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Barrierefrei-Vorschriften im öffentlichen Bereich

Die Norm als Ratgeber DIN 18040-1

Dass die Bevölkerung immer älter wird, ist nichts Neues. Entsprechend ist Barrierefreiheit kein Minderheiten- oder Randgruppenthema, sondern eine existentielle Auf­gabe unserer Gesellschaft. Infolge des de­mografischen Wandels mit einer Zunahme älterer Nutzer gewinnen gut gestaltete, barrierefreie Konzeptionen bis ins Detail an Relevanz.

DIN 18040 ist Stand der Technik

Die Neufassung der DIN 18040-1 (Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude; 2010-10) ersetzt die DIN 18024-2. Neben der Anwendung der Norm im Neubau „sollte sie sinngemäß für die Planung von Umbauten oder Modernisierungen“ berücksichtigt werden. Dass Barrierefreiheit heute mehr bedeutet als die rollstuhlgerechte Nutzung, wird in der DIN durch die erweiterten Anforderungen im Hinblick auf sensorische und kognitiven Einschränkungen dokumentiert. Mit zielorientierten Formulierungen (Schutzziele) und exemplarischen Beispiellösungen kann der Anwender in Abhängigkeit der Entwurfskonzeption oder dem vorhandenen Gebäude­bestand die Anforderungen individuell realisieren. Mit der im Anwendungsbereich formulierten Öffnungsklausel „Die mit den Anforderungen dieser Norm verfolgten Schutzziele können auch auf andere Weise als in der Norm festgelegt erfüllt werden“ schafft die Neufassung Spielräume für innovative Lösungsansätze.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Abgesehen von Bayern und NRW haben alle Bundesländer die Vorgängernorm DIN 18024-2 über die LTB (Listen der Technischen Baubestimmung) – in der Regel mit Anwendungsempfehlungen – verpflichtend eingeführt. Die öffentlich-rechtliche Einführung der DIN 18040-1 in die LTB steht in den einzelnen Bundesländern jedoch noch aus und wird nicht vor 2012 erwartet. Um spätere Differenzen hinsichtlich der Barrierefreiheit zu vermeiden, ist die Anwendung des Standes der Technik (DIN 18040) mit allen am Bau Beteiligten abzuklären und vertraglich zu vereinbaren.

Bewegungsfreiräume

Vor dem Hintergrund der zunehmenden ­Anzahl älterer Menschen – auch Rollatornutzer sind auf barrierefreie Lösungen angewiesen – benennt die DIN 18040-1 das Vorhalten einer barrierefreien Toilette je Sanitäranlage. Alternativ kann diese als separat geschlechtsneutraler Raum ausgebildet werden oder den geschlechtsspezifischen Bereichen zugeordnet sein. Letztere Lösung kann beispielsweise in Altbauten mit hohen Raumtiefen von Vorteil sein und entspricht dem Ansatz der Norm, dass Zugänglichkeit und Nutzung „in der allgemein üblichen Weise“ erfolgt.

Wie in der Vorgängernorm 18024-2 sind Mindestbewegungsflächen von 1,50 x 1,50m für die Nutzung mit einem Rollstuhl vorzuhalten. Diese Größe ist vor allen Sanitärobjekten und zur Bedienung der von außen entriegelbaren Tür anzusetzen. Nach wie vor zulässig ist die Überlagerung der Bewegungsflächen. Die zum Öffnen und Schließen der Tür notwendigen 50 cm von Raumecken oder Objekten zur Mittelachse des Türdrückers wird in der Regel unterschätzt. Ob Schiebe- oder Drehflügeltür: bei beengten Verhältnissen in Bestandsbauten sollte dieser seitliche Anschlag nicht zugunsten der lichten Türbreite – die DIN fordert 90 cm im Lichten – reduziert werden. In aller Regel ist für gängige Rollstuhlmodelle eine lichte Breite von 80 cm ausreichend, wenn auch nicht komfortabel.

Das beidseitige Flächenangebot zum seitlichen Umsetzen auf das WC wird von 95 cm auf 90 cm reduziert. Die Bewegungstiefe von 70 cm neben dem WC-Objekt und die Möglichkeit des Anlehnens (z.B. durch eine Rückenstütze im Abstand von 55 cm hinter Vorderkante) bleiben verpflichtend. Im Sinne der Schutzziele können WC-Becken auch einseitig anfahrbar sein, wenn die gewünschte Anfahrseite auf andere Weise – technisch oder räumlich – frei gewählt werden kann. Wird beispielsweise in ausgedehnten Gebäudekomplexen in jedem Geschoss eine barrierefreie Toilette angeboten, kann die wechselweise angeordnete seitliche Bewegungsfläche gezielt eingesetzt werden.

