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Temperieren statt klimatisieren

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Rückblickend gesehen war die Evolution der aus den 1970er-Jahren stammenden Nur-Luft-Klimaanlagen zu Flächenheiz- und -kühlsystemen die logische Konsequenz aus höheren Anforderungen an die Gebäudeenergieeffizienz, dem zunehmenden Hygienebewusstsein und den steigenden Anforderungen an Raumkomfort und Behaglichkeit. Prof. Dr.-Ing. Roland Koenigsdorff, Hochschule Biberach, leitet aus den mit diesen Entwicklungen einhergehenden Irrungen und Wirrungen, wie beispielsweise Doppelfassaden, die Notwendigkeit einer zukünftig ganzheitlichen und gewerkeübergreifenden Planungs-, Qualitätssicherungs- und Haftungskonstellation gegenüber dem Auftraggeber ab.

Koenigsdorff arbeitete in den 1990er-Jahren als Teamleiter Energiemanagement und Simulation bei der Drees & Sommer AG/DS-Plan GmbH und war damit unmittelbar mit dem damals für die Klimaindustrie beinahe schon disruptiven Wandel der Raumlufttechnik konfrontiert. Dabei zeigte sich, dass die mit den gewerkeübergreifenden Klimatisierungskonzepten einhergehende Komplexität sich eher kontraproduktiv auf Installationskosten, Betriebskosten, Unterhalt und Energieeffizienz auswirkte. Aus diesen Erkenntnissen heraus entstand, so Koenigsdorff, das erste große Passivhaus-Bürogebäude „Energon“ in Ulm, eine Stahlskelettkonstruktion mit einer Fassade aus Holzelementen. Das Energiekonzept, bestehend aus 40 jeweils 100 Meter tiefen Erdwärmesonden, thermoaktivierten Decken und zusätzlichen in die Betondecke einbetonierten Luftleitungen zur Frischluftversorgung der einzelnen Büros über einen vorgeschalteten Erdkanal, stellte aus seiner Sicht neue Anforderungen an die Zusammenarbeit zwischen Architekt, Tragwerksplaner, Haustechniker und Bauphysiker. Zur selben Zeit entstand an der Hochschule Biberach das Gebäude „Technikum Gebäudeklimatik“ als DBU-Forschungsprojekt zum Thema thermoaktive Bauteiltemperierung unter Einbeziehung von Erdwärmesonden und einer nur auf den notwendigen Temperaturhub optimierten reversibel arbeitenden Wärmepumpe. Der dafür von Fritz Nüßle, Zent-Frenger, Heppenheim, erstmals konzipierte Prototyp der geothermischen Energiezentrale „Geozent“ gilt heute als Meilenstein in der Umsetzung des Systemtechnikgedankens zur Reduzierung der Komplexität von Wärmepumpen. Den schon damals einsetzenden Trend zur Systemtechnik und zu Systemmodulen sieht Koenigsdorff auch künftig als Schlüssel zu praxisnahen, hocheffizienten Lösungen, denn, so Koenigsdorff: „Der Heizungsinstallateur darf mit der heutigen und kommenden komplexen Technik nicht alleingelassen werden. Die Lösung liegt in Systemmodulen und in der Systemtechnik, insbesondere im Hinblick auf die politisch gewollte Netzdienlichkeit von Gebäuden, Anlagen und Liegenschaften.“

Eisspeicher und BKT gewinnen an Bedeutung

Eigenstromerzeugung und Energiespeicherung müssen in künftigen Energiekonzepten fest verankert sein, will man den ab 2020 EU-weit vorgeschriebenen Niedrigstenergiestandard erreichen. Johannes Hopf, Teamleiter Energiedesign, Drees & Sommer Advanced Building Technologies, fordert von Bauherren und Architekten ein grundsätzliches Umdenken, denn mit konventioneller Technik seien die neuen Standards nicht zu erreichen.

