Die Energiewende gerät zunehmend ins Trudeln. Politiker und Sachverständige fordern einen Kurswechsel bei der Förderung von erneuerbaren Energien, da sonst die Energiewende immer teurer werde. Es mache keinen Sinn, ohne ein langfristig finanzierbares Strommarktdesign die erneuerbaren Energien im gleichen Tempo auszubauen wie bisher, so der Tenor auf dem 7. Deutschen Energiekongress in München. Indessen fordert die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, finanziert durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu stoppen und durch eine marktbasierende Quotenlösung zu ersetzen. Tatsache ist, dass ohne schnellen Netzausbau, wirtschaftliche Sicherheiten für den Betrieb von Regel- und Reservekapazitäten sowie verbindliche Anforderungen an die Grundlastfähigkeit von Windkraft-, Photovoltaik- und KWK-Strom-einspeisern die Stromkosten weiter steigen werden. Energieexperten fordern deshalb primär den Ausbau von Laststeuerungsprogrammen zur Glättung der Stromnachfrage in Kombination mit Energiespeichern. Welchen Stellenwert das Thema Energiewende in der Tagespolitik einnimmt, zeigte die hohe Präsenz an Politikern auf der Münchner Energietagung.
Philipp Rösler: Das EEG ist rasch zu ändern
Mehr Marktwirtschaft, weniger Planwirtschaft! Nach dieser Prämisse forderte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler eine schnelle Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Noch in dieser Legislaturperiode sei mit einer Steigerung der EEG-Umlage von derzeit 3,5 ct/kWh auf möglicherweise über 5 ct/kWh zu rechnen. Kritik äußerte Rösler am unterschiedlichen Energiewendetempo der Länder sowie an landespezifischen Energiewendeplänen, die insbesondere den länderübergreifenden Netzausbau bremsen würden. Der Forderung nach einem eigenständigen Beauftragten für die Energiewende erteilte Rösler eine Absage: „Eine einzelne Person kann das nicht leisten. Das sind Aufgaben für verschiedene Ressorts, ähnlich wie bei der deutschen Wiedervereinigung.“ Harte Kritik übte Rösler am schleppenden Ausbau der Stromtrassen: „Der Föderalismus behindert den Netzausbau. Das zeigen die Schwierigkeiten an den Landesgrenzen.“ Rösler fordert, den Netzausbau für externe Investoren zu öffnen, und auch für Bürger. Wichtig seien neue Speichertechnologien, insbesondere um die erneuerbaren Energien grundlastfähig zu machen. „Überkapazitäten bei den Erneuerbaren schaden dem Markt, da sich Investitionen in Kraftwerke nicht mehr lohnen.“
Günther Oettinger: Strom wird das Maß aller Dinge
„Die Energiewende in Deutschland ist ohne Europa nicht machbar. Auch das Klimaproblem kann nur global gelöst werden.“ Günther Oettinger, Kommissar für Energie der Europäischen Union, machte keinen Hehl daraus, dass er von Insellösungen und länderspezifischem Klein-Klein nichts hält. „Die überregionale Vernetzung ist notwendig; nur dezentral funktioniert nicht.“ Deshalb sei es erforderlich, das EEG klug zu reformieren, denn mehr Photovoltaik mache keinen Sinn. Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien nutze wenig, wenn deren Grundlastfähigkeit nicht realisiert werden könne. Die Entwicklung von Stromspeichern müsse deshalb in den nächsten sieben Jahren massiv vorangetrieben werden. Um die Energiewende zu vollziehen, fordert Oettinger eine kluge Mannschaftsaufstellung: „Stadtwerke sind notwendig, aber mit überregionalen Vernetzungen. Auch die großen Energieversorger wie Eon und RWE werden gebraucht, denn, Zitat, „auch 1000 Stadtwerke bauen keine Pipeline nach Russland.“ Oettinger mahnte, den Energiepreis in Deutschland im Auge zu behalten. „Deutschland hat mit den höchsten Strompreis der Welt.“ Das Beispiel USA zeige, wie schnell sich die geopolitische Einschätzung eines Landes durch niedrigere Energiekosten wandeln kann. Oettinger: „Durch den Ausbau und die Förderung von unkonventionellem Gas kostet Erdgas in den USA nur noch etwa ein Drittel.“ Je mehr die USA Energie im eigenen Land fördern, desto mehr sinke ihr Interesse an geostrategisch wichtigen Ländern.“ Deshalb sei es notwendig, dass sich Europa bei der Förderung von unkonventionellem Gas in Position bringe. „In fünf Jahren können wir Schiefergas ohne den Einsatz von Chemie fördern“, sagt Oettinger.
