SBZ: Die Anforderungsniveaus werden mit der EnEV 2009 um durchschnittlich 30 Prozent verschärft. Hat das auch Auswirkungen auf die Kennwerte von Klima- und Lüftungsanlagen?
Händel: Klima- und Lüftungsanlagen haben eine große Bedeutung für den Energiebedarf. Drastisch verschärft werden in der EnEV 2009 die Anforderungen an die spezifischen Leistungsaufnahmen der Ventilatoren. So werden im Referenzgebäude abhängig von den Luftbehandlungsfunktionen statt bisher 1,25 bis 2,0 kW/(m³/s) nur noch 1,0 bis 1,5 kW/(m³/s) angesetzt. Diese Werte sind sehr ehrgeizig und werden in der bisherigen Praxis kaum eingehalten. Der Grund liegt meist in den engen Platzverhältnissen z.B. bei Zentralen, Verteilschächten und Zwischendecken. Hier sind kompetente Planer und Fachbetriebe gefragt, die die notwendigen Installationsräume frühzeitig im Baukörper definieren. Auch die Referenzwerte der Wärmerückgewinnung werden von 45 Prozent auf 60 Prozent verschärft. All diese Forderungen können auch durch andere Maßnahmen kompensiert werden.
Die neue Anforderung von § 15 gilt jedoch in jedem Fall. Damit wird für alle Klima- und Lüftungsanlagen ab 4000 m³/h eine Pflicht zur Wärmerückgewinnung eingeführt. Die Anforderungen der DIN EN 13053 Klasse H3 müssen für Neuanlagen und beim Tausch von Geräten eingehalten werden.
SBZ: Die DIN V 18599 mit Ausgabedatum Dezember 2009 erhält ein Ergänzungsblatt, den Teil 100. Was bringt dieser an Neuerungen für die Bewertung von Lüftungsanlagen?
Händel: Neben allgemeinen kleineren Korrekturen können mit diesen Ergänzungen erstmalig bedarfsgesteuerte Lüftungssysteme bewertet werden. Gerade die sensorgestützte Regelung des Luftvolumenstroms ist eine hervorragende Maßnahme, um den Energiebedarf zu senken und die Nutzerzufriedenheit zu steigern.
Auch die herstellerspezifischen Produktkennwerte für Kälteerzeugungssysteme auf Basis der DIN EN 14511 können nun in das Bewertungsverfahren einfließen. Damit können beispielsweise die Kennwerte Eurovent zertifizierter Kaltwassersätze für den Nachweis verwendet werden. Klarer definiert wird auch das Bewertungsverfahren für VRF-Systeme im Heizbetrieb.
Eine weitere wichtige Neuerung stellen die sogenannten Teilkennwerte dar. Für die Luftaufbereitung, die Kälteerzeugung und die Kaltwasserverteilung werden spezifische Kennwerte definiert, die eine Bewertung der Teilsysteme erlauben. Das erhöht die Transparenz des Gesamtverfahrens, da bei der Berechnung nach DIN V 18599 nun auch leicht zu erkennen ist, wenn bei den verschiedenen Anlagenteilen noch Verbesserungspotenziale bestehen. Welche Festlegungen aus der DIN V 18599 Teil 100 im Rahmen der EnEV 2009 berücksichtigt werden können ist noch nicht vollständig geklärt. Für die Energieberatung können diese Aspekt jedoch verwendet werden.
SBZ: In der EnEV 2007 gilt für die Kühlung von neu errichteten Wohngebäuden ein erhöhter Anforderungswert für den Primärenergiebedarf. Gekühlte Wohngebäude dürfen einen höheren Primärenergiebedarf aufweisen als ungekühlte. Hat sich daran in der EnEV 2009 etwas geändert?
Händel: Ja, der erhöhte Anforderungswert wurde gestrichen. Dies ist unverständlich, da in den bestehenden Anforderungswerten die Raumkühlung – wie auch die Beleuchtung – nicht berücksichtigt wurde. Grundsätzlich sollte im Rahmen einer Berechnung jeder Bedarf berücksichtigt werden. Erst dann ist es möglich, mit ganzheitlichen Systembetrachtungen eine energetisch günstige Lösung zu finden.
