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Die fossile Energiewirtschaft steht vor dem Scheitelpunkt, Teil 1

Vom Überfluss zur Knappheit

Inhalt

Blickt man über den Tellerrand deutscher Energieversorgung, sieht man die Energiepolitik mit globalen Fakten konfrontiert: die UNO erwartet bis zum Jahr 2030 ein weiteres Wachstum der Weltbevölkerung von heute 6,7 Milliarden Menschen auf über 8 Milliarden. Ökonomen wie die der Weltbank prognostizieren nochmals eine Verdopplung der Wirtschaftsleistung [1] bis zum Jahr 2030. Sowohl eine wachsende Weltbevölkerung wie auch eine ansteigende Wirtschaftsleistung benötigen mehr Energie als heute – selbst wenn wir Energie effizienter nutzen und der Verbrauch nicht genauso schnell zunimmt wie Bevölkerung und Wirtschaftsleistung.

Die Glockenkurve der weltweiten Ölförderung

Die Internationale Energie Agentur (IEA) schätzt die Verbrauchssteigerung in den nächsten 20 Jahren auf 45 %. Außerdem will die Weltgemeinschaft zum Schutz des Erdklimas die jährlichen Kohlendioxid-Emissionen weltweit um 85 % (Weltklimarat-Empfehlung) bis zum Jahr 2050 senken. Experten sind sich einig, dass diese Forderung hauptsächlich an die Energiewirtschaft gerichtet sein muss.

Sollen diese Ziele erfüllt werden, müssen in einem überschaubaren Zeitraum nie gekannte Umwälzungen stattfinden. Denn der heutige Energieverbrauch [2] speist sich zu 85 % aus fossilen Quellen, wobei Erdöl ein Drittel, Kohle gut ein Viertel und Erdgas knapp über ein Fünftel abdeckt. Der Rest verteilt sich auf die Bio­energie (etwas über 10 %), Wasserkraft (knapp 2,5 %) und einen kleinen, aber schnell wachsenden Anteil neuer erneuerbarer Energien wie Wind und Sonne von 0,5 % (Bild 2). Überraschend zeigt sich die Atomkraft mit gut 2 % als Scheinriese, der zwar in der öffentlichen Diskussion herausragt, für die weltweite Energieversorgung jedoch heute wie auch in Zukunft keine tragende Rolle spielt.

Die Frage „Wie lange reicht das Öl?“ führt in die Irre. Denn die Quellen sprudeln weder stetig noch versiegen sie von einem Tag auf den nächsten. Die richtigen Fragen lauten deshalb: Welche Menge ist zu welcher Zeit verfügbar? Und wie steht diese Menge im Verhältnis zu unserem Bedarf? Für die Energy Watch Group (EWG) haben zahlreiche Wissenschaftler diese Fragen untersucht. Die Vorgehensweise lässt sich anschaulich am typischen Erschließungsverlauf eines Ölfeldes illustrieren. Mit der ersten Bohrung steigt die Erdölförderung zunächst schnell an und erreicht bald ihr Maximum. Mit den zweiten, dritten und weiteren Bohrungen steigt die Förderung zunächst trotzdem weiter, bis auch weitere neue Bohrungen die Förderrückgänge der bisherigen nicht mehr ausgleichen können und das Ölfeld insgesamt seinen Förderhöhepunkt (engl. „Peak“) überschreitet. Trotz weiterer Bohrungen geht dann die Ölförderung insgesamt zurück. Das Ergebnis ist eine sogenannte Glockenkurve (Bild 3).

Dieses Prinzip gilt nicht nur für einzelne Ölfelder, sondern auch für ganze Förderregionen und die gesamte weltweite Ölförderung, weil die Gesamtmenge des Erdöls, das in der Erdkruste entstanden ist, aus geologischen Gründen begrenzt und weitgehend bekannt ist.

Der dritte Peak der Erdölförderung scheint erreicht

Rückschlüsse für den weltweiten Förderhöhepunkt lassen sich aus dem historischen Verlauf ziehen. Mit der ersten Bohrung in Wietze bei Celle im Frühjahr 1859 begann die kommerzielle Ölförderung vor genau 150 Jahren. Rund hundert Jahre später, schon Mitte der 1960er-Jahre datieren die Geologen den Höhepunkt der weltweiten Erdölfunde, also die höchste in einem Jahr gefundene Ölmenge. Der erste Ölpeak liegt also bereits mehr als vierzig Jahre zurück. Die größten Erdölfelder, die noch immer tragende Säulen der Welt-Ölversorgung sind, wurden sogar schon Ende der 1940er- (Saudi Arabien) und 1930er-Jahre (Kuwait) entdeckt.