Anforderungen an das WC

Neue ergonomische Erkenntnisse fließen bei den Montagehöhen des WC’s und den beidseitig zugeordneten Stützklappgriffen ein. Nach den Empfehlungen der DIN 18040 erleichtern Sitzhöhen zwischen 46 – 48 cm das Setzen und Aufstehen. Statt 85 cm über Fußboden werden die Haltegriffe 28 cm (Oberkannte-Griff) über der Sitzfläche montiert. Die sich aus der Addition ergebende maximale Stützgriffhöhe von 76 cm über Fußboden liegt deutlich unter dem Wert der Vorgängernorm. Auch beim Montageabstand zwischen den Griffen wird die starre Festlegung von 70 cm aufgehoben. Durch einen flexiblen Maßbereich von 65 bis 70 cm für den lichten Abstand der Stützklappgriffe können unterschiedlich Modelle ihrer Funktion gerecht eingesetzt werden. In die 15 cm über die Vorderkante des WCs hinausragende Griffe empfiehlt sich die Integration des Toilettenpapierhalters, der Spülauslösung und eines Notrufes. Letztere Elemente werden nicht ausdrücklich am Stützklappgriff gefordert, in der Praxis schränkt die erforderliche Rückenstütze jedoch häufig eine wandgebundene Taster­betätigung mit der Hand oder dem Arm ein. Gleiches gilt auch für wandmontierte berührungslose Spülauslösungen.

Unabhängig von der Gebäudenutzung oder -größe ist das Vorhalten eines Notrufes in jeder öffentlich zugänglichen, barrierefreien Toilette verpflichtend notwendig. Insbesondere im Falle eines Sturzes beim Umsetzen auf die Toilette muss Hilfe von außen gerufen werden können. Die Betätigung erfolgt entweder vom WC aus sitzend oder vom Boden aus liegend. Da durch Zugschnüre häufig Fehlalarme ausgelöst werden, ist ein am Griff integrierter Auslöser in Kombination mit beidseitig vorgehaltenen Schaltern im Bodenbereich (10–15 cm über Fußboden) vorzuziehen.

Waschtisch – alles im Griff

Unterfahrbare Waschtische mit einer maximalen Einbauhöhe von 80 cm sind in barrierefreien Sanitärräumen inzwischen selbst­verständlich. Anstelle der Forderung einen Flachaufputz- bzw. Unterputzsiphon einzubauen, werden die notwendige Knie- und Fußfreiräume beschrieben (siehe Schnitt Waschtisch). Entsprechend sind zur Warmwasserversorgung vorgehaltene Durchlauferhitzer auch außerhalb dieser Freiräume zu positionieren. Die generelle Warmwas­serversorgung kann nur indirekt aus der ­Vorgabe der DIN, dass Armaturen als Ein­hebelmischer- oder berührungslose Arma­turen ausgebildet sein müssen, abgeleitet werden.

Für öffentliche Gebäude wird eine Waschtischtiefe von 55 cm benannt – bei Handwaschbecken 45 cm. Die Bedienbarkeit der Armatur erhält eine zentrale Rolle – somit wird ein maximaler Abstand von 40 cm zur Umsetzung des Schutzzieles festgelegt. Zur Entstigmatisierung barrierefreier WC-Räume und zur besseren Erreichbarkeit der Armatur trägt die Modellauswahl des Waschtisches bei. Becken mit nach innen gewölbter Vorderkante sind für die Pflege entwickelt worden und ihr Einsatz in öffentlich zugänglichen Gebäuden ist mehr als fraglich. Häufig begrenzen die Armlehnen das Unterfahren bzw. das Erreichen der Armatur – entsprechend bieten nach außen gewölbte Waschtischmodelle mehr Flexibilität im Hinblick auf unterschiedliche Rollstuhlmodelle.

