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Erkenntnisse aus dem SBZ-Praxistest

„Spitzenwerte liegen über 24 bar“

Inhalt

SBZ: Druckstöße in der Trinkwasserinstallation sind ja nicht unbedingt ein neues Thema für Sie. Wie lange kennen Sie schon das Phänomen?

Prof. Hans Messerschmid: Das Thema an sich ist in der Tat nicht neu. Bei großen Leitungsanlagen in der kommunalen und überregionalen Trinkwasserversorgung und auch im Bereich von Wasserkraftanlagen kam es schon in der Vergangenheit immer wieder zu ernsten Problemen, weil durch schnell schließende Armaturen Druckschläge ausgelöst wurden, die große Schäden an der Leitungsanlage verursacht haben.

Bei Trinkwasserinstallationen in Gebäuden wird das Thema von der Fachwelt noch nicht richtig wahrgenommen, obwohl es auch hier schon gelegentlich zu größeren Schäden kam und es für einige Armaturen bereits Regelwerke gibt, die Grenzwerte für Druckschläge vorgeben.

SBZ: Zum Beispiel?

Messerschmid: Ich hatte damit schon im Rahmen von Schadensgutachten zu tun. Dabei gab es in einem Fall im Gebäude einer Nutzerin unerklärliche, stark klopfende Geräusche, verbunden mit der kuriosen Situation, dass sich der Brauseschlauch in der Dusche ruckartig bewegt hat. Die Nutzerin hatte dann Bedenken, dass etwas in der Anlage kaputt ist. Ein eher harmloser Fall. Die Ursache war eine sehr schnell schließende Küchenarmatur in der Einliegerwohnung des Gebäudes. Das Geräusch kam von einem Rückschlagventil, das durch den Druckstoß zu klopfen und schlagen begann. Der Brauseschlauch in der Dusche wurde dabei gleichzeitig gedehnt und begann sich deshalb an der Wand zu bewegen.

Bei einem anderen Fall wurde durch einen schnell schließenden Einhebelmischer eine so starke Druckwelle in der Trinkwasserinstallation ausgelöst, dass die Kunststofftasse des Feinfilters zu Bruch ging. Wasser strömte dann längere Zeit unbemerkt im Heizraum aus und führte zu einem Wasserschaden. Das war dann im Vergleich zum ersten Fall deutlich teurer und ging vor Gericht.

SBZ: Seit wann beschäftigen Sie sich in diesem Zusammenhang mit Einhebelmischern?

Messerschmid: Durch meine Schadensgutachten interessierte ich mich zunehmend für das Phänomen der Druckschläge. Vor einigen Jahren konnte ich dann einen Studenten davon überzeugen, dass er im Rahmen seiner Bachelorarbeit für unser Labor einen Prüfstand konzipiert und baut, mit dessen Hilfe Druckschläge an Einhebelmischern gemessen werden können. Dieser Prüfstand entspricht in der wesentlichen Ausstattung den einschlägigen Regelwerken, sodass damit DIN-konforme Produkttests durchgeführt werden können. 2019 kam dann die SBZ auf mich zu mit der Idee, an mehreren Waschtisch-Einhebelmischern verschiedener Hersteller das Druckstoßverhalten zu untersuchen. Das war der Beginn dieser nun hier vorgestellten Messserie.

SBZ: Mit dem SBZ-Praxistest haben Sie nachgewiesen, dass Einhebelmischer durchaus für Wasserschläge verantwortlich sein können, die jenseits der bekannten Grenzwerte für Druckbelastung im Installationssystem liegen. Wie überrascht waren Sie, dass eine hohe Zahl der getesteten Armaturen die Maximalwerte überschritten hat?

Messerschmid: Wir waren natürlich sehr überrascht über die negativen Ergebnisse.

SBZ: Wie sind Sie vorgegangen?

