Vielen Unternehmern dürfte diese Szene bekannt vorkommen: Ein Kunde betritt das Geschäft, weil er z.B. Badarmaturen erwerben will. Er lässt sich ausführlich beraten, testet eventuell sogar verschiedene Modelle, informiert sich über Hersteller, Marken und Preise. Nachdem der Kunde alle Informationen hat und es zum Abschluss kommen könnte, kann er sich doch noch nicht entscheiden. Nur kurz darauf kauft er genau dieses Produkt im Internet, weil es dort billiger zu haben ist. Dieses Phänomen macht besonders Einzelhändlern jeglicher Branche schwer zu schaffen und hat einen Namen: Beratungsdiebstahl.
Beratung nur noch gegen Bezahlung?
Der Name Beratungsdiebstahl ist jedoch irreführend: Denn der Kunde „klaut“ Ihnen zwar Zeit und Wissen, aber für beides gibt es keinen festgesetzten Preis. Anders bei einem Hamburger Einzelhändler: Dieser verlangt inzwischen knapp 50 € für eine halbe Stunde Beratung, weil er sein Fachwissen nicht länger Online-Händlern zugute kommen lassen will. Wer dann bei ihm kauft, bekommt die Beratungsgebühr auf den Kaufpreis gutgeschrieben. Diese Kampfansage aus Wut oder Verzweiflung ist aus Sicht des Unternehmers durchaus verständlich. Aber sie schreckt natürlich so manchen Kunden ab, der wirklich kaufen wollte. Auch die Verbraucherzentralen setzen sich seit langem für eine getrennte Bepreisung von Beratung und Ware ein – und scheitern allesamt. Der Marktdruck ist dazu meist zu hoch.
Wie kann diesem Trend, der bereits zum Sterben vieler kleiner Einzelhändler und Handwerker geführt hat, entgegengewirkt werden? Zwar informiert sich nach einer Studie des E-Commerce-Center Handel an der Universität Köln ein Drittel der Online-Käufer vorher im stationären Einzelhandel über das Produkt. Doch wo ein Trend ist, gibt es immer auch einen Gegentrend: Und danach wächst auch der Anteil derer, die sich vor dem Kauf über ein Produkt im Internet informieren und dann im Einzelhandel kaufen.
Rollentausch: Online informieren, im Einzelhandel kaufen
Für diesen Gegentrend gibt es drei gute Gründe, die für Unternehmen vor Ort eine Chance bieten:
1. Die Online-Verweigerer wollen die Ware vorher in den Händen halten und prüfen können.
2. Kunden, die bei Einzelhändlern kaufen, wünschen sich eine gute Beratung.
3. Sie erwarten, dass ihr Händler auch bei Reklamationen für sie da ist und wissen um die Vorteile, die ein Ansprechpartner vor Ort bietet (bzw. die Probleme, die Internetverkäufer oft bei Reklamationen machen).
Diese drei Punkte zeigen, dass sich viele Kunden durchaus die Sicherheit eines persönlich bekannten Ansprechpartners wünschen. Und Sie sind auch bereit, dafür mehr Geld auszugeben – vorausgesetzt, sie sind davon überzeugt dass sie gute Qualität und eine begeisterte/begeisternde Beratung zu einem insgesamt fairen Preis bekommen.
Alle drei Punkte beinhalten noch einen Aspekt, den Online-Händler nicht wirklich bieten können: Es menschelt, die Geschäfte werden Auge in Auge gemacht. Wenn es ein Händler oder Handwerker also schafft, seine Kunden zu begeistern, behält er nicht nur seinen Kundenstamm, er kann ihn auch ganz leicht erweitern. Begeisterte Kunden sind die besten Werbeträger!
Pfiffige Ideen von „Tante Emma“ für Unternehmer
Händler und Handwerker sind heute mit anspruchsvollen und ständig feilschenden Kunden manchmal ebenso überfordert, wie diese bei der Vielzahl sich ähnelnder Angebote. Kein Wunder, dass hier manchmal nicht nur Bedürfnisse aufeinanderprallen. Früher bei Tante Emma war das alles noch ganz anders: Bei ihr zählten gute alte Werte, wie Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit und die Kunden fühlten sich im wahrsten Sinne des Wortes „wertvoll“. Auch wenn es schon lange her ist, können Unternehmer von ihr in Sachen Kundenbegeisterung – auch in der heutigen Situation – noch viel lernen. Hier das Wichtigste im Überblick:
- <b>Verständliche Bezeichnungen und Erklärungen:</b> Käufer wollen sich nicht mit technischen Fachbegriffen herumschlagen, sondern die Produkte und ihre Funktionen verstehen können. Händler und Handwerker sollten also in der Lage sein, dem Kunden schwierige Sachverhalte allgemein verständlich zu erklären.
- <b>Konstante Ansprechpartner:</b> Menscherlebnis geht vor Materialerlebnis. Es ist Käufern wichtig, feste Ansprechpartner zu haben, auf die sie sich verlassen können und die sie persönlich kennen. Oft behalten diese Verkäufer die persönliche „Historie“ ihres Kunden im Auge – viele Erklärungen erübrigen sich dann.
