhäuser plädierte Gundendorfer dafür, zwei Räume auszuwählen, die vorrangig mit Solarstrom versorgt werden und die auch „etwas überhitzt werden“ können, zum Beispiel die Küche und das Wohnzimmer. Voraussetzung für die Nutzung der Leistungssteller sind Temperaturfühler in den Räumen. Wichtig ist: „Die Photovoltaikanlage muss gesetzt sein, danach kann die weitere Technik geplant werden.“
Solarelektrische Hybridlösung für Modernisierung
Dem schloss sich Dirk Bornhorst, Geschäftsführer des Planungsbüros IR Integration, an. Am Beispiel verschiedener Bauvorhaben und vor allem eines Bürogebäudes mit Wohnung in Konstanz zeigte er auf, wie wichtig die zielgerechte Vorgehensweise in der Planung ist. Bei dem Gebäude erzeugen Module mit 130 kW auf dem Flachdach, in der Absturzsicherung auf dem Dach und in allen vier Fassaden die Energie. „Wir haben frühzeitig mit dem Architekten gesprochen und ihm klargemacht, dass die Photovoltaikanlage erste Priorität hat“, berichtete er. Entsprechend wurden dann die Fassaden und die Fenster geplant. „Infrarotheizungen als technisch einfaches Heizsystem sind der Katalysator für den Einsatz von fassadenintegrierten Photovoltaikanlagen“, ist Bornhorst überzeugt. Mit dem senkrechten Neigungswinkel sind sie optimal für die Solastromerzeugung im Winter, wenn die Sonne tief steht.
Weiterhin stellte Bornhorst ein Energiekonzept vor, das er als solarelektrische Hybridlösung für die Modernisierung von Bestandsgebäuden bezeichnete. Bei diesem Ansatz wird die Öl- oder Gasheizung durch eine kleine Wärmepumpe ersetzt, die dann den Grundbedarf mit einer geringen Vorlauftemperatur deckt. Die Spitzenlasten werden raumweise durch eine Infrarotheizung abgedeckt. Bornhorst plädierte dafür, die Kosten, die anfallen, wenn man ein wassergeführtes Heizsystem mit einer leistungsstarken Wärmepumpe ersetzt, lieber in die Photovoltaikanlage zu investieren und eine hohe Autarkie zu ermöglichen.
Vernetzte energieautarke Gebäude
Diesen Ansatz verfolgt auch Timo Leukefeld, der immer wieder Schlagzeilen macht mit solarelektrischen Gebäuden, die er aber als „energieautarke Gebäude“ bezeichnet. Dabei seien 100 % Autarkie nicht das Ziel, führte er aus. Sein Autarkie-Team plane mit 50 bis 70 % Autarkie, da jedes weitere Prozent deutlich höhere Kosten verursache. Die Haustechnik solle ökologisch und wirtschaftlich sein. Auch empfahl er den Teilnehmern, die größtenteils von Wohnungsunternehmen kamen, nicht auf den Netzanschluss zu verzichten.
Leukefeld plant vor allem Mehrfamilienhäuser, häufig für Wohnungsbauunternehmen und Wohnungsgenossenschaften. Vollflächige Photovoltaikanlagen auf dem Dach und Module an den Südfassaden und Balkonbrüstungen erzeugen rund ums Jahr viel Solarstrom. Ein Speichersystem sorgt dafür, dass der Strom auch zeitversetzt, zum Beispiel abends und nachts, verbraucht werden kann. Dazu kommen hocheffiziente Infrarotheizsysteme, die bedarfsgerecht Wärme in den Wohnungen erzeugen, ohne dass wasserführende Heizungen und Leitungen erforderlich sind.
Leukefeld begründet diesen Ansatz mit den explodierenden Nebenkosten, die sich mittlerweile zu einer 2. Miete entwickelt hätten. Dazu kämen die Kosten für Instandhaltung, Wartung und Reparaturen, der er als 3. Miete bezeichnet und die eine zunehmende Belastung für Mieter darstellen.
Die „radikale Vereinfachung“ der Haustechnik und der hohe solare Anteil bei weiter sinkenden Erzeugungskosten für Solarstrom versetzen Vermieter in die Lage, ihren Mietern eine Pauschalmiete mit Energieflat für Wohnen, Wärme, Strom und E-Mobilität anzubieten. „Dadurch können sie ihre Einnahmen erhöhen und pro Monat drei bis vier Euro mehr je m2 verlangen“, sagte er. Für die Mieter bleibe der Mietpreis inklusive Energiepauschale dennoch günstiger als bei dem altbekannten Mietmodell.
Referenzobjekte mit Energieflat
Das erste Mehrfamilienhaus, das in Wilhelmshaven steht, wurde schon Ende 2018 bezogen. Wenig später wurden 2 Mehrfamilienhäuser mit dem gleichen Konzept in Lübben im Spreewald in Betrieb genommen.
In Unna feierte ein Wohnungsunternehmen gerade Richtfest für 5 Mehrfamilienhäuser mit jeweils 7 Wohnungen. Für einen Kunden in Frankreich hat er ein Gebäude geplant, das im 3D-Druck-Verfahren errichtet werden soll. In Aschersleben in Sachsen-Anhalt baut eine Wohnbaugesellschaft gerade einen alten Plattenbau zum solarelektrisch versorgten Gebäude um. Die Kosten für Strom und Wärme werden nur noch bei monatlich 30 Euro je Wohnung liegen. Der Pauschalmiete wurde mit 11 Euro/m² kalkuliert, berichtete Leukefeld. In Magdeburg wird der nächste Plattenbau umgebaut. Die Gesamtenergiekosten für 32 Wohnungen sollen künftig nur noch etwa 21 150 Euro im Jahr betragen, das sind etwa 660 Euro pro Wohnung. Auch Gewerbegebäude stellte er vor, darunter eine Bäckerei mit Mühle auf der Nordseeinsel Föhr und ein Rechenzentrum in Cottbus.
Immer häufiger würden Mieter nach einer Notstromfunktion für eventuelle Unterbrechungen des Stromnetzes fragen, weiß Leukefeld von seinen Auftraggebern. Wenn dies in der Flatrate angeboten werde, könnten Vermieter es mit einkalkulieren. „Eine hohe Autarkie und ein bisschen Strom zukaufen, das ist in unseren Augen die optimale Lösung für die Zukunft“, fasste er zusammen. „Und mit der Solarenergie braucht auch niemand zu frieren.“ Das will er sogar den Nachbarn der Bewohner der energieautarken Gebäude ermöglichen. Mit denen werden die Häuser häufig vernetzt, damit die Nachbarn im Sommer überschüssigen Solarstrom zum günstigen Preis nutzen können. ■