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Effizienzmaßnahmen besser wirken lassen

Bevor sich ein Bauherr für eine bestimmte Sanierungsvariante entscheidet, analysiert er die möglichen Energie- und Kosteneinsparungen. Häufig ist es so, dass der tatsächliche Verbrauch nach der Sanierung höher ist als der vorab berechnete Energiebedarf. Die von der Sanierung erwarteten Energieeinsparungen treten nicht ein. Experten führen dies unter anderem auf den sogenannten Rebound-Effekt zurück. Dieser tritt auf, wenn aufgrund von technischen Steigerungen der Energieeffizienz Verhaltensänderungen auftreten. Diese können den ursprünglich positiven Effekt mindern oder in sein Gegenteil verkehren, etwa wenn Nutzer nach der Sanierung eine höhere Innenraumtemperatur wünschen als vor der Sanierung.

Warum erwartete Energieeinsparungen nicht eintreten, untersuchen Forscher am Beispiel eines Wohnquartiers in Karlsruhe. Hier wird ein integrales Gesamt-Energiekonzept für fast 800 Wohneinheiten entwickelt und umgesetzt. Ziel ist es, eine Kombination aus wirtschaftlich optimalen energetischen Sanierungsmaßnahmen und einer Neuausrichtung der Wärmeversorgung zu finden. An drei ausgewählten Gebäuderiegeln erforschen die Wissenschaftler die Einsparmöglichkeiten einer energetischen Sanierung.

Sanierungsmaßnahmen variieren

„Die Wohnriegel sind für die Untersuchungen sehr gut geeignet, da sie exakt gleich erbaut und geographisch gleich ausgerichtet sind“, erklärt Tanja Osterhage, Projektbearbeiterin im Forschungsvorhaben mit dem Titel „Auswirkungen des Rebound-Effekts bei der Sanierung von Bestandsgebäuden“. Insgesamt handelt es sich um 90 sanierte Wohnungen in drei Gebäuderiegeln, es kamen sieben Sanierungsvarianten zum Einsatz.

Osterhage: „Der erste Block dient als Vergleichsobjekt, da hier nur die Standardsanierung des Eigentümers Volkswohnung Karlsruhe umgesetzt wurde. Hier nahmen wir lediglich gesamtbilanzielle Auswertungen vor. Anhand dieser Werte können wir allgemeine Trends erkennen.“ Die Gebäude erhielten eine Gebäudehülle aus Standard-Wärmedämmplatten mit U = 0,22 W/(m2K). Wärme für Heizung und Trinkwarmwasser liefert das neu erstellte Fernwärmenetz. Die Wohnungen werden über Heizkörper mit Wärme versorgt. Es gibt Zuluftelemente im Fensterrahmen, die Abluft wird über Küche und Bad abgeführt. Im Gegensatz zum ersten Riegel variieren bei den zwei anderen Gebäudekomplexen die bauphysikalischen und anlagentechnischen Komponenten.

Der zweite Riegel wird als ein Drei-Liter-Haus ausgeführt. Die Wissenschaftler setzten Wärmedämmung mit einer Wärmeleitfähigkeit = 0,022 W/(mK) ein. Es wurden Standardfenster (Uw = 1,3 W/(m2K)) und Passivhausfenster (Uw = 0,8 W/(m2K)) eingesetzt. Die Gebäude sind an das Fernwärmenetz angeschlossen und erhielten unterschiedliche dezentrale Lüftungssysteme und Trinkwarmwasser-Erzeugungsanlagen.

Der dritte Riegel dient als Forschungsobjekt. In dem Passivhaus setzten die Projektbeteiligten unterschiedliche innovative Materialien und anlagentechnische Kombinationen ein. Folglich gibt es zwischen den drei Gebäudeteilen einige Unterschiede.