Hubertus Heil: 16 Bundesländer wursteln vor sich hin
„Leider verfolgt die Regierung keine langfristig wirtschaftlichen Ziele, sondern kurzfristige politische Erfolge“, resümiert Hubertus Heil, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, und fordert den Bund auf, einen Masterplan zur Energiewende vorzulegen. „16 Bundesländer wursteln vor sich hin, anstatt ein Gesamtszenario zu entwickeln.“ Auch Hubertus Heil ist der Auffassung, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz modifiziert werden muss, um die Stromversorgung langfristig abzusichern. „Photovoltaik und Windstrom überlasten unsere Netze. Wir brauchen Stromautobahnen – und die kosten richtig Geld.“ Mehr Strom aus Erneuerbaren bedeute Stromüberschuss im Sommer, aber Strommangel im Winter, weil sich Regel- und Reservekraftwerke für Investoren nicht mehr lohnten. Wichtiger als der weitere Ausbau der Erneuerbaren sei die Hebung von Energieeffizienzpotenzialen in der Haus- und Gebäudetechnik. Auch gelte es, schaltbare Lasten in Gebäuden sowie bei Gewerbe und Industrie zu definieren und Programme zur Laststeuerung zu entwickeln.
Dieter Steinkamp: Unsicherheit ist auf allen Ebenen
„Wir operieren einen lebenden Organismus bei vollem Bewusstsein.“ Mit dieser drastischen Metapher beschreibt Dr. Dieter Steinkamp, Vorstandsvorsitzender der Rheinenergie AG, Köln, seinen Eindruck vom derzeitigen Stand der Energiewende. Auf allen Ebenen herrsche Unsicherheit, da die Politik keine klaren Signale setze. Dies verängstige Verbraucher und irritiere Investoren. Sowohl die großen Energieversorger als auch die Netzbetreiber warten erst einmal ab, da sich Investitionen in Kraftwerke und Netze derzeit nicht rechnen, so Steinkamp. Eine wichtige Rolle bei der Energiewende komme den Stadtwerken zu, da diese näher am Kunden seien und die Bürger dadurch auch an der Wertschöpfung der Stadtwerke teilhaben können. Die hohe Volatilität der dezentralen Einspeiser von Wind- und Photovoltaikstrom könne durch die Verzahnung mit konventionellen dezentralen Energieerzeugern, wie Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) in Kombination mit Fernwärme, kompensiert werden. Insbesondere in den Ballungsgebieten gäbe es erhebliche unerschlossene Fernwärmepotenziale. So plane die Rheinenergie bei der Fernwärme, bezogen auf die heutige Kapazität, einen Zubau von 50 % in den kommenden zehn Jahren. Steinkamp ist überzeugt, dass die Energieversorgung der Zukunft aus einem Mix aus erneuerbaren und konventionellen Energien besteht, die dezentral aufgestellt und intelligent untereinander vernetzt sind.
Jetzt sei der richtige Zeitpunkt für den Einstieg in die intelligenten Stromnetze, doch damit Geld verdienen könne man noch nicht. Smart Grids wären jedoch notwendig für neue Geschäftsmodelle rund um die Energiebereiche Erzeugung, Transport, Speicherung, Handel und Service. Für wichtig hält Steinkamp einen baldigen Rollout von Smart Metern, da damit wichtige Daten über Bedarfsstruktur und Lastverläufe generiert werden könnten. Der Umbau der Stromnetze werde Jahrzehnte dauern und sei keinesfalls trivial, allein schon wegen der immensen Datenvolumina, die aufgrund der intelligenten Netze gesammelt und analysiert werden müssen. „Das Thema erfordert vor allem Moderation“, sagt Steinkamp. Um Ressentiments abzubauen, müssten alle gesellschaftlichen Gruppen aktiviert werden. Direkte Bürgerbeteiligungen seien sinnvoll, damit die Kunden in die Energiewendevorhaben eingebunden werden.
Roland Fischer: Energiewende könnte Exportschlager werden
„Es reicht nicht, die Energiewende nur aus der Perspektive der erneuerbaren Energien zu betrachten, sondern als Start in ein komplett neues Energiesystem.“ Dr. Roland Fischer, CEO Siemens Energy Division, Power Generation, Erlangen, ist der Auffassung, die Energiewende finde bereits weltweit statt. Durch die steigende Nachfrage nach elektrischer Energie werde der Anteil der Erneuerbaren – global betrachtet – jedoch eher abnehmen, der Anteil von Kohle künftig die stärkste Position einnehmen. Insbesondere die USA seien auf dem Weg zur Carbonisierung ihrer Energieversorgung. Deshalb sei es eher unwahrscheinlich, dass die vorgegebenen Klimaziele erreicht werden. Die deutsche Energiewende beschleunige den weltweiten Umbau der Energienetze und schaffe dadurch auch neue Exportmöglichkeiten. Als Beispiel nannte Fischer die erste 6-MW-Windturbine, das GuD-Kraftwerk in Irsching mit einem Wirkungsgrad von 60,75 % sowie den Effizienz-Weltrekord des Kohlekraftwerkes in Waigaoqiao (China) mit knapp 50 % Wirkungsgrad, allesamt Siemens-Projekte. Deshalb sei es wichtig, zunächst die bestehenden Kraftwerke zu modernisieren. Fischer: „Diese Möglichkeit wird viel zu wenig genutzt.“
Doch auch beim Umbau des heutigen Energiesystems vom linearen Stromnetz zur Strommatrix habe Deutschland gute Chancen, das gewonnene Know-how auf den Exportmärkten zu nutzen. Allerdings befände man sich beim Smart Grid noch in der Findungsphase. Wichtig ist es, die Stromspeicherung voranzutreiben. Dabei sei die Methanisierung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien die derzeit beste Technologie zur langfristigen Speicherung von Energie. Insbesondere das bereits bestehende Erdgasnetz böte eine enorme Speicherkapazität. Deutschland habe gute Chancen, eine Energieversorgung aus eigenen Ressourcen aufzubauen und daraus ein Geschäftsmodell für die Exportwirtschaft zu entwickeln.