Um die Ziele des Klimaschutzplanes 2050 (52 kWh/m2a bei Nichtwohngebäuden, 40 kWh/m2a bei Wohngebäuden) zu erreichen, müssten neben der Bedarfsreduzierung und der Erzeugeroptimierung die Eigenstromerzeugung und die Speicherung in Form von Wärme, Kälte oder Strom fest in den künftigen Energiekonzepten verankert werden. Nur so könnten die Netze entlastet und die EEG-Umlage auf eigenverbrauchten Strom vermieden werden. Vorgabe müsse sein, den selbst erzeugten PV-Strom auch selbst zu verbrauchen bzw. in Form von Wärme, Kälte oder Strom zu speichern.

Die wirtschaftlichste Art, Energie im Gebäude zu speichern, sei die Betonkerntemperierung (BKT), da dieses System einfach zu realisieren und leicht beherrschbar sei, so Hopf. Ideal sei eine Kombination von Wärmepumpe, BKT und Erdwärmesonden (EWS). Wo dies aus geologischen Gründen nicht möglich ist, könnten die EWS durch einen dualen Eisspeicher ersetzt werden, wobei für die Beladung des zweiten Eisspeichers ausschließlich überschüssiger PV-Strom genutzt werden sollte. Bei richtiger Dimensionierung der Komponenten könnte sich der Mehrpreis solcher Konzepte innerhalb von fünf Jahren amortisieren. Bevorzugt sollte dafür PV-Strom vom eigenen Dach eingesetzt werden; dadurch könnten rund 45 % des Kühlbedarfs durch überschüssigen PV-Strom gedeckt werden. Um Kosten einzusparen, sei es wichtig, getrennte Stromnetze für das Gebäude und die Mieter vorzusehen. Nur so könne die EEG-Umlagenbefreiung realisiert werden. Hopf geht davon aus, dass mit fallenden Preisen für Stromspeicher und PV-Anlagen die Stromspeicher mittelfristig an Bedeutung gewinnen werden.

TWE senkt Wärmepumpen-Effizienz

Selbst eine optimale Planung und der Einbau systemtechnisch abgestimmter Komponenten garantiert nicht automatisch eine hohe Arbeitszahl. Prof. Dipl.-Ing. Werner Schenk, Hochschule München, Energie- und Gebäudetechnik, versteht es, die offenbar vielfachen Schwächen heutiger Wärmepumpenanlagen mithilfe eines von ihm entwickelten Zehn-Punkte-Checks in den grünen Bereich zu hieven. Nach seinen Erfahrungen weichen viele Wärmepumpenanlagen von der Auslegung nach VDI 4650 „Berechnung von Wärmepumpen“ ab und damit auch die Jahresarbeitszahl.

Wichtige Punkte zum Erreichen einer optimal ausgelegten Wärmepumpenanlage sind aus Sicht von Schenk:

  • die Auswahl und Dimensionierung der Wärmequelle
  • eine gezielte Unterdimensionierung der Wärmepumpe
  • einheitlich dimensionierte Niedertemperatur-Wärmeverbraucher
  • eine einfache Hydraulik, möglichst ohne Kombi- und Parallelspeicher
  • die Vermeidung auch kleiner hydraulischer Fehlströmungen
  • niedrige Temperaturen bei der Trinkwassererwärmung durch den Einsatz dezentraler Frischwassersysteme
  • Auswahl von Hilfsaggregaten mit geringer elektrischer Leistung
  • eine kontinuierliche Überwachung der Anlageneffizienz.

