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Ohne Vorgaben und Konventionen

Die Lovegrove-DNA

Ross Lovegrove gilt als Visionär, der mit seinen Arbeiten die Materialität unserer dreidimensionalen Welt zu verändern scheint. Wer ihn engagiert, will keine angepassten Produkte und keine 08/15-Ästhetik, sondern einen Neuanfang. Und so führte der walisische Designer 2005 das Baddesign mit seiner umfassenden Kollektion Istanbul ins 21. Jahrhundert. Den türkischen Sanitärriesen Eczacbas¸ und alle, die seine fließende und von der Natur inspirierte Ästhetik erleben, nahm er gleich mit. Auf der ISH wurde mit Freedom die dritte außergewöhnliche Kollektion unter seiner Regie vorgestellt. Sie wird zwar erst Anfang nächsten Jahres auf den Markt kommen, hat aber bereits in Frankfurt viel Aufmerksamkeit erregt. SBZ-Redakteur Frank A. Reinhardt besuchte den Designer in London.

SBZ: Was bedeutet Ihnen eine Zusammen­arbeit mit einem Unternehmen aus der Sanitärbranche?

Lovegrove: Für mich ist das eine sehr interessante Erfahrung. So traf ich mit Vitra ein Unternehmen mit außerordentlicher Fertigungskunst an. Aber was fehlte, war eine eigene Designsprache, eine eigene DNA des Designs. Und die habe ich für Vitra entwickelt.

SBZ: Hatten Sie schon im Badbereich gearbeitet, bevor Sie mit Vitra zu arbeiten anfingen?

Lovegrove: Nein, ich hatte keine Ahnung von Keramik. Ich habe meinem Industriepartner gleich gesagt, dass ich Zeit brauche, um das Potenzial des Materials zu verstehen, und dann erst designen kann. Das haben sie akzeptiert und meine Studien zum Herstellungsprozess neun Monate lang finanziert. Kennen Sie irgendjemanden, der so etwas macht? Danach habe ich die größte Kollektion keramischer Produkte entworfen, die die Welt je gesehen hat – 168 Produkte in neun Monaten. Nicht bloß Zeichnungen, sondern digitale Daten, in denen alles präzise definiert wird.

SBZ: Wie sahen die Vorgaben dafür aus?

Lovegrove: Ich hatte völlig freie Hand. Sie wollten eine Ross Lovegrove-DNA. Damit haben sie mir Gelegenheit gegeben, meine Liebe zur Form, meine Liebe zum anatomischen Design, und evolutionäre Prinzipien zusammenzubringen und dem Material seinen ureigenen Ausdruck zu geben. Und was dabei herauskam, war Istanbul. Bei Vitra sieht man die Kollektion als ein Produktprogramm, das es immer geben wird.

»Was Vitra fehlte, war eine ­eigene ­Designsprache, eine eigene DNA des ­Designs und die habe ich entwickelt.«

SBZ: Dann war Istanbul auch ein ökonomischer Erfolg?

Lovegrove: Ja, ein Erfolg auf allen Ebenen. Durch die Zusammenarbeit mit mir wurde Vitra quasi über Nacht zu einer Designmarke. Und das war es, was der türkische Konzern wollte. Ich musste mich nicht darum kümmern, dass das Produkt sich gut verkauft, sondern darum, etwas Schönes zu schaffen. Ich übernahm die Art Direktion, überwachte die Fotoproduktion, änderte das Logo, stellte alles auf den Kopf. Das war eine sehr interessante Erfahrung.

SBZ: Wie haben Sie sich dem Thema Bad genähert?

Lovegrove: Ich habe zwei Badkulturen, die das Bad zelebrieren studiert, die japanische und die türkische. In Bezug auf Hygiene, auf die Kultur des Entspannens und die Sexualität ist die türkische Kultur faszinierend. Ich nahm das alles auf wie ein Schwamm – die Ha­mams, den Tas, die Art, wie das Wasser bereitgestellt wird – aber ich habe es nicht einfach reflektiert, sondern verändert. Ich habe Vitra versprochen, ihnen weltweite Aufmerksamkeit zu verschaffen, mit Produkten, die einzigartig sind und schön. Das habe ich mit Istanbul gemacht, und die Rentabilität stieg.

