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Handwerker kämpfen gegen Abschiebung

Greencard nur für Studierte?

Inhalt

Manchmal kann eine seriöse Berichterstattung wahre Wunder bewirken. Im Fall des jungen Simbabwers Simbarashe Rutize war es so – denn der Anlagenmechaniker hätte eigentlich zum 31. Dezember 2011 Deutschland verlassen müssen. Doch ein Artikel in den Stuttgarter Nachrichten brachte den Fall im November 2011 an die Öffentlichkeit, sorgte zunächst für viel Entrüstung in der Bevölkerung und schließlich für einen positiven Ausgang. Auf Vermittlung durch die SBZ-Redaktion kam Rutize im Sommer 2006 nach Deutschland, besuchte das Berufskolleg 3BK an der Robert-Mayer-Schule in Stuttgart und absolvierte in diesem Rahmen eine Lehre als SHK-Anlagenmechaniker bei der MergenthalerZerweck GmbH in Fellbach. Sowohl die Gesellenprüfung als auch den Abschluss am Berufskolleg bestand Rutize erfolgreich. „Eigentlich hätte er aufgrund der Gesetzeslage schon 2009 nach der Ausbildung wieder nach Afrika zurückgehen müssen, aber wir konnten in Absprache mit der Stuttgarter Ausländerbehörde noch ein zweijähriges Traineeprogramm anhängen“, erzählt sein Firmenchef Gernot Walter. Simba sei sehr engagiert und motiviert gewesen, schon damals habe er das Potenzial seines neuen Mitarbeiters erkannt und wollte diesen unbedingt bei sich im Betrieb halten, so Walter.

Von der Technik begeistert

Rutizes Interesse für die Materie kam nicht von ungefähr: Sein Vater hatte noch bis zu Beginn der Unruhen in Simbabwe vor zehn Jahren einen gut gehenden Installationsbetrieb in der simbabwischen Hauptstadt Harare. Als Präsident der dortigen Berufsorganisation, dem Zimbabwe Institute of Plumbing, war er auch im World Plumbing Council aktiv – so kam es auch zu dem Kontakt zum Gentner Verlag. Doch durch die politischen Unruhen im Land veränderte sich alles: Der Vater lebt zwar noch mit seiner Familie dort, doch den Betrieb gibt es so nicht mehr. Die schon fast anarchischen Zustände und die damit einhergehende katastrophale wirtschaftliche Situation im Land rafften alles dahin. Deshalb bat Rutizes Vater seine deutschen Freunde um Hilfe für seinen Sohn, der damals 20-Jährige kam nach Fellbach.

Dass es Deutschland sein musste, war auch für Simba klar. „Im Installateurbetrieb meines Vaters habe ich in den Fachmagazinen immer die deutsche Technik bewundert, ich wollte deshalb unbedingt hier eine Lehre machen und mit der modernen Installationstechnik arbeiten“, erzählt er. Gleich nach seiner Ankunft habe er einen Deutschkurs besucht, er fühle sich wohl und habe Freunde. Auch wenn er seine Familie bisweilen vermisse, habe er sich an sein Leben in Deutschland gewöhnt. „Selbst an die kalten Winter“, sagt er.

Er leiste hervorragende Arbeit, sei fast nie krank gewesen, immer pünktlich zur Arbeit erschienen, bescheinigte ihm sein Arbeitgeber Gernot Walter – und bot ihm deshalb einen unbefristeten Arbeitsvertrag an. „Es dauert Jahre, bis ich einen Mitarbeiter so weit habe, er muss ins Team passen und mit Kunden umgehen können. Simba kann das.“ Walter setzte daher alles daran, um Rutize auch nach Ablauf seiner Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland und in seinem Betrieb halten zu können – doch da spielten die Behörden nicht mit.

Klares Nein vom Ausländeramt

Vom zuständigen Ausländeramt in Weinstadt kam ein klares Nein zur Aufenthaltsverlängerung. „Die Arbeitskraft von Herrn Rutize ist vielleicht für seinen Arbeitgeber relevant, nicht aber für die Region“, sagte Behördensprecher Beglau noch im November 2011. Rutizes Anwesenheit habe keinerlei arbeitsmarktpolitische Relevanz. Im Übrigen müsse über die politische Fragestellung das Regierungspräsidium entscheiden – es habe die Bitte aber bereits abschlägig beschieden. Also schickte die Weinstädter Behörde Rutizes Antrag fälschlicherweise nicht an die Handwerkskammer, sondern an die Industrie- und Handelskammer, die eigentlich gar nicht zuständig ist. Trotzdem reagierte die Kammer. „Wenn die IHK findet, dass die Arbeitskraft von Herrn Rutize für die Region wichtig ist oder wenn klar ersichtlich ist, dass an seiner Person ein öffentliches Interesse besteht, lässt sich vielleicht was machen“, teilte Clemens Homoth-Kuhs vom Regierungspräsidium in Stuttgart damals mit. Seiner Ansicht nach laufe alles korrekt, eine Abschiebung sei vermutlich unvermeidlich. Bei der Auslegung des Gesetzestextes müsse man sich strikt an den Wortlaut halten, einmal getroffene Aussagen seien schwer zu widerrufen. Dem Regierungspräsidium sei im Übrigen kein Vorwurf zu machen, denn die Behörde führe lediglich die bestehenden Gesetze aus.