Messerschmid: Druckstöße breiten sich in Rohrleitungen wellenförmig aus, ähnlich einer Schallwelle. Dabei gibt es positive und negative Druckspitzen. Nach DIN 1988-200 darf die Summe aus Druckstoß und dem vorhandenen Ruhedruck den zulässigen Betriebsüberdruck der Trinkwasserinstallation, also 10 bar, nicht übersteigen. Dabei darf die Höhe des positiven Druckstoßes nicht höher sein als 2 bar. Der negative Druckstoß darf 50 % des anliegenden Fließdruckes nicht unterschreiten. Auch die europäische DIN EN 806-2 [3] besagt, dass die Summe aus Betriebsüberdruck und Druckstoß den Prüfdruck der Installation nicht überschreiten darf; also eine eher unspezifizierte Festlegung. Aus der Physik des Druckstoßes ist erkennbar, dass die Schließzeit der Armatur einen entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Druckwelle hat.

Wir haben uns deshalb überlegt, wie schnell ein Nutzer üblicherweise eine Armatur schließt. Aufgrund sehr kleiner Hebelwege an den meisten Armaturen haben wir bei mehreren Tests Schließzeiten von ca. 100 Millisekunden gestoppt. Diese Zeit haben wir für die darauffolgenden Testreihen festgelegt. Wenn jemand die Armatur sehr schnell schließt, also wenn beispielsweise ein Kind auf den Hebel der Armatur schlägt, reduziert das die Schließzeit auf ca. 20 Millisekunden. Auch diese Zeit haben wir für die Tests zugrunde gelegt. Wir haben außerdem alle Tests mit Fließdrücken von 3 bar und 5 bar durchgeführt, also ebenfalls durchaus übliche Werte, wie sie in der Installation vorkommen.

Außerdem wurden die Versuche jeweils in der Hebelstellung „kalt“ und „mittel“ ausgeführt. Insgesamt hat keine der Armaturen, selbst bei dem kleineren Fließdruck und der längeren Schließzeit, einen positiven Druckstoß mit weniger als 2 bar erreicht, so wie es DIN 1988-200 fordert.

SBZ: Auch die Intensität der Druckstöße war so nicht vorhersehbar?

Messerschmid: Nicht in dieser Höhe. Zwar hat bei dem niedrigeren Fließdruck von 3 bar und der längeren Schließzeit von 100 Millisekunden nur eine Armatur den Wert von 10 bar geringfügig überschritten, jedoch bei gleichem Fließdruck und der kürzeren Schließzeit von 20 Millisekunden lagen über die Hälfte der Armaturen über 10 bar. Beim höheren Fließdruck und der längeren Schließzeit lagen mehr als zwei Drittel der Armaturen über 10 bar und bei der kurzen Schließzeit haben sämtliche 32 Armaturen Druckstöße von über 10 bar erzeugt. Die Spitzenwerte lagen bei sage und schreibe über 24 bar.

SBZ: Der Test hat deutlich gemacht, dass es punktuell zu hohen Druckbelastungen kommen kann. Ist das mit Blick auf den herkömmlichen Gebrauch von Einhebelmischern noch akzeptabel?

Messerschmid: Nein, natürlich nicht. Wenn die allgemein anerkannten Regeln der Technik einen maximalen Druck von 10 bar in der Trinkwasserinstallation zulassen und deshalb auch deren Bauteile nur für diesen Druck zugelassen und ausgelegt sind, dann sind solche Druckspitzen, auch wenn sie nur sehr kurze Zeit auf die Materialien einwirken, nicht zu akzeptieren.

SBZ: Ein Zusammenhang zwischen den hohen Druckausschlägen und kleineren Undichtigkeiten oder gar ernsten Wasserschäden in der Trinkwasserinstallation ist damit nicht mehr auszuschließen?

