Mit Beginn der Pandemie wurde uns die Wucht einer exponentiellen Ausbreitung von Krankheitserregern deutlich vor Augen geführt. Gerade Bakterien vermehren sich exponentiell. Während sich die Anzahl von Legionella spec. in zwei bis vier Stunden relativ langsam verdoppelt, gibt es beispielsweise mit P. aeruginosa auch deutlich schnellere, die lediglich 20 Minuten für eine Verdopplung ihrer Anzahl benötigen. Mal angenommen, die theoretische Verdopplungszeit eines Bakteriums läge bei 60 Minuten. Damit würden aus einem Bakterium innerhalb von 24 Stunden rund 17 Millionen Bakterien. Sie können bequem in einem Milliliter umherschwimmen, denn sie sind nur zwei bis sechs tausendstel Millimeter klein (2 bis 6 µm). In dieser exponentiellen Vermehrung liegt aber auch der Erfolg respektive Misserfolg von Wasserwechseln begründet. Eine der Voraussetzungen für den Erhalt der Wassergüte ist ein regelmäßiger vollständiger Wasserwechsel über alle Entnahmestellen (vgl. VDI 6023 Blatt 1).
Aber auch eine weitere Voraussetzung muss erfüllt werden: Das nachströmende Trinkwasser muss einwandfrei sein. Sonst startet der exponentielle Vermehrungsprozess und die Grenzwerte für unterschiedliche Bakterien oder den technischen Maßnahmenwert für Legionellen gemäß Trinkwasserverordnung (TrinkwV) werden schnell überschritten.
Temperaturmessungen als „Frühwarnsystem“
Aktuell haben wir in Deutschland eine „reaktive“ Vorgehensweise: Werden Legionellen über dem technischen Maßnahmenwert ermittelt, muss unverzüglich eine Gefährdungsanalyse erstellt werden (§ 16 TrinkwV). In den Niederlanden geht man jetzt bereits einen anderen Weg. Dort sind prioritäre Gebäude definiert, zum Beispiel solche mit medizinischer Nutzung. Diese Gebäudetypen werden proaktiv begutachtet, also bevor eine Gefährdung eingetreten ist.
Diese proaktive Vorgehensweise wird zukünftig über Artikel 10 der neuen EU-Trinkwasserrichtlinie, spätestens in zwei Jahren, auch in Deutschland eingeführt werden. Damit wird der vom Umweltbundesamt (UBA) Ende 2020 veröffentlichte Wassersicherheitsplan (WSP) für Gebäude sicherlich eine breitere Anwendung finden als noch zurzeit. Insbesondere Temperatursensoren eignen sich für diesen proaktiven Ansatz als Frühwarnsystem, denn aus abweichenden Solltemperaturen kann eine spätere übermäßige Bakterienvermehrung vorzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen können rechtzeitig ergriffen werden. Es ergibt bereits heute Sinn, verstärkt Temperatursensoren an repräsentativen Stellen einer Trinkwasserinstallation einzubauen. Sie sind daher vor allem an den Stellen sinnvoll, an denen auch eine Trinkwasserinstallation „orientierend“ auf Legionellen gemäß DVGW W 551 überwacht wird.
Dieser proaktive Ansatz wird also in Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen, für bestimmte Liegenschaften wird er vorgeschrieben werden. Für alle Gebäude gilt: Es ist sinnvoller, eine Gefährdung zu vermeiden, als eine zu managen.
Wasserwechsel über Armaturen statt allein über Spülstationen?
Grundsätzlich sind Trinkwasserinstallationen so zu planen, zu bauen und zu betreiben, dass sie mindestens den „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ (a. a. R. d. T.) entsprechen (§ 17 TrinkwV). Das heißt gemäß VDI 6023 Blatt 1, der Gebäudebetreiber muss jede Entnahmestelle hygienekonform betreiben. Denn ansonsten gelangen Bakterien durch Stagnationswasser über ungenutzte Entnahmestellen in die Trinkwasserinstallation. Spülstationen allein können hier keine Abhilfe schaffen und nicht allein für den Erhalt der Wassergüte sorgen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie wirtschaftlich die Spülstationen sind. Denn „Spülstationen“ haben eine Literleistung von 2 l/min bis max. 15 l/min (zumeist 10 l/min), was der Spülleistung von 0,5 bis 3 Sanitärarmaturen entspricht. Doch Spülstationen können nur zusätzlich dort installiert werden, wo ein automatisierter Wasserwechsel sinnvoll ist. Denn sie befreien nicht von der Pflicht zum Wasserwechsel über die Entnahmestellen.
