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Interview

Azubis lernen, wann sie wollen und was der Betrieb braucht

Wichtig ist, dass es einen Ausbildungs- und Einarbeitungsplan für neue Mitarbeiter gibt, sodass sie systematisch an Themen herangeführt werden.

Bild: Sommer / eLearningplus

Wichtig ist, dass es einen Ausbildungs- und Einarbeitungsplan für neue Mitarbeiter gibt, sodass sie systematisch an Themen herangeführt werden.

SBZ: Wer heute eine Ausbildung im (SHK-)Handwerk beginnt, muss sich doch fühlen, als wäre er zwei Jahrzehnte in der Zeit zurückgereist: Man läuft halt so nebenbei mit, packt hier und da mal mit an, kein didaktisches Konzept und das Grundwissen soll ja eh die Berufsschule vermitteln – wie sehr übertreibe ich mit dieser Aussage?

Martin Sommer: Wir haben viel Kontakt zu unseren Kunden und sprechen natürlich auch regelmäßig mit den Meistern und Technikern, die die Ausbildung der Azubis übernehmen. Jeder will es gut machen, weil sich alle über die Verantwortung im Klaren sind. Am Ende des Tages ist es aber oft so, wie Sie es gerade beschrieben haben. Es fehlt hier einfach eine Alternative. Was noch erschwerend hinzukommt, ist eine große Unzufriedenheit in den Betrieben mit der Berufsschule, da die Berufsschultage oft als nicht zielführend empfunden werden.

SBZ: Was meinen Sie, wo liegen die Ursachen für diese Zustände?

Sommer: Ich denke, dass hier mehrere Dinge zusammenkommen. Auf der einen Seite haben wir in Deutschland so unsere Probleme mit der Digitalisierung. Wenn ich von Ulm nach Stuttgart fahre, bricht beim Telefonieren fünfmal die Verbindung ab. Im Schulsystem ist das nichts anders. Man hat das Gefühl, dass alles zu Kaiser Wilhelms Zeiten stehen geblieben ist. In der Coronazeit sind uns diese Mängel drastisch vor Augen geführt worden. Die Umsetzung von Distance-Learning stellte viele Schulen vor eine kaum lösbare Aufgabe. Obwohl viele Universitäten schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich mit Blended-Learning-Konzepten arbeiten. Die Übertragung auf das Schulsystem ist bisher nur ausgeblieben, die Leidtragenden waren die Kinder, Jugendlichen und die Unternehmen.

Dazu kommt einfach, dass alles schnelllebiger geworden ist. Die Azubis von heute sind so gut vernetzt wie noch nie. Gleichzeitig nimmt der Anteil der klassischen „Schrauber“, die in ihrer Freizeit ihr Moped reparieren, immer mehr ab. Durch die extreme Nutzung der Handys nimmt seit Jahren die Aufmerksamkeitsspanne ab und Sprachbarrieren werden auch eher größer als kleiner. Ich denke, dass sich Betriebe hier einfach auf eine neue Generation an Azubis einstellen müssen. Die Zeiten, in denen ein Azubis einfach nur „nebenher mitgelaufen“ ist, sind vorbei, denke ich.

SBZ: Ist das auch ein Grund für die mangelnde Attraktivität des Ausbildungsberufs „Anlagenmechaniker SHK“ bei den ausbildungsreifen Jahrgängen?

Sommer: Man muss sich einmal grundlegend fragen, warum bei einem sehr gut bezahlten Ausbildungsberuf die Azubis den Betrieben nicht die Türen einrennen. Es ist ja nicht so, dass ein Anlagenmechaniker in der SHK-Branche kein Geld verdient. Ganz im Gegenteil. Nach der Ausbildung verdienen die Gesellen oft mehr als Altersgenossen mit einem Bachelor-Abschluss. Und die Zukunftsaussichten und die Aufstiegschancen sind ja auch gut.