Rune Bjønsen: Erdgas im Überfluss vorhanden
Erdgas könnte bei der Energiewende eine tragende Rolle übernehmen. Rune Bjønsen, Senior Vice President Natural Gas, Statoil, Stavanger/Norwegen, mahnt, die Energiewende nicht auf Kosten des Klimas zu vollziehen. „Der Kohleverbrauch in Europa steigt. Die statistisch ausgewiesene CO2-Reduktion ist ausschließlich auf die vergleichsweise milden Winter zurückzuführen.“ Erdgas könne sowohl für Grundlast-Kraftwerke als auch dezentral für lastgeführte BHKWs eingesetzt werden. Da Gaskraftwerke schnell auf Lastschwankungen reagieren, sei die Kombination mit den volatilen Einspeisern aus erneuerbaren Energien ideal. Durch die weltweite Exploration von Schiefergas sei die Versorgung mit Erdgas auf lange Zeit gesichert. Allerdings müsse zunächst die Infrastruktur zur Anlandung von verflüssigtem Erdgas in Europa ausgebaut werden. In der folgenden Diskussion wurde bereits spekuliert, ob durch den Preisverfall bei Erdgas in den USA das Erdgas auch in Europa billiger werde. Aktuell kostet in den USA die Megawattstunde Erdgas zwischen 6,80 und 8,50 USD, so die Zeitschrift Technology Review vom 14. September 2012 in dem Beitrag „Auf die Windkraft kommt ein regelrechtes Blutbad zu.“ Umgerechnet auf den Energiegehalt von Rohöl entspreche der momentane Erdgaspreis nur noch 15 USD pro Fass, so der Beitrag. Strom könne derzeit in Gaskraftwerken zu 4 US-Cent pro kWh produziert werden. Damit könnten regenerative Energien wie Windkraft nicht konkurrieren.
Michael Schmidt: Konsequenzen durch das Schiefergas
Auch Michael Schmidt, Vorstandsvorsitzender BP-Europe SE, Bochum, geht davon aus, dass die Schiefergas-Schwemme in den USA die Energielandschaft mehr beeinflussen wird als bislang angenommen. „Wir rechnen damit, dass die USA etwa ab dem Jahr 2030 unabhängig von Energieimporten sein werden. Die Überschussmengen landen dann auf dem europäischen Erdgasmarkt.“ Durch die Fortentwicklung der Horizontalbohrverfahren sei mit weiteren Kostenreduzierungen bei der Gewinnung von Schiefergas zu rechnen. Schmidt befürchtet, dass sich die Amerikaner mit steigender Energieautonomie aus der globalen Energiepolitik zurückziehen werden. Das könnte seiner Meinung nach tief greifende Konsequenzen für die Sicherheit der Energiequellen im Nahen und Mittleren Osten nach sich ziehen. Außerdem würden sich künftig energieintensive Betriebe bevorzugt in den USA ansiedeln. Schmidt geht davon aus, dass die Erschließung von Schiefergas in etwa fünf Jahren durch Fracking ohne chemische Zusätze möglich sein wird. Deutschland müsse sich entscheiden, ob es sich bei der Schiefergasförderung dann weiter selbst im Weg stehen wolle.
Jochen Homann: Marathon statt Sprint
„Mit aufgeregter Tagespolitik schaffen wir die Energiewende nicht.“ Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, Bonn, rät den beteiligten Kreisen, unaufgeregter an die Energiewende heranzugehen. „Wir haben einen Marathonlauf vor uns, keinen Sprint. Da gilt es, die Kräfte einzuteilen.“ Ziel sei bis zum Jahr 2050, den Anteil erneuerbarer Energien auf 80 % zu steigern, nicht bis morgen. Der Netzausbau sei eine enorme Herausforderung, sowohl für die Erbauer als auch für die Betreiber. Das Ziel sei nur zu schaffen, wenn alle am gleichen Strang ziehen und der Leitungsausbau auch bei der Bevölkerung Akzeptanz findet. Dazu sei mehr Transparenz nötig.