Damit stellt sich aber auch die Kostenfrage bei Anschaffung und Installation. Denn auch bei der Installation haben sie Nachteile: Spülstationen benötigen immer einen Netzanschluss, einen separaten Wasser- und Abwasseranschluss und sind daher oftmals kaum oder nur mit erhöhtem Aufwand nachrüstbar. Der Betreiber einer Trinkwasserinstallation hat dafür zu sorgen, dass im Trinkwasser keine Krankheitserreger „in Konzentrationen enthalten sind, die eine Schädigung der menschlichen Gesundheit besorgen lassen“ (§ 5 TrinkwV). Dieser „Besorgnisgrundsatz“ ist eine sehr weitreichende und umfassende Forderung. Obwohl die Trinkwasserverordnung hohe Anforderungen an das Trinkwasser stellt, bietet sie mit wiederkehrendem Bezug auf die a. a. R. d. T. Fachplanern, Fachhandwerkern und verantwortungsbewussten Betreibern von Trinkwasseranlagen hohe Ausführungssicherheit. Denn dieser Bezug bedeutet für alle Gebäudebetreiber und Verantwortlichen eine Art „Unschuldsvermutung“ und „Beweisumkehr“: Wer sich an die a. a. R. d. T. hält, darf davon ausgehen, dass das Trinkwasser auch an jeder Entnahmestelle im Gebäude die hohe Güte des Wasserversorgers aufweist.
Der bestimmungsgemäße Betrieb
Der bereits oben zitierte § 17 TrinkwV nimmt jeden Betreiber einer Trinkwasserinstallation explizit in die Pflicht, da dieser Paragraf auch für den Betrieb die Einhaltung der a. a. R. d. T. fordert. Voraussetzung für den Erfolg des bestimmungsgemäßen Betriebs ist eine bedarfsgerecht dimensionierte Trinkwasserinstallation gemäß DIN 1988-300. Der Begriff „bestimmungsgemäßer Betrieb“ definiert den Betrieb einer Trinkwasserinstallation, wenn alle 72 Stunden ein vollständiger Wasserwechsel in der Trinkwasserinstallation über alle Entnahmestellen erfolgt, also alle drei Tage. Weiterhin ist zu überprüfen, ob die Trinkwasserinstallation bei ausreichender Nutzung hygienisch einwandfreies Trinkwasser liefern kann. Dazu müssen nach Ablauf von 3 l Trinkwasser die Zieltemperaturen im PWC max. 25 °C und im PWH mind. 55 °C betragen, gemessen in 250 ml Wasser (VDI 6023 Blatt 1). Damit kann anhand dieser Zieltemperaturen überprüft werden, ob beispielsweise das aus den Steigleitungen nachströmende Trinkwasser bei einem bestimmungsgemäßen Betrieb hygienisch einwandfrei sein wird.
30-Sekunden-Regel der DIN 1988-200 für die Praxis ungeeignet?
Diese Messtechnik gemäß VDI 6023 Blatt 1 wird zukünftig die nicht exakt genug definierte Vorgehensweise gemäß DIN 1988-200, Abschnitt 3.6 „Betriebstemperatur“ ablösen müssen. Denn die DIN 1988-200 fordert lediglich eine Ablaufzeit von 30 Sekunden und hat damit zwei eklatante Schwächen.
Zum einen entsprechen diese 30 Sekunden oftmals nicht den maximal 3 l Volumen von Stichleitungen für PWH (DVGW W 551) und maximal 3 l Volumen für PWC (DIN 1988-200). Denn dazu müsste die Literleistung der beprobten Armatur exakt 6 l/min
betragen. Doch die Literleistung von Entnahmestellen reicht von 3 l/min (Waschtisch-Spar-Armatur) bis zu 24 l/min (Raindance). Damit entspricht sie einem Volumen von 1,5 bis 12 l in 30 Sekunden. Somit kann man dieselbe Stichleitung in einem Bad über unterschiedliche Entnahmestellen als regelwerkskonform oder auch nicht beschreiben. Zum anderen ist in der DIN 1988-200 nicht definiert, in welchem Volumen die Temperatur nach 30 Sekunden zu bestimmen ist. Man kann sie also in 10 ml oder gar in mehreren Litern messen. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass zwei wesentliche Festlegungen in der DIN 1988-200 Abschnitt 3.6 „Betriebstemperaturen“ fehlen und bereits jetzt die VDI 6023 Blatt 1 zu dieser Fragestellung belastbare Festlegungen enthält.
