SBZ: Herr Mertz, das Fachinstitut Gebäude-Klima und die Hersteller versuchen seit Jahren mit bescheidenem Erfolg, Systeme zur kontrollierten Wohnungslüftung in den Markt zu bringen. Warum setzt sich die Technik nicht auf breiterer Basis durch?
Mertz: Ich muss Ihnen Recht geben: Die Hersteller von Wohnungslüftungssystemen haben sich im FGK bereits 1980 zur „Arbeitsgruppe Wohnungslüftung“ zusammengeschlossen und versuchen seither, diese Technik an den Mann zu bringen. Eines der größten Hemmnisse war, dass es nicht gelang, die maßgebenden Multiplikatoren – hierzu zähle ich insbesondere die Architekten sowie auch weite Bereiche des SHK-Handwerks – zu erreichen. Sie halten noch immer das Fenster als das Allheilmittel in Sachen Lüftung. Endverbraucher waren da deutlich schneller zu überzeugen.
SBZ: Wie wollen Sie diese Stolpersteine aus dem Weg räumen?
Mertz: Wir bleiben hartnäckig und bekommen Schützenhilfe über die ordnungspolitischen Vorgaben, wobei derzeit zwei wesentliche Rahmenbedingungen im Fokus stehen: Die Verschärfung der Anforderungen der Energieeinsparverordnung sowie die Nutzung regenerativer Energien, gekoppelt mit der Notwendigkeit einer dichten Bauweise. Beide Vorgaben werden zu einem deutlich verstärkten Einsatz von Lüftungssystemen mit Wärmerückgewinnung führen. Auch die Nutzeranforderungen hinsichtlich der Raumluftqualität sowie der Hygiene sind in den letzten Jahren deutlich gewachsen.
SBZ: Die Wohnungslüftung ist nach ENEV zwar Pflicht, aber letztlich scheint das unter der Devise, wo kein Kläger da kein Richter, in der Praxis niemand zu interessieren?
Mertz: Das wird sich ändern. Mit jeder Energieeinsparverordnung werden die Kontrollmechanismen verschärft. Der Nutzer hat Anspruch auf ein gesundes Gebäude, in diesem Kontext definiert er seine Ansprüche und setzt sie entsprechend um. Und ich bin mir sicher, hierbei hat er gegenüber so manchem Planer und Architekten einen deutlichen Bewusstseinsvorsprung.
SBZ: Haben auch Argumente wie Zugluft und Kinderkrankheiten bei den ersten Anlagen die Verbreitung gehemmt?
Mertz: Wir können sicher nicht abstreiten, dass es in der Planung und Ausführung von Wohnungslüftungsanlagen Fehler gab. Hierauf haben wir, auch gemeinsam mit dem ZVSHK, mit der Herausgabe umfangreicher Schulungsunterlagen reagiert und viele Informationsveranstaltungen durchgeführt.
SBZ: Welche Entwicklung wird die Akzeptanz der Wohnungslüftung in den nächsten fünf Jahren nehmen?
Mertz: Die ordnungspolitischen Vorgaben, das steigende Bewusstsein für Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Umweltschutz sowie das Verlangen nach einem hohen Standard im Bereich der Innenraumluftqualität werden der Wohnungslüftung in den nächsten Jahren einen deutlichen Auftrieb verleihen. Trotz sinkender Bautätigkeit beobachten wir derzeit einen steigenden Markt für die Wohnungslüftung. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen: Passivhaus, Null-Energie-Haus oder welche blumigen Bezeichnungen für diese Gebäude sonst noch gefunden werden, ohne Lüftung mit Wärmerückgewinnung werden sie nicht zu realisieren sein.
SBZ: Glauben Sie, dass künftig auch KWL-Systeme mit Kühlfunktion Zukunft haben?
Mertz: Eine Wohnungslüftungsanlage übernimmt – expressis verbis – die Lüftungsfunktion. Eine geregelte Kühlfunktion ist und kann nicht Aufgabe der Wohnungslüftung sein. Über die Nutzung der Geothermie oder die Einbindung von Wärmepumpen-Technologien lassen sich „Vorkühlfunktionen“ einbringen, jedoch sollten wir keine allzu hohen Erwartungen aufbauen. In verschiedenen Forschungsprojekten werden derzeit solare Klimatisierungsverfahren für kleinere und mittlere Leistungsbereiche erprobt. Vielleicht entwickelt sich hier eine Zukunftstechnologie für die Kühlung im Wohnungsbau.
SBZ: Was raten Sie den Planern und Handwerksbetrieben? Was können sie tun, um am Aufwärtstrend der KWL zu profitieren?
Mertz: Beiden kann ich nur raten, sich intensiv des Themas Lüftung mit Wärmerückgewinnung anzunehmen. Die Nachfrage ist da, und die gilt es nun zu befriedigen. Entscheidend ist hierbei, dass sich der Handwerksbetrieb, bei Bedarf in Kooperation mit einem Planer, als ein Ansprechpartner für die Wohnungslüftung präsentiert. Von der Beratung über die Planung und Installation bis hin zur Inbetriebnahme und Wartung muss der Handwerker den gesamten Lebenszyklus – und damit auch die Wertschöpfungskette – abdecken. Mit geeigneten Marketingmaßnahmen muss er aktiv auf das große Kundenpotenzial zugehen. An endkunden-orientierten Informations- und Marketingmaterialien fehlt es mit Sicherheit nicht.
SBZ: Laufen regenerative Energiesysteme wie Wärmepumpe oder Solar der KWL nicht den Rang ab?
Mertz: Nein, im Gegenteil – regenerative Energiesysteme lassen sich hervorragend in Gesamtkonzepte für die Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung einbinden. Im Übrigen stellt für uns auch die Wärmerückgewinnung eine regenerative Energie dar. Denn: Warum soll warme, energiereiche Luft erst nach draußen geblasen werden, damit sie dann als Umweltwärme regenerativ wird? Es erscheint deutlich sinnvoller, die warme Luft sofort, beispielsweise über ein Wärmerückgewinnungssystem, zu nutzen.
SBZ: Gibt es seitens der Verbände Konzepte bzw. praxisnahe Unterstützung bei der Kundenansprache?
Mertz: Mittlerweile haben verschiedene Verbände endkundenspezifische, aussagekräftige und visuell sehr gut aufbereitete Informationsmaterialien für die Wohnungslüftung erstellt. Mit der breit aufgestellten PR-Kampagne des vom BDH und FGK gemeinsam getragenen „Industriekreises Lüftung“ wurde eine wesentliche marktbereitende Kampagne gestartet. Ferner haben die VdZ und der ZVSHK geeignete Materialien erstellt. Zudem bereiten das FGK und der ZVSHK gemeinsam ein Schulungskonzept vor. Es ist alles vorhanden – es muss nur genutzt und umgesetzt werden.