Den Verfechtern dezentraler Lösungen erteilte Homann eine Absage. „In einem Industrieland funktioniert das nicht“, mahnt Homann. „Wenn jedes Bundesland und jede Kommune ihre eigene Energiewende vollzieht, schaffen wir unnötige Überkapazitäten.“ Wichtig sei, die quälend langen Planungs- und Genehmigungsverfahren abzukürzen. „Oft enden dringend notwendige Leitungen an der Ländergrenze, weil sich die Behörden der dafür zuständigen Bundesländer nicht einigen können.“ Die populären Bioenergiedörfer seien ganzheitlich betrachtet keine Lösung. Sie führten zu Kleinstaaterei und verteuerten eine Energiewende. Der Slogan „think big“ sei in diesem Fall besser als „small is beautiful“. Der Süden Deutschlands müsse mit dem Norden vernetzt werden, denn die Versorgungsprobleme im Winter bestünden weiter. Homann befürwortet eine gesetzliche Regelung gegen die Stilllegung alter Kohlekraftwerke, da diese als Kaltreserve gebraucht werden. Auch seien neue Gaskraftwerke notwendig, um genügend Regelenergie bereitzuhalten. „Volatile Einspeisung funktioniert nur, wenn Lastschwankungen durch konventionelle Kraftwerke kompensiert werden können.“
Andreas Löschel: Mehr Daten, mehr Zeit
Auch wenn die Aktivitäten rund um die Energiewende nach außen hin eher unkoordiniert, ja chaotisch erscheinen, so läuft im Hintergrund bereits ein Monitoring-Prozess zur Überprüfung der Eckpunkte. Prof. Dr. Andreas Löschel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) der Universität Heidelberg und Vorsitzender der Kommission für das Monitoring der Energiewende stellte das von der Bundesregierung initiierte Projekt vor. Demnach werden in einem jährlichen Bericht die Fortschritte bei den Gesamtzielen und der Stand der Umsetzung der Maßnahmen aufbereitet. Alle drei Jahre ergänzt ein zusammenfassender strategisch ausgerichteter Fortschrittsbericht der Bundesregierung die jährlichen Berichte. Die aktuelle Situation des Monitoring-Programms umschreibt Löschel so: „Wir brauchen mehr Daten, wir brauchen mehr Zeit. 16 Länder mit 16 Energiekonzepten machen ein durchgängiges Monitoring schwierig. Die aktuellen Zahlen sind wenig belastbar.“ Institutionen, Verbände, aber auch Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen, Einblicke in den Arbeitsprozess zu nehmen, Anregungen einzubringen und damit den Monitoring-Prozess konstruktiv und kritisch zu begleiten. Fragen und Vorschläge können an folgende E-Mail-Adresse gesendet werden: Monitoring.Energiederzukunft-Anregungen@bnetza.de
Ludwig Möhring: Dämmung ist meistens unwirtschaftlich
Aus Sicht von Dr. Ludwig Möhring, Geschäftsführer Wingas GmbH & Co. KG, Kassel, läuft die Energiewende derzeit nach dem Motto: Ausbau der erneuerbaren Energien, koste es, was es wolle. Auch läge der Fokus viel zu sehr auf dem Strommarkt; das Effizienzpotenzial des Wärmemarktes werde dagegen völlig unterschätzt. In Wärmedämmung sollte nur investiert werden, wo sich Dämmung wirklich lohnt. In nicht sanierten Gebäuden sei es meist wirtschaftlicher, in effiziente Wärmetechnik zu investieren, beispielsweise in moderne Brennwertheizkessel in Kombination mit Solarthermie oder in Mikro-KWK-Geräte. Große Hoffnungen setzt Möhring in die Gaswärmepumpe, auch wenn diese Technik heute noch nicht wirtschaftlich sei.
Möhring sieht den weiteren Ausbau der Photovoltaik kritisch, da sich durch die hohe Einspeisung von PV-Strom um die Mittagszeit der Bau und der Betrieb von Gaskraftwerken zur Spitzenlastabdeckung wirtschaftlich nicht mehr lohne. Dennoch sieht Möhring die Gaswirtschaft im Aufwind, da sie bereits heute die notwendigen Rahmenbedingungen für die Energiewende biete. Durch das wachsende Angebot an Schiefergas sei die Versorgungssicherheit über Jahrzehnte hinweg gewährleistet. „Erdgas ist der kostengünstigste Brennstoff der Energiewende“, resümiert Möhring. Und weiter: „Erdgas wird sich im Wettbewerb gegenüber der Elektrowärmepumpe behaupten.“ Viele Maßnahmen der Energiewende könnten mit Erdgas verwirklicht werden, beispielsweise die Stromerzeugung, die Nutzung von Erdgasleitungen als Energiespeicher und die Methanisierung von Wasserstoff aus Windenergie zur Einspeisung ins Erdgasnetz. Möhring befürchtet, dass mit steigendem Strompreis der Zuspruch der Bevölkerung zur Energiewende abnimmt. Erdgas biete bezahlbare Effizienz und CO2-Einsparung zugleich.