Wenn man den Kühlenergiebedarf ignoriert, wird dies dazu führen, dass Wohngebäude heizwärmeoptimiert werden und im Sommer zur Überhitzung neigen. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn dann von den Nutzern mobile Klimageräte gekauft werden, die eine schlechte Effizienz aufweisen und nicht im Bewertungsverfahren berücksichtigt werden. Das wäre, als ob man einen nicht berücksichtigten Heizwärmebedarf mit elektrischen Heizlüftern kompensieren würde.
SBZ: Die EnEV 2009 sieht für Wohngebäude alternativ zur DIN V 4701-10 die Anwendung der DIN V 18599 vor. Was unterscheidet die Bewertung von Lüftungsanlagen in Wohngebäuden mit der DIN V 18599 im Vergleich zur DIN V 4701-10?
Händel: Eigentlich nicht viel. Man muss statt der DIN V 4701-10 die Teile 5, 6, und 8 der DIN V 18599 heranziehen. Diese Teile der DIN V 18599 sind logische Fortschreibungen der DIN V 4701-10 und erlauben eine größere Vielfalt der Anlagentechnik, insbesondere bei Wohnungslüftungsanlagen. Durch die verbesserte Bewertung von Gewinnen und Verlusten ist mit der DIN V 18599 die Bewertung der gesamten Bandbreite von Gebäuden vom Bestandhaus bis hin zum Passivhaus möglich. Mit den Verfahren der DIN 4701-10 konnte ja eigentlich nur die Berechnung des Niedrigenergiehauses abgebildet werden.
SBZ: Welche Unterschiede in den Ergebnissen sind zwischen den Berechnungen mit der DIN V 18599 und der DIN V 4701-10 für RLT-Anlagen zu erwarten?
Händel: Die Rechenergebnisse unterscheiden sich manchmal sehr deutlich. Dies gilt besonders für z.B. für solarthermische Anlagen.
SBZ: Welche Vorteile hat die Anwendung der DIN V 18599 für Wohngebäude?
Händel: Wesentlich ist, dass es keinen Bruch in der Anlagentechnik gibt. Auch die Berechnung von gemischt genutzten Gebäuden ist dann einfacher. Derzeit muss man diese Gebäude mit zwei verschiedenen Verfahren bewerten. Das ist insbesondere bei Nutzungsänderungen immer aufwendig.
SBZ: Die EnEV 2007 hat erstmals eine Inspektionspflicht für Klimaanlagen vorgeschrieben. Wird das überhaupt in die Praxis umgesetzt?
Händel: Diese Regelung wird nur in Ausnahmefällen umgesetzt. Ich hatte in den letzten eineinhalb Jahren Gelegenheit, ca. 1500 Fachingenieure zu schulen, die in der EnEV für die Durchführung der Energetischen Inspektion benannt werden. Nur zehn gaben an, dass sie bereits Klimaanlagen im Geltungsbereich der EnEV inspiziert haben. Diese Zahl spricht für sich. Sie sehen, die Umsetzung von neuen Vorschriften braucht Zeit. Das Fachinstitut Gebäude-Klima hat für die komponentenbezogene Inspektion mit den Status-Reports Nr. 5 und 61 eine Grundlage für die Praxis geschaffen. Viele Betreiber benutzen diesen bereits.
SBZ: Von der energetischen Inspektion erhoffen sich viele Fachleute Sanierungsaufträge.
Händel: Man macht sich etwas vor, wenn man glaubt, dass die Inspektion von Klimaanlagen eine Sanierung einleiten kann. Erst wenn mehrere Randbedingungen zusammenkommen, wird gehandelt. Anders sieht es bei der Sanierung oder dem Tausch von Komponenten aus. Es ist durchaus sinnvoll, zu einem beliebigen Zeitpunkt den Ventilator für die Luftförderung zu untersuchen und – falls erforderlich – zu sanieren. Auch die Nachrüstung einer Wärmerückgewinnung ist eine lohnende Investition für die Umwelt und den Geldbeutel.