Spiegel und Accessoires

Einen mindestens einen Meter hohen, aus stehender und sitzender Position einsehbarer Spiegel fordert die DIN 18040-1 über dem Waschtisch. Vorsatzschalen zur Installationsführung sollten aus diesem Grund raumhoch konzipiert werden oder mit niedriger Bau­höhe (max. 1,00 m). Im Hinblick auf die Rücklage und Überstreckung der Wirbelsäule ist auf den Einsatz von Kippspiegeln bei rollstuhlgerechten Lösungen zu verzichten.

Alle Ausstattungselemente am Waschtisch – Einhandseifenspender, Papierhandtuchspender bzw. Handtrockner – sind auf die ­sitzende Nutzung und den Greifbereich auszulegen. Insbesondere die Position und Montage des Seifenspenders ist frühzeitig mit der Spiegelgröße und -positionierung abzustimmen. Seitlich neben dem Becken montierte Papierspender und -abfallbehälter haben sich als günstig erwiesen, wenn die Nutzung ohne zusätzliches Rangieren erfolgen kann. Nicht nur unter hygienischen Aspekten, sondern auch im Sinne eines Universal Designs eignen sich Papierhandtuchspender. Im Gegensatz zu Warmlufttrockner, die längere und einseitige Arm- und Handstellungen erforderlich machen, kann das Abtrocknen der Hände in individueller Position erfolgen.

Wasserventil entfällt

Das in der Vorgängernorm 18024-2 für den barrierefreien Sanitärraum geforderte Wasserventil mit Wasserschlauch und der zugeordnete Fußbodeneinlauf entfällt. Sollte für die Reinigung ein Bodeneinlauf vorgehalten werden, empfiehlt sich die Anordnung in der Nähe zum Waschtisch. Träger von Blasenkathetern können beispielsweise (Bein-)Urinbeutel in den Fußbodeneinlauf entleeren und haben gleichzeitig Zugriff zu Wasser und Seife.

Duschplätze

In Sporthallen oder Schwimmbädern sind Duschplätze auch im Hinblick auf die barrierefreie Nutzung zu konzipieren. Analog zu den Bewegungsflächen im WC ist für den Duschbereich eine Fläche von 150 x 150 cm vorzuhalten. Auch die einseitig geforderte seitliche Bewegungsfläche zum Umsetzen auf einen mind. 45 cm tiefen Duschklappsitz und die Anordnung der Stützklappgriffe orientieren sich an den Vorgaben am WC-Becken. Fest installierte oder einhängbare Sitze bieten mehr Sicherheit – alternativ können nach DIN aber auch mobile und stabile Duschsitze vorgehalten werden. Wie am Waschbecken gilt: Bei der Auswahl des Sitzes steht der pflegerische Aspekt nicht im Vordergrund. Beispielsweise ist mit dem Bauherren abzustimmen, ob ein Duschsitz mit Hygieneausschnitt erforderlich ist.

Die Übereck-Anordnung von Duschsitz und Armatur ist Basis für die gute Bedienbarkeit. Höhenposition, Lage und Ausbildung der Armatur in Verbindung mit einem L-förmigen Haltegriff schaffen Mehrwerte im Detail. Die Griffsicherheit des waagerecht auf 85cm montierten Haltegriffs erhöht sich, wenn die Halterungen an der Unterseite des Handlaufes angesetzt sind. Während bei Anpassungen im Wohnungsbau die Höhenlage der Armatur individuell angepasst werden kann, empfiehlt sich in öffentlich zugänglichen Gebäuden der Einbau oberhalb der horizontalen Haltestange – Achsmaß maximal 105 cm über Fußboden.

Kraft – Geschicklichkeit

Neben der einfachen und intuitiven Handhabung von Ausstattungselementen sind im Hinblick auf motorische Einschränkungen Kraft und Geschicklichkeit Teilaspekte bei der Bemusterung von Produkten. Das Hochklappen von Stützgriffen mit geringem Kraftaufwand und in selbst gewählten Etappen – bestenfalls stufenlosen – ist ein Teilaspekt. Lange Hebelarme reduzieren den Kraftaufwand bei der Nutzung und mit einer Hand bedienbare Produkte lassen sich beispielsweise bei halbseitigen Lähmungen (Schlaganfall) gut betätigen. Ist das Umgreifen des Türgriffes nicht möglich, erlaubt eine u-förmige Ausbildung die Handhabung mit ausgestreckter Hand.

Farben im Leuchtdichtekontrast erforderlich

Auf Kontraste optimierte Material- und Farbkonzepte sind nach DIN 18040 auch für öffentlich zugängliche Sanitärräume erforderlich. Neben der Farbe und den Reflexions­eigenschaften sind Helligkeitsunterschiede – Leuchtdichtekontraste – der verwendeten Materialien bzw. Objekte für die Auffindbarkeit und Benutzung entscheidend. Diese Helligkeitsdifferenzierung ermöglicht beispielsweise die Kompensation von Farbfehlsichtigkeiten (Rot-Grün-Sehschwäche) oder hilft, wenn die Sehkraft nicht zu 100 Prozent mit einer Brille ausgeglichen werden kann. Nicht der maximale Kontrast – z. B. weiße Sanitär­keramik auf einer schwarz gefliesten Wand – ist das Ziel, sondern ausgewogene Helligkeitsunterschiede, die die Augen nicht ermüden.

Sanitärraum für die Sinne

Barrierefreie WC-Anlagen werden nicht nur von Rollstuhlnutzern, sondern auch von Sehbehinderten, Blinden, Schwerhörigen und Gehörlosen aufgesucht. Informationsangebote für zwei der drei Sinne – sehen, hören, tasten – kompensieren den Ausfall eines Sinnes und ermöglichen die alternative Wahrnehmung nach dem Zwei-Sinne-Prinzip. Mit der DIN 18040 fließt dieser Aspekt in die Planung bzw. Ausstattung ein. Neben der taktilen Raumbeschriftung ermöglichen erhaben gekennzeichnete Spülauslösungen oder Notrufknöpfe die Nutzung bei Seheinschränkungen. Die zusätzliche visuelle Wahrnehmbarkeit akustischer Alarm- und Warnsignale ist für Gehörlose entscheidend – insbesondere in WC-Räumen, wenn sie sich alleine im Raum aufhalten.

Mehrwerte für alle

Unabhängig von der Pflicht bieten die mit der DIN 18040 formulierten Schutzziele Möglichkeiten zur Kür in jedem Sanitärraum. Berücksichtigt man bei der Planung „Es ist normal, verschieden zu sein“ (Richard von Weizsäcker) dann können beispielsweise unterschiedliche Waschtischhöhen ergonomischen Komfort für jedes Lebensalter bieten. Ist ausreichend Platz im Bestand vorhanden, erlaubt eine etwas breitere Tür (75 bis 80 cm im Lichten) und Fläche in der WC-Kabine auch die Zugänglichkeit mit einem Rollator. Leuchtdichtekontraste unterstützen nicht nur Menschen mit Seheinschränkungen, sondern jeder profitiert, weil Orientierung und Nutzung erleichtert wird.

Vorschriften

Nach öffentlich und privat geordnet

In der Normenreihe DIN 18040 wird allgemein das barrierefreien Bauen geregelt. Unsere Autorin, die Architektin Ulrike Rau hat sich auf den Barrierefrei-Bereich spezialisiert, ein Buch geschrieben und für die SBZ-Leser die wichtigsten Dinge zum SHK-Bereich zusammengestellt.

In der SBZ 1/2-2012 geht es um den öffentlichen Bereich gemäß der DIN 18040-1 „Barrierefrei Bauen: Planungsgrundlagen – Öffentlich zugäng­liche Gebäude“.

In der SBZ 3/2012 behandeln wir den häuslichen Bereich gemäß der DIN 18040-2 „Barrierefrei Bauen: Planungsgrundlagen – Wohnungen“.

SBZ Tipp

Produkte speziell zum Thema Barriefrei

In der Datenbank https://www.shk-barrierefrei.de/ finden Sie die Produktentwicklungen nach Bereichen sortiert, die speziell für den Bar­­rie­refrei-Bereich entwickelt wurden. Je nach körperlichem Defizit werden Produkte vorgeschlagen, die diese Einschränkung ­kompensieren.

Damit kann der SHK-Profi über Jahre hinweg vorausschauend ­planen, jeweils individuell für den Kunden und seine persönlichen Bedürfnisse. Schließlich lautet das Ziel, das Bad so lange wie möglich selbstständig zu nutzen.

https://www.shk-barrierefrei.de/

Autor

Buchautorin Dipl.-Ing. Ulrike Rau ist selbstständige Architektin, engagiert sich rund um barrierefreie Konzeptionen und firmiert unter Ulrike Rau, raumkonzepte, 10435 Berlin, http://rau-m-konzepte.de/