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Interview

Geht Lüften auch ohne Ventilator?

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SBZ: Herr Solcher, die immer dichteren Gebäudehüllen haben deutliche Auswirkungen auf die Qualität der Raumluft. Ist zu erwarten, dass sich daraus auf europäischer Ebene Verpflichtungen zu bestimmten Lüftungssystemen ergeben? Werden Bauherren oder Wohnungsnutzer also in Zukunft zum Lüften gezwungen?

Oliver Solcher: Generell führt die dichtere Gebäudehülle zu unzureichenderer Raumluftqualität. Die EU-Kommission gibt daher vor, man solle bei Maßnahmen am Gebäude darauf achten, dass nicht nur die Energieeffizienz gesteigert wird, sondern auch die Raumluftqualität. Dass eine unzureichende Innenraumluftqualität durch geeignete Maßnahmen, konkret durch den Mindestluftwechsel, vermieden werden muss, stand aber schon immer in der Europäischen Gebäuderichtlinie EPBD (Anm. der Redaktion: Energy Performance of Buildings Directive). Auch die Energieeinsparverordnung enthält den Passus, dass ein Mindestluftwechsel sichergestellt sein muss.

SBZ: Wie aber soll dieser Mindestluftwechsel sichergestellt werden? Reicht in bestimmten Fällen eine konventionelle Fensterlüftung aus oder muss in jedem Fall eine Lüftungsanlage vorhanden sein?

Solcher: Es gibt Kollegen, die durchaus meinen, dass dazu eine ventilatorgestützte Lüftung vorhanden sein muss, aber wo ist der Unterschied zwischen dem Schalter einer Lüftungsanlage und einem Fensterknauf? Auch eine Lüftungsanlage kann ich abstellen oder manipulieren.

Wenn die Anlage jedoch planmäßig läuft, wird die Lüftung natürlich wesentlich einfacher und deutlich effektiver sein als diejenige über manuelles Fensteröffnen. Die Forderung aus der EnEV nach einer Sicherstellung eines Mindestluftwechsels kann nicht nur mit einer ventilatorgestützten Lüftung erfüllt werden, sondern neben der nutzerunabhängigen freien Lüftung auch über zu öffnende Fenster. Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Die EnEV setzt auf Technologieneutralität. Auch wenn die EnEV über das Abluftsystem in der Referenzausstattung zeigt, für wie sinnvoll der Verordnungsgeber die ventilatorgestützte Lüftung hält, kann der Mindestluftwechsel weiterhin auch über die Fensterlüftung erfolgen. Das heißt, es obliegt dem Planer, seinen Auftraggeber ausreichend über das für und wider der verschiedenen Systeme aufzuklären, damit dieser anschließend das für ihn und sein Bauvorhaben sinnvolle Konzept wählen kann.

SBZ: Sobald ich KfW-Förderprogramme in Anspruch nehmen will, ist die ventilatorgestützte Lüftung aber vorgeschrieben ?

Solcher: Nein, auch die KfW folgt dem Prinzip der Technologieneutralität. Ich kann Effizienzhäuser derzeit mit jeglichem Lüftungssystem bauen. Bewertet wird wie bei der EnEV nach dem erzielten Primärenergiebedarf. Die einzigen Ausnahmen stellen das Lüftungspaket und das Effizienzhaus 40 Plus dar. Dort ist ein Zu-/Abluftsystem mit Wärmerückgewinnung vorgeschrieben.

SBZ: Die DIN 1946 Teil 6 gibt vor, dass für jedes neue und umfangreich sanierte Wohngebäude ein Lüftungskonzept erstellt werden muss. Setzt dieses Lüftungskonzept in jedem Fall eine ventilatorgestützte Lüftung voraus?

Solcher: Es wird tatsächlich immer wieder behauptet, die DIN 1946-6 fordere in jedem Fall eine ventilatorgestützte Lüftung. Das stimmt natürlich nicht. Der Bauherr ist komplett frei in der Wahl seines Lüftungssystems. Die einzige Forderung, die die DIN 1946-6 stellt, ist eine nutzerunabhängige Lüftung zum Feuchteschutz. Wie der Planer diese realisiert, schreibt die Norm nicht vor. Ich selbst halte im Rahmen des Lüftungskonzepts die Sicherstellung der nutzerunabhängigen Lüftung zum Feuchtschutz für äußerst sinnvoll, weil sie den Nutzer aus der Verantwortung für den Minimalluftwechsel befreit. Der Bautenschutz ist so gewährleistet.

Rein baurechtlich gesehen kann man das Gebäude aber auch ohne Lüftungsanlage bauen. Die Lüftbarkeit von Wohnungen ist über die Landesbauordnungen an die Fenster gekoppelt – funktionieren wird das Lüften aber nur, wenn der Nutzer das Fenster auch ausreichend lange öffnet. Und wie sich der Energieverbrauch verhält, kann natürlich ebenfalls schwer vorhergesagt werden, weshalb die Fensterlüftung im öffentlich rechtlichen Nachweis schlechter bewertet wird.