Neue Technik und Nutzerzufriedenheit geprüft

Bereits bei der Umsetzung des integralen Energiekonzepts für das gesamte Quartier Karlsruhe wurde von der Hochschule Karlsruhe umfangreiche Messtechnik installiert. Diese können die Forscher aktuell nutzen, um die Effizienz der Anlagentechnik sowie das Nutzerverhalten zu prüfen und Rückschlüsse auf den Erfolg der Modernisierungsmaßnahmen zu ziehen. Es werden Basiswerte zu Trinkwarmwasser, Heizung und Lüftung in allen Wohnungen erfasst. Mit diesen Werten können die Forscher mögliche Verteil- oder Speicherverluste auswerten. Darüber hinaus erfassen sie Daten zur Raumtemperatur, relativen Feuchte, zum Fensteröffnungsverhalten und Luftqualität. Die Messungen liefern pro Tag 6 Millionen Daten, die in eine Datenbank einfließen.

Um die Werte in Zusammenhang mit dem Verhalten der Mieter stellen zu können, führten die Wissenschaftler eine Fragebogenaktion durch. Im Fokus der Befragungen standen dabei das Lüftungsverhalten und die Raumtemperatur. Darüber hinaus untersuchen sie, inwiefern die Mieter die neue Heiz- sowie Lüftungstechnik akzeptieren und wie zufrieden sie mit Energieverbrauch und dem sich einstellenden Komfort sind.

Verbrauchswerte liegen höher als erwartet

Nach der Modernisierung lagen die tatsächlichen Primärenergieverbrauchswerte bei allen Gebäudekomplexen höher als die vorab berechneten Bedarfswerte. Je ausgefallener die anlagentechnische und baukonstruktive Sanierung ausgeführt wurde, umso größer fällt die Abweichung aus. Die geringsten Differenzen gibt es im ersten Gebäuderiegel, den größten Unterschied beim Forschungs-Gebäuderiegel 3. Bei der Analyse des Heizenergieverbrauchs zeigt sich, dass in allen Gebäuden teilweise große Differenzen zwischen den einzelnen Wohnungen existieren. Dies lässt sich an Gebäuderiegel 2 beispielhaft zeigen. Hier gibt es einen deutlichen Ausreißer mit hohem Energieverbrauchswerten bei hoher Innenraumtemperatur und moderatem Lüftungsverhalten.

Andererseits gibt es Mietwohnungen mit hohem Verbrauch, die zwar keine hohe Innenraumtemperatur haben, in denen aber fast zwei Drittel der Zeit Fenster geöffnet sind. Ein Mieter hat einen hohen Energieverbrauch, hohe Innenraumtemperatur bei moderatem Fensteröffnungsverhalten. Die Nachbarn haben annähernd gleiche Temperaturen in ihren Wohnungen, aber einen deutlich geringeren Verbrauch.

Technische Probleme sorgen für Unzufriedenheit

Dass die erwarteten Energieeinsparungen nicht eintraten, hat sowohl technische als auch soziale Ursachen. In einer Befragung gab nur die Hälfte der Mieter an, dass die Bedienung der neuen Anlagentechnik komfortabler sei als vorher. Im Forschungs-Gebäudekomplex gab es Beschwerden über eine zu geringe und stark schwankende Trink-Warmwasser-Temperatur und nicht zufriedenstellende Raumtemperaturen. „Wir erklären uns dies teilweise damit, dass in Gebäuderiegel 3 im Vergleich zu den anderen Riegeln die meiste Lüftungstechnik installiert ist und zum Teil über eine Luftheizung beheizt wird. Dadurch gibt es weniger wärmestrahlende Fläche in den Wohnungen und damit verbunden ein geringeres Gefühl von Behaglichkeit“, so Osterhage.