Die wirtschaftlichste Maßnahme zur Verbesserung der Leistungszahl sei jedoch die Optimierung der Heizkurve (nach unten) und die Vermeidung von Sicherheitszuschlägen. In einem konkreten Fall (Mehrfamilienhaus, 30 WE, 96 kW Heizlast) konnte allein durch die Nachjustierung der Heizkurve der Stromverbrauch um 29 % gesenkt werden. Bei einem Betriebsgebäude (1440 m2 beheizte Fläche, EWS, Wärmepumpe) konnte durch die Optimierung des Volumenstroms der Sole-Umwälzpumpe ( T ~ 6 K) der COP (Wärmepumpe + Solepumpe) von 5,1 auf 5,3 erhöht werden. Wichtig sei eine monatliche Erfassung der Leistungszahl im ersten Betriebsjahr, danach im jährlichen Intervall.

Typische Fehlerquellen seien auch defekte oder undichte Rückschlagventile oder Dreiwegeventile mit bauartbedingter Leckage sowie Grundwasserförderpumpen, die auch dann in Betrieb sind, wenn keine Wärmeanforderung durch die Wärmepumpe besteht. Im Übrigen könne in vielen Fällen anstatt einer im Brunnen installierten leistungsstarken Grundwasserpumpe eine energiesparende Umwälzpumpe eingesetzt werden.

Ausdrücklich warnte Schenk vor vermeintlich preisgünstigen Luft-Wasser-Wärmepumpen in Splitbauweise, deren Lebensdauer deutlich kürzer sei. An die Adresse der Planer richtete Schenk den Appell, dem Kunden kein Erstlingswerk zuzumuten.

Energiespeicherung im Fokus

Im Hinblick auf die politische Forderung nach Sektorkopplung, also der systemischen Verbindung von Elektrizität, Wärmeversorgung und Verkehr, rückt die Energiespeicherung stärker in den Fokus der Gebäudetechnik. Am einfachsten und wirtschaftlichsten lassen sich netzdienliche Betriebsweisen durch Tarifanreize heute schon in Gebäuden mit thermisch aktivierbaren Bauteilsystemen, reversiblen Wärmepumpen, Erdwärmesonden oder Eisspeichern umsetzen. Allerdings kämpft die Branche immer noch mit Effizienzverlusten an den Schnittstellen Planung, Installation und Betrieb. Digitale Werkzeuge wie BIM oder die digitale Funktionsbeschreibung als Bindeglied zum Energiemonitoring tragen dazu bei, die Anlageneffizienz nachhaltig zu verbessern und neue Regelungs- und Steuerungskonzepte dauerhaft umzusetzen.

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Der Nüßle-Einfluss auf die TGA

Wenn es nach der Klimaindustrie, den großen TGA-Planern und den damals industriell ausgerichteten Klimaanlagenbauern gegangen wäre, hätte es Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre noch Jahrzehnte wie gewohnt weitergehen können: Klimaanlagen zu bauen, frei nach dem Motto: „Viel hilft viel.“ Gemeint sind voluminöse Nur-Luft-Klimaanlagen nach US-Vorbildern. Endenergieverbräuche von 300 kWh/m2a und höher waren damals eher die Regel als die Ausnahme. Versuche von Architekten und Bauphysikern, bei Bürogebäuden ganz auf Klimaanlagen zu verzichten und stattdessen mittels Glasfassaden aus Wärmeschutz-Isolierglas und Lüftungsanlagen ohne Kühlfunktion natürlich zu klimatisieren, endeten meist in einer Nachrüstungsaktion mit Kälteregistern und Kaltwassersätzen. Raumtemperaturen von 40 °C und mehr waren in solchen Glaspalästen keine Seltenheit. Auch Gebäude mit Doppelfassaden in Kombination mit passiver Kühlung über Kühldecken – Beispiel Arag-Hochhaus in Düsseldorf – erwiesen sich als miserabel, was das Raumklima und den Endenergieverbrauch anbelangt. Primärenergetisch betrachtet verschlang das Arag-Hochhaus laut einer Veröffentlichung von Werner Eicke-Hennig, Institut Wohnen und Umwelt, etwa 700 kWh/m2a an Primärenergie.