Während die Neufunde zurückgingen, stieg der Verbrauch immer weiter. So war es keine Überraschung, dass nur zwanzig Jahre später, um das Jahr 1986, der jährliche Erdölverbrauch die jährliche Menge der neuen Funde übertraf. Unweigerliche Folge: Die verbleibende förderbare Ölmenge überschritt ihren Höhepunkt: Die Reserven gehen seitdem zurück. Heute verbrauchen wir vier bis fünfmal mehr als wir neu finden. Trotz Unterschieden nähern sich die kaufmännisch-zurückhaltenden Zahlen der Ölunternehmen den realistischeren Daten der Geologen einfach immer mehr an.

Nun scheint der dritte Peak der weltweiten Erdölförderung erreicht. Dieser muss auf den Höhepunkt der Funde und den Höhepunkt der verbleibenden Reserven unweigerlich folgen, weil schließlich nach und nach alle Ölquellen ihren Höhepunkt überschreiten (Bild 4). Nach der Analyse der Ludwig-Bölkow-Stiftung (LBST) für die EWG könnte sich bis zum Jahr 2030 die weltweite Erdölförderung halbieren. Weil die Förderländer ihren Rohstoff zunehmend selbst verbrauchen, wird auf dem Weltmarkt sogar noch weniger verfügbar sein.

Dagegen gibt es zahlreiche Stimmen, die behaupten, die Erdölförderung ließe sich noch nennenswert steigern. Oft wird geleugnet, dass Preissteigerungen beim Erdöl eine zunehmende Verknappung anzeigen. Das Problem sei nicht der Rohstoff, sondern mangelnde Investitionen. Dem widersprechen die Geschäftszahlen der Ölkonzerne wie Shell, dessen Ölförderung in den letzten Jahren um ein Fünftel sank, obwohl die Investitionen in Ölsuche und Erschließung vervierfacht wurden. Die Kosten und der Ölpreis steigen dadurch.

Die Wirtschaftskrise könnte die Lage noch verschärfen

Die extreme Preissteigerung innerhalb weniger Monate im Jahr 2008 löste bei den Verbrauchern weltweit eine Schockwelle aus, die sich bereits vor der Finanzkrise in der Luftfahrt- und Automobilindustrie niederschlug. Als Folge brach der Erdölverbrauch ein und damit zunächst auch der Preis. Sollte sich daraus eine wirtschaftliche Rezession oder gar Depression entwickeln, hätten die Erdöl fördernden Firmen und Länder aber noch weniger Anreize und Geld, um in die weitere Erschließung und Ausbeutung von Ölfeldern zu investieren. Der Rückgang der Ölförderung könnte sich dadurch sogar beschleunigen und selbst in wirtschaftlichen Krisenzeiten das Erdöl verteuern. Bei darauffolgender positiver Wirtschaftsentwicklung wäre dann die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage umso größer.

Auch die Internationale Energie Agentur (IEA) warnt vor Verknappung. In ihrem jährlichen World Energy Outlook (WEO 2008) sieht sie eine weitere Zunahme des weltweiten Ölverbrauchs um fast ein Viertel bis 2030. „Mit welchen Ölquellen der steigende Bedarf gedeckt werden soll, wie viel die Förderung dieses Öls kosten werde und wie viel die Verbraucher dafür zu zahlen haben werden, ist jedoch äußerst ungewiss – möglicherweise ungewisser denn je“, schreibt darin die Internationale Energie Agentur wörtlich.

Selbst bei der Kohleförderung wird es bald knapp

Mit derselben Methodik untersuchten die Wissenschaftler der Energy Watch Group auch die anderen Energierohstoffe. Weniger akut und doch nicht minder dramatisch zeigt sich die Situation bei der Kohle, die vor allem zur Stromerzeugung eingesetzt wird (Bild 5). Statistiken über die globalen Kohlevorräte sind oft veraltet und vermutlich überhöht. Viele Daten wurden seit Jahren nicht mehr aktualisiert oder mussten meist nach unten korrigiert werden. So hat das zuständige Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe die deutschen Steinkohlereserven im Jahr 2004 um 99 % abgewertet.

Die Abhängigkeit von wenigen Exportländern bei der Kohle wird unterschätzt. Nur vier Länder versorgen den Weltmarkt mit 80 % der Nachfrage: Australien (allein 40 %), Indonesien, Südafrika und Kolumbien. Dabei ist der Kohle-Weltmarkt verhältnismäßig klein. Nur ein Siebtel der geförderten Kohle wird exportiert, weil die Förderländer sie überwiegend selbst verbrauchen.