Zusätzlich sorgten technische Probleme dafür, dass die Mieter unzufrieden waren. Im Gebäuderiegel 3 gab es Fehlfunktionen der Wärmepumpen. Eine Verbesserung der Ladestrategie der Warmwasser-Pufferspeicher und eine Absenkung der Nutzwärmetemperatur konnte die Arbeitszahl der Wärmepumpe in Eingang E1 verbessern. Im Eingang 2 wurde die Wärmepumpe durch ein Modul mit drehzahlvariablem Verdichter ausgetauscht und eine neue Regelstrategie implementiert. Die Wärmepumpe weist nun bessere Leistungszahlen auf. An den Trinkwarmwasser-Stationen im zweiten Gebäuderiegel wurden unter anderem undichte Wärmeübertrager und defekte Kugelhähne ausgebessert.

Häufig nutzen Mieter die neue Technik nach altem Schema. Sie stellen etwa beim Trinkwarmwasser die Mischbatterie auf die gewohnte bisherige Position. Da sich aber die Vorlauftemperaturen geändert haben, erhalten sie Wasser mit niedrigerer Temperatur. Lüftungsanlagen nutzten die Mieter zum Teil gar nicht, da sie höhere Energiekosten fürchteten.

Das Projekt in Karlsruhe ist nur eines von vielen Beispielen, in denen Potenziale der Energieeinsparung nicht komplett ausgereizt werden konnten. Damit dies zukünftig besser funktioniert, entwickeln die Wissenschaftler aktuell Koeffizienten und Nutzertypologien. Diese sollen bei der Berechnung von Einsparpotenzialen berücksichtigt werden. Bauherren erhalten damit eine realitätsnähere Grundlage zur Bewertung ihrer Sanierungsmaßnahmen.

Tipp

Aus dem Rebound-Effekt lernen

Die vorgestellten Untersuchungen zum Rebound-Effekt finden in einem Wohnquartier in Karlsruhe statt. Hier wird ein integrales Gesamt-Energiekonzept für fast 800 Wohneinheiten entwickelt und umgesetzt. Dabei geht es darum, eine Kombination aus wirtschaftlich optimalen energetischen Sanierungsmaßnahmen und einer Neuausrichtung der Wärmeversorgung zu finden. Neben Kosteneinsparungen streben die Projektbeteiligten an, den Primärenergieeinsatz und die CO2-Emissionen zu minimieren. Die Warmmiete soll möglichst nur gering ansteigen. Für die Investoren ist ein wichtiges Ziel, die Attraktivität des Wohnquartiers für Mieter und andere Nutzer zu verbessern und so einen Rückfluss seiner Investitionen zu sichern. Es wurde ein aus Kraft-Wärme-Kopplung und Abwärme gespeistes Nahwärmenetz aufgebaut. Zusätzlich wurde ein Großteil der insgesamt 38 Gebäude wirtschaftlich optimal modernisiert. Die Gebäude sind zwischen 37 und 56 Jahre alt.

Das Wohnquartier in Karlsruhe ist nur eines von vielen Projekten, in deren Rahmen eine Steigerung der Energieeffizienz in städtischen Siedlungsräumen angestrebt wird. Wichtige Potenziale liegen hier in der Sanierung und Modernisierung von Bestandsgebäuden. Doch gerade bei älteren Gebäuden kommt der Rebound-Effekt zum Tragen: Die Abweichung zwischen Energiebedarf und -verbrauch ist im Bestand umso größer, je älter das Gebäude ist. Dies liegt daran, dass die teils angenommenen und festgelegten Eingabeparameter in der Berechnungsmethodik zunehmend von den sich in der Realität tatsächlich einstellenden Werten abweichen. Als besonders sensible Eingabegrößen stellten sich hier die Innenraumtemperatur, U-Werte, Wärmebrückenberechnung sowie die Luftwechselrate heraus.