Elektronische Lösungen für den bestimmungsgemäßen Betrieb
Der bestimmungsgemäße Betrieb wird in öffentlichen und gewerblichen Objektbauten am personalschonendsten und damit wirtschaftlichsten durch die Installation von elektronischen Sanitärarmaturen an Entnahmestellen realisiert, die keiner regelmäßigen Nutzung oder vorhersehbaren Nutzungsunterbrechungen unterliegen. Denn viele elektronische Armaturen (wie sie z. B. Schell anbietet) sind in der Lage, mit entsprechender Einstellung 24 h nach der letzten Spülung eine Stagnationsspülung durchzuführen, Nutzungsunterbrechungen eigenständig zu erkennen und mit einer simulierten Nutzung (Stagnationsspülung 24 h nach letzter Nutzung) darauf zu reagieren. Sind die Armaturen über ein Wassermanagementsystem vernetzt, wie zum Beispiel über das SWS von Schell, gibt es weitere Möglichkeiten, wie automatisch programmierte Stagnationsspülungen, die gemäß Programmierung keinen personellen Einsatz vor Ort erfordern. Zusätzlich helfen Temperatursensoren an repräsentativen Stellen einer Trinkwasserinstallation als „Frühwarnsystem“ gegen spätere mikrobiologische Herausforderungen.
Fazit
Ohne einen regelmäßigen und vollständigen Wasserwechsel über alle Entnahmestellen ist die Trinkwassergüte in Gebäuden gefährdet. Insbesondere die Temperaturhaltung PWH und PWC gelingt dann nicht immer. Die Empfehlung geht eindeutig hin zum proaktiven Handeln: Zukünftig sollten die Trinkwassertemperaturen generell elektronisch erfasst werden. Durch die Schell-Lösungen, wie das zentral gesteuerte Wassermanagementsystem SWS mit dem Online-Service Smart.SWS, der eine Fernüberwachung möglich macht, werden Gefahren bereits heute schon rechtzeitig erkannt und notwendige Maßnahmen unmittelbar eingeleitet.
INFO
Ausführung zum rechtlichen Status von a. a. R. d. T.
Herr RA Prof. Dr. Wilrich führt in den DIN-Mitteilungen, 02/2021, S. 28/29, Folgendes aufgrund eines Verstoßes mit Todesfolge gegen die a. a. R. d. T. aus (OLG Düsseldorf, AZ. 10 W 235/16) „… strafrechtlich relevant sind nur Verstöße gegen Rechtspflichten, (DIN-)Normen sind aber rechtlich nicht zwingend. Das Gericht hätte zumindest kurz das Stichwort „Verkehrssicherungspflicht“ erwähnen und begründen können, dass (DIN-)Normen bei der Bestimmung des Inhalts dieser Sicherungspflicht … herangezogen werden. Die Grundaussage ist: wer den Verkehr … eröffnet, muss alles in der konkreten Situation Mögliche und Zumutbare tun, um Schäden zu vermeiden“. Vor diesem Hintergrund sollte die Fachwelt zwar vieles, aber nicht alles und in jeder Hinsicht aus einem Regelwerk übernehmen, wenn es sich sachlich als nicht belastbar herausgestellt hat. Dies kann sogar eine ganze Norm betreffen (vgl. Az. 12 U 73/18, Urteil vom 14. August 2019).
INFO
Kommunikationsfähige Armaturen und Systemlösungen
Grundsätzlich gibt es verschiedene Wege, die alle das gleiche Ziel verfolgen: den hygienisch einwandfreien Betrieb von Trinkwasserinstallationen. Eine Lösung ist der Einsatz des Schell SSC Bluetooth-Moduls. Hier können via App die Armaturen schnell und einfach parametriert werden, zum Beispiel vorgesehene Stagnationsspülungen. Weitaus mehr Optionen als solche Einzellösungen bieten Wassermanagementsysteme wie das Schell-Wassermanagementsystem SWS: Sie vernetzen verschiedene Komponenten wie elektronische Entnahmestellen und Temperatursensoren eines Gebäudes und ermöglichen somit die zentrale Erfassung und Steuerung aller Armaturenparameter. Das SWS eignet sich für den Neubau und den Bestand, da die Vernetzung flexibel via Funk und/oder Kabel erfolgen kann. Da fast alle elektronischen Armaturen des Anbieters seit vielen Jahren vernetzbar sind, kann das System problemlos nachgerüstet werden. Es ist das einzige System im Markt, das die Flexibilität bietet, die einzelnen Komponenten des Baukastensystems via Funk und/oder Kabel zu vernetzen. Neben den vorgeschriebenen Stagnationsspülungen funktioniert mittels SWS zum Beispiel auch der Leckageschutz, das heißt die Absperrung einer Installation, komplett automatisiert. Als Ergänzung zum Wassermanagementsystem wurde das Online-Tool Smart.SWS entwickelt. Der Vorteil: Ortsunabhängig können ein oder mehrere Gebäude „aus der Ferne“ umfangreich gesteuert und überwacht werden. Ohne das Gebäude zu betreten, ermöglicht es individuelle Anpassungen zum Beispiel an einen temporären Gebäudeleerstand und schnelles Handeln im Ernstfall.