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Wie konnte ich nur???

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Donnerstagabend, 19:30 Uhr, die Mitarbeiter haben längst Feierabend. Im Telefondisplay blinkt die Nummer eines wichtigen, gleichwohl nervigen Kunden. Dieser plant neue Sanitäranlagen in einer seiner Wohnimmobilien, allerdings hat er zeitliche Vorstellungen, die schlicht nicht erfüllbar sind. Jetzt erneut diskutieren? Die alten, bekannten Argumente anführen? Oder vielleicht doch den Auftrag annehmen, abnicken, nach dem Motto „Du hast recht und ich meine Ruhe“? Ok, kurze Zustimmung, nächste Woche fangen wir an und endlich Feierabend. Zwei Monate später kommt es, wie es kommen musste. Der Umbau hat länger als zugesagt gedauert, der Immobilienbesitzer aber schon neue Mietverträge abgeschlossen.

Welche Rolle Willenskraft für Entscheidungen spielt

Um zu verstehen, warum wir uns in solche Sackgassen manövrieren, muss man eine Schlüsselfunktion der menschlichen Psyche genauer unter die Lupe nehmen: die Willensstärke. Mehr noch als für die Mitarbeiter ist diese Eigenschaft für Inhaber und Führungskräfte von kleineren Unternehmen relevant, die vieles gleichzeitig und fast alles alleine entscheiden müssen, die keinen administrativen Apparat im Hintergrund oder eine zweite Führungsebene zur Delegation haben.

Praktisch jeder SHK-Fachhandwerker glaubt von sich, willensstärker als der Durchschnittsmensch zu sein. Wovon aber hängt unsere Willenskraft ab und damit auch unsere Entscheidungsstärke und die Fähigkeit, auch einmal nein zu sagen?

Nicht knapp daneben, sondern gravierend falsch

Nicht alle Entscheidungen haben dieselbe Tragweite. Kleinigkeiten werden nebenbei, ohne langes Nachdenken getroffen und das ist auch gut so. Denn bei unwesentlichen Entscheidungen wäre ein längeres Überlegen und bewusstes Abwägen nicht nur unwirtschaftlich, der Betroffene käme nicht mehr dazu, etwas Sinnvolles zu machen. Um die tatsächlich relevanten Entscheidungen zu treffen, durchzusetzen und deren Auswirkungen zu beurteilen, würden Zeit und Energie fehlen. Eine grundlegende Voraussetzung für Erfolg ist also, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

Diese Tatsachen sind gemeinhin bekannt. Dennoch gibt es immer wieder Entscheidungen, die nicht nur knapp danebenliegen, sondern grundsätzlich falsch sind. Einem Mitarbeiter werden für die Steuererklärung Fahrten mit dem Privatwagen bestätigt, die nie stattfanden, eine langjährige Geschäftsbeziehung wird aufgrund eines nichtigen Streites beendet, ein Geschenk, eine Gefälligkeit wird angenommen oder gewährt, wobei nicht nur Compliance-Regeln, sondern sogar Gesetze gebrochen werden. Dabei liegt die einzig richtige Entscheidung auf der Hand und besteht in einem eindeutigen, unmissverständlichen „Nein“ oder „Stopp“ – unabhängig davon, ob es gegenüber einem Dritten auszusprechen ist oder einem eigenen Fehltritt ein Riegel vorgeschoben wird.

Fehltritte, die Furore machten

Es erscheint immer wieder erstaunlich, welche Gesetze und Regeln Menschen brechen, wo nicht pro und contra abgewogen werden, vor allem, wenn ein möglicher, kleiner Vorteil mit dem Risiko des Karriereendes erkauft wird. An prominenten Beispielen fehlt es nicht, hier seien nur einige genannt:

  • Der US-Kongressabgeordnete Anthony Weiner verschickte freizügige Fotos von sich an Frauen, über seinen Twitter-­Account zusätzlich an 56 000 Follower.
  • Die deutsche Bischöfin Margot Käßmann fuhr betrunken ihren Dienstwagen und geriet in eine Polizeikontrolle.
  • Der DFB-Präsident Reinhard Grindel ließ sich von einem ukrainischen Oligarchen eine Luxusuhr schenken.
  • Der österreichische FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache redete sich im Gespräch mit einer angeblichen russischen Oligarchentochter um Kopf und Kragen.
  • Auch routinierte Entscheider sind nicht gefeit