Die steigende Nachfrage nach Kohle kann nicht schnell genug gedeckt werden. Steigende Preise deuten darauf hin, dass die Nachfrage schneller zunimmt als das Angebot. Aufgrund ihrer Analyse gehen die Wissenschaftler der EWG davon aus, dass die weltweite Kohleförderung zwischen 2020 und 2030 ihren Höhepunkt überschreiten wird, auf einem Niveau, das etwa 30 % über der heutigen Kohleförderung liegen könnte.

Atomkraftwerke laufen bereits auf „Reserve“

Ein überraschendes Bild zeigt sich beim Uran, dessen Förderhöhepunkt bereits Anfang der 1980er-Jahre überschritten wurde (Bild 6). Seit 1991 verbrauchen die Atomkraftwerke mehr Uran, als gefördert wird. Die Differenz – zurzeit etwa 40 % des Bedarfs – decken Lagerbestände aus der Zeit vor 1990. Ein gro­ßer Teil dieses Urans ging in die Produktion von Atomwaffen in den USA und in Russland. Seit vielen Jahren wird ein Teil dieser Waffen rückgebaut, sodass heute statistisch jede zehnte Kilowattstunde Atomstrom mit dem Uran ehemals sowjetischer Atomsprengköpfe produziert wird.

Schon jetzt führt die absehbare Verknappung von Uran zu ähnlichen Preisentwicklungen wie bei Erdöl und Kohle. Wenn es nicht gelingt, in den nächsten Jahren den Uranabbau wieder deutlich zu steigern, werden die Lagerbestände in etwa zehn Jahren aufgebraucht sein. Doch selbst wenn alle geplanten Maßnahmen zur Steigerung des Uranabbaus realisiert werden, könnte die absehbare Lücke damit nur teilweise geschlossen werden. Um den Bedarf der bestehenden Kraftwerke zu decken, müsste die weltweite Förderkapazität kurzfristig um mehr als die Hälfte steigen. Tatsächlich war die Uranförderung aber im Jahr 2006 sogar um 5 % gesunken.

Da trifft es sich gut, dass weltweit ein Ausbau der Atomenergie auch gar nicht stattfindet, im Gegenteil. Wenn man den gegenwärtigen Trend der im Bau befindlichen und ernsthaft geplanten Kraftwerksneubauten fortschreibt, wird sich die Leistung der Atomkraftwerke in den nächsten zwanzig Jahren aus Altersgründen halbieren, schlicht und einfach aus Altersgründen. Und derzeit ist nichts ist im Gange, das diesen weltweiten Ausstiegstrend umkehren würde.

Die Gasförderung wird um 2025 ihr Maximum erreichen

Erste Recherchen der EWG-Wissenschaftler zum Erdgas zeigen, dass die europäische Gasversorgung keineswegs gesichert ist. Während die eigene Gasförderung der Europäischen Union sinkt, stieg der Gasverbrauch seit dem Jahr 2000 um 10 %. Mehr Importe aus Norwegen und Russland glichen den Verbrauchsanstieg bisher aus. Doch es ist zu erwarten, dass in den nächsten zwanzig Jahren die Gasförderung in der Europäischen Union und in Norwegen auf die Hälfte zurückgehen wird (Bild 7). Um diesen Rückgang durch Importe ausgleichen zu können, sind die bisher geplanten Pipelines bei weitem nicht ausreichend.

Der größte Förderstaat der Welt ist heute Russland. Die großen Erdgasfelder haben das Fördermaximum aber bereits überschritten. Im Jahr 2007 sank die russische Gasförderung auf das Niveau von 2003. Die Folge: In Russ­land herrscht Gasmangel [3]. Dort soll es 15 Kraftwerke geben, die nicht ausreichend mit Gas durch Gazprom versorgt werden können. Der russische Energieexperte und ehemalige Vize-Energieminister Wladimir Milow schätzt die Förder- und Lieferschwierigkeiten von Gazprom so hoch ein, dass er schon in etwa einem Jahr einen Gasmangel von 100 Milliarden Kubikmeter befürchtet – das entspricht der Menge, die Deutschland pro Jahr aus Russland bezieht. Dabei ist Russland Deutschlands wichtigster Gaslieferant mit einem Lieferanteil von 35 %. Trotzdem investierte Gazprom in den letzten Jahren weniger Geld in die Gasförderung als in Unternehmensbeteiligungen, die nichts mit Erdgas zu tun haben. Gleichzeitig verschleißt die Gas-Infrastruktur. Das durchschnittliche Alter der russischen Pipelines liegt bei 33 Jahren, was in letzter Zeit zu immer mehr Unfällen, Brüchen und Explosionen führte. Um die russische Gasförderung im notwendigen Umfang auszuweiten, wären große Investitionen in unerschlossene Gasfelder nördlich des Polarkreises und kleinere Felder abseits des Transportnetzes erforderlich.

