Ein Vorurteil, das beim Durchschnittsbürger verbreitet ist, gleich zu Anfang: Wenn es eine Lüftungsanlage gibt, darf man die Fenster nicht öffnen! Jeder, der sich mit Lüftungssystemen beschäftigt, kennt diesen leidigen Diskussionspunkt mit Mietern oder Eigentümern. Natürlich lässt sich hervorragend dagegen argumentieren. Was ist erfolgreich – was sollte im Umgang mit Lüftungssystemen verbessert werden? Diese grundsätzliche Frage zog sich wie ein roter Faden durch das 4. Forum Wohnungslüftung, das die HEA – Fachgemeinschaft für effiziente Energieanwendung – in Kooperation unter anderem mit dem SHK-Handwerk am 27. September durchführte.
Die Tagung mit etwa 80 Teilnehmern setzte sich mehrfach mit den Befürchtungen der Bewohner auseinander. Denn Halbwissen oder Vorurteile entscheiden oft darüber, wie selbstverständlich oder skeptisch der normale Bürger das Thema Lüftung aufnimmt – jetzt und in Zukunft. Schließlich ist der Markt für Lüftungsgeräte und -systeme noch in der Entwicklung.
Wer stellt Luftwechsel sicher?
Im Passivhaus hat sich die Lüftung schnell etablieren können, weil meist die Kombination mit einem Heizsystem besteht. Für die effiziente Sanierung im Bestand oder im Neubau muss die Lüftung aber noch immer den Rotstift des Investors fürchten – oder man erhebt gar nicht erst den Anspruch an ein Mindestmaß an frischer Luft.
Ein klares Muss für den Einbau einer Lüftungsanlage gibt es nicht. Peter Paul Thoma, Obermeister der Frankfurter SHK-Innung, kritisierte, dass nicht einmal die Energieeinsparverordnung (EnEV) eine Aussage zu Lüftungskonzepten beinhaltet. Der Markt entwickelt sich vor allem durch Überzeugungsarbeit und durch die Resonanz zufriedener Nutzer. HEA-Fachgebietsleiter Alexander Sperr: „Bei der Wohnungslüftung geht’s nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um Komfort.“ Dieser gesteigerte Wohnkomfort hat sich bei vielen Investoren und Nutzern aber noch nicht herum gesprochen.
Technik muss begreifbar sein
Die Tagung zeigte deutliche Gegensätze auf. Dr. Manfred Riedel (Dr. Riedel Automatisierungstechnik) berichtete von 30000 Wohnungen, die in seinem Einflussbereich inzwischen erfolgreich über eine Lüftungsanlage verfügen und deren Anlagentechnik während des Betriebes weiter optimiert wird, um möglichst effizient zu sein. Zu den technischen Möglichkeiten gehört der Wohnungsmanager, wobei der Nutzer eine Fernbedienung bekommt, um die Haustechnik menügeführt auf seine Bedürfnisse einstellen zu können. Bei seiner Demonstration zeigten sich viele Programmierschritte logisch aufgebaut und nutzerfreundlich – wie bei einem Smartphone. Nicht nur die Lüftungsanlage lässt sich bedienen, auch Steckdosen kann man via standardisierter Schnittstelle so programmieren, dass daran angeschlossene Elektrogeräte (z.B. Geschirrspüler) erst dann arbeiten, wenn die Zeit für einen günstigen Stromtarif gekommen ist. Ein Pilotprojekt, so Dr. Riedel, habe gezeigt, dass eine Kosteneinsparung bis zu 30% beim Haushaltsstrom nur durch Verlagerung von Nutzungszeiten erzielt werden kann.
Kunden sind schnell überfordert
Extrem anders die praktischen Erfahrungen aus der Frankfurter Wohnungswirtschaft, die Immobilien für Menschen unterschiedlichen Alters bereitstellt. Peter Schwerdtfeger schilderte Erkenntnisse der Frankfurter Aufbau AG, die insgesamt 50000 Wohnungen verwaltet und in der Sanierung mittlerweile ausschließlich auf den Passivhaus-Standard setzt. Es zeige sich, dass viele Mitmenschen mit einem dreistufigen Drehknopf für eine Lüftungsanlage bereits Schwierigkeiten haben. Immer wieder kommen Fragen auf: Welche Stufe am besten wann? Warum schaltet Stufe Null nicht ganz ab? Käme es dann bei einer Rauchentwicklung nicht zwangsweise zur Verqualmung der Wohnräume? Die Haustechnik hat auf die Fragen und Befürchtungen eine Antwort und die passende Technik.