Messerschmid: Ja, wie bereits in meinem eingangs beschriebenen Gutachten kann es durch ein plötzliches Materialversagen infolge eines Druckstoßes zu einem Wasserschaden kommen. Hiervon betroffen können also solche Bauteile wie Filtertassen, Wasserzähler, Trinkwasserspeicher oder in der Installation eingesetzte Schläuche sein. Jedoch nicht nur Bauteilversagen spielt im Zusammenhang mit Druckschlägen eine wichtige Rolle, sie können auch zu Lärmbelästigungen führen, indem Rohrhalterungen oder Rückflussverhinderer in Schwingung geraten und laute Schläge und Klopfgeräusche in der Trinkwasserinstallation verursachen.

SBZ: Macht es einen Unterschied, ob es sich um Neubauten handelt oder um bestehende Gebäude, in denen z. B. Einhebelmischer im Zuge einer Modernisierung installiert wurden?

Messerschmid: In älteren Gebäuden, in denen noch verzinkte Stahlleitungen verbaut sind, besteht meines Erachtens eine größere Gefahr, dass es bei Druckschlägen zu Undichtheiten und damit zum Wasseraustritt kommen kann, weil solche Leitungen im Laufe der Jahrzehnte durch Korrosion dünnwandiger geworden sind. Manchmal reicht hierbei bereits ein kleiner Druckanstieg aus und das Rohr bricht vollends durch. Oder in den durch Lochkorrosion bereits vorgeschädigten Leitungen bilden sich kleine Löcher.

SBZ: Mit all diesen neuen Erkenntnissen ausgestattet, zu welchem Vorgehen würden Sie dem Fachhandwerk künftig raten?

Messerschmid: Für WC- und Urinaldruckspüler sowie Füllventile für Spülkästen gibt es bereits europäische und deutsche Prüfnormen, bei denen diese auf ihr Druckstoßverhalten geprüft werden. Auch für Sanitärarmaturen mit elektronischer Öffnungs- und Schließfunktion, wie sie beispielsweise in Wasch- und Geschirrspülmaschinen oder in Armaturen mit Näherungselektronik vorkommen, sind Prüfregeln etabliert. Insofern empfehle ich dem Fachhandwerk, nur solche Armaturen zu verwenden, bei denen solche Prüfungen nachgewiesen sind.

Schwieriger ist es bei den Einhebelmischern für Waschbecken, Dusche, Wanne oder Küchenspüle. Für diese gibt es derzeit noch keine eigenständige Prüfung für das Druckstoßverhalten. Um sicherzugehen, dass durch solche Armaturen keine Schäden zu befürchten sind, sollte sich der Fachhandwerker vom Hersteller bestätigen lassen, dass seine Armatur keine höheren Druckstöße verursacht als nach DIN 1988-200 oder EN 806-3 zulässig.

SBZ: Was empfehlen Sie darüber hinaus der Armaturenindustrie?

Messerschmid: In Deutschland gilt das Produktsicherheitsgesetz. Darin wird gefordert, dass Produkte nur auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen, wenn sie die vom Hersteller vorgesehenen Anforderungen erfüllen und die Sicherheit und Gesundheit bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung nicht gefährden. Bei der Beurteilung, ob ein Produkt den Anforderungen dieses Gesetzes entspricht, können Normen zugrunde gelegt werden. Eine solche gibt es derzeit für die zuvor genannten Einhebelmischarmaturen nicht. Zwar gab es mit DIN 3448 „Einhandmischer; Druckstoßverhalten; Anforderung und Prüfung“ bereits einen Entwurf, dieser wurde jedoch 2005 ersatzlos zurückgezogen.

Ich empfehle der Armaturenindustrie deshalb, sich an der Erarbeitung einer solchen Prüfnorm zu beteiligen, damit Kunden und auch Fachhandwerker davon ausgehen können, dass die Produkte sicher sind und Schäden wie zuvor beschrieben ausgeschlossen werden können. Auch für die Armaturenindustrie hat eine solche Prüfnorm Vorteile. Man kann mit geprüfter Qualität werben und sollte es trotzdem zu einem Schadensfall kommen, kann es im Einzelfall sehr hilfreich sein nachzuweisen, dass bei der Herstellung die gängigen Normen Anwendung fanden. Der Nachweis einer qualifizierten Prüfung nach Norm kann auch dazu führen, dass unseriöse Hersteller vom Markt ferngehalten werden.