Empörung auf breiter Basis

Eine Reaktion, die viele nicht nachvollziehen konnten; immerhin sind es genau diese gut ausgebildeten Fachkräfte wie Simbarashe Rutize, nach der die deutsche Wirtschaft seit Jahren händeringend sucht. Dies sah auch Firmenchef Gernot Walter so und sah zu diesem Zeitpunkt nur noch den Weg über die Tagespresse und die Mobilisierung der politischen Entscheidungsträger. Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, war über die Ausweisungspläne der Behörden entsetzt. Der Fall Rutize zeige klar, dass die Politik nichts begriffen habe und dass die zuständigen Mitarbeiter keine Ahnung hätten. „Dieses Gebaren der Ausländerbehörde zeigt, dass die Anliegen der Wirtschaft in keiner Weise Berücksichtigung finden. Die Kriterien der Behörde zur Abschiebung dieses Mannes sind absolut empörend“, so Kulitz. Auch der vermeintlich fehlende Nutzen für die Region, mit dem die Behörde argumentiere, zeige ein vollkommen falsches Verständnis für die Lage. Immerhin lebe die Region von der Ertragskraft seiner Wirtschaft. „Und genau hierfür brauchen die Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter“, betonte Kulitz. Er könne Gernot Walters Unmut nachvollziehen. Auf zahlreichen Auslandsreisen bemühe man sich darum, qualifizierte Mitarbeiter nach Deutschland zu holen und versuche, langfristige Geschäftsmöglichkeiten zu knüpfen. „Ein solcher Fall macht alles wieder kaputt, dieser Hürdenaufbau ist schlicht unverständlich.“

Sogar Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte sich daraufhin, ebenso wie Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD). „So fahrlässig dürfen wir mit unseren Fachkräften nicht umgehen. Wer sich mit einer solchen Leistungsbereitschaft hier integriert, darf nicht einfach weggeschickt werden“, sagte Schmid. Der Landeschef betonte: „In einer Zeit drohenden Fachkräftemangels können wir uns ein solches Vorgehen schlicht nicht erlauben. Hier muss sich etwas ändern.“ Diese Auffassung spiegelte sich auch in zahlreichen Zeitungsartikeln und Leserbriefen. Trotz des gefühlten Rückenwindes durch die Öffentlichkeit sah es für eine Weiterbeschäftigung schlecht aus. Einziger Ausweg: Handwerksunternehmer Walter musste den Ämtern glaubhaft darlegen, dass durch Simbas Arbeit mehr Aufträge für das Unternehmen generiert würden und sein Verbleiben im öffentlichen Interesse sei. Wenn die Handwerkskammer sage, dass die Weiterbeschäftigung des Afrikaners von öffentlichem Interesse sei, reiche das noch nicht aus, schrieb die Duisburger Arbeitsagentur Walter.

Ende gut …

Anfang Januar hatte das bange Warten schließlich ein Ende, die Weinstädter Behörde schickte dem Chef des 26-Jährigen einen positiven Bescheid: Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung in Duisburg verlängerte die Aufenthaltsgenehmigung bis Januar 2015. „Wir haben befunden, dass eine Weiterbeschäftigung des Herrn Rutize von öffentlichem Interesse ist“, äußerte sich der zuständige Sachbearbeiter. Trotz der guten Nachricht kann der junge Afrikaner aber auch künftig nicht ganz sorgenfrei leben. Die Genehmigung ist an seinen Arbeitgeber gebunden; sollte dieser ihm kündigen, muss er das Land verlassen. Bis 2015 dürfte die vom Bund geplante Gesetzesnovelle greifen, die das Bleiberecht nicht nur Akademikern, sondern auch qualifizierten Handwerkern und Fachkräften zugesteht. Schließlich sind qualifizierte Fachkräfte gerade in Deutschland extreme Mangelware.

Ob der Fall Rutize künftig als Maßstab zur Anwendung kommt, konnte das Regierungspräsidium in Stuttgart nicht sagen. „Wenn ein Fachkräftemangel droht und die entsprechenden Leute wirklich gut ausgebildet sind und ihre Arbeit von arbeitsmarktpolitischem Interesse ist, dann macht eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ja auch Sinn“, erklärte Präsidiumssprecher Peter Zaar. Im Übrigen sei bei dem Simbabwer keine Ausnahme gemacht worden, sondern es sei hier vielmehr ein Absatz des Paragrafen 18 zur Anwendung gekommen, der genau jene arbeitsmarktpolitische Relevanz beschreibe. In Fellbach jedenfalls herrschen nun Freude und Erleichterung. „Wir freuen uns, dass wir diesen qualifizierten Mitarbeiter behalten können und sehen der Zukunft optimistisch entgegen“, sagt Handwerksmeister Gernot Walter. Ganz gemäß der vom Zentralverband des Deutschen Handwerks herausgegebenen Devise: Bei uns zählt nicht, wo man herkommt, sondern wo man hinwill.

