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Individualisierungstrend im Badezimmer schreitet fort

Nicht von der Stange

Einrichtungsobjekte sind heute so etwas wie die Visitenkarte des modernen Menschen. Ihre Einzigartigkeit wird zum Krite­rium für Originalität in unserer individua­listischen Gesellschaft. Produkte mit kleinen Eigenheiten, authentische Einzelstücke und individualisierbare Einrichtungsobjekte haben daher Konjunktur. Und in einem Raum wie dem Bade­zimmer steht der Wunsch nach einer individuellen Ausstattung an erster Stelle. Dem Badplaner kommt daher eine wichtige Rolle zu, denn als Regisseur muss er die Bedürfnisse und Geschmäcke des Benutzers herausfinden und so weit wie möglich umsetzen.

Doch welche Parameter bestimmen ein einzigartiges Badezimmer? Wie viel Kreativität muss in die Badplanung einfließen? Oder besteht die Individualität einfach in der Selektion von Produkten aus einer kaum noch überschaubaren Angebotspalette unserer Sanitäranbieter? Gibt es Produktsysteme im Badezimmer, die dem Wunsch des Verbrauchers nach einem auf die persönlichen Belange abgestimmten Zuschnitt und variantenreichen Zusammenstellungen entsprechen? Wer als Badplaner und Handwerker von diesem Trend profitieren will, muss sich professionell mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Materialien mit Gesicht und Charakter

Eine anscheinend roh gehobelte Waschtischplatte; geriffelte Bodenfliesen, die einen beim Darüberlaufen an Strandurlaube oder die durchgetretenen Dielen einer Berghütte erinnern. Und sind das da etwa Jahresringe? Unwillkürlich streicht der Gast über die überraschend weich geglätteten Hubbel, und mit einem etwas ungläubigen Lächeln wiederholt er die sinnliche Geste. Massivholz? Der Hausherr gibt sich geheimnisvoll, die Gastgeberin übt Understatement. Der niedrige Hocker hier, ja, der ist durch und durch massives Kernholz. Und wo habt Ihr diesen Großvaterstuhl her? Wohl im selben Warenhausgang gefunden, was? Haha! Ach, der ist wirklich von Ihrer Oma? Sorry, aber wer soll sich da noch auskennen?

Ob aus dem Möbelhandel oder der Schreinerwerkstatt, ob Prototyp oder Fundstück von der Straße, Flohmarktausbeute oder echtes Erbstück – egal, Hauptsache, die stillen Mitbewohner haben etwas zu erzählen. Vielen Menschen reicht es nicht mehr, dass ihre Discounter-Möbel einen witzigen Namen tragen. Sie wollen ein Einrichtungsobjekt mit Individualität, mit Charakter. Blättert man die SBZ-Ausgaben durch, wird schnell klar, dass Hightech und alte Formen, altes Material und neue Fertigungstechniken Hand in Hand gehen. So kommen zum Beispiel charakterstarke, strukturbetonte Oberflächen – seien sie natürlich oder nicht – dem Wunsch der Konsumenten nach dem Echten nach. Nach Fliesen mit einem natürlichen Strukturbild, das an Regentropfen, Steinformationen oder antike Wände mit Patina erinnert, nach Formen und Möbeln mit einer Geschichte.

Produkte mit Geschichte

Natürlich empfiehlt es sich in manchen Einrichtungsbereichen – wie dem Nassbereich – prinzipiell nicht, Altes zu verwenden, und nicht jeder steht auf den staubigen Charme von Flohmarkt-Fundstücken. Zum Glück müssen Produkte mit Geschichte heute nicht einmal mehr alt sein. Nicht nur die die Ikonographie und die technische Konstruktion einer Form können Tradition bekunden – auch die Materialien bestimmen den Charakter eines Möbels und können mittels ­Ästhetik, Konstruktion und „inneren Werten“ Geschichten erzählen. Oder auch tatsächlich alt sein. Neben der zunehmenden Zahl an Schreinern, die Möbel aus Bäumen der Region mit einem lokalen Bezug zum Käufer herstellen, gibt es auch wenige ­Spezialisten, die aus Altholz gewonnene Holzwerkstoffe anbieten. Und wer hätte gedacht, dass auf einmal die Sanitärkeramik für den Produktbereich Duschwannen wiederentdeckt wird? Offensichtlich ist es nicht mehr, wie zu Zeiten von Bauhaus und guter Form, die Einheitlichkeit, die heute den ­Maßstab vorgibt. Das neue Ideal verfolgt die Kultivierung des kleinen Unterschieds und der natürlichen Varianten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem Produkt um eine Waschtischplatte aus Beton, eine Bodenfliese, ein Badmöbel-System oder eine Stone-washed-Jeans handelt. Die Gleichförmigkeit perfekter Produktionskultur wird ­zugunsten des Variantenreichtums aufge­geben. Die Perfektionierung des Unperfekten eben.

Wo fängt Individualität an, wo hört sie auf?

Die Welt ist bunter und komplizierter geworden. Design gibt heute nicht nur der Funk­tion eine Form, sondern auch dem Selbstbild von immer mehr Menschen. Designer erschaffen nicht nur Wohnsysteme, sondern Ikonen modernen Lebens, das Instrumenta­rium zur Selbstinszenierung: Eine schöne Welt voller Zitate, Glamour oder puristischer Gesten. Individualität definiert und artikuliert sich immer mehr über die Ästhetik der Alltagswelt. Der Vielfalt der Lifestyles entspricht einer Heterogenität der Stile. Der Konsument mixt sich aus dem Angebot seinen eigenen Cocktail.

Vor Jahrzehnten war es für einen Installateur einfach: Ein neues Badezimmer sollte es sein – und Waschtisch und WC wurden einfach gegen neue Modelle ausgetauscht. An gleicher Stelle wurde ein etwas anders aussehendes Serienprodukt in einer der gerade aktuellen Trendfarben von Moosgrün bis Currygelb installiert. Vielleicht noch eine zweite Lage Fliesen aufgeklebt und eine neue Dusch­abtrennung – fertig war das Bad. Auch der Kollektionen-Gedanke der Keramikhersteller machte es leicht. Gran Gracia oder Opera hieß die Grundsatzentscheidung und im Handumdrehen konnte der Bauherr in eine neue Badwelt einziehen. Komplizierter wurde es dann schon mit den Designstars. Auf einmal kamen die Kunden mit Namen wie Philippe Starck oder Antonio Citterio und wollten einen „alten“ Holzfußboden im Badezimmer haben oder sogar das WC wieder in einem separaten Raum untergebracht wissen.

Aber so richtig kompliziert wurde es für den Badplaner erst, als vor rund fünf, sechs Jahren der Kollektionen-Gedanke zugunsten eines flexibleren Baukasten-Systems weiterentwickelt wurde. Die Vielzahl von Produkten macht die Auswahl heute nicht nur für den Badkunden schwierig. Wählte man früher zwischen Manhattan oder Bahama-Beige, so muss sich der professionelle Badplaner bei den Produkten von der Duschfläche bis zum Heizkörper nun zwischen einer Vielzahl von Grautönen der einzelnen Hersteller entscheiden. Der Badplaner ist aber nicht nur der Fremdenführer durch das Labyrinth der Geschmackswelten, sondern wird zunehmend zum Regisseur für die Gestaltung eines individuellen Private Spa.

Feel free to compose

Viele Sanitärhersteller haben Produktprogramme im Angebot, die insbesondere verschiedene Raumsituationen oder Raumgegebenheiten berücksichtigen – etwa die Badewanne in acht Varianten oder die auf Maß gefertigte Duschabtrennung. Es gibt keramische Waschtische in verschiedenen Längen und Badewannen, deren Außenform der Kunde exakt bestimmen kann. Produktsysteme übernehmen in Zusammenhang mit Individualität eine ganz besondere Rolle, denn sie eröffnen dem Planer viele Umsetzungsmöglichkeiten. Individualität stand beispielsweise auch bei der Entwicklung der neuen Badezimmer-Kollektion Axor Bouroullec von Hansgrohe im Fokus. Die beiden französischen Designer Ronan und Erwan Bouroullec entwickelten einzelne Elemente, die sich beliebig kombinieren lassen. Mit 75 Einzelprodukten, zu denen neben Armaturen und Brausen auch Waschtische, eine Badewanne, Spiegel und weitere Accessoires zählen, bietet die Kollektion viele individuelle Gestaltungsmöglichkeiten. Außerdem können die Armaturenelemente im Waschbereich frei angeordnet werden: auf einer der integrierten Ablagen des multifunktionalen Waschtischs, davor oder seitlich davon. Oder doch an der Wand? Alles möglich. Optionen werden damit zu Multioptionen: Freiheit in der Anordnung wird zur Freiheit auch in der Benutzung. „Man weiß nie, was aus unseren Produkten wird. Unsere Objekte sind Werkzeuge, die der Kreation der individuellen Lösung dienen“, so die Designer.

Fazit

Das Thema Individualität bietet ein immenses Potenzial für die Ansprache renovierungswilliger Eigenheimbesitzer. Auf der einen Seite ist das üppige Produktangebot der Sanitärbranche ein Potpourri von Gestaltungstools für die Badplanung und somit Nährboden für den Selbstverwirklichungstrieb der Kunden. Auf der anderen Seite überfordert genau dieses Produktangebot, unabhängig vom ohnehin komplizierten (Vertriebs-)Weg zum Produkt viele Menschen. Der Handwerker kann hier Ordnung in das Chaos bringen und selektieren. Genau dieses Selektieren ist die Kernkompetenz eines Badplaners. Welche Produkte erfüllen die gewünschten Bedürfnisse meines Kunden? Wie realisiere ich bedarfsgerechte Raumkonzepte? Und welche Produkte eröffnen mir als Planer fast unend­liche Möglichkeiten in der Umsetzung?

