Die Studierenden des dualen Studiengangs „BWL – Branchenhandel Bau, Haustechnik, Elektro“ führen seit 2011 regelmäßig im 1. Semester eine Betriebsanalyse von Handwerkern durch, auch 2021 wieder bei 20 unterschiedlichen Handwerksbetrieben. Die Studiengangsleitung hat dieses Jahr die Durchführung des Projekts wieder in die eigenen Hände genommen und will darüber die Chance nutzen, nach nunmehr zehn Jahren einen Jahresvergleich durchzuführen, um die erreichten positiven Veränderungen beim Handwerk aufzuzeigen und daraus auch Best-Practice-Ansätze und Potenzialbereiche abzuleiten.
Fakt 1: Das Handwerk hat aktuell goldenen Boden und die Kapazitäten reichen nicht für alle Baustellen aus.
Der gute Handwerker kann sich heute vor Aufträgen meist nicht retten. Dabei gibt es auf der einen Seite eine steigende Bautätigkeit, welche aber auch bis zum Jahr 2020 nur zu knapp mehr als 300 000 Neubauwohnungen geführt hat, wobei Mehrfamilienhäuser dabei deutlich zugelegt haben. Die Bundesregierung will den Bau weiter forcieren mit 400 000 neuen Wohnungen im Jahr, um über genügend Wohnraum gerade in den Städten die Steigerungen bei den Mieten zu begrenzen.
Aber dafür fehlt schlichtweg die Kapazität im Bauhandwerk. Der Handwerkermangel hat im Hinblick auf die Erzielung auskömmlicher Preise zu einer deutlichen Verbesserung für das Handwerk geführt. Und eine positive Veränderung ist nicht in Sicht, weil immer weniger Jugendliche ins Bauhandwerk streben und die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten zehn Jahren aus dem Handwerker-Arbeitsleben fallen. Dies ist aktuell das zentrale Problem der meisten Bauhandwerksunternehmen.
Dazu kommt, dass bei vielen Handwerkern das Jahr 2021 wirtschaftlich verhagelt wurde durch stark steigende Rohstoffpreise und die Knappheit von Holz, Stahl und vielen anderen Baumaterialien. Hohe Auftragsbestände mit Fixpreisen führten hier zu deutlichen Verlusten bei lang laufenden Projekten. Hier aber haben viele Handwerksunternehmer gelernt und achten nunmehr stärker auf Preisgleitklauseln, welche sich aktuell auch vielfach durchsetzen lassen.
Fakt 2: Kommunikation und Werbung des Handwerks bleiben ausgerichtet auf die Mund-zu-Mund-Propaganda, aber die digitale Komponente nimmt doch zu. Gerade im Coronakontext, in dem die klassischen Messen weggefallen sind.
In der Betriebsanalyse 2021 erkennt man eine deutliche Verbesserung bei den Homepages von Firmen und eine bessere Eingänglichkeit der Informationen. Auch die Auffindbarkeit und Sichtbarkeit hat sich weiter erhöht bei vielen Unternehmen. Darüber sind Betriebe somit im unpersönlicheren Kontext ausreichend sichtbar, auch weil sich fast alle Endverbraucher heute bei einer Entscheidung für einen neuen Handwerksbetrieb über das Internet informieren und die Entscheidung absichern.
Fakt 3: Außendarstellung über eigenen Standort verbessert sich weiter.
Die Visitenkarte des Handwerks ist der eigene Standort. Mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage geht die Chance einher, auch den eigenen Standort „aufzuhübschen“ und vielfach auch im ein oder anderen Fall einen attraktiven Neubau vorzunehmen. Allgemein wird mehr Wert auf Ordnung und Sauberkeit gelegt.
Fakt 4: Wohlfühlatmosphäre nimmt an Bedeutung zu. Sie wird heute nicht nur für Kunden, sondern auch für Mitarbeiter geschaffen.