    Fliegt das Fehlverhalten auf, beteuern die ­Betroffenen ihre Reue. Dem Betrachter ist es nicht möglich, ehrliches Bedauern von vorgespielter Inszenierung zu unterscheiden. In jedem Fall aber macht sich ungläubiges Erstaunen breit. Der erwartete Vorteil stand in keinem Verhältnis zu möglichen Nachteilen. Zu einem klaren, unzweideutigen Stopp oder Nein hätte es keine Alternative geben dürfen, ein Dilemma lag nicht vor.

    Wie konnte es so weit kommen? Diese Frage drängt sich umso mehr auf, da es sich um erfolgreiche Berufsvertreter und erfahrene Entscheider handelte, welche sich im Nachhinein wohl genau die gleiche Frage stellen. Deshalb sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass uns solche Fehler nicht unterlaufen könnten. Für SHK-Fachhandwerker lohnt sich ein Blick auf die Systematik, das Grundmuster hinter solchen Irrwegen, um diese im eigenen Handeln zu vermeiden.

    Verborgene Mechanismen untergraben die Willensstärke

    Die Kunst, im richtigen Moment nein zu sagen, beruht auf Willenskraft. Dazu vertritt der Beststellerautor Reinhard Sprenger eine weit verbreitete Meinung: „... dass der Mensch sich gegenüber anderen Lebenswesen durch Freiheit und Selbstbestimmung auszeichnet. Dass er frei wählt und entscheidet – egal, was die Hirnforschung meint hervorzaubern zu können an Tröstungen für Willensschwache. Und dass er insofern verantwortlich ist“1.

    Demnach ist jeder schlicht selber schuld, wenn er murkst. Ein zweiter Blick auf die Hintergründe zeigt allerdings: Zwar besteht immer die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln, aber es gibt noch weitere Mechanismen, die nicht unserer bewussten Steuerung unterliegen. Wenn wir dieses kennen, sind wir ihnen nicht ausgeliefert, sondern haben unsere Entscheidungsfähigkeit wieder selber in der Hand.

    Was man über Willenskraft ­wissen muss

    Der Grund verheerendere Fehlentscheidungen lässt sich meistens auf eine Ursache zurückführen: fehlende Willenskraft. Was unsere Willenskraft schwächt, haben Versuche ans Licht gebracht. In einem Versuch beispielsweise durften die Teilnehmer einen Tag lang nichts essen und betraten hungrig den Versuchsraum. Vor ihnen standen drei Teller mit unterschiedlichen Lebensmitteln: ofenwarme Plätzchen, Schokolade und Radieschen. Manche Testteilnehmer durften die Plätzchen essen, andere die Schokolade, eine letzte Gruppe mussten sich mit den Radischen bescheiden.

    Letzeres fiel auch deshalb schwer, weil die Teilnehmer einige Zeit alleine im Raum waren und die Radieschen-Esser Plätzchen und Schokolade ansehen mussten, ohne zugreifen zu dürfen. Dies gelang den Teilnehmern, dass dazu aber erhebliche Willenskraft erforderlich war, bedarf keiner näheren Erläuterung. Als nächstes wurden die Teilnehmer in einen anderen Raum geführt, um dort eine Geometrieaufgabe zu lösen, welche allerdings unlösbar war.

    Mit einem solchen Test lässt sich die Willenskraft eines Menschen zuverlässig bestimmen. Diejenigen, die Schokolade oder Plätzchen essen durften, versuchten sich durchschnittlich zwanzig Minuten an den Aufgaben, die Radieschen-Esser dagegen nur acht Minuten lang, also weniger als die Hälfte. Der Grund war einfach: Sie hatte ihre Willenskraft bereits in hohem Maße dazu eingesetzt, der Schokolade und den Plätzen zu widerstehen. Willenskraft ist keine statische, sondern eine dynamische Größe, die sich erschöpft, vergleichbar mit einem Muskel2.

    Lecker, aber für Entscheider ungeeignet: Nahrungsmittel, die den Blutzucker schnell ansteigen und dann rasant abfallen lassen.

