Eine Steigleitung mit 20 m Höhe ist im Wohnungsbau sicher nicht ungewöhnlich. Ist diese Rohrleitung der Heizungsvorlauf, so lassen sich im Jahresverlauf Temperaturschwankungen im Bereich von 15 bis 65 °C erwarten, also etwa 50 K. Für ein Stahlrohr ergibt sich aus diesen Zahlenwerten nach der Formel für die thermische Ausdehnung eine Längenänderung von 12 mm. Ob 12 mm nun viel oder wenig sind, lässt sich mit einem Gedankenexperiment ergründen, nämlich über die Frage, welche Kräfte eine Konstruktion aufbringen müsste, um diese Ausdehnung zu kompensieren. Oder anders ausgedrückt: Mit welchen Kräften wäre das erwärmte Rohr zusammenzupressen, um die Längenänderung rückgängig zu machen? Für die Rechnung wurde ein Stahlrohr DN 100 gewählt. Daraus ergibt sich eine Kraft von 157 kN, was ungefähr der Gewichtskraft von acht Pick-ups amerikanischer Bauart entspricht.
Was heißt das nun für die Praxis? Wird die Längenänderung einer solchen Steigleitung nicht in sichere Bahnen gelenkt, dann wird die Rohrleitung sich einen Widerstand suchen und diesen mit Kräften von 0 bis 157 kN beaufschlagen – ein Bauschaden wird da kaum ausbleiben. Zum Vergleich noch eine andere Zahl: Die Rohrleitung mit Wasserfüllung und Isolation hat bei diesem Beispiel eine Gewichtskraft von 6,35 kN. Kräfte aufgrund einer behinderten Wärmeausdehnung können also die für die Auslegung der Lager zugrunde liegenden Kräfte leicht um Faktor 10 und mehr übertreffen.
Wie lang ist lang?
Die Beispielrechnung ist sicher sehr einfach, sie zeigt aber, dass bei längeren Rohrleitungen Festpunkte und Gleitelemente alles andere als Kosmetik sind. Doch was ist nun lang im Sinne der Notwendigkeit einer detaillierten Planung und Berechnung? Volker Weber, Produktmanager des Rohrbefestigungsspezialisten Mefa, formuliert eine Faustformel: „Bei kleineren Rohrsystemen, etwa im Ein- oder Zweifamilienhaus mit geraden Leitungen unter 10 m, genügt in der Regel der normale Leitungsverlauf mit seinen vielen Richtungsänderungen, um thermische Längenänderungen zu kompensieren. In Zweifelsfällen stellen gleitende Rohrhalterungen wie Gleitrohrschellen sicher, dass sich die Rohre etwas bewegen können. Bei Richtungsänderungen ist zusätzlich zu beachten, dass ein ausreichend großer Biegeschenkel vorgesehen wird.“
Entsprechend sind bei längeren Leitungsabschnitten, größeren Rohrdurchmessern und bei höheren Systemtemperaturen besondere Maßnahmen erforderlich. Hier sollten Gleitelemente zum Einsatz kommen oder je nach Installationsfall Dehnungsbögen oder Kompensatoren. Ist genügend Platz vorhanden, sind Dehnungsbögen eine gute und kostengünstige Lösung. Kompensatoren sind entsprechend bei Platzmangel das Mittel der Wahl. Bei der Planung sind unmittelbar vor und nach dem Kompensator Führungslager vorzusehen, um ein Ausknicken der Rohrleitung im Bereich des Kompensators zu vermeiden. Außerdem sind Festpunkte an den Enden der kompensierten Leitungsabschnitte einzuplanen. Diese müssen sowohl die axialen Druckkräfte als auch die Verstellkraft des Kompensators aufnehmen.
Bei der Wahl der Gleitelemente ist die maximale Längenänderung der Leitung Auslegungsgrundlage. In der Praxis sollten aber Elemente mit größeren Gleitstrecken gewählt werden, da sie oft in Mittelstellung eingebaut werden, sodass bei Betriebstemperatur nicht mehr der gesamte Schiebeweg zur Verfügung steht.
Zu berücksichtigen ist auch das Eigengewicht der Rohrleitung und der sich daraus ergebende Haftreibungswiderstand. Dieser muss bei der Rohrausdehnung überwunden werden und erzeugt eine zusätzliche axiale Kraft auf die Haltekonstruktion, die bis zu 30 % der Gewichtskraft des Rohres betragen kann.
Berechnung beginnt mit der Wahl von Festpunkten
Vor der Auslegung der Gleitelemente steht die Wahl der Festpunkte. Sie fixieren die Rohrleitung an fest definierten Punkten und sorgen für die definierte – und vor allem auch berechenbare – Ausdehnung des Leitungssystems. Festpunkte können auch gesetzt werden, um gerade Strecken in kürzere Teilabschnitte zu unterteilen und so für eine Dehnungsbegrenzung zu sorgen. Bei Steigleitungen haben sie die Aufgabe, das Eigengewicht der Rohrleitung aufzunehmen. Rohrschellen übernehmen in diesem Fall nur eine Führungsfunktion.
Eine weitere wichtige Funktion von Festpunkten ist es, Schwingungen bzw. Vibrationen der Leitung zu minimieren und Druckschläge auszugleichen. Hierfür sind sie möglichst nahe am Erzeuger der Störungen zu platzieren.
Für die Planung von Festpunkten müssen der genaue Verlauf der Rohrleitung sowie die baulichen Gegebenheiten beachtet werden. Wo sind Wände und wo könnte es zu Kollisionen kommen, wenn sich die Rohrleitung bewegt? Ist vor einer Brandwand durch zu große Bewegungen der Leitung ein Festpunkt erforderlich? Jede Installation erfordert eine individuelle Planung, dennoch lassen sich Grundregeln formulieren, die im Infokasten „Kriterien für das Platzieren von Festpunkten“ aufgelistet sind.
Kriterien für die Qualität von Festpunkten
Vorteilhaft sind Festpunkte, die eine hohe Lastaufnahme und eine gute Körperschalldämmung, wie sie die DIN 4109 für den Hochbau vorschreibt, miteinander verbinden. Beispielsweise beim Mefa-Festpunkt Typ A geschieht die Lastaufnahme über schallentkoppelte Druckstücke, die an die Rohrleitung anzuschweißen sind. Für sehr hohe Lasten lassen sich auch zwei Paare von Druckstücken an gegenüberliegenden Seiten der Rohre anschweißen, was dann als Festpunkt Typ B bezeichnet wird. Ist ein Anschweißen der Druckstücke nicht möglich, wie z. B. bei PE-Rohren, Gussrohren oder sehr dünnwandigen Rohren, gibt es eine Festpunktvariante in Klemmausführung, die ebenfalls schallentkoppelt ist.
Die Verbindung zum Bauwerk erfolgt in der Regel über eine angeschweißte Festpunktkonsole. Auch bei den Festpunktkonsolen gibt es je nach Lastgröße unterschiedliche Konstruktionen, für hohe Lasten in doppelter Ausführung und mit Abstrebungen. Weitere Qualitätskriterien für Festpunkte sind Montagefreundlichkeit – also schnelle und sichere Montage mit möglichst wenig zusätzlichen Bauteilen – sowie variable Befestigungsmöglichkeiten, aus denen der Verarbeiter je nach Installationssituation wählen kann.
Fazit
Die thermisch bedingte Längenausdehnung gewinnt vor allem bei groß dimensionierten Installationen und hohen Systemtemperaturen Brisanz. Um Rohrbewegungen unter Kontrolle zu halten, sind in solchen Fällen Dehnungsausgleicher vorzusehen. Die Planung erfordert die genaue Kenntnis des Rohrverlaufs sowie der baulichen Gegebenheiten. Qualitätskriterien für Festpunkte sind eine hohe Lastaufnahme, eine gute Schalldämmung, eine unkomplizierte Montage mit möglichst wenig zusätzlichen Bauteilen sowie variable Befestigungsmöglichkeiten. Weitere Infos zum Thema unter
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Kurz und kompakt
Ohne richtig platzierte Festpunkte und Gleitelemente kann die thermische Ausdehnung von Rohrleitungen ein großes Schadenspotenzial entfalten. Für ein- und zweistöckige Wohnhäuser gilt aber folgende Faustformel: Bis 10 m lange, gerade Rohrabschnitte sind unbedenklich, sofern es häufige Richtungsänderungen innerhalb des Leitungssystems gibt. Diese sind in der Lage, thermische Längenänderungen zu kompensieren.
Zur Sache
Gedankenexperiment zur thermischen Ausdehnung
Für die thermische Längenausdehnung von Rohrleitungen und selbstverständlich allen anderen prismatischen Körpern gilt:
ΔL = αL ΔT
Der Ausdehnungskoeffizient für Stahl beträgt 0,012 mm/m K, woraus sich mit den Zahlen aus dem Text 12 mm Längenänderung ergeben.
Soll diese Längenänderung kompensiert werden, so wäre die Rohrleitung zusammenzupressen. Die erforderliche Kraft hierfür lässt sich mit dem hookeschen Gesetz für elastische Deformationen berechnen. Die Formel lautet:
F = E ε A
E ist dabei der Elastizitätsmodul, der für Stahl 210 000 N/mm2 beträgt. steht für die Dehnung, also L/L, und A für die Querschnittsfläche. Das gewählte Rohr mit DN 100 hat nach den Planungshilfen aus dem Mefa-Katalog für nahtlose Stahlrohre (DIN 2448) einen Außendurchmesser von 114,3 mm und eine Wanddicke von 3,6 mm. Daraus ergibt sich eine Kraft von rund 157 kN. Die Zahl ist jedoch nur theoretisch und dient zur Veranschaulichung der hohen Kräfte. Ein Ausknicken des Rohrs wird hier nicht berücksichtigt.
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Kriterien für das Platzieren von Festpunkten
- Für eine optimale Krafteinleitung in das Bauwerk ist es sinnvoll, Festpunkte möglichst nah an den Befestigungsuntergrund zu setzen. Bei großen Abständen treten hohe Biegemomente in der Haltekonstruktion auf. Vor allem bei Konsolen kann ein großer Hebelarm auch zu erhöhten Dübelauszugswerten führen.
- Bei größeren Ausdehnungen können Festpunkte, die in der Mitte der Rohrleitung angeordnet werden, zu einer Halbierung der Rohrausdehnung beitragen.
- Auf einer geraden Strecke dürfen ohne zwischengeschalteten Dehnungsbogen oder Kompensator keine zwei Festpunkte gesetzt werden. Eine Ausnahme kann hier bei Kunststoffrohren gemacht werden. Diese sind aber dann als eingespanntes System zu berechnen.
- Bei stehenden Leitungen sollte der Festpunkt möglichst weit unten angebracht werden, damit die Krafteinleitung in der Nähe der Fundamente erfolgt. Oft sind dabei massive Verankerungen in der Bausubstanz erforderlich, um die teils erheblichen Lasten aufzunehmen.
- Wird ein Kompensator eingesetzt, ist zu beachten, dass dadurch zusätzliche Kräfte auf den Festpunkt wirken. Die Angaben des Kompensatorherstellers sind zu beachten.