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Neue Anwendungen für Wärmepumpen

Heizenergie aus dem Abwasserkanal

Inhalt

Die Stadt Rauenberg liegt im Rhein-Neckar-Kreis, im Norden Baden-Württembergs, und hat 8000 Einwohner. Am Standort einer ehemaligen Ziegelei wurde ab 2002 das Baugebiet Märzwiesen realisiert. Das Kinderhaus war eine der letzten Baumaßnahmen dort. Träger der Einrichtung ist die Stadt. Derzeit werden insgesamt 29 Kinder im Krippenbereich und 37 Kinder im Kindergarten von insgesamt 18 Mitarbeiterinnen (12 in Vollzeit, 6 in Teilzeit) betreut.

Bemerkenswert ist die Wärmepumpenanlage des Kinderhauses, die den Abwasserstrom des Straßenkanals als Wärmereservoir nutzt. Etwa 30 Anlagen dieser Art, die dem sogenannten Rohabwasser bis zu 1000kW Wärmeleistung entziehen, existieren bereits. Bedingung ist ein Kälte- oder Wärmebedarf von 50kW und mehr. Die technische und wirtschaftliche Eignung sollte durch eine Machbarkeitsstudie belegt sein. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr in Baden-Württemberg fördert derartige Stu­dien mit bis zu 50%.

„Abwasser ist kein Abfallprodukt, sondern ein Wertstoff mit viel ungenutzter Energie. Doch die Bewirtschaftung von Abwassersystemen setzt Fachwissen und Erfahrung voraus. Das Ziel ist eine rentable und nachhaltige Betriebsweise“, so Mark Biesalski, Leiter der Uhrig Kanaltechnik GmbH mit Firmensitz in Geisingen an der Donau. Therm-Liner, das patentierte System zur Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser, versorgt das Kinderhaus Märzwiesen seit Dezember 2010.

Voraussetzungen für die Abwassernutzung

Abwasser ist eine sichere, lokal vorhandene Energiequelle. Das übliche Temperaturniveau im Abwasser ist mit 12 bis 20°C für die Wärmegewinnung hinreichend. Wird im Sommer eine Kühlleistung benötigt, oder in Ländern mit hoher Außentemperatur eine Klimatisierung, dann lässt sich je nach technischer Ausstattung die Wärmepumpe als Kältemaschine betreiben und der Abwasserkanal dient als Wärmesenke. Für beide Anwendungen ermöglicht das Temperaturniveau des Abwassers hocheffiziente Lösungen.

Drei Standorte sind generell für die Energiegewinnung aus Abwasser geeignet: Noch im Gebäude, in der Kanalisation selbst oder nach dem Klärprozess, wenn das gereinigte Abwasser die Kläranlage verlässt. Eine Rückgewinnung der Abwasserwärme im Gebäude ist nur sinnvoll, wo regelmäßig große Mengen Abwasser mit möglichst hohen Temperaturen anfallen. Gleichzeitig muss der Verursacher auch eine sinnvolle Verwendung für die nun zur Verfügung stehende Wärmeenergie haben. Infrage kommen hierfür Krankenhäuser, Hallenbäder oder Industrieanlagen.

Die Wärmeentnahme aus der Kanalisation bietet sich an, wenn kontinuierlich größere Wassermengen zur Verfügung stehen. Um einen einwandfreien Betrieb zu gewährleisten, sollte die Energiequelle Abwasserkanal folgende Richtwerte erfüllen:

  • Kanalquerschnitt min. DN 300
  • Trockenwetterabfluss min. 10 l/s
  • Abwassertemperatur ab 10 °C

Das Projekt Kinderhaus Märzwiesen erfüllt diese Voraussetzungen. Der Kanalquerschnitt ist mit DN 1800 sehr gut für die nachträg­liche Montage der Wärmetauscherelemente geeignet.