SBZ: Also kam dann die zweite Stufe …

Lovegrove: Ja, eine Kollektion mit dem Namen Mod, was für modest (bescheiden), modular und modern steht. Dieses Mal habe ich nach einer Form gesucht, die nicht unbedingt meiner Designsprache entspricht, aber für die es einen Bedarf gab. Mod hat in der Badkultur so etwas wie eine Lücke geschlossen und gleichzeitig Materialkombinationen zugelassen, mit denen der Konsument auch eigene formale Entscheidungen treffen kann.

SBZ: Mod unterscheidet sich tatsächlich sehr von Istanbul …

Lovegrove: Das war für mich ja das Interessante. Und die Kollektion ist extrem erfolgreich, denn sie ist ökonomisch, kompakt und in gewissem Sinne auch sehr aktuell.

SBZ: Die dritte Kollektion ist wieder typisch Ross Lovegrove, wie wir auf der ISH gesehen haben. Wie ist Freedom entstanden?

Lovegrove: Etwas in meinem Kopf wiederholt ständig das Wort „Freiheit“. Und was Vitra mir gibt, ist absolute Freiheit. Und das sollte sich in der Kollektion wiederfinden. Außerdem ist es interessant, etwas einen Namen zu geben, der nicht bezeichnend ist. Freedom ist eine Form für ein flüssiges Material. Keramik entsteht aus einem festen Material, wird flüssig gemacht und wird wieder fest. Es ist eine Zustandsveränderung. Das vielleicht Erstaunlichste an der Kollektion – vielleicht sogar noch bemerkenswerter als das Design – ist, dass die Produkte so absolut perfekt gemacht sind. Ich musste gegen den Prototypen klopfen, um mich zu überzeugen, dass es kein Modell war! So gut ist es gemacht.

»Durch die Zusammenarbeit mit mir wurde Vitra quasi über Nacht zu einer Designmarke.«

SBZ: Was verbinden Sie mit den Formen von Freedom?

Lovegrove: Sie sind monolithisch, sie haben den Charakter meiner skulpturalen Welt, aber vor allem haben sie einen emotionalen, fast spirituellen Effekt, der einen bei der Bewegung durch den Raum und beim Herantreten an diese Objekte, die ja Wasser enthalten und Wasser spenden, daran erinnert, was wir sind. Vor allem, wenn wir wieder nackt sind.

SBZ: Was reizt Sie als Designer sonst noch?

Lovegrove: Wenn ich den Menschen als Designer etwas zurückgeben kann. Zum Beispiel im humanitären Sinne, indem ich weniger Material verwende, das sowieso nur auf der Mülldeponie landet, oder indem ich eine 1-Liter-Toilette entwickle. Mit der neuen Kollektion habe ich versucht, mehr eine Stimmung als ein Produkt zu schaffen. Manche sprechen von Meditation, ich nenne es Spiritualität: die Art, wie wir uns durch den Raum bewegen. Freedom beinhaltet Sanftheit und eine intensive Beziehung zwischen Mensch, Wasser, Form und Material.

SBZ: Die auffälligste Form hat die Armatur, die für eine sehr sinnliche, organische Formensprache zu stehen scheint.

Lovegrove: Sie ist die formale Ergänzung des Beckens. Für die Bedienung konnte ich mir allerdings keinen Hebel vorstellen, und deshalb haben wir uns für eine elektronische Armatur entschieden. So konnten wir sie zu dem vielleicht sinnlichsten Element der Kollektion machen und ihren reinen skulpturalen Charakter erhalten. Die Armatur von Freedom bringt Bewegung in den Raum, und sie ist ebenfalls eine Skulptur, aus der die intensive Beschäftigung mit dem Wasser spricht. Die Zeit und Sorgfalt, die vonnöten waren, um sie zu formen, schwingen irgendwie mit. Hier fließen Industrie und Kunst wirklich zusammen.

SBZ: Bleibt nur noch, uns bei Ihnen für den Einblick in Ihre Arbeit zu bedanken und Ihnen weiterhin gute Inspirationen zu wünschen.

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