Kurt Mühlhäuser: Es fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept
„Die Energiewende führt vorübergehend zu höheren Kosten, ist aber langfristig kostengünstiger, vor allem wenn man die Kosten des Klimawandels ohne Energiewende gegenrechnet.“ Dr. Kurt Mühlhäuser, Vorsitzender der Stadtwerke München GmbH, ist zuversichtlich, dass die Ausbauoffensive der Stadtwerke München (SWM) trotz hoher Investitionen zum Ziel führt. Bis 2025 wollen die SWM den gesamten Münchner Strombedarf aus erneuerbaren Energien in eigenen Anlagen produzieren. Das Investitionsvolumen soll bei 9 Milliarden Euro liegen. Der Schwerpunkt der Ausbauoffensive liegt bei Windparks, wobei künftig Onshore-Windparks – weil wirtschaftlicher – bevorzugt werden. „Onshore Wind ist die kosteneffizienteste erneuerbare Energie“, sagt Mühlhäuser. „Ab Mitte der 2020er-Jahre ist Windstrom wirtschaftlicher als konventionell erzeugter Strom.“ Ziel für Bayern seien rund 200 Windräder. Gegenüber einem weiteren Ausbau der Photovoltaik ist Mühlhäuser eher skeptisch. Bei rund 1000 Sonnenscheinstunden pro Jahr sei keine Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Auch gegenüber Biomasse zeigt sich Mühlhäuser skeptisch; besser sei, man lasse die Finger davon. Pragmatisch sieht Mühlhäuser das Problem des Spitzenstroms. Statt eines GuD-Kraftwerks empfiehlt er eine Gasturbine. Die sei wirtschaftlicher.
Frank Höpner: Komplexität aus Contracting herausnehmen
Wie sieht das Energieversorgungssystem der Zukunft aus? Welche Geschäftsmodelle lassen sich in einem dynamisch sich verändernden Umfeld etablieren? Können auch Unternehmen außerhalb des engen Kreises der Energiewirtschaft von diesem Paradigmenwechsel partizipieren?
Ein deutliches Zeichen, dass die Energiewende bereits in vollem Gange ist, zeigt die erstmalige Präsenz peripherer Branchen auf dem Deutschen Energiekongress. Die bisherige Dominanz der großen Energieversorger geht spürbar zurück. Anbieter dezentraler Energiesysteme bringen sich in Position. Prof. Dr. Frank Höpner, Mitglied der Geschäftsleitung Cofely Deutschland GmbH, Köln, sieht die Entwicklung so: „Durch die Energiewende verändert sich der Markt tief greifend. Das Umfeld von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wird dadurch deutlich komplexer. Es ist deshalb notwendig, die bestehenden Geschäftsmodelle an die veränderte Situation anzupassen.“ Das gelte auch für das Contracting. Höpner sieht den Wandel in der Energiewirtschaft als Chance, das Angebot an kundenspezifischen Contracting-Lösungen weiter auszubauen. Aus seiner Sicht bestimmen folgende Entwicklungen den künftigen Markt:
- Die Energieerzeugung wird dezentraler,
- die Energiesysteme werden intelligenter,
- der Energieverbrauch wird abnehmen.
Aufgrund zunehmender Variablen fordere der Kunde mehr Information von Dienstleistern im Vorfeld von Contracting-Aufträgen sowie maßgeschneiderte Modernisierungs- und Finanzierungskonzepte. „Wir müssen die Komplexität aus dem Contracting herausnehmen und uns mehr an den Bedürfnissen des Kunden ausrichten“, sagt Höpner. Wichtig sei eine exaktere Analyse der Ist-Situation sowie die aussagefähige Aufbereitung vorhandener Daten über Energieverbrauch, Energiekosten und CO2-Emissionen der Kundenanlagen. Auch das Thema Strombezug und Stromverkauf gehöre künftig ins Portfolio des Contractors. Höpner: „Die energiewirtschaftliche Kompetenz des Contractors muss gesteigert werden. Damit kann er seine Wertschöpfungstiefe verbessern.“ Dazu zähle unter anderem auch die Zertifizierung des Kunden nach EN 50001 (Energiemanagement), ein Carbon Management sowie ein Data Management. Cofely habe dazu ein Ebox Datamanagement entwickelt, das die automatisierte Erfassung und Verarbeitung von Zählerdaten, Füllständen, Betriebs- und Verbrauchsdaten ermöglicht. Wichtig für Industriekunden sei das Thema Green Production, also die CO2-arme bzw. CO2-freie Produktion mit dem Ziel der Green-Building-Zertifizierung unter dem Aspekt hoher Verfügbarkeit bei niedrigen Lebenszykluskosten. Höpner sieht gute Chancen, durch den Aufbau zusätzlichen Know-hows unter bestimmten Bedingungen auch die energetische Sanierung der Gebäudehülle in das Energiespar-Contracting-Angebot einbeziehen zu können.