Die Technik zur Wärmerückgewinnung

Die hier verwendeten Systeme zur Energiegewinnung aus Abwasser lassen sich sowohl in bestehende Kanäle einbauen, idealerweise zum Zeitpunkt der Sanierung, als auch direkt bei Neubauten. Am Boden des Kanals eingesetzte Wärmetauscherelemente aus V4A-Edelstahl werden vom Abwasser überströmt und leiten die Wärme unmittelbar in die Heizzentrale zur Wärmepumpe. Die Temperaturdifferenz des Transportmediums Wasser zwischen Vor- und Rücklauf beträgt 4K. „Entscheidend für die Effizienz der Heizanlage ist die Jahresarbeitszahl JAZ. Mit der Anlage erreichen wir hier einen Wert von 4,0“, sagt Leonhard Schmitt, einer der beiden Geschäftsführer vom Planungsbüro Schmitt & Partner (PSP), das für die Planung der technischen Gebäudeausrüstung verantwortlich war.

Das Prinzip Energie aus Abwasser ist Stand der Technik, zumindest seit Erscheinen des Merkblattes DWA-M 114 „Energie aus Abwasser, Wärme- und Lageenergie.“ Das Merkblatt wurde im Juni 2009 von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. in Hennef herausgegeben. Es beschreibt Einsatzmöglichkeiten und Grenzen, gibt Informationen für Gemeinden, Stadtentwässerungen und Planungsbüros. Enthalten sind auch Anforderungen seitens Kläranlage und Kanal und Musterverträge für Vereinbarungen zwischen Bauherr und Kanalbetreiber.

Wirtschaftlichkeit der Abwassernutzung

Im Abwasser steckt eine große Wärmemenge, die mittels moderner Wärmepumpentechnologie zur Beheizung von Gebäuden verwendet werden kann. Das Potenzial dieser erneuerbaren Energiequelle ist sehr groß. Mit der Abwasserwärme könnten vom Angebot her rund 10% aller Gebäude in Deutschland beheizt werden. Aufgrund steigender Energiepreise einerseits und dem technologischen Fortschritt im Bereich der Wärmepumpen und Wärmeübertrager andererseits wird die Abwasserwärmenutzung zunehmend wirtschaftlich interessant. Entsprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt, sind Anlagen zur Abwasserwärmenutzung im Vergleich zu fossilen Heizanlagen schon heute betriebswirtschaftlich wettbewerbsfähig. Bei richtiger Planung und Ausführung entstehen weder für das Entwässerungssystem noch für die Abwasserreinigung Nachteile.

Auch wenn diese Heizungsanlagen zu niedrigeren Betriebskosten führen, bedarf es zunächst höherer Investitionen als bei konventionellen Gas- oder Ölheizungen. Positiv wirkt sich bei der Kostenvergleichsrechnung die lange Nutzungsdauer der Wärmeübertrager aus. Die Wartungskosten sind gering, da insbesondere bei Bauarten ohne mechanisch bewegte Teile kein Verschleiß auftritt. Die Energiekosten sind von der Bauart der Wärmepumpe (elektrisch oder gasbetrieben) abhängig sowie vom Betriebskonzept und oftmals wesentlich geringer als die der konventionellen Systeme. Beim Kinderhaus März-wiesen ist die zu erwartende Verschmutzung durch Ablagerung und Biofilm auf den Wärmeübertragern bei der Bemessung der Anlagengröße berücksichtigt, sodass dafür keine Wartung anfällt.

Der Wärmeabnehmer muss entscheiden, ob er die Realisierung in Eigenregie ausführen will oder erfahrene Contractoren für Planung, Bau und Betrieb anfragt. Die Stadt Rauenberg hat sich für die erste Möglichkeit entschieden. Thomas Glasbrenner, Leiter des Bauamts, schlüsselt die Kosten und Einsparungen folgendermaßen auf:

  • Die Gesamtbaukosten des Kinderhauses belaufen sich auf 2,545 Millionen Euro inkl. Außenanlagen und Honoraren. Die reinen Baukosten ohne Honorare liegen bei 2,1 Millionen.
  • Fördermittel wurden beantragt und gewährt vom Ausgleichstock (kommunaler Finanzausgleich), der Krippenförderung des Bundes sowie dem Konjunkturprogramm II. Derzeit beantragt, aber noch nicht beschieden sind Mittel aus dem Programm Klimaschutz-Plus der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA).
  • Die Kosten der Wärmeversorgungsanlagen inkl. Abwassernutzungsanlage belaufen sich auf insgesamt 0,194 Millionen Euro.