    Bild: Klacis / Getty Images

    Lecker, aber für Entscheider ungeeignet: Nahrungsmittel, die den Blutzucker schnell ansteigen und dann rasant abfallen lassen.

    Je mehr Entscheidungen, desto höher das Fehlerrisiko

    Menschen, die Betriebe leiten, müssen laufend Entscheidungen treffen, über den ganzen Arbeitstag. Je mehr Entscheidungen anfallen, desto schneller erschöpft sich die Willenskraft im Laufe des Tages. Hinzu kommt, dass es keine spezielle Willenskraft für bestimmte Tätigkeiten gibt. Radieschen und Geometrie haben genauso wenig miteinander zu tu, wie Lauftraining und Heizungsanlagen. Damit wird offensichtlich, dass es irrrelevant ist, welche Entscheidungen im Laufe eines Arbeitstages getroffen wurden, als vielmehr, dass überhaupt schon Entscheidungen gefällt wurden. Wer sich also auf einen Triathlon vorbereitet oder abnehmen möchte, sollte keine Entscheidungen treffen, die große Willensstärke erfordern3.

    Dies erklärt auch, warum gravierende Fehlentscheidungen oft in den Abendstunden getroffen werden: Bereits getroffene Entscheidungen haben die Willensstärke geschwächt. Erhellend dazu ist ein Versuch, bei dem den Probanden bestimmte Waren vorgelegt wurden. Eine Gruppe betrachtete diese nur, die andere musste bereits eine Auswahl treffen: das rote oder das schwarze T-Shirt? Die dünne oder die dicke Kerze? Der gelbe oder der blaue Stift? Sogar solche einfachen und trivialen Entscheidungen brauchen Willenskraft auf. Die Entscheider zeigten beim folgenden Versuch, schwierige Aufgaben zu lösen, deutlich weniger Ausdauer als ihre Vergleichsgruppe.

    Wichtige Faktoren: Stoffwechsel und Tageszeit

    Für die Willenskraft spielt eine Substanz in unserem Körper eine wesentliche Rolle: die Glukose. Liegt der Blutzuckerspiegel unter einer gewissen Grenze, ist die Willenskraft geschwächt, die Selbstdisziplin nimmt dramatisch ab. Selbst Entscheidungen mit großer Bedeutung sind vom Blutzuckerstand abhängig, wie eine Analyse israelischer Berufungsrichter nachwies. Das Muster war eindeutig: Ein hoher Blutzuckerspiegel nach dem Frühstück oder Mittagessen führte zu 70 % Freilassungen, während diese Quote bis vor der nächsten Nahrungszufuhr auf 15 % sank4. Wer weniger Willenskraft hat, neigt zu einfacheren Entscheidungen. Dann erscheint es besser, den Delinquenten im Gefängnis zu lassen, als das Für und Wider der vorzeitigen Entlassung abzuwägen.

    SHK-Fachhandwerker sollen sich also nicht permanent mit zuckerhaltigen Lebensmitteln versorgen, die kurzfristig den Blutzucker nach oben treiben, sondern vielmehr Nahrung konsumieren, die einen langsamen Auf- und Abbau ermöglicht. Damit soll kein Urteil über den Trend des Intervallfastens gefällt werden, eine Kombination aus Fasten und Entscheiden wird die Entscheidungsqualität dennoch verschlechtern.

    Schwierige Entscheidungen zuerst fällen

    Wie Verkäufer abnehmende Willenskraft nutzen, zeigt sich, wenn ein Käufer aus einer Vielzahl von Details auswählen muss. Experimente bei der Konfiguration von Neuwagen zeigen, dass sich die Käufer anfangs intensiv mit einzelnen Entscheidungen befassen. So wurde beim Fahrzeug sorgfältig der Sitzbezug ausgewählt, während später bei der Motorisierung schlicht den Empfehlungen des Kundenberaters gefolgt wurde, selbst wenn dieser eine teure Lösung vorschlug. Eine Veränderung der Reihenfolge mit den wichtigsten Entscheidungen zu Anfang, ergab eine durchschnittliche Preissenkung von 1500 Dollar pro Auto.5

    So kommt es zu ­Fehlentscheidungen im Betrieb

    Bei gravierenden Fehlentscheidungen kommen häufig mehrere der genannten Umstände zusammen, etwa nach dem folgenden Szenario: Ein langer Arbeitstag neigt sich zum Ende, es wurden viele Entscheidungen gefällt, das Abendessen mit der Familie wartet zuhause, der Blutzuckerspiegel ist weit unten. Nicht selten schwächen weitere Einflüsse die Willenskraft: eine Diät, Schlafmangel oder ein Sportprogramm, zusätzlich stehen private Entscheidungen an.

