Nach dem Ausnahmejahr 2020 offenbaren die im Jahr 2021 in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgasemissionen, wie weit wir tatsächlich von den Klimazielen 2020, 2030 und dem Ziel Klimaneutralität 2045 entfernt sind. Nur massive Anstrengungen ab 2022 können noch die Chance auf eine Zielerreichung wahren.
Im Jahr 2021 sind die Treibhausgasemissionen in Deutschland wie erwartet gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen. Mit einem Plus von rund 33 Mio. t CO2 beziehungsweise 4,5 % gegenüber 2020 droht die Bundesrepublik den Anschluss an ihr 2030-Klimaziel zu verlieren. Mit einer Minderung der Treibhausgasemissionen von 38 % Emissionsminderungen gegenüber 1990 das 2020-Ziel von − 40 % wieder verfehlt.
Haupttreiber für den Emissionsanstieg auf 772 Mio. Tonnen CO2 waren die wirtschaftliche Teilerholung nach dem Pandemiejahr 2020, eine höhere Kohleverstromung bedingt durch stark gestiegene Gaspreise, ein Rückgang der Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien sowie eine kühlere Witterung. Das zeigt die Jahresauswertung von Agora Energiewende, in der der Thinktank die wichtigsten Entwicklungen der Energiewende in Deutschland im Jahr 2021 vorstellt.
Exkurs: Um die im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) nach dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts angepasste zulässige Jahresemissionsmengen der einzelnen Sektoren bis 2030 zu erreichen, muss ab 2021 jedes Jahr eine Minderung von 37,5 Mio. t CO2-Äquivalent erreicht werden. Durch die aktuelle Lücke steigt der Wert für die jährliche Minderung deutlich und bei einer Budgetbetrachtung für die aktuelle Dekade sogar erheblich.
Die im KSG genannte zulässige Jahresemissionsmenge für das Jahr 2020 von 818 Mio. t CO2-Äquivalent ist deutlich höher als das 40-%-Minderungsziel für 2020 gegenüber 1990 von 750 Mio. t CO2-Äquivalent.
Umsetzungslücke zu den Klimazielen ist größer denn je
Die Analyse für 2021 bestätigt, dass die 2020 erreichten Emissionsminderungen überwiegend auf Einmaleffekte infolge der Coronavirus-Pandemie zