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Energieautarkes, innovatives Haustechnikkonzept

Ausgezeichnetes Plus-Energiehaus

Inhalt

Der Solar Decathlon (Solarer Zehnkampf) ist ein internationaler Hochschulwettbewerb, der vergangenes Jahr zum ersten Mal in Europa stattfand und vom spanischen Bauministerium sowie der Universität für Technik in Madrid initiiert und ausgelobt wurde. Insgesamt traten 17 Teams aus der ganzen Welt an, um ein maximal 75 m2 großes, energieeffizientes und nachhaltiges Wohnhaus zu entwickeln und zu realisieren. Gefordert war ein energieautarkes, solarbetriebenes Gebäude, das den Anforderungen der zukünftigen Gesellschaft gerecht wird. Im Juni 2010 wurden alle Prototypen in der spanischen Hauptstadt einer breiten Öffentlichkeit präsentiert und von einer interdisziplinär besetzten Fachjury bewertet. Die Punktevergabe erfolgte dabei auf Basis subjektiver Wertungen sowie objektiver Messwerte in 10 Einzeldisziplinen. Insgesamt konnten bis zu 1000 Punkte vergeben werden. Im Vordergrund der Beurteilungen standen die Bereiche architektonische Qualität, Einbindung solarer Systeme, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit.

Der Wettbewerbsbeitrag des Teams der Hochschule Rosenheim erhielt 810 Punkte und wurde damit nicht nur zum zweiten Gesamtsieger, sondern auch zum besten deutschen sowie besten europäischen Teilnehmer gekürt. Dabei betrug der Abstand zum erstplatzierten Team vom Virginia Polytechnic Institute lediglich 0,9 Punkte. Die Hochschule Rosenheim trat mit einem Plusenergiehaus an, das viermal mehr Energie produziert als seine Bewohner durchschnittlich verbrauchen. Es überzeugt durch ein innovatives energetisches Gesamtkonzept, das auf einer aufeinander abgestimmten Kombination aus passiven und aktiven Maßnahmen basiert. Dementsprechend sicherte sich das Rosenheimer Team in den Einzeldisziplinen Energiebilanz, Behaglichkeit, Funktionalität und Haustechnik sowie Lichtgestaltung den jeweils ersten Platz.

Passive Maßnahmen zur Lastenminimierung

In Übereinstimmung mit geltenden Passiv-hausstandards verfügt das Wohnhaus über eine hoch wärmedämmende, luftdichte Gebäudehülle. Auf diese Weise werden Wärmeverluste an die Umgebung oder Wärmelasten aus der Umgebung möglichst gering gehalten, was den Energiebedarf im Haus deutlich reduziert. Der Wandaufbau verfügt über einen Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) von weniger als 0,1 W/m²K und besteht aus einer Holzständerkonstruk­tion mit außen liegenden, 46 mm dicken Vakuumisolationspaneelen (VIP), die sich durch eine besonders hohe Dämmleistung auszeichnen. Bei den raumhohen Fensterelementen kam spezielles 3-Scheiben-Wärmeschutzglas zum Einsatz. Der U-Wert beträgt hier 0,58 W/m²K, der Energiedurchlassgrad (g-Wert) liegt bei 0,35. Der notwendige Luftaustausch zur Einhaltung der vorgegebenen Grenze für den CO2-Gehalt von maximal 800 ppm erfolgt über eine kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung.

Obwohl die Erfüllung der Passivhausstandards keine Bedingung für die Teilnahme am Wettbewerb war, hat sich die Entscheidung für diese Bauweise gleich zu Beginn ausgezahlt. Während in den Häusern der anderen Teams aufgrund niedriger nächtlicher Außentemperaturen von bis zu 10 °C die Innenräume zwischen 23:00 und 8:00 Uhr deutlich abgekühlt sind und daraufhin beheizt werden mussten, lag der durchschnittliche Temperaturabfall im Rosenheimer Solarhaus während dieser Zeit lediglich bei 0,5 K.

Zur Senkung der solaren Lasten tagsüber im Sommer wurde ein neuartiges Verschattungssystem in Form einer Zick-Zack-Fassade entwickelt. Das aus faltbaren Metalllamellen bestehende System lässt sich aus einem Bodensockel hochfahren und je nach Sonnenposition sowie Tages- bzw. Jahreszeit in beliebiger Höhe positionieren. Dabei kann mit Hilfe der konstruktionsbedingten, rautenförmigen Öffnungen selbst bei vollständig geschlossenem Sonnenschutz und bedecktem Himmel an der ungünstigsten Stelle im Haus noch ein Tageslichtquotient über 1 % erzielt werden.

Autarkes Energiekonzept mit Photovoltaik

Als Energiequelle dient eine netzgekoppelte Photovoltaikanlage mit einer elektrischen Leistung von 12,6 kWp, die jährlich am Standort in Madrid etwa 16000 kWh sowie am Standort in Rosenheim etwa 11000 kWh Strom erzeugt. Die Jahressimulation der speziellen Wettkampfsbedingungen ergab einen durchschnittlichen Jahresverbrauch von rund 4300 kWh. Dies ergibt einem Überschuss von 11700 kWh, der in das öffentliche Netz eingespeist wird. Bei einer Nutzung des Gebäudes durch zwei Bewohner unter normalen Haushaltsbedingungen reduziert sich der Verbrauch in Madrid auf etwa 2500 bis 3500 kWh im Jahr. Am Standort in Rosenheim werden bei einer herkömmlichen Nutzung als Zwei-Personen-Haushalt lediglich etwa 2000 kWh jährlich verbraucht, wodurch sich der Überschuss und damit auch die Einspeisevergütung noch weiter erhöhen.

Für den Wettkampfstandort in Madrid stand in erster Linie die Kühlung im Vordergrund der Konzeptentwicklung. Zur Abfuhr der Grundlasten im Haus griff das Rosenheimer Team auf eine Kühldecke mit einer Leistung von 54 W/m² zurück. Die Kaltwasserbereitung erfolgt dabei über nächtliche Strahlungskühlung. Diese passive Maßnahme basiert auf einem physikalischen Effekt, bei dem eine mit Wasser benetzte Fläche vor allem durch Strahlungsaustausch mit dem Nachthimmel, aber auch durch Konvektion und Verdunstungsvorgänge Energie an die Umgebung abgibt. Hierfür besprühen Düsen die auf dem Flachdach des Hauses angebrachten Photovoltaikmodule nachts mit Regenwasser, das in einer 2000-l-Zisterne gesammelt wird. Während des atmosphärischen Strahlungsaustausches zwischen dem Wasserfilm und dem klaren Nachthimmel kühlt das Regenwasser ab und fließt anschließend mit Hilfe eines Entwässerungssystems zurück in die gedämmte Zisterne. Am Tag wird das auf diese Weise unter optimalen Bedingungen von 18 auf 11 °C abgekühlte Wasser dann zur Versorgung der Kühldecke genutzt. Die für diesen Prozess benötigte Hilfsenergie beschränkt sich dabei auf die Pumpleistung zur Benetzung der Dachfläche (0,2 kW) sowie die Umwälzpumpe des Kühldeckenkreises (15 W).

Bei Bedarf – beispielsweise wenn nicht genügend Kaltwasser zur Verfügung steht – wird die Grundlastabfuhr durch eine hocheffiziente, reversible Sole/Wasser-Wärmepumpe unterstützt. Diese ist sowohl an einen Kälte- als auch an einen Wärmespeicher mit einem Volumen von jeweils 300 l angebunden. Der Wärmespeicher dient dabei nicht nur der Beheizung, sondern auch der Warmwasserbereitung über eine Frischwassersta­tion im Durchlauf.