Von den heute geschätzten Erdgasreserven liegt mehr als die Hälfte in Russland, Iran und Katar. In den großen alten Gasfeldern sinkt die Förderung, während der Eigenverbrauch der Förderländer und die Nachfrage aus Asien steigt. Die Zukunftshoffnung am Arabischen Golf ist ein einziges großes Feld, dessen Gasgehalt vermutlich um zwei Drittel zu hoch veranschlagt wurde. Selbst wenn man optimistisch die offiziellen Reserveangaben zugrunde legt, dürfte die weltweite Gasförderung um das Jahr 2025 das Fördermaximum erreichen, schätzen die Experten von LBST.

Wir befinden uns in einer in der Industriegeschichte beispiellosen Situation. Bevölkerungswachstum und Finanzwirtschaft verlangen Wirtschaftswachstum. Dafür wird in Zukunft mehr Energie benötigt. Gleichzeitig erleben wir eine Verknappung der Energierohstoffe, von denen wir bislang fast vollständig abhängig sind. Nicht weniger als eine energiewirtschaftliche Revolution wird nötig sein, um dieses Problem zu lösen.

Im zweiten und abschließenden Teil dieses Beitrags lesen Sie, welche Lösungsansätze existieren, um der Brennstoff-Knappheit zu begegnen.

Hinweise/Anmerkungen:

[1] verschiedene Quellen nennen Faktoren von 1,9- bis 2,3-fach

[2] Weltendenergieverbrauch 2006, zitiert nach LBST, Quellen: BP Statistic Review of World Energy 2007, IEAWorld Energy Outlook 2006. Der Endenergieverbrauch ist aussagekräftiger, weil er einerseits die nach Umwandlungsschritten tatsächlich verfügbare Energie der einzelnen Energieträger angibt und so Fehleinschätzungen vermeidet (Beispiel Atom­energie). Andererseits ist es die notwendige Vergleichsebene mit erneuerbaren Energien, die wie beispielsweise Windkraftanlagen, direkt Endenergie liefern. Primärenergieangaben (Sonneneinstrahlung, Windkräfte) wären hier nicht sinnvoll.

http://eia.doe.gov/oiaf/ieo/world.html (Figure 16)

http://futurist.typepad.com/my_weblog/2007/07/economic-growth.html

http://www.tagesschau.de/wirtschaft/meldung75268.html

[3] Der Deutschlandfunk berichtete ausführlich über diese Fragen in einem Hintergrundfeature: https://www.deutschlandfunk.de/gasmangel-in-russland-100.html

Wer ist die Energy Watch Group (EWG)?

Die Energy Watch Group (EWG) ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern, die unabhängig und überparteilich agiert. Sie erarbeitet globale Studien und andere Veröffentlichungen über die Verknappung der fossilen Energieressourcen und Uran sowie Ausbauszenarien für die erneuerbaren Energien. Die Analysen liefern Politik, Medien und Öffentlichkeit wichtige Basisinformationen für eine langfristig sichere und kostengünstige Energieversorgung. Alle Publikationen und Informationen sind auf der Internet­seite der EWG zu finden, die dort kostenlos zum Download zur Verfügung stehen.

Die EWG will Informationen transparent und direkt zugänglich machen, die sonst nur gefiltert von Institutionen, Organisationen und Unternehmen an die Medien gelangen. Außergewöhnlich breite nationale und interna­tionale Resonanz fand die Vorstellung der Studie „Weltweite Erdölversorgung” im Oktober 2007 (London) und Mai 2008 (Berlin). Das gemeinnützige Projekt wird getragen von der Ludwig-Bölkow-Stiftung in München-Ottobrunn und finanziert sich aus zweckgebundenen Zuwendungen.

http://energywatchgroup.org/

Weitere Informationen

Unser Autor Thomas Seltmann ist seit 20 Jahren in der Energiewirtschaft tätig und beschäftigt sich besonders mit Fragen der Nachhaltigkeit. Er ist Referent für Energiefragen, Buchautor und derzeit Projektmanager der „Energy Watch Group“ (http://www.thomas-seltmann.de).

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