Früher wurde nur Wert gelegt auf eine positive Kundenorientierung und eine Investition in die Kundengewinnung durch ein entsprechendes Ambiente mit den Besprechungs-, Ausstellungs- und Verkaufsräumlichkeiten. Inzwischen aber ist der Engpassfaktor im Handwerk das Personal. Dementsprechend wird hier gleichermaßen Wert auf eine positive Atmosphäre in den Mitarbeiterräumen gelegt. Gerade die Aufenthaltsräume werden signifikant aufgewertet, um für alle Mitarbeiter ein Wohlfühlumfeld zu schaffen, sowohl für das Büropersonal wie inzwischen auch gleichermaßen für die operativen Handwerker.
Fakt 5: Die Materialwirtschaft hat sich leider häufig nicht wirklich verbessert.
Fehlteile auf der Baustelle sind ein zentrales Störelement für die Produktivität. Leider hat sich dieser Bereich vielfach nicht wirklich verbessert über die Jahre hinweg. Klar ist, dass man vielfach auf den Großhandel setzt bei einer minimalen eigenen Verfügbarkeit. Gerade in den boomenden Ballungsräumen ist Lagerfläche sehr teuer und Betriebe versuchen, darauf so weit es geht zu verzichten. Dementsprechend gab es auch dieses Jahr bei der Bestandsaufnahme wieder eine Vielzahl von Bildern von vollkommen zugestellten Lagerbereichen, was im Kleinstbetrieb mit der Kenntnis, wo was hingestellt wurde, noch funktioniert, aber natürlich ein erhebliches Problem im Mittelstand darstellt.
Best Practice sind klare Entscheidungen für die lagerhaltigen C-Teile, welche über definierte Mindestbestände (möglichst schnell sichtbar am Lagerplatz über Abtrennung im Behälter) und Barcode-orientierte schnelle Bestellungen (mit vordefinierten Mengen) systematisch wieder aufgefüllt werden und sicher verfügbar sind für die anstehenden Reparaturen und Projekte.
Hier bieten insbesondere die C-Artikel-Lieferanten (wie Würth, Berner, Förch, Sprügel) aber auch inzwischen der klassische SHK-Großhandel entsprechende Systeme an, die ganz klar zu einer positiven Lieferantenbindung führen für den Handel, die aber auch die Arbeit der Materialwirtschaft beim Handwerk deutlich verbessern helfen. So gibt es zum Beispiel eine entsprechend ordentliche Lösung mit Magnetkarten, welche dann direkt zum Nachbestellen verwendet werden können. Empfehlenswert ist zudem eine klare Trennung der Regalfächer in Standardlager und Reservelager, sodass für jeden Mitarbeiter klar ist, dass beim Leeren des Standardlagers die Nachbestellung ausgelöst werden muss.
Es hat zudem den Anschein, dass der Unternehmer vom Sanktionieren beim Auftreten von Fehlteilen auf der Baustelle immer stärker Abstand nimmt, um keinen Mitarbeiter zu verärgern, wodurch sich naturgemäß die Situation nicht verbessert. Der normale Kunde versteht, dass das Materialhandling mit einem bestimmten, akzeptablen Zuschlagswert vergütet werden muss und dass es für eine umfassende Gewährleistung besser ist, wenn das Gesamtgewerk aus einer Hand kommt und es nicht durch eigene beigestellte Teile zu Problemen im Bauablauf und später zu Gewährleistungsdiskussionen kommt.
Fakt 6: Arbeitsplanung und Arbeitssteuerung sind heute digitaler und deutlich verbessert worden.
Die Planung und die Steuerung der Aufträge werden immer digitalisierter, was sich deutlich bei den Arbeitsunterlagen zeigt, aber auch der Personaleinplanung und der immer besseren Rückmeldung, heute in vielen Fällen digital über eine Smartphone-App. Allerdings vermeiden Unternehmer heute klare, transparente Zeitvorgaben an die Mitarbeiter und eine zugehörige leistungsorientierte Vergütung auf Zeitbausteinen, weil man nicht über ein zu striktes Management Mitarbeiter verlieren will.