- <b>Attraktive, bisher vernachlässigte Zielgruppen erschließen:</b> Oft ignorierte oder eher stiefmütterlich behandelte Zielgruppen, wie Kinder oder die so genannten Best Ager, freuen sich besonders über Angebote, die speziell auf sie zugeschnitten sind.
- <b>Kapieren, nicht kopieren:</b> Es bringt nichts, allseits verbreitete Serviceleistungen, wie z.B. Kundenkarten, einfach nur zu übernehmen, weil dies bei Kunden keine Begeisterung und keine Loyalität hervorruft. Serviceleistungen müssen individuell zum Profil des Unternehmens und der Mitarbeiter passen.
- <b>Marketing allein bringt nichts:</b> Menscherlebnis geht vor Marketingerlebnis. Verspricht die Werbung besondere Leistungen, die dann im Unternehmen nicht gelebt werden, so ist das Enttäuschungspotenzial groß. Begeisterung kann beim Kunden nicht durch Werbung, sondern nur im direkten Kontakt geweckt werden.
- <b>Mehr kompetente Kaufberatung statt weniger:</b> So erstaunlich das zum Thema Beratungsdiebstahl auch klingen mag: Die Beratung im Handel und Handwerk ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, obwohl gerade sie die größte Chance zur Abgrenzung nicht nur vom Discount oder von Online-Händlern, sondern gerade auch vom Mitbewerber nebenan, birgt. Infoveranstaltungen, z.B. in Form von Miniseminaren, ziehen Kunden förmlich magisch ins Geschäft und die Begeisterung ist groß, wenn diese Veranstaltungen perfekt inszeniert sind. Bei soviel Mehrwert überlegt es sich der Kunde zweimal, bevor er das Produkt im Internet ein paar Euro günstiger kauft.
Fachhändler versetzt sich in die Lage seiner Kunden
Der Inhaber eines Fachhandelsgeschäftes fragte sich, was Passanten von seinem Schaufenster erwarteten. Er versetzte sich in die Lage seiner Kunden und dachte nach, was er selbst erwartete, wenn er vor einem fremden Geschäft stand. Dabei kam er zu folgendem Ergebnis: „Ich möchte wissen, ob die Menschen, die mich dort bedienen, sympathisch sind und ob ich mich einfach nur mal ungestört umsehen kann.“ Daraufhin änderte er seine Schaufenstergestaltung radikal ab: Unter der Überschrift „Wer bedient mich in diesem Geschäft?“ positionierte er ansprechende Porträtfotos von sich und seinem Verkaufsteam, wobei jeder mit Vor- und Nachnamen und einer kurzen, humorvollen Beschreibung seiner Fähigkeiten vorgestellt wurde. Unter der Überschrift „Was finde ich in diesem Geschäft?“ brachte er zwei Poster mit Produktabbildungen und einem Hinweis an, warum es sich lohnt, dort einzukaufen.
Auf dem dritten Plakat warb er mit seinen Garantie- und Serviceleistungen. Zuletzt stellte er ein Plakat auf, das eine Antwort auf die Frage gab: „Darf ich mich hier einfach mal umsehen?“ Darauf war zu lesen: „Aber selbstverständlich! Sie sind uns jederzeit herzlich willkommen. Treten Sie einfach ein!“ Seit der Neugestaltung des Schaufensters sind doppelt so viele Passanten wie früher im Geschäft. Diesen wird selbstverständlich die Türe geöffnet und sie werden persönlich begrüßt. Es ist wohl nicht erstaunlich, dass bei solch einem großen Interesse auch der Umsatz um 33 % gestiegen ist.
Fakt ist: Beratungsdiebstahl wird es immer geben und eine Lösung, ihn zu verhindern, existiert nicht. Viele haben den Kampf gegen den Beratungsdiebstahl aufgegeben, indem sie nicht mehr beraten. Das aber kann keine zukunftsorientierte Lösung sein. Fakt ist deshalb auch: Die Lösung liegt in der Kundenbegeisterung und ist in den Schaufenstern und Geschäften in Form von kleinen, phantasievollen Überraschungen zu sehen sowie im persönlichen Umgang mit den Kunden vor allem zu spüren.
SBZ Buchtipp
Besser erklären, mehr verkaufen
A. Dolle/B. Lutzer, 208 S., 2009, ISBN 978-3-8349-1073-8, Gabler Verlag, http://www.gabler.de, 34 Euro
Was passiert, wenn ein Experte einen Laien berät und ihn vom Kauf eines erklärungsbedürftigen Produkts, wie einer Hybrid-Wärmepumpe, überzeugen möchte? Er redet oft „Fachchinesisch“. Das Ergebnis: Der Kunde ist überfordert und schaltet ab. Technikgeprägte Verkäufer lernen, wie sie sich in ihrer Kommunikation auf Personen einstellen können, die weniger Hintergrundwissen als sie selbst haben. Gezeigt werden Techniken, die ihnen helfen, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen und den Kundenauftrag (auch) dadurch zu gewinnen.
SBZ-Fazit: Hilfreich auch für Handwerker, um kundenorientiert(er) zu beraten.
Autor
Ralf R. Strupat begleitet mit seiner Full-Service-Agentur für Kundenbegeisterung Unternehmen aller Art auf dem Weg, möglichst schnell und dauerhaft eine neue Service-Kultur zu etablieren
33775 Versmold
Telefon (0 54 23) 4 74 27-0