Brandschutzklappen außerhalb von Wohnräumen
Zur passenden Lüftungstechnik großer Wohnanlagen gehen Planer dazu über, dass z.B. Brandschutzklappen oder Filter und deren Revisionsöffnungen außerhalb von Wohnungen zugänglich bleiben. Die Verwaltung muss dadurch nicht mehr jährlich, sondern nur noch etwa alle fünf Jahre eine Wohnungsbegehung organisieren, um die einwandfreie Funktion von Zu- und Abluftöffnungen zu kontrollieren. Hans Baumgartner (Ing.-Büro Baumgartner) erläuterte: „Für 100 Wohnungen sind bei dezentralen Lüftungsanlagen 100 Termine zu vereinbaren – ein Riesenaufwand!“
Zur Sanierung kommt die Lüftung
Dr. Werner Neumann und Peter Hufer (Energiereferat der Stadt Frankfurt) zeigten in vielen Schritten, wie sich in der Mainmetropole stattliche Häuser der Günderzeit sanieren und dadurch auf einen Neubau-Standard bringen ließen. So sank der Heizwärmebedarf etwa auf ein Drittel. Sowohl mit beengten Räumlichkeiten als auch mit Bedingungen für Fördermittel galt es klar zu kommen. Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung hat man dabei separat für jede Wohnung in das Modernisierungskonzept integriert. Monatliche Betriebskosten von 3 bis 4 Euro für Strom plus den sporadischen Filtertausch übernehmen die Nutzer. Auch nach der Betriebszeit von mittlerweile etlichen Monaten seien die Mieter durchweg zufrieden.
Handwerk fordert Verbesserungen
„Kein anspruchsvolles Gebäude ohne kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung“, zu diesem Ergebnis kam ZVSHK-Referent Matthias Wagnitz durch softwaregestützte Rechenbeispiele. Er zeigte auf, dass ein kontinuierliches mechanisches Lüften besonders energieeffizient ist, der Luftwechsel durch ein sporadisches manuelles Lüften dagegen eher ein Zufallsergebnis bringe.
Aus Sicht des Handwerks bemängelte er, dass es für Komponenten der Wohnungslüftung noch keine Normmaße gibt. Das stelle unter anderem die Ersatzteilversorgung in etlichen Jahren infrage. Auch das Thema Schallschutz entspricht noch nicht den Erwartungen des Handwerks. Oftmals fehle es an Herstellerangaben für die jeweilige Schallemission, sodass man angesichts eines wachsenden Komfortanspruchs keine verlässlichen Aussagen treffen könne.
Schimmel – zu wenig gelüftet?
Der Sachverständige und Energieberater Hans Westfeld machte Physik plausibel. Weil der Austausch von Fenstern und Außentüren zu den ersten – und oft einzigen – Modernisierungsmaßnahmen gehörten, vollziehe sich im Wohnraum eine Kondensatverschiebung. Die ehemals kältesten Bauteile – Fenster und Türen – hätten bis zu den 70er-Jahren auch zusätzlich noch für eine Luftwechselrate von Faktor 5 bis 10 gesorgt. Doch heute wirkten sich Undichtigkeiten an diesen Bauteilen hundertmal geringer aus. Die Folge: Wenn feuchte Wohnraumluft nicht stetig abgeführt wird, kondensiert sie zwangsläufig auf den kältesten Flächen – der Schimmel ist dann vorprogrammiert. Bei einer Modernisierung könne sich der Handwerker bzw. der Auftraggeber nicht damit zufriedengeben, dass nach Norm oder den allgemein anerkannten Regeln der Technik gearbeitet wurde, stellte Westfeld klar. Ein schimmelfreies Werk sei geschuldet. Das stehe bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung im Mittelpunkt. Westfeld plädierte für eine Kombination aus Lüftungstechnik und traditionellem Hausrezept: „Die Stoßlüftung ist nach wie vor sinnvoll, um Spitzen abzubauen.“
Zitate
Peter Paul Thoma (Frankfurter Obermeister): „Die EnEV macht keine Aussage zu Lüftungskonzepten.“
Alexander Sperr (HEA): „Bei der Wohnungslüftung geht’s nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um Komfort.“
Frank Hartmann (Forum Wohnenergie): „Keine Eckkanäle verwenden, sondern Oval- oder Wickelfalzrohre, weil sie strömungsgünstiger sind.“
Hans Baumgartner (Ing.-Büro): „Für 100 Wohnungen sind 100 Wartungstermine zu vereinbaren – ein Riesenaufwand!“
Dr. Manfred Riedel (Hersteller): „Bis zu 30% Haushaltsstrom lassen sich durch Verlagerung von Nutzungszeiten sparen.“
Matthias Wagnitz (ZVSHK): „Schlecht, dass es für Komponenten der Wohnungslüftung noch keine Normmaße gibt.“
Peter Schwerdtfeger (Frankfurter Aufbau AG): „Statt der DIN 1946 sind Lüftungswerte der Passivhaus-Richtlinie geringer, aber ausreichend.“
Hans Westfeld (Sachverständiger): „Nicht Norm oder anerkannte Regel der Technik ist geschuldet, sondern der Erfolg von Schimmelfreiheit.“