Viele Unternehmen haben aber auch schlechte Erfahrungen gemacht mit teuren iPads für die Mitarbeiter, welche zu häufig den Belastungen im rauen Baualltag nicht gewachsen waren. Demgegenüber haben fast alle Mitarbeiter ihr Smartphone am Mann und können darüber digital die notwendigen Mindestinformationen automatisiert zugespielt bekommen und die notwendigen Rückmeldungen geben. Bei Kleinunternehmen gibt es aber weiterhin die klassischen Stundenzettel, die man sich vom Kunden unterschreiben lässt.
Best Practice ist eine hohe digitale Durchgängigkeit von der Angebotserstellung und Auftragsanlage, der Auslösung der Bestellungen hin zur terminlichen Einplanung und Zuweisung zum ausführenden Handwerker, der seine Zeiten und Arbeiten mit den eingebauten Materialien digital rückmeldet, um darüber dann die Abrechnung möglichst einfach zu ermöglichen.
Fakt 7: Das Fahrzeugmanagement ist weiter ein personenabhängiger Potenzialbereich.
Ordnung und Sauberkeit beim Fahrzeug sind weiter sehr personenabhängig. Tendenziell hat die verbesserte wirtschaftliche Situation im Handwerk dazu geführt, dass Unternehmer sich etwas neuere und bessere Firmenfahrzeuge leisten können und dies auch tun. Aber der Umgang damit und die Sauberkeit und Ordnung im Fahrzeug sind im Wesentlichen abhängig von den Mitarbeitern. Vielfach wird unterschätzt, welchen Eindruck Betriebe hier für die Allgemeinheit abgeben, wenn die Türen des Fahrzeugs offen sind und die Ordnung sichtbar wird.
Wichtig ist eine gewisse Grundordnung, die vorhanden sein sollte, um auch beim Kunden einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Außerdem: Fehlende C-Teile und fehlendes Werkzeug sind ein großes Ärgernis und führen häufig zu nennenswerten Produktivitätsverlusten, die jährlich immer wieder von den Studierenden beobachtet werden. Bei den gestiegenen Stundensätzen im Handwerk toleriert der Kunde eine geringe Produktivität immer weniger und ist nicht bereit, zusätzliche Anfahrten zu vergüten.
Best Practice ist eine klare Ordnung im Fahrzeug mit einem ebensolchen Bestandsmanagement, bei dem direkt oder angemessen die Kleinteile nachgefüllt werden, damit diese gerade bei Reparaturaufträgen ausreichend zur Verfügung stehen. Dies geht auch bei einem nicht so neuen Fahrzeug sehr gut und schafft ein positives Image bei aktuellen wie zukünftigen Kunden.
Fakt 8: Die Arbeit auf der Baustelle funktioniert sehr gut im Team – Druck auf Mitarbeiter scheint reduziert, Qualität geht vor Produktivität
Der Stellenwert des Mitarbeiters hat sich verändert, bedingt durch den Mangel an Fachpersonal. Damit einhergehend hat sich der eher mal raue Umgangston von Meister zu Mitarbeiter deutlich abgemildert, es wird viel stärker als früher Wert auf ein positives Miteinander gelegt, bei einer zielorientierten Arbeit. Der Umgang ist inzwischen kaum noch zu verbessern, was gleichermaßen für den Qualitätseindruck der Ausführung gilt. Letztendlich geht Qualität vor Vollständigkeit der geplanten Arbeitserledigung und Produktivität, weil der Mitarbeiter unverzichtbar geworden ist und sich weniger dominieren lässt als früher. Alternativen gibt es ja nicht, Facharbeiter sind am Bau Mangelware.
Fakt 9: Das Auftreten des Handwerkers beim Kunden hat sich weiter verbessert.