Christian Nentwig: Handwerk hat zu konservative Einstellung
Während beim 6. Deutschen Energiekongress im letzten Jahr die Strombosse noch ihre Wunden leckten, stellen sich jetzt junge agile Unternehmen mit offensiven Marktmodellen den neuen Aufgaben. Christian Nentwig, Vertriebsleiter Deutschland der Sanevo GmbH & Co. KG, Offenbach, will die traditionellen, aus seiner Sicht eingefahrenen Vertriebswege verlassen und die Vermarktung von Mikro-KWK-Geräten unterschiedlicher Hersteller mit eigenen Montageteams vorantreiben. Seine Argumente:
- Die Politik favorisiert weiterhin Großprojekte.
- Das Handwerk ist nicht adäquat ausgebildet, arbeitet deshalb mit hohen Sicherheitsaufschlägen. Außerdem bestehe eine historisch gewachsene Abhängigkeit zwischen Handwerkern und Herstellern.
- EVU und Stadtwerke für die Vermarktung von Mikro-KWK-Geräten zu gewinnen scheiterte bisher an fehlenden Geschäftsmodellen.
- Der potenzielle Kunde wisse oft gar nichts mit dem Begriff Mikro-KWK-Gerät anzufangen. Außerdem seien die von Handwerkern kalkulierten Preise zu hoch.
Seit April 2012 verfolgt Sanevo mit den KWK-Geräten von Whispergen, Bluegen-Brennstoffzelle, Honda-Vaillant und EC Power eine neue Markteinführungsstrategie: Bei Abnahme des gesamten Systempakets sind die Geräte für den Kunden um bis zu 30 % günstiger. „Unser Preis bewegt sich schon sehr nahe am Brennwertheizgerät mit Solarthermiepaket“, sagt Nentwig. „Die geringeren Margen kompensieren wir mit höheren Stückzahlen.“
Der aus dem Lebensmittelhandel (Trainee, Marktleiter, Produktmanager, Bezirksverkaufsleiter) kommende Nentwig setzt auf Direktvertrieb, auf eigene, hoch qualifizierte Montageteams sowie einen eigenen Werkskundendienst. Auch Stadtwerke sollen als Partner in den bundesweiten Direktvertrieb eingebunden werden. Tipps, die zu Aufträgen führen, würden mit 250 Euro belohnt. Noch im Feldtest ist das Cleangen-Mini-BHKW, die Fortentwicklung des Solo-Stirling-Geräts. Auch ein Stromspeicher auf der Basis von Lithium-Eisensulfat soll ins Vertriebsprogramm aufgenommen werden. Als wichtigste Zielgruppe für Mikro-KWK-Geräte sieht Nentwig die 50- bis 60-Jährigen: „Bei diesen Leuten geht es nicht nur um Amortisation, sondern auch um Emotion.“ Diese Kundengruppe strebe eine möglichst große Unabhängigkeit von seinem Versorger an.
Michael Böddeker: Grüne Region als Geschäftsmodell
„Green Economy bietet große ökonomische Potenziale, die konsequent zu erschließen sind.“ Auf diese Leitlinie hat die HEAG Südhessische Energie AG (HSE), Darmstadt, ein Geschäftsmodell vorbereitet, um grüne Akteure aus der Region zusammenzuführen. „Die bislang alles dominierenden Großkonzerne befinden sich in der Schockstarre“, sagt Michael Böddeker, Vorstand HSE. „Regionalversorger wie die HSE werden zu Treibern der Green Region.“ Jetzt gelte es, die verkrusteten Marktstrukturen der Energiewirtschaft für neue Geschäftsfelder aufzubrechen. Wichtig sei, durch eine konzertierte Green-Region-Strategie mit partnerschaftlichem Ansatz das Know-how der Hochschulen zu nutzen und mit dem der Unternehmen zu verknüpfen. „Wir werden damit Wachstumsmotor für die ganze Region“, erklärt Böddeker.
Ivo Körner: Hoffen auf Geschäftsmodelle
Lässt sich mit Smart Grid bereits Geld verdienen? Noch niemand kann die Tragweite des Paradigmenwechsels bei der Energieerzeugung so richtig einschätzen. „Die traditionellen Wertschöpfungsketten bei den Energieversorgern lösen sich auf“, erklärt Ivo Körner, Vize-Präsident Software Group, IBM Deutschland GmbH, Ehningen. Stattdessen bilden sich bidirektionale Strukturen mit Datendrehscheiben, die Energieerzeuger, intelligente Stromnetze und Stromzähler, E-Mobility sowie intelligente Häuser und Gebäude miteinander verbinden. „Mit intelligenten Zählern allein lässt sich kein dauerhaftes Geschäftsmodell aufbauen“, betont Körner. Deren Energiesparpotenzial werde derzeit überbewertet, insbesondere im Privathaus. Wichtig seien klare Vorgaben des Gesetzgebers zur Umsetzung von Smart-Grid-Funktionen. Ohne diese sei es kaum möglich, langfristig tragfähige Geschäftsmodelle umzusetzen. „Die bisherigen Pilotprojekte reichen nicht aus, um daraus Modelle zu entwickeln, mit denen man Geld verdient“, bemängelt Körner.
