Der sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew hat im Jahr 1926 eine Theorie über langfristige Wirtschaftszyklen in Industriegesellschaften veröffentlicht. Im Gegensatz zu den gewohnten Konjunkturzyklen sollen diese 40 bis 60 Jahre andauern. Der erste große Zyklus beginnt nach Kondratjew Ende des 18. Jahrhunderts mit der Dampfmaschine und der Industrialisierung der Textilienherstellung. Nach einer langen Zeit des stürmischen Wachstums geriet die Wirtschaft in eine Phase der Sättigung und des Abschwungs, um dann mit einer anderen, neuen Technologie wieder in eine lang anhaltende Wachstumsphase zu gelangen. Der zweite Kondratjew-Zyklus wurde durch die Eisenbahn bestimmt. Es folgen Elektrizität und Chemie, dann das Auto als Massenverkehrsmittel und der aktuelle Zyklus ab etwa 1990 wird von der Informations- und Kommunikations-Technik bestimmt. Stets waren neue Technologien die Treiber der großen Zyklen.
Wer die Welt aufmerksam betrachtet, der wird feststellen, dass der aktuelle Zyklus so langsam in die Jahre kommt. Schon seit geraumer Zeit gibt es praktisch kein nennenswertes Wachstum mehr – abgesehen vielleicht von den Papiergeldmengen, was aber auch als sicheres Krisenzeichen zu werten ist. Es wird also Zeit, dass Technologien am Horizont erscheinen, die für eine neue Wachstumsphase sorgen.
Kandidaten hierfür werden viele genannt – auch aus dem Haustechnikbereich. Da wären zunächst Gesundheitsthemen, wo unsere Branche gerne mit Wellness & Co. auftrumpft. Das Problem dabei ist, dass auch die schönsten Bad-Oasen eher im Bereich Konsum anzusiedeln sind und damit wohl kaum eine treibende Technologie für ein langjähriges und umfassendes Wirtschaftswachstum darstellen werden. Die nächsten Kandidaten sind Energieeffizienz und regenerative Energien. Auch hier eine kritische Anmerkung: Können Technologien, die nur über gigantische Subventionen in den Markt gedrückt werden können, auf lange Sicht ein tragfähiges Wachstum initiieren? Bei Photovoltaik mit Batteriespeichern sieht es derzeit noch nicht einmal so schlecht aus, aber bei vielen anderen Lösungen habe ich Zweifel.
Bleibt ein dritter Bereich, den ich mit den Schlagworten Big Data und Internet der Dinge charakterisieren möchte. In der Industrie wird das für tiefgreifende Umbrüche und wahrscheinlich auch für hohe Gewinnmargen sorgen – also genau das Holz, aus dem ein anständiger Kondratjew-Zyklus geschnitzt sein sollte. Auch unsere Branche ist über die Hausautomation involviert. Sie kennen sicher Benefits wie Komfortgewinn, Zeitersparnis, Effizienz oder Sicherheit und viele Kollegen sind auch schon an dem Thema dran. Da entwickelt sich dank mobilem Internet ein Riesenmarkt.
Doch leider gibt es auch hier einen Wermutstropfen: Hacker, Cyberkriminelle und der Staatskrake als gieriger Datensammler. Parallel zur technischen Entwicklung muss das Bewusstsein für Datensicherheit und die Bereitschaft, in Gegenmaßnahmen zu investieren, mitwachsen. Man könnte das durchaus auch als Wettrüsten betrachten. Wer von diesem Markt profitieren will, der muss sich dieser Herausforderung stellen. Unser Top-Thema in dieser SBZ-Ausgabe beschäftigt sich kritisch mit diesem Problemfeld und zeigt verschiedene Perspektiven auf. Wer es schafft, auf dieser Welle zu reiten, wird mit großer Sicherheit zu den Gewinnern des nächsten Kondratjew-Zyklus gehören.
Ihr
Uwe Bolz
SBZ-Redakteur
und Verfahrensingenieur