Ein SBZ-Exklusiv-Interview mit den Star-Designern Ronan und Erwan Bouroullec rund um das Thema Individualität finden Sie auf der nächsten Seite

Hintergrund

Individualität ist …

die Summe dessen, was eine Person (oder im übertragenen Sinne auch einen Gegenstand oder eine Sache) einzigartig macht und sie von allen anderen (ihrer/seiner Art) unterscheidet. Das Konzept von Individualität ist kulturell und historisch jedoch sehr unterschiedlich. In unserer westlich geprägten Kultur beginnt sich seit Renaissance und Aufklärung die Überzeugung durchzusetzen, dass der Mensch ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner einzigartigen Eigenschaften habe. Das sich durch den Konflikt mit familiären oder gesellschaftlichen Interessen ergebende Spannungsfeld wird heute als Teil unserer individualistischen Kultur akzeptiert, die durch eine Vielfalt an Lebensstilen und Gruppierungen, aber auch zur Vereinzelung geprägt wird. In anderen Gesellschaften wird Individualität gegenüber dem Gemeinwohl als weniger wichtig empfunden. Die individualistische Kultur führt u.a. zu einem sich stetig erweiternden, variantenreichen Konsummarkt und zu einer großen Produkttiefe – d.h., von einem Produkt werden viele unterschiedliche Ausführungen angeboten, die sich durch ein System individueller Kombinationsmöglichkeiten zu einzigartigen Produkten bzw. Arrangements gestalten lassen.

Kommentar

Stellenwert des Installateurs in der Öffentlichkeit muss besser werden

Der Fernsehsender Kabel1 zeigte im Rahmen einer Doku-Soap den Weg von vier Familien zu ihrem Eigenheim auf. Sparen war angesagt und so saß denn auch eine Familie bei der Badplanerin in der Ausstellung und ließ sich ihr Badezimmer planen. Natürlich war die Wunschausstattung viel zu teuer; der Kommentar des mitgebrachten Architekten: „Dann müsst ihr die Produkte in Eigenleistung montieren. Und dann gibt es ja auch noch die günstige Hausmarke.“ Die Handwerkerin blieb sprachlos (es bleibt offen, ob ihr Veto dem Schnitt des Senders zum Opfer fiel) und Tausende von Badrenovierern werden es in Zukunft wohl auch so probieren.

Der Stellenwert des Installateurs als kreativer Badplaner ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch verschwindend gering. Zudem wird die kreative Planungsphase selten separat honoriert. Aber genau diese Beratungsleistung ist die eigentliche Kernkompetenz der SHK-Betriebe. Und ohne diese Kreativleistung der Handwerker wären viele Sanitärunternehmen nicht da, wo sie heute sind. Wo bleibt eine von den Verbänden, Unternehmen und Verantwortlichen der Branche initiierte Image-Kampagne? Wer macht den renovierungswilligen Bauherren klar, dass Installateure kreative Badplaner sind, die nicht nur Klos montieren können?

Frank A. Reinhardt

SBZ-Tipp

Kleines Design-Lexikon für Sie!

Design – der Begriff ist im Badezimmer so wichtig wie die Begriffe Private Spa oder Nachhaltigkeit. Aber was verbirgt sich tatsächlich dahinter? Ist Bauhaus ein Baumarkt, und was ist ein Archetyp? Um Fragen wie diese zu klären und um einen kurzen Überblick rund um das Thema Design zu geben, entwickelte Hansgrohe ein kleines Design-Lexikon, das dieser SBZ beigelegt wurde. In dem Axor-Design-Lexikon wurden Begriffe und Schlagworte aufgegriffen und verständlich erläutert. Auch die in diesem Artikel markierten Begriffe können nachgeschlagen werden. Sollte das Lexikon Ihrer SBZ-Ausgabe nicht mehr beiliegen, kann dieses mit Angabe der Adresse per E-Mail kostenlos nachbestellt werden (yvonne.huber@hansgrohe.com). Zusätzlich ist es als PDF-Datei zum Download hinterlegt auf: https://www.sbz-online.de/tags/extras-zum-heft

Extras

Das Designlexikon haben wir im PDF-Format als Datei zum Download hinterlegt.

Zudem stellen wir im Internet in un­serem „Extras“-Bereich weiteres Bild­material zur neuen Badezimmer-Kollek­tion Axor Bouroullec sowie den Link zu einem interessanten Einfüh­rungsfilm zur Verfügung.

https://www.sbz-online.de/tags/extras-zum-heft

Autor

Frank A. Reinhardt hat sich als Berater auf Design und Marketing spezialisiert.

Der in Köln ansässige diplomierte Produktdesigner betreut für die SBZ den Schwerpunkt Design; Telefon (02 21) ­­ 6 20 18 02, Telefax (02 21) 9 62 45 39 reinhardt@sbz-online.de https://far-consulting.de/