Zusammenfassung und Ausblick
- Die Stadtwerke planen den Ausbau der Fernwärme (und Fernkälte, Anmerkung des Autors) in Ballungsgebieten.
- Die Energieversorgung der Zukunft besteht aus einem Mix aus konventioneller und erneuerbarer Energie.
- Die Energiespeicherung ist der wichtigste Schlüssel zur Energiewende.
- Eine Schiefergas-Schwemme könnte das Energiepreisgefüge zum Nachteil der erneuerbaren Energien, aber auch von Strom, beeinflussen.
- Bei sinkenden Erdgaspreisen wird die Elektro-Wärmepumpe unter Druck geraten.
- Bioenergiedörfer tragen kaum zur Lösung der Energiewende bei.
- Strom aus Onshore-Wind soll schon 2020 wirtschaftlicher sein als konventionell erzeugter Strom.
- Strombezug und Stromverkauf gehören künftig zum Portfolio der Contractinganbieter.
- Wirtschaftliche Energiespeicher sowie Demand-Response-Funktionen sind die Hauptstützen der Energiewende.
- Das SHK-Handwerk zeigt wenig Interesse an eigenen Geschäftsmodellen zur Energiewende.
- Handelsgesellschaften entwickeln Direktvermarktungskonzepte für Mikro-KWK-Geräte mit eigenen Montageteams und Paketpreisen, die unter denen des Handwerks liegen.
Info
Preise befeuern Exploration
„Öl und Gas werden weiterhin eine fundamentale Rolle bei der deutschen Energieversorgung spielen.“ Diese Auffassung vertrat Margarita Hoffmann, Geschäftsführerin Wintershall Russland GmbH, Kassel, im Forum Energiepreise und Rohstoffe im Rahmen des 7. Deutschen Energiekongresses. Auf Russland sei Verlass, zumal das Land wirtschaftlich extrem von Exporteinnahmen abhängig sei. Durch den Bau der Pipelines habe sich außerdem eine starke Bindung von Investor und Abnehmer entwickelt. Auch Matthias Wendel, Geschäftsführer der dänischen Dong Energy Markets GmbH, Hamburg, glaubt an Erdgas in Kombination mit Energieeffizienz, räumt aber ein, dass künftig der Markt und damit der Erdgaspreis stark durch den weltweiten Ausbau der LNG-Kapazitäten (liquefied natural gas) geprägt sein wird. Bis zum Jahr 2015 könnte der Anteil an LNG an den Dong-Gaslieferungen bereits 25 % betragen. Mit wachsendem LNG-Anteil werde auch die Preisbildung von Erdgas beeinflusst.
Wendel geht davon aus, dass der Erdgasbedarf der Gebäudeheizungen weiter abnehmen wird, der Minderverbrauch aber durch Gaskraftwerke kompensiert werde. Diese seien notwendig, um die volatile Einspeisung von Windkraft zu kompensieren.
Für Mike Diekmann, Direktor Gaseinkauf West, Verbundgasnetz AG (VNG), Leipzig, ist unkonventionelles Erdgas künftig die treibende Größe am Energiemarkt. Bis zum Jahr 2035 könnte die Förderung von unkonventionellen Gasvorkommen bereits knapp 70 % betragen. Von einer Verknappung von Erdgas sei keine Rede mehr. Größtes Förderland dürfte dann – so Diekmann – die USA sein, gefolgt von China. Über den Ausbau der LNG-Terminals gelange das unkonventionelle Gas auch in die europäischen Verbundnetze und wirke damit auch preisbildend.
Auch die Ölindustrie setzt auf unkonventionelle Vorkommen, sprich Schieferöl. „Die Peak-Oil-Hypothese ist tot“, schrieben kürzlich die Analysten der Citigroup in einer Studie zur nordamerikanischen Ölproduktion. Andreas Maier vom Institut für Wärme- und Öltechnik e.V. (IWO), Hamburg, bestätigt diesen Trend: „Nie gab es mehr bekannte Ölvorkommen auf der Welt wie heute. Heizöl sei deshalb eine wichtige Brücke zu den erneuerbaren Energien. Durch die Kombination von Ölheizungen mit regenerativen Energien wie Solarthermie, Kaminofen oder Biobrennstoffen als regenerative Ergänzung könne, zusammen mit einer energetischen Gebäudesanierung, bei ölbeheizten Gebäuden mit einer Primärenergiesenkung von durchschnittlich 60 % gerechnet werden (Auswertung von 42 Objekten aus der IWO-Aktion Energiegewinner). Insgesamt hätte sich die Ölheizung in Deutschland gut behauptet. So ist die Anzahl der Ölheizungen seit 1993 von 5375655 Anlagen auf 5849000 gestiegen; im gleichen Zeitraum ist der Verbrauch je Anlage um durchschnittlich 64 % gefallen. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass in ölbeheizten Gebäuden eine energiepolitisch gewünschte Reduzierung des Primärenergieverbrauchs um 80 % möglich sei, so Andreas Maier. Besonders wirtschaftliche Teilsanierungsmaßnahmen seien die Dämmung der Kellerdecke sowie der Einbau effizienter Öl-Brennwerttechnik in Kombination mit Solarthermie.