Weitere Aspekte zu diesem Fall gibt es in dem Interview auf der nächsten Seite.

Nur nicht unterkriegen lassen

SBZ: Herzlichen Glückwunsch Herr Walter, Sie haben im Kampf gegen Deutschlands Bürokratie offensichtlich obsiegt.

Walter: Danke, das kann man so sehen. Es ist leider bezeichnend, dass ein Betrieb trotz des allgemeinen Fachkräftemangels erst einmal viele bürokratische Hindernisse überwinden muss, will er einen nachweislich qualifizierten Nicht-EU-Bürger, der nicht studiert hat, weiterbeschäftigen.

SBZ: Wo lag das Problem?

Walter: In der Gesetzeslage. Hier wird klar zwischen Fachkräften, die studiert haben und Nichtstudierten unterschieden. Wer ein Studium vorweisen kann, darf bleiben, wer nicht, muss gehen – so einfach hat es sich der Gesetzgeber gemacht. Es hat lange gedauert, bis wir auf das Schlupfloch mit dem öffentlichen Interesse gestoßen sind. Das Gesetz besagt sinngemäß, dass Nicht-EU-Bürger nur bleiben dürfen, wenn an der Weiterbeschäftigung ein öffentliches Interesse für die gesamte Region besteht.

SBZ: Konnten Sie wirklich nachweisen, dass für die Weiterbeschäftigung eines jungen Gesellen ein öffentliches Interesse für die Region besteht?

Walter: Klingt abenteuerlich, hat aber letztlich so funktioniert. Während sich die örtliche Ausländerbehörde in Weinstadt nicht gerade als konstruktiv erwies, hat dann die zentrale Vermittlungsstelle in Duisburg uns diesen Weg geebnet. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

SBZ: Sie haben die Öffentlichkeit eingeschaltet. Sogar Ministerpräsident Kretschmann und Wirtschaftsminister Schmid haben sich zu dem Fall Rutize öffentlich geäußert. Sie scheinen gute Kontakte zu haben.

Walter: Die Kontakte kamen über Claudia Bell, eine Redakteurin der Stuttgarter Nachrichten, zustande. Die eindeutigen Statements von Ministerpräsident und Wirtschaftsminister sowie das Engagement der Handwerkskammer schlugen sich dann auch in den Stuttgarter Nachrichten nieder und haben Bewegung in die Sache gebracht. Beide Politiker bekräftigten, dass es angesichts des Fachkräftemangels ein Unding sei, versierte Fachkräfte abzuschieben und dass dieses Gesetz schleunigst geändert gehöre. Nachhaltig für eine Gesetzesänderung und für den Verbleib von Simba Rutize hat sich auch Handwerkskammergeschäftsführer Claus Munkwitz eingesetzt. Nach dem Initialartikel in den Stuttgarter Nachrichten gab es einen regelrechten Medienhype, inklusive groß angelegter Radio- und TV-Berichterstattung.

SBZ: Wie hat sich das ausgewirkt?

Walter: Wir haben in der Öffentlichkeit sehr viel Zuspruch bekommen. Und auch unsere Kundschaft hat sich eingeschaltet und sich u.a. mit Leserbriefen für den Verbleib von Rutize engagiert. Die Behörden, die sich bis dahin strikt gegen eine Weiterbeschäftigung ausgesprochen und Herrn Rutize schriftlich aufgefordert hatten, Deutschland bis zum 31.12. zu verlassen, zeigten sich plötzlich viel geschmeidiger. Ohne den öffentlichen Druck wäre Simba heute wieder in Harare und wir hätten einen guten Gesellen weniger.

SBZ: Was empfehlen Sie Kollegen in ähnlich gelagerten Fällen?

Walter: Nicht gleich klein beigeben und sich unterkriegen lassen. Und wenn es auf normalem Wege nicht geht, an die Verantwortlichen in der Politik herantreten und über die Presse die Öffentlichkeit einschalten. Für den Fall, dass das Ausländeramt in unserem Fall nicht zugestimmt hätte, hatten wir bereits eine Zusage der Härtefallkommission des Landtages, dass unser Mitarbeiter auch bleiben darf, wenn das Ausländeramt ablehnt. Wenn Öffentlichkeit und Politik mobilisiert sind, gehen plötzlich Türen auf, von denen man bis dato noch gar nicht wusste, dass es sie gibt.