SBZ: Das heißt, ein sinnvolles Lüftungskonzept hängt stark von der Nutzung ab?

Solcher: Ja natürlich. Die erste Frage, die man bei der Konzeption stellen sollte, lautet: „Wer wohnt denn da später und wie verantwortungsvoll gehen die Nutzer mit der Immobilie um?“ Handelt es sich um ein Penthouse auf dem Dach mit einer sehr geringen Belegung oder um eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau, in der zudem noch ständig Personen anwesend sind wie z. B. Mutter, Kind und die hilfsbedürftige Großmutter. Selbst genutztes Eigentum kann anders behandelt werden als Mietwohnungen, denn man sagt ja „Eigentum schützt vor Schimmel“. Aber was passiert mit dem Eigentum, das ich hinterher vermiete? Natürlich wissen wir während der Planungsphase nicht, wie die Wohnung später genutzt wird. Genau aus diesem Grund fordert die DIN 1946-6 grundsätzlich mindestens eine nutzerunabhängige Lüftung zum Feuchteschutz. Damit ist man auf der sicheren Seite. Natürlich kann man ausschließlich mit Fensterlüftung planen, aber wenn ein Schaden auftritt, kann im Streitfall die DIN 1946-6 herangezogen werden. Dann wird man nach einem Lüftungskonzept und einer nutzerunabhängigen Lüftung zum Feuchteschutz fragen.

SBZ: Was ist nach einer Gebäudesanierung zu beachten? Wie muss ich die Belüftung nach dem Einbau neuer Fenster oder generell nach einer Wärmedämmung anpassen?

Solcher: Wurde ein Gebäude abgedichtet, muss das Lüftungsverhalten komplett verändert werden. Durch den Einbau dichter Fenster und die Modernisierung des Daches entfällt im Einfamilienhaus die Auftriebslüftung komplett. Im unsanierten Zustand wird durch die Leckagen an den alten Fensterfugen und im Dach ein Luftaustausch durch thermischen Auftrieb erfolgen. Bei einem 8 m hohen Gebäude und einer Temperaturdifferenz zwischen innen und außen von 20 K beträgt der Unterdruck im unteren Gebäudebereich ungefähr minus 3 Pa und der Überdruck im oberen Bereich des Gebäudes ungefähr plus 3 Pa. Das heißt, allein durch die Leckagen wird ein steter Volumenluftstrom durch das Gebäude erreicht. Nach dem Abdichten aufgrund des Einbaus neuer Fenster bzw. einer Modernisierung des Daches ist dieser Volumenstrom nicht mehr gegeben. Also muss mehr gelüftet werden, denn automatisch findet kein Luftaustausch mehr statt.

Besonders kritisch ist dabei die Teilmodernisierung eines Gebäudes, bei der z. B. in einem unveränderten Gebäudebestand neue Fenster eingebaut werden. Hier kommt das Problem einer grundlegend veränderten Bauphysik dazu. Die Wandoberflächen sind weiterhin relativ kalt und die Fensteroberfläche wärmer, vorher war es umgekehrt. Jetzt noch mit einer Fensterlüftung die notwendige Feuchtigkeit heraus zu transportieren ist äußerst schwierig. Das erledigt ein nutzerunabhängiges Lüftungssystem deutlich sicherer. Grundsätzlich muss aber gesagt werden, dass das Lüftungssystem hier nur lindern kann. Eine sinnvolle Modernisierung der Gebäudehülle sieht die Ertüchtigung von Außenwand, Fenster und Dach vor.

SBZ: Sie haben gerade ausgeführt, dass ventilatorgestützte Lüftungssysteme verlässlich für den notwendigen Mindestluftwechsel sorgen. Daneben gibt es aber noch eine zweite Forderung an das Lüftungssystem, nämlich die Steigerung der Energieeffizienz. Kann eine ventilatorgestützte Lüftung diesen Anspruch auch in jedem Fall erfüllen?