PCM-Speicher für Spitzenlastzeiten

Zu den Wettbewerbsvorgaben gehörte unter anderem die Einhaltung eines Raumtemperaturbandes von 23 bis 25 °C. Eine Ausnahme bildeten zwei Mal täglich stattfindende Besucherzeiten, während deren diese Werte überschritten werden durften. Danach galt es jedoch, die teilweise auf über 30°C angestie­gene Innenraumtemperatur innerhalb lediglich einer Stunde wieder auf die geforderten 24 °C zu senken. Für diesen speziellen Fall wurde ein aus PCM (Phase Change Materials) bestehender Energiespeicher in Kombination mit einem modular aufgebauten Luftbehandlungsgerät eingesetzt, das in Kooperation mit dem Lüftungs- und Klimatechnikhersteller Emco Klima entsprechend der Wettbewerbsbedingungen zusammengestellt wurde.

Der PCM-Speicher besteht aus parallel in einem Abstand von 14 mm angeordneten, jeweils 400 x 300 x 10 mm großen Graphitplatten, in denen Salzhydrat eingelagert ist. Der Schmelzbereich des als Speichermedium eingesetzten Salzhydrates liegt zwischen 20 und 22 °C. Das Konzept nutzt die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht zur Kühlung der Räume. Tagsüber schaltet das Luftbehandlungsgerät zu Spitzenlastzeiten in den Sekundärluftbetrieb und das PCM nimmt die Wärme der vorbei geführten Raumluft auf. Nachts erfolgt die Regeneration des Speichers, indem das PCM die aufgenommene Wärme an einen kühlen Außenluftstrom abführt und dabei vom flüssigen in festen Zustand wechselt. Auf diese Weise kommt das System gänzlich ohne den Einsatz mechanischer Kälteerzeugung aus.

Montage des Lüftungsgerätes im Fundamentsockel spart Platz

Die niedrige Bauhöhe der einzelnen Modul-einheiten des Luftbehandlungsgerätes von lediglich 280 mm ermöglichte eine platzsparende Montage im Fundamentsockel des Solarhauses. Eine Mischlufteinheit an der Ansaug- und an der Ausblasseite mit einer kombinierten Umluft- und Zuluft- bzw. Umluft- und Fortluftklappe stellt den Wechsel zwischen Sekundärluftbetrieb am Tag zu Spitzenlastzeiten sowie Außenluftbetrieb in der Nacht sicher. Die nächtliche Regenera­tion des PCM-Speichers kann bei Bedarf – etwa wenn die Außenlufttemperatur über den für den Phasenwechsel notwendigen 20°C liegt – durch eine zusätzliche Kühlereinheit unterstützt werden. Als Kühlmedium dient hier ebenfalls das über den atmosphärischen Strahlungsaustausch abgekühlte und in der Zisterne gesammelte Wasser.

Des Weiteren beinhaltet das Luftbehandlungsgerät einen Filter, einen Ventilator sowie zwei Schalldämpfer, die ebenfalls separat in steckerfertigen Moduleinheiten integriert sind. „Die gewählte Systemkombination hat auch bei extremen Lastspitzen die Anforderungen sowohl in Bezug auf die Energieeffizienz als auch hinsichtlich des Komforts ausgesprochen überzeugend erfüllen können“, erläutert M. Sc. Stefan Bauer, Verantwortlicher für die Entwicklung und Betreuung von PCM-Projekten bei Emco Klima. „Angesichts der internationalen Ausrichtung des Hochschulwettbewerbs sowie seiner Vorbildwirkung für zukunftsweisendes Bauen freuen wir uns als Hersteller natürlich sehr, dass unsere Produkte hier wesentlich zu den sehr guten Wettbewerbsplatzierungen des Solarhauses beitragen konnten“.