Ich sehe zwei gewichtige Gründe dafür: Der erste ist, dass die Bedeutung des Handwerks in der Gesellschaft grundsätzlich nicht ausreichend anerkannt ist. Die Politik hat den Menschen jahrelang versucht zu vermitteln, dass man nur mit einem Bachelor- oder Masterabschluss etwas wert ist. Das halte ich für grundfalsch. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Nicht jeder Lebensweg muss über das Abitur führen. Es muss auch den Weg über andere gute Schulabschlüsse und eine solide Ausbildung geben, der in der Gesellschaft als erstrebenswert anerkannt wird.

Der zweite Grund, den ich sehe, ist der, dass eine Ausbildung im Handwerk noch nicht ausreichend attraktiv ist. Dinge, die an den Universitäten schon lange selbstverständlich sind, sollten auch bei der Ausbildung im Handwerk Einzug finden. Ich denke da z. B. an klar geführte Lernprozesse, Vermittlung von standardisierten Themen über E-Learning und eine schnelle Übertragung des Gelernten in die Praxis. Die Generation Z will etwas Sinnvolles tun und nicht nur herumsitzen. Gerade für die Attraktivität des Handwerks ist die Qualität der Ausbildung sehr wichtig.

SBZ: Inwieweit können digital gestützte Lerninhalte daran etwas ändern?

Sommer: Ausschließlich digitale Lerninhalte bringen bei einem Ausbildungsberuf, bei dem Praxis eine große Rolle spielt, natürlich nichts. Es geht um das Gesamtkonzept. Es geht letzten Endes um diese Frage: Zu welchem Zeitpunkt lernt ein neuer Mitarbeiter was von wem und auf welche Art möglichst schnell? Das kann z. B. bedeuten, dass die reine Wissensvermittlung über ein Lernvideo erfolgt, die Übungsphase dann aber in der Lehrwerkstatt erfolgt, bei der ein Meister letztlich das Ergebnis kontrolliert. Wichtig ist, dass es einen Ausbildungs- und Einarbeitungsplan für neue Mitarbeiter gibt, sodass diese systematisch an Themen herangeführt werden. E-Learning ist dabei ein Werkzeug, das man richtig einsetzen muss – wie jedes andere Werkzeug eben auch.

SBZ: Ist der Lernerfolg denn auch auf diese Art gegeben bzw. hoch genug?

Sommer: Wenn wir mit den Inhabern der Betriebe sprechen, die mit unserem Konzept arbeiten, kommt hier immer ein positives Feedback. Die Ausbildung geht schneller, sie ist gründlicher und das Stammpersonal wird entlastet.

SBZ: Wie schaffen Sie es, die Lerninhalte zu verstetigen? Reicht es, einen Clip beliebig oft anzuschauen?

Sommer: Nein, das reicht nicht aus. Das Konsumieren von Wissen ist lediglich der erste Schritt. Erfolgreiches Lernen findet nur statt, wenn das Wissen auch verarbeitet und verinnerlicht wird. Das ist der zweite Schritt. Darum gibt es zu allen Lerninhalten ein begleitendes Arbeitsbuch, wir sagen: Workbook, in dem die Azubis die Lernmomente sauber strukturiert notieren können. Darüber hinaus gibt es zu allen Themen auch Übungsaufgaben für eine betriebsinterne „Lehrwerkstatt“, sodass die Azubis das Erlernte in einem dritten Schritt dann auch rasch in die Praxis übertragen können.

SBZ: Welche Vorteile hat E-Learning als zusätzliches Element in der Ausbildung für a) den Betrieb, b) die Azubis und c) eigentlich die ganze SHK-Branche?

Sommer: Für den Betrieb ist ein wichtiger Vorteil sicherlich, dass das Stammpersonal bei der Ausbildung entlastet wird und neue Mitarbeiter systematisch ausgebildet werden können, sodass sie am Ende der Ausbildung wirklich alles beherrschen, was sie können müssen. Für den Azubi selbst fühlt es sich zunächst einfach gut an, dass man sich um ihn kümmert und er gründlich ausgebildet wird. Das führt zu Zufriedenheit und Sicherheit. Es führt weiter zur Überzeugung, dass er richtig aufgehoben ist, und damit langfristig zu einer guten Bindung an den Arbeitgeber. Für die SHK-Branche sehe ich beim E-Learning vor allem den Vorteil, dass Quereinsteiger aus anderen Branchen schnell eingearbeitet werden können. Von wem sollen denn sonst die 500 000 Wärmepumpen, die pro Jahr irgendwann mal installiert werden sollen, verbaut werden?