In der anschließenden Diskussion über den Gaspreis taktierten die Referenten eher vorsichtig. Einen globalen Erdgaspreis werde es nicht geben. Die sogenannte Erdgas-Revolution in den USA werde kaum Auswirkungen auf die Preisbildung in Europa haben. Ziel der US-Regierung sei es, den Industriestandort USA durch billiges Erdgas und damit auch billigeren Strom wieder attraktiver zu machen. LNG-Exporte nach Europa würden den Inlandspreis für Erdgas in den USA in die Höhe treiben. Daran sei derzeit niemand interessiert.
Die Wintershall-Vertreterin betonte mehrfach, wie wichtig die Gasverträge mit den Russen seien, damit sich das Land weiterentwickeln könne. Die Förderung von Schiefergas sei aber nur wirtschaftlich, wenn das Preisniveau für Erdgas hoch bleibe. Mittel- und langfristig sei deshalb sogar mit steigenden Erdgaspreisen zu rechnen. Dann würde es sich lohnen, noch mehr Schiefergas-Vorkommen zu erschließen.
Info
Zentral oder dezentral?
Kann Deutschland die Energiewende ohne seine Nachbarn schaffen? Brauchen wir den Netzausbau im geplanten Maße oder ist es nicht sinnvoller, die Energiewende regional zu vollziehen? Beweisen nicht die unzähligen funktionierenden Bioenergiedörfer die alte These von E. F. Schumacher „small is beautiful“? Werden die kleinen dezentralen Energiekonzepte den großen Lösungen den Rang ablaufen? Spannende Fragen bei der Podiumsdiskussion „Energiewirtschaft im Wandel“ auf dem 7. Deutschen Energiekongress:
Stephan Kohler, Vorsitzender der Dena Geschäftsführung, Berlin, gab dazu ein klares Bekenntnis zur europäischen Energiewende ab. „Wir müssen die Möglichkeit haben, unsere Energieüberschüsse aus Wind- und Photovoltaikanlagen in die europäischen Nachbarländer zu verschieben.“ Die Kapazität von Wind- und Solarstrom-Einspeisungen müssten zudem systemverträglich sein. Eine hohe Gleichzeitigkeit von Wind- und PV-Strom sei kontraproduktiv für das Netz, so Kohler.
Für Franz Untersteller, Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft des Landes Baden-Württemberg, ist die Umsetzung des Netzentwicklungsplans und die Einführung intelligenter Stromnetze der Schlüssel zur Energiewende. Dabei dürfen die Verteilnetze nicht vergessen werden. Funktionierende, autark operierende Bioenergiedörfer seien kein Beweis, dass dezentral auch flächendeckend funktioniert. „Die 35 Bioenergiedörfer in Baden-Württemberg sind kein Maßstab“, so Untersteller.
Ulrich Mayr, Prokurist der Bayerngas GmbH und Geschäftsführer der Novogate GmbH, München, hat Verständnis, dass die Energieversorger ihre Pläne zum Bau von Gaskraftwerken auf Eis gelegt haben: „Früher konnte man für ein Gaskraftwerk rund 5000 Betriebsstunden pro Jahr veranschlagen. Durch die Dominanz der erneuerbaren Energien kann man allenfalls mit 1500 Jahresbetriebsstunden rechnen. Das macht die Investition unwirtschaftlich.“
Ewald Woste, Vorstandsvorsitzender der Thüga AG, München, sprach sich für eine verantwortungsvolle Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien aus. Dazu brauche es aber ein neues Energiemarktmodell mit strategischen Kapazitätsreserven für den Winter. Auch Franz Untersteller sprach sich für Back-up-Kapazitäten aus. Die würden spätestens nach der Bundestagswahl im Jahr 2013 kommen.
Dr. Konstantin Staschus, Generalsekretär European Network of Transmission System Operators for Electricity, (ENTSO-E), Brüssel, machte sich für eine gemeinsame europäische Netzplanung stark. Diese müsse allerdings beschleunigt werden. Mit einem flächendeckenden Smart Grid rechne er erst in etwa zehn Jahren. Wichtig sei es, einen Demand-Response-Markt mit Industrie- und Haushaltskunden zu etablieren.
Dr. Ingo Luge, Vorsitzender der Geschäftsführung Eon Deutschland, München, mahnt zu einem Ausbau mit Bedacht. „Wir haben kein Mengenproblem, sondern lokale Strukturprobleme im Netz.“ Wichtig sei ein gesunder Energiemix aus konventionellen Quellen und erneuerbaren Energien. Dem fügt Ewald Woste hinzu: „Wir müssen PV-Anlagen durch Stromspeicher grundlastfähig machen. Dadurch lösen sich viele Probleme von selbst.“
Autor
Wolfgang Schmid ist Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, 80751 München, wsm@tele2.de