Die Amortisation der Abwassernutzungsanlage ist in Abhängigkeit der Energieteuerung und bei Bewilligung der noch fehlenden Fördermittel in elf Jahren möglich. Wird häufig die Grundlast mit erneuerbarer Energie und die Spitzenlast mit konventioneller Brennwerttechnik abgedeckt, so ist in diesem Fall ein monovalentes Heizsystem im Einsatz. Grund ist eine höhere Energieeinsparung.

Die Stadtverwaltung legt Wert darauf, dass im ersten Gebäude Rauenbergs mit Abwasserwärmenutzung die Öffentlichkeit an den Ergebnissen Anteil hat. Deshalb soll zukünftig permanent die erreichte Leistung durch Monitoring im Eingang des Kinderhauses Märzwiesen sichtbar werden.

Spotlight

Projektdaten

Das Projekt in der Schönbornstraße 28 in 69231 Rauenberg wurde im Dezember 2010 fertig gestellt. Bauherr ist die Stadt Rauenberg. Mit der Planung wurde das PSP Planungsbüro Schmitt & Partner GmbH in 69256 Mauer beauftragt.

Zahlenangaben zum Projekt:

Heizbedarf: 45 kW

Wärmepumpe: 2 Stck. Tecalor TTF 20 GM

Kanalquerschnitt: DN 1800

Abwassermenge: 15 l/s

Wärmeübertrager: Therm-Liner Form A

Lauflänge: 10 m

Entzugsleistung Abwasser: 36 kW

http://www.psp-ing.de

Weitere Beispiele

Für die Wärmegewinnung aus Abwasser gibt es zahlreiche weitere realisierte Projekte wie:

Paris, Schwimmbad Marranne (10 l/s, 92 kW Entzug)

Stuttgart-Bad Cannstatt, Terrot Areal (500 l/s, 120 kW Entzug)

Speyer, Yachthafen (90 l/s, 180kW Entzug)

Fürth, Rathaus (150 l/s, 215 kW Entzug)

Berlin, Neubau Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (10 l/s, 41 kW Entzug). Ein erstes Projekt wurde mit Direktverdampfer realisiert, d.h. der Wärmeübertrager im Abwasserkanal ist Bestandteil der Wärmepumpe und wird von Kältemittel durchströmt.

https://energie.uhrig-group.com/

Abwasser und EEWärmeG

Seit dem 01.01.2009 ist das Gesetz zur ­Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG) vom 7. August 2008 (BGBl. 1 Nr. 36 vom 18. August 2008, S. 1658) in Kraft. Laut EEWärmeG wird Abwasserwärme nicht als erneuerbare Energie eingestuft (§ 2 Abs.1), sondern als Abwärme (§ 2 Abs. 2).

Die Nutzung von Abwärme ist eine Ersatzmaßnahme, wenn der Wärmeenergiebedarf zu mindestens 50% aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme gedeckt wird (§ 7). Dabei ist eine Mindest-Jahresarbeitszahl gemäß der Anlage zum Gesetz, Abschnitt III und IV von 4,0 bei Nutzung der Wärmepumpe nur für Heizung und von 3,8 bei Nutzung für Heizung und Warmwasser zu erreichen.

Die modularen ­Elemente werden ­werkseitig an das Kanalprofil ­angepasst, sodass auch ­kleine ­Abwassermengen die ­Oberflächen ­vollflächig ­umströmen. Eine ­hohe ­Standardisierung sorgt für eine einfache ­Montage. ­Anlagen sind auch ­nachträglich erweiterbar. Das erste Pilotprojekt wurde 2006 realisiert.

Extras

Ein Faltblatt mit Checkliste zur Richtpreisermittlung der Wärmetauscher und weiteren Informationen zur Wärmegewinnung aus Abwasser stellen wir Ihnen zum Herunterladen bei den Extras zur Verfügung:

https://www.sbz-online.de/tags/extras-zum-heft

Autor

Dipl.-Ing. Klaus W. König ist Architekt und Fachjournalist für ökologische Haustechnik, 88662 Überlingen, Telefon (0 75 51) 6 13 05, kwkoenig@koenig-regenwasser.de, http://www.klauswkoenig.com