SBZ: Aber die Produktion von Videos ist doch recht teuer. Außerdem kann man ja nicht einfach drauflos filmen. Es muss doch schon ein Konzept vorliegen, oder?

Sommer: Da haben Sie völlig recht. Lernvideos allein bringen nichts. Wichtig ist, dass als Erstes die richtigen Lerninhalte erkannt, strukturiert und dann abgebildet bzw. aufgezeichnet werden. Dann geht es darum, dass Videos mit interaktiven Elementen ergänzt werden, sodass das Lernverhalten der Azubis erfasst wird und der Ausbildungsleiter gezieltes Feedback geben kann.

Ganz grundsätzlich: Es braucht für die Ein­arbeitung von neuen Mitarbeitern immer ein gutes Konzept, wir sagen: Onboarding. Darin können fachliche Basisinhalte enthalten sein, die bei jedem Betrieb gleich sind. Dann ist es aber wichtig, dass das Konzept um individuelle und firmenspezifische Inhalte ergänzt wird, sodass die Ausbildung und die Einarbeitung wirklich die Situation im jeweiligen Betrieb abbilden.

Unsere Erfahrung ist die, dass Unternehmen immer über ein hervorragendes Wissen verfügen. Bei der Erfassung, Strukturierung und Dokumentation des Wissens tun sie sich erfahrungsgemäß aber schwer. Darum unterstützen wir hier vom ersten Schritt an, sodass am Ende ein schlüssiges Gesamtkonzept steht, das sich im Alltag bezahlt macht.

SBZ: Und wer bezahlt die Darsteller?

Sommer: Darsteller sind in dem Sinn eigentlich nicht nötig. Wir empfehlen immer, dass die Betriebe die eigenen Mitarbeiter bei der Erstellung der Lerninhalte einsetzen. Das kann ein 16-jähriger Azubi sein, der ein Thema perfekt beherrscht, oder ein altgedienter Obermonteur mit jahrzehntelanger Berufserfahrung. Die Lernforschung sagt eindeutig, dass wir am besten von Menschen lernen, die wir als authentisch erleben und persönlich kennen. Daher erstellen wir E-Learning-Inhalte immer mit Personen aus dem jeweiligen Unternehmen – oder erweitern die Basis-Lerninhalte zumindest mit firmenspezifischen Inhalten.

Die Übungen greifen auch scheinbar selbstverständliche Themen auf.

Bild: Sommer / eLearningplus

Die Übungen greifen auch scheinbar selbstverständliche Themen auf.

SBZ: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist über Ihr Konzept auch eine „Individualisierung“ möglich. Jeder Betrieb kann also mittels E-Learning die Themen „bespielen“, die ihm am wichtigsten sind?

Sommer: Genau so ist es. Nehmen wir einmal das Thema Wärmepumpe. Die Funktion einer Wärmepumpe und wie man diese einbaut, ist natürlich überall gleich. Dasselbe gilt für Wissen, wie z. B. Symbole in der Planung, und Arbeitstechniken, wie z. B. Pressen. Das ist in einem SHK-Betrieb in München ziemlich ähnlich wie bei einem Unternehmer in Hamburg. Es gibt darüber hinaus natürlich auch individuelle Themen. Wie sieht das optimal eingeräumte Firmenfahrzeug aus? Wie laufen bestimmte Prozesse in der Warenwirtschaft ab? Wie werden Stunden gebucht? Hier empfehlen wir immer, auch individuelle Videoclips zu produzieren, maßgeschneidert. Als Ergänzung zu den fertigen Inhalten, die ja überall gleich sein können. Wichtig ist uns, dass das Thema E-Learning und Systematisierung der Ausbildung im Betrieb gelebt wird. Die Lerninhalte müssen immer aktuell sein, sodass der aktuelle Standard abgebildet werden kann.