SBZ: Herr Messerschmid, vielen Dank fürs Gespräch!

Der Prüfstand im Labor der Hochschule Esslingen wurde konzipiert und gebaut, um Druckschläge an Einhebelmischern zu messen. Er entspricht in der wesentlichen Ausstattung den einschlägigen Regelwerken, sodass damit DIN-konforme Produkttests durchgeführt werden können.

Bild: SBZ

Der Prüfstand im Labor der Hochschule Esslingen wurde konzipiert und gebaut, um Druckschläge an Einhebelmischern zu messen. Er entspricht in der wesentlichen Ausstattung den einschlägigen Regelwerken, sodass damit DIN-konforme Produkttests durchgeführt werden können.

INFO

Bild: HS Esslingen

Laborgebäude und Prüfstelle

Klimawandel, Energiewende, Ressourcenknappheit, Luft- und Wasserverschmutzung – diesen gesellschaftlichen Herausforderungen widmet sich die Fakultät Gebäude-Energie-Umwelt (GU) der Hochschule Esslingen. Mit dem Neubau des Labors verfolgt sie den Anspruch, Nachhaltigkeit beim Bauen umzusetzen, um Energie in der Gebäudetechnik möglichst effizient einzusetzen und dies in der Lehre auf anschauliche Weise zu vermitteln. Durch die geringe Fensterfläche und die hocheffiziente Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sind der Heiz- und Kühlbedarf sehr gering. Die kombinierte Photovoltaik-Hybridanlage und Solarthermieanlage sowie die Gebäudetechnik sind so ausgelegt, dass sie den Energiebedarf des Gebäudes für Heizung, Kälte, Lüftung und Beleuchtung nahezu vollständig decken können. Das Gebäude mit seinen Laborflächen wird über die Decken (thermisch aktive Bauteile) beheizt und gekühlt. Zudem werden die Räume mechanisch be- und entlüftet.

Die in den Laboren im Rahmen der Versuche erzeugte Energie in Form von Wärme oder Kälte wird auf verschiedenen Temperaturniveaus in einem 30-m³-Speicher gespeichert und kann für die Energieversorgung des Gebäudes, aber insbesondere auch für den Betrieb anderer Prüfstände, genutzt werden. Der große Schichtenspeicher kann in Versuchsständen für Wärmeerzeuger wie z. B. Wärmepumpen oder Brennstoffzellenheizgeräte als variable Quelle und Senke für Wärme und Kälte genutzt werden. Dadurch können diese Wärmeerzeuger in Emulationen unter verschiedensten realitätsnahen und reproduzierbaren Randbedingungen betrieben und so Betriebsverhalten und Effizienz in unterschiedlichen Szenarien untersucht werden. Über ein Nahwärmenetz können zudem zwei angrenzende Gebäude der Hochschule mit Überschusswärme aus dem Speicher versorgt werden. Spitzenlasten werden über die vorhandene Fernwärmeanbindung abgedeckt. Zukünftig soll ein Eisspeicher, der in die Versuche eingebunden werden kann, die Systeme ergänzen.

Zur Ausstattung zählen weiter ein Abwasserturm zur Verdeutlichung der Abwasserhydraulik und ein Schalllabor. Eine Anzahl weiterer Versuchsstände wie z. B. ein Zirkulationsprüfstand, ein Teststand zur Visualisierung von Strömungsvorgängen in Schichtladespeichern, diverse mit unterschiedlichen Energieträgern versorgte Wärmeerzeuger sowie eine Lüftungsanlage bieten den Studierenden die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln.

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