Vor diesem Hintergrund entstanden in den 1980er- und 1990er-Jahren neue Klimatisierungskonzepte auf der Basis von Heiz- und Kühldecken, oft in Kombination mit Hygienelüftung bzw. Quelllüftung. Ergänzend dazu kamen später die thermoaktiven Bauteilsysteme (TABS) mit Schwerpunkt auf der Betonkerntemperierung (BKT). Fritz Nüßle, damals bei der schwedischen Fläkt bzw. ABB Fläkt tätig, erkannte die Sackgasse, in der die konventionelle Klimatechnik steckte, und suchte nach Alternativen zu den Nur-Luft-Klimasystemen. Entgegen der vorherrschenden Einstellung der Klimaindustrie, den Markt für Nur-Luft-Klimaanlagen und Induktions-Klimaanlagen vor konkurrierenden Alternativen schützen zu müssen, sah Nüßle die Zukunft in den aus Skandinavien kommenden Kühlbalken, Kühl- und Heizdecken sowie der Quelllüftung. Gemeinsam mit den Aktivitäten des Kühldecken-Pioniers Donald Herbst und der wissenschaftlichen Unterstützung durch Prof. Dr. Horst Esdorn vom Hermann-Rietschel-Institut, später durch Prof. Dr.-Ing. habil. Bernd Glück, gelang es Nüßle, Investoren, Bauherren, Architekten und Projektentwickler von den Vorzügen strahlungsorientierter Heiz-/Kühlsysteme und der Entkopplung der Funktionen Lüften, Heizen und Kühlen zu überzeugen. Begünstigt wurde die Entwicklung durch die öffentliche Diskussion um das Sick Building Syndrome und das allgemein steigende Hygienebewusstsein im Umgang mit raumlufttechnischen Anlagen, das letztlich zur VDI-Richtlinie 6022, der sogenannten Hygienerichtlinie, führte.

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Die Geschichte des TWK Karlsruhe

Neubau mit wegweisendem TGA-Konzept

Als Dr.-Ing. Johannes Reichelt im Jahr 1980 seine Professorenstelle an der damaligen Fachhochschule Karlsruhe (FH KA), Fachbereich Maschinenbau, im Studienschwerpunkt „Kälte-, Klima- und Umwelttechnik“ antrat, war der erste Hype bei den Wärmepumpen bereits in vollem Gange. Reichelt entschied sich deshalb, eine DIN-Prüfstelle für Wärmepumpen und Kältetechnik an der FH einzurichten. Ab 1997 befand sich die Prüfstelle in einem gemieteten Gebäude mit etwa 20 Mitarbeitern, ca. 1 km entfernt von der FH KA. Zur gleichen Zeit wurde die bisherige Einrichtung in eine GmbH umgewandelt unter der Firmenbezeichnung „TWK – Test- und Weiterbildungszentrum Wärmepumpen und Kältetechnik GmbH“.

Als das ehemals amerikanische Militärgelände, auf dem sich die TWK GmbH befand, neu erschlossen wurde, gelang es 2012 – nach jahrelanger Suche – ein 4400 m2 großes Gelände von der Stadt Stutensee zu erwerben. Nach intensiven Planungen begannen Anfang 2015 die Bauarbeiten und wurden Ende 2015 abgeschlossen. Ein Schwerpunkt dieser Planungen lag auf einem modernen, wegweisenden TGA-Konzept. Die Impulse für die realisierte Lösung aus Latentspeicher, Wärmepumpen, Kältemaschine, Bauteiltemperierung und Kühldecken setzte Fritz Nüßle. Nach seinem Ausscheiden aus der operativen Geschäftsleitung der Zent-Frenger GmbH trug Nüßle als freier Berater und TGA-Planer entscheidend zur praktischen Umsetzung dieses Energiekonzepts bei.

Autor

Wolfgang Schmid ist freier Fachjournalist für technische Gebäudeausrüstung, 80751 München, E-Mail: wsm@tele2.de