Generell lässt sich festhalten, dass die Konzentration rein auf Energieeffizienzmaßnahmen scheinbar nicht ausreicht. Folgt man den Forschungsergebnissen, führt eine Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudesektor alleine nicht notwendigerweise zur Minderung des Gesamt-Energieverbrauchs und es sind ergänzende Maßnahmen erforderlich. Planer und Architekten müssen zukünftig eine Reduzierung der theoretisch zu erwartenden Energieeinsparung durch die Performanz-Lücke und den Rebound-Effekt bei der Planung der baukonstruktiven und anlagentechnischen Komponenten berücksichtigen.

Info

Das Projekt

Das Forschungsprojekt wird gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi).

Beteiligte

RWTH Aachen University

E.ON Energy Research Centre

Projektbearbeitung: Tanja Osterhage tosterhage@eonerc.rwth-aachen.deDavide Calì dcali@eonerc.rwth-aachen.de

Sozialwissenschaftliche Forschung: Florian Heesen fheesen@eonerc.rwth-aachen.de

Links und Literatur

www.eneff-stadt.info / www.enob.info

Der BINE Informationsdienst berichtet aus Projekten der Energieforschung in seinen Broschürenreihen und mittels Newsletter (www.bine.info/abo).

Nachgefragt

Je einfacher das System, desto zufriedener die Bewohner

Florian Heesen erläutert, welchen Einfluss das Verhalten der Nutzer hat. Er ist Projektleiter des Forschungsvorhabens „Analyse des Nutzerverhaltens in energieeffizienten Wohngebäuden“ an der RWTH Aachen University.

SBZ: In Ihren Untersuchungen fanden Sie heraus, dass eine hohe Heiztemperatur nicht in allen Gebäuden mit einem hohen Energieverbrauch zusammenhing. Wie erklären Sie dieses Phänomen?

Florian Heesen: Wir beobachten zum Beispiel, dass das Fensteröffnungsverhalten einen Einfluss auf den Energieverbrauch hat. Zusätzlich hängt der Energieverbrauch von der Position der Wohnung im Gebäude und den Raumtemperaturen benachbarter Räume ab. Die Heizenergie fließt wesentlich mehr innerhalb des Gebäudes anstatt über die Außenwände aus dem Gebäude zu entweichen. Dies liegt an der sehr guten Dämmung der Außenhaut und der unveränderten Bausubstanz im Inneren der Gebäude.

SBZ: Konnten Sie einen Zusammenhang zwischen der Mieterzufriedenheit und der jeweiligen Sanierungsvariante feststellen?

Heesen: Qualitativ zeigen unsere Analysen, je einfacher ein System zu bedienen ist, umso zufriedener sind die Bewohner. Jedoch hängt die Zufriedenheit zu einem großen Teil auch mit den Erwartungen zusammen. Sprich, nicht funktionierende oder abweichend von den Erwartungen arbeitende Technik wirken sich erheblich auf die Mieterzufriedenheit aus. Die Erwartungshaltung bezieht sich dabei nicht nur auf einwandfrei arbeitende Technik, sondern auch auf angepriesene finanzielle Vorteile.

SBZ: Welche Empfehlungen können Sie für den Umgang mit Mietern bei Sanierungsvorhaben benennen?

Heesen: Die Mieter sind bei einem Sanierungsvorhaben eine wesentliche Interessensgruppe. Diese gilt es mit in den Gesamtprozess einzubeziehen und Systeme zu entwickeln, Feed-Back möglichst effektiv zu verarbeiten. Wichtig hierbei sind Systeme, die einen Informationsfluss in beide Richtungen ermöglichen, sprich vom Investor zum Mieter und umgekehrt. Das wichtigste Merkmal solcher Systeme ist, ob ein effektiver Informationsaustausch ermöglicht wird.

Autor

Birgit Schneider ist Mitarbeiterin des BINE-Informationsdienstes. BINE berichtet über Themen der Energieforschung: neue Materialien, Systeme und Komponenten, innovative Konzepte und Methoden. Im Mittelpunkt stehen die Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Der Informationsdienst ist ein Service des FIZ Karlsruhe.