Das im Rahmen der Betriebsanalysen beobachtete traditionelle klassische Meisterhandwerk mit seinen steigenden Mitarbeiterkosten muss heute adäquat beim Endkunden auftreten und seine Tätigkeit auch positiv verkaufen. Dies ist wichtig, um sich dem Preiswettbewerb zu entziehen und auch rein von der Mund-zu-Mund-Propaganda leben zu können. Und: Gerade im privat orientierten Reparatur- und Renovierungsbereich sind die Ansprüche hoch, aber das Handwerk entzieht sich auch Ausschreibungen und Preisdruck erfolgreich. An dieser Stelle vermerkt die Erhebung eine deutlich positive Entwicklung und erreicht Spitzenergebnisse.
Fazit
Die Kundenorientierung wurde insgesamt deutlich verbessert, im vorgelagerten Marketingbereich wie auch auf der Baustelle. Betriebe legen aufgrund der aktuellen Situation mehr Wert auf Qualität denn Produktivität. Die letzten zehn Jahre hat die Mitarbeiterorientierung im Bauhandwerk mit dem immer stärkeren Facharbeitermangel deutlich an Bedeutung gewonnen. Vielfach werden hier von den Inhabern schon deutliche Kompromisse eingegangen, um überhaupt noch der vielen Aufträge einigermaßen Herr werden zu können.
Die Digitalisierung bietet für das Handwerk weiterhin erhebliche Potenziale, insbesondere bei kleineren Betrieben, welche laut Analyse aber hinterherhinken. Gerade für diese muss der Großhandel entsprechende Angebote und Hilfestellungen entwickeln, um die Betriebsorganisation zu digitalisieren und zu vereinfachen, besonders im Hinblick auf das Management der Aufträge und der zugehörigen benötigten Materialien. Hier gilt es sogenannte „Win-win-Positionen“ zu schaffen, bei denen die Produktivität auf der Baustelle verbessert wird, um den allgemeinen Handwerkermangel etwas zu vermindern. Gerade das Materialmanagement mithilfe des Großhandels birgt Potenzial für das Handwerk, aber auch den Großhandel, was das Problem von Fehlteilen und Fehlzeiten auf den Baustellen deutlich senken kann.
Unterm Strich gilt heute mehr denn je: Exzellent aufgestellte Handwerksunternehmen schaffen eine positive Grundstimmung bei den Fachkräften und ziehen potenzielle neue Mitarbeiter an. Und sie schaffen über den positiv gestimmten Umgang mit und unter Kollegen auch eine gute Organisation der Betriebsabläufe und letztlich eine hohe Produktivität. Dies ermöglicht eine gute Bezahlung der Mitarbeiter, was wiederum die Bindung erhöht.
Die Digitalisierung wird weiter zunehmen, auch bei kleinen Betrieben, welche dies alleine vielfach kaum stemmen können. Zusammen mit dem Großhandel oder mit Einkaufskooperationen verbessern sich die Perspektiven deutlich.
INFO
Studiengang und Branche
meets Hochschule
Der Studiengang BWL – Branchenhandel Bau, Haustechnik, Elektro an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mosbach ist ein dualer BWL-Studiengang der Branche, unterstützt vom Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der Bauwirtschaft BW, der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft (VDS), dem Deutschen Großhandel Haustechnik (DGH), dem ZVSHK und dem Bundesverband Elektrogroßhandel (VEG). Der dreijährige Intensiv-Studiengang schließt mit dem Bachelor of Arts (210 ECTS) ab und bietet den Unternehmen der Branche (Herstellern, Großhandel und Handwerk) die Chance, ohne Studiengebühren sehr gute Abiturienten als Nachwuchskräfte zu integrieren und fertige kaufmännische Azubis weiterzuentwickeln. Neu seit 2018 sind sechs funktionale Vertiefungen als Wahloptionen: E-Commerce, Marketing und Vertrieb klassisch, Internationaler Vertrieb, Logistik, Finanzen und Controlling, Führung und Personal. Der Studiengang führt regelmäßig das Handwerkerprojekt, aber auch weitere Projekte wie z. B. Marktforschungen durch und versucht jährlich eine Tagung „Branche meets Hochschule“ zu organisieren, um Problembereiche zu thematisieren und zu diskutieren zum Nutzen der Unternehmen.