„Zu welchem Zeitpunkt lernt ein neuer Mitarbeiter was von wem und auf welche Art möglichst schnell?“

Darsteller: die ­eigenen Mitarbeiter. Das kann ein 16-jähriger Azubi sein, der ein Thema perfekt beherrscht, oder ein altgedienter Obermonteur mit jahrzehntelanger Berufserfahrung.

Bild: Sommer / eLearningplus

Darsteller: die ­eigenen Mitarbeiter. Das kann ein 16-jähriger Azubi sein, der ein Thema perfekt beherrscht, oder ein altgedienter Obermonteur mit jahrzehntelanger Berufserfahrung.

SBZ: Wie genau muss ich mir den Ablauf der Produktion vorstellen?

Sommer: Hier gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten. Die erste ist, dass der Betrieb einfach die fertigen Basisinhalte von einem Top-SHK-Betrieb übernimmt. Hier haben wir nach der Zusammenarbeit mit hervorragenden Betrieben sehr gutes Video-Lernmaterial zur Verfügung. Die zweite Möglichkeit ist, dass ein Teil der Lerninhalte für den jeweiligen Betrieb individualisiert wird. Bestimmte Abläufe sind in jedem Unternehmen natürlich anders. Das kann man in ein bis zwei Drehtagen sehr gut abbilden. Als dritte Möglichkeit gibt es schließlich noch die Vollproduktion aller Lerninhalte nach einem eigenen, individuellen Lehrplan. Damit erhält man eine perfekte Abstimmung auf den eigenen Betrieb. Diese Lösung ist allerdings mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden. Hier rechnen wir immer mit fünf bis sieben Drehtagen. Wir empfehlen unseren Kunden in der Regel immer eine Lösung mit den Basisinhalten und einer Teilindividualisierung. Der Vorteil ist einfach der, dass die digitale Schulungsplattform dadurch schnell einsatzbereit ist und das Unternehmen vom Wissen bzw. der „Vorarbeit“ anderer SHK-­Meisterbetriebe profitieren kann.

Videos müssen um interaktive Elemente ergänzt sein, sodass das Lernverhalten der Azubis besser erfasst wird.

Bild: Sommer / eLearningplus

Videos müssen um interaktive Elemente ergänzt sein, sodass das Lernverhalten der Azubis besser erfasst wird.

SBZ: Wie sieht es mit Branchen-Quereinsteigern aus? Bieten sich da ebenfalls E-Learning-­Inhalte an?

Sommer: Ja, natürlich. Der Lerninhalte und die Kompetenzen sind identisch zu denen eines Azubis. Was jedoch anders ist, ist der Ein­arbeitungsplan. Unser Ziel ist es hier, Quereinsteiger in 90 Tagen auf das Niveau von „Junior-Gesellen“ zu bringen. Dieses Ziel haben wir jetzt in zahlreichen Kundenprojekten auch erreicht, was uns sehr freut. Sogar mit Quereinsteigern mit Sprachdefiziten. Das ist etwas, was für viele unserer Kunden wichtig ist.

SBZ: Was planen Sie als Nächstes?

Sommer: Das Thema Kundendienst ist einfach spannend. Hier liegt die Herausforderung darin, dass die Komplexität für Lehrvideos reduziert, aber das Thema trotzdem in einer guten Inhaltstiefe beleuchtet wird. Da sind wir gerade mit unseren langjährigen Geschäftspartnern im Austausch, wie man das am besten abbilden kann. Außerdem spielt das Thema künstliche Intelligenz in Lernpfaden eine immer größere Rolle. Das interessiert mich schon seit der Übernahme eines Lehrauftrages für Fachdidaktik an der Universität Ulm. Ich denke, dass hier noch einige spannende Entwicklungen vor uns liegen, von denen das Handwerk enorm profitieren kann.

SBZ: Besten Dank für den Einblick, Herr Sommer!

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