SBZ: Gibt es durch die EnEV 2009 Änderungen in der Inspektionspflicht für Klimaanlagen?
Händel: Grundsätzlich nicht. Die Betreiber wurden allerdings stärker in die Verantwortung genommen. Diese müssen künftig auf Verlangen geeignete Nachweise für die Inspektion vorlegen können. Damit sind die Betreiber klar als Verantwortliche für die Umsetzung benannt. Es ist aber nicht verständlich, warum die Inspektionspflicht nur für Klimaanlagen über 12 kW gelten soll. Dies ist in der EPBD und in der EnEV eigentlich unsinnig, da dieselben Argumente für die Energieeinsparung und das Sanierungspotenzial auch für Lüftungsanlagen gelten. Die absolute Anzahl dieser Anlagen, und damit auch deren Energiebedarf, ist jedoch viel größer.
SBZ: Nach Artikel 1 der europäischen Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) müssen auch die außenklimatischen Bedingungen und Anforderungen an das Innenraumklima berücksichtigt werden. In der EnEV wurde das bisher nicht umgesetzt. Was bedeutet das?
Händel: Der Energiebedarf von Gebäuden muss gemeinsam mit dem Raumkomfort bewertet werden. Es macht keinen Sinn, den Energiebedarf von Gebäuden gleicher Nutzung zu vergleichen, die einen unterschiedlichen Außenluftbedarf oder unterschiedliche Raumtemperatur und Feuchte sicherstellen müssen. In der DIN EN 15251 werden Verfahren definiert, wie der „Raumkomfort“ ermittelt werden kann.
Im Zusammenhang mit der EnEV bedeutet dies, dass bei einem Referenzkennwerteverfahren die wichtigen Größen Raumlufttemperatur, -feuchte und der Außenluftvolumenstrom beim Referenzgebäude und tatsächlichem Gebäude gleich sein müssen. In der EnEV 2007 wurde diesem Umstand bei Wohngebäuden Rechnung getragen. Bei verschiedenen anderen Nutzungen wie z.B. Bürogebäuden wurde der Kühlenergiebedarf im Referenzfall gleich Null gesetzt. Im Büro wird demnach ein Referenzwert ohne Kühlung mit einem tatsächlichen Kennwert mit Kühlung verglichen. Das ist grundsätzlich falsch. Es führt auch zu formellen Schwierigkeiten, da mit dem Referenzverfahren zukünftig das Anforderungsniveau erhöht werden wird. Für die Kühlung ist dies dann nicht möglich, weil weniger als Null nicht geht.
SBZ: Bisher wurde der Aspekt des Raumkomforts nicht in der EnEV umgesetzt. Berücksichtigt die EnEV 2009 den Raumkomfort bei der Bewertung?
Händel: Der Gesetzgeber hat in der EnEV 2009 definiert, dass 50 Prozent des Kühlenergiebedarfs z.B. in Bürogebäuden im Referenzgebäude angerechnet werden können. Warum das gerade 50 Prozent sind, ist physikalisch und technisch nicht nachvollziehbar.
Die Arbeitsgruppe Raumklima und Behaglichkeit im Fachinstitut hat einen Status-Report zur Bewertung des Raumklimas veröffentlicht, der auf eine einfache Weise Kriterien auf Basis der geltenden Normen definiert und darstellt. Denn zu jedem Energieausweis muss auch eine Komfortbewertung erarbeitet werden. Erst dann kann man die Energiebedarfskennwerte wirklich vergleichen.
SBZ: Vielen Dank Herr Händel, das waren jetzt viele Informationen, die es erstmal zu verdauen gilt.
Weiterführende Infos
FGK Status-Report Nr. 5: Energetische Inspektion von Lüftungs- und Klimaanlagen
FGK Status-Report Nr. 6: Energetische Inspektion von Kälteanlagen zur Klimatisierung
FGK Status-Report Nr. 17: Bewertung des Innenraumklimas