Solcher: Der energetische Aspekt ist ja eine andere Motivation. Der Bauträger hat u. U. andere Gründe dafür, ein Lüftungssystem einzubauen als der Bauherr. Um Energiekosten zu minimieren, stehen verschiedene Möglichkeiten offen, angefangen von der intelligenten Regelung nach dem Lüftungsbedarf bis hin zur Wärmerückgewinnung. Unter energetischen Gesichtspunkten muss der Lüftungswärmebedarf reduziert werden. Dass eine Lüftungsanlage die Fortluft nicht einfach nach draußen bläst, sondern der Abluft Wärme entnimmt, ist hier sehr sinnvoll. Diese Wärme kann ich dann unterschiedlich nutzen, zum Beispiel zur Erwärmung des Trinkwassers oder auch der Zuluft. Das wird bei der Zu- und Abluftanlage mittels eines Wärmeübertragers direkt gemacht, aber auch eine Abluftanlage kann über eine nachgeschaltete Wärmepumpe die Abluftwärme nutzen. Ob der Warmwasserspeicher dafür das Richtige ist oder ob ich dazu das Erdreich oder eine andere Speichermöglichkeit nutze, das muss die Planung entscheiden.

Aufgrund dieser Möglichkeiten werden auf Dauer immer häufiger ventilatorgestützte Lüftungssysteme genutzt werden. Wenn ich heute ein Gebäude modernisiere und mich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht um eine Lüftungsanlage kümmern will, sollte ich zumindest die Peripherie vorsehen und schauen, wie ich später nachrüsten kann. Wenn ich jetzt allein auf die freie Fensterlüftung setze, wird das für die Zukunft schwierig.

SBZ: Können Sie etwas zu den Vor- und Nachteilen moderner dezentraler Lüftungsgeräte sagen?

Solcher: Es gibt ja verschiedene dezentrale Lüftungsgeräte. Zu-/Abluftgeräte, die den Luftaustausch mittels einem Gerät ermöglichen, und Zu-/Abluftgeräte, die paarweise arbeiten. Zurzeit werden häufig alternierende, dezentrale Zu- und Abluftgeräte eingebaut, die sogenannten Pendellüfter. Das System arbeitet paarweise, das heißt, ich muss zwei Geräte einbauen, die im Wechsel arbeiten. Sie enthalten einen Speicherbaustein, der sich mit der Wärme der Abluft auflädt. Nach kurzer Zeit (i.d.R. ca. 70 Sekunden) dreht der Ventilator seine Drehrichtung. Dann wird der Speicherbaustein durch die nun einströmende Außenluft entladen. Der Speicher gibt dann die Wärme an die Außenluft ab, sodass warme Luft in den Raum einströmt. Das kann funktionieren. Die Frage ist aber, ob z. B. der geforderte Luftwechsel mit diesen Geräten erbracht wird, wie windanfällig diese Systeme sind, wie gut die Lüftungseffektivität oder wie hoch die Schallemission der Lüftungsgeräte in den Wohnraum ist.

Wir haben derzeit noch zu wenige Informationen, um zu beurteilen, ob diese Geräte vergleichbar sind mit anderen dezentralen Systemen oder mit zentralen Zu- und Abluftanlagen, die seit den 80er-Jahren eingebaut werden. Eine umfangreiche wissenschaftliche Analyse wird jetzt erst entstehen, der Fachverband Gebäude-Klima hat ein entsprechendes Forschungsvorhaben ins Leben gerufen. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt. Grundsätzlich bergen dezentrale Systeme große Vorteile. Ich kann sie sehr einfach einbauen und auch nachrüsten. Das ist bei der zentralen Zu- und Abluftanlage wesentlich aufwendiger: Da habe ich ein Luftleitungsnetz und muss die Luftführung planen, außerdem sind zentrale Lüftungsgeräte deutlich größer.

Die Vor- und Nachteile der aktuell erhältlichen unterschiedlichen Lüftungssysteme im Einzelnen zu erläutern würde hier den Rahmen sprengen. Dazu haben wir dann beim Wöhler Innovations-Forum Gelegenheit und ich freue mich schon auf die Diskussionen dazu.

Info

Unser Interviewpartner Oliver Solcher referiert auf dem 4. Wöhler Innovations-Forum. Es findet vom 19. bis zum 20. Mai 2017 im Maritim Hotel Würzburg statt. Die Teilnehmer aus dem SHK-Handwerk sowie dem Industrie- und Schornsteinfegerbereich erwartet dort informative Workshops, aktuelle Branchenthemen sowie ein attraktives Rahmenprogramm. Nähere Auskünfte und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie unter https://www.woehler.de/services/wissen/innovations-forum/ sowie telefonisch unter (0 29 53) 73-22 2

Info

Fachverband Luftdichtheit im Bauwesen (FLiB e. V.)

Der FLiB ist ein unabhängiger Verband, der sich zugunsten der luftdichten Gebäudehülle engagiert. Er richtet seine Informationen an Bauherren und Bauschaffende, an den Gesetzgeber, an Dienstleister, die Luftdichtheitstests von Gebäuden durchführen, sowie an die breite Öffentlichkeit.

Der FLiB hat sich als kompetenter Gesprächspartner für Verordnungsgeber und Fachöffentlichkeit etabliert und arbeitet mit Fachgremien, Förderbanken und Energieagenturen zusammen.