Fazit und weitere Vorgehensweise

Im Ergebnis führten das Konzept der Hochschule Rosenheim und die eingesetzte Technik zur mit Abstand höchsten Einspeisung sowie zum zweitniedrigsten Energieverbrauch aller Teilnehmer. Während der Wettkampfzeit in Madrid waren die beiden passiven Maßnahmen nächtliche Strahlungskühlung und luftdurchströmter PCM-Speicher entgegen der Prognosen so effektiv, dass sie gänzlich zur Abfuhr der Wärmelasten ausgereicht haben. Die Wärmepumpe, die eigentlich fest als Unterstützung für die Kühlung der Räume eingeplant war, kam damit fast ausschließlich für die Warmwasserbereitung zum Einsatz.

Derzeit wird die Funktionsweise des Gesamtsystems auf Basis der in Madrid gewonnenen Erkenntnisse sowie anhand einer Vielzahl von im Wettkampf aufgezeichneten Daten ausgewertet und für einen dauerhaften Ganzjahresbetrieb am Standort Süddeutschland ausgelegt. Nachdem das Rosenheimer Solarhaus im Januar auf der BAU 2011 in München ausgestellt war, findet es seinen endgültigen Standort als Bestandteil des Projektes „Nullenergiestadt Bad Aibling“, im Rahmen dessen ein ehemaliges Kasernengelände durch Integration und Vernetzung neuer Technologien zu einem energieeffizienten Wohnquartier umgenutzt wird. Hier wird das Plusenergiehaus in das übergeordnete energetische Gesamtkonzept der Nullenergiestadt mit eingebunden. Darüber hinaus sind an der Hochschule Rosenheim weitere Versuche und Messungen zum Einsatz des Luftbehandlungsgerätes in Kombination mit dem PCM-Speicher im Heizfall sowie zur strömungstechnischen Optimierung sowohl der Speichermasse selbst als auch der Anordnung der einzelnen PCM-Platten in Planung.

INFO

Phase Change Materials

Nimmt ein Körper Wärme auf, erhöht sich seine Temperatur und umgekehrt (sensible Wärme). Anders ist dies beim Übergang von einem Aggregatzustand in den anderen. Bei reinen Stoffen können die ohne Temperatureffekt gespeicherten Energiemengen, beispielsweise beim Schmelzen von 0 °C kaltem Eis zu 0 °C kaltem Wasser sehr groß sein. Man spricht hier von latenter Wärme. Mit Hilfe dieses Effekts lassen sich große Mengen Energie in einem verhältnis­mäßig kleinen Volumen speichern.

Der Schmelzpunkt von Phase Change Materials (PCM) liegt bei etwa 20 °C. Da es sich hier um Stoffgemische handelt, haben sie keinen festen Schmelzpunkt wie reines Wasser, sondern einen Schmelzbereich (z.B. 20 bis 22°C), der sich über die Gemischzusammensetzung steuern lässt. Diese Materialien können in den kühlen Sommernächten praktisch kostenlos gefroren und tagsüber zu Kühlzwecken wieder abgeschmolzen werden. Die Wärmeeinstrahlung der Sonne wird also im PCM gebunden und in der Folgenacht an die kühle Atmosphäre abgegeben, wenn das Material vom flüssigen in den festen Zustand wechselt.

Autor

Dipl.-Ing. (FH) Johannes Maderspacher, Teamleiter Energie und Gebäudetechnik beim Projekt Solar Decathlon, Hochschule Rosenheim, 83024 Rosenheim, Telefon (01 51) 23 04 15 52, johannes.maderspacher@stud.fh-rosenheim.de

Autor

Johannes Bayer, Student des Studienganges Holztechnik an der Hochschule Rosenheim und Verantwortlicher für den Bereich PCM-Speicher beim Projekt Solar Decathlon, Hochschule Rosenheim, 83024 Rosenheim, Telefon (01 51) 11 58 18 18, johannes.bayer@stud.fh-rosenheim.de