    Dann entsteht eine Situation, wo ein eigenes Handeln kaum notwendig ist, eine einfache Zustimmung oder Ablehnung reicht. Es kommt noch ein Angebot herein, per E-Mail oder per Telefon, vielleicht wird auch unbewusst danach gesucht. Ein Kunde meldet sich und bittet, ja erwartet eine Entscheidung. Häufig wird Zeitdruck aufgebaut, hier und jetzt müsse entschieden werden. Die Reak­tion sollte ein eindeutiges Nein sein.

    Obwohl … könnte man da nicht mal eine Ausnahme machen? So schlimm wäre es nicht ... Wozu jetzt noch die Kraft aufbringen, zu widerstehen? Also schließlich doch ein Ja. Es wird ohnehin nicht auffallen und so dramatisch ist die Sache auch wieder nicht.

    Ein fieser Trick: Druck aufbauen

    Kommt der Vorgang im Nachhinein ans Licht, macht sich Erstaunen breit – sowohl beim Betrachter als auch beim Betroffenen. Das Risiko aufzufallen und die Arbeit von Jahren zu zerstören, stand in keinem Verhältnis zu den Vorteilen. Dann steht die Frage im Raum: Wie konnte er nur? Wie konnte ich nur?

    Diese geschwächte Willenskraft nutzen Unternehmensfremde und Mitarbeiter gleichermaßen, indem sie auf die Arbeitsbelastung des SHK-Unternehmers spekulieren. Dann wird eine Frage nicht am Dienstagmorgen vorgelegt und um eine Entscheidung bis zur nächsten Woche gebeten, sondern am Freitagnachmittag Entscheidungsdruck aufgebaut. Der Auftrag müsse sofort vergeben bzw. angenommen werden, das Geld ist noch vor dem Wochenende nötig. Eine knappe Zustimmung per E-Mail reicht aus, eine Überweisung ist auch schnell gemacht, die Details werden nachgereicht …

    So machen Sie es richtig

    Nach diesem differenzierten Blick auf die Hintergründe von Entscheidungen gilt es die gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen. Wichtig ist zuallererst zu akzeptieren, dass Willenskraft keine stabile Eigenschaft ist wie Intelligenz oder Augenfarbe. Sie schwankt, nicht langsam wie das Körpergewicht, sondern heftig, sogar innerhalb eines Tages. Treffen Sie also keine schwerwiegenden Entscheidungen, wenn ihre Willenskraft schwach ist. Warten Sie besser ab und entscheiden Sie am nächsten Morgen, anstatt am Ende eines stressigen Arbeitstags einen vielleicht schwerwiegenden Fehler zu begehen. Setzen Sie sich selbst nicht unter Druck und lassen Sie sich auch nicht von anderen unter Druck setzen, vor allem nicht unter zeitlichen Druck. Holen Sie gegebenenfalls eine unabhängige Meinung ein, um das Für und Wider abzuwägen. Vor allem aber: Sagen Sie im Zweifelsfall lieber nein. Menschen und Unternehmen überleben nicht, weil sie alles richtig machen, sondern weil sie gravierende Fehler vermeiden.

    Der schlechteste Moment für wichtige Entscheidungen: spät am Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag.

    Bild: Jun / Getty Images

    Der schlechteste Moment für wichtige Entscheidungen: spät am Abend nach einem anstrengenden Arbeitstag.

    Tipp

    Literatur zum Thema:

  • Baumeister, Roy; Tierney, John: Die Macht der Disziplin, Frankfurt/ M., 2012
  • Sprenger, Reinhard K.: Das anständige Unternehmen, ­München, 2015
  • Dipl.-Kfm. Thomas Schneider
    ist für ­interne Revision bei Knauf Interfer SE, ­einem mittelständischen Stahlhändler in 45141 Essen, verantwortlich.
    Telefon: (02 01) 83 17-1 59
    E-Mail: s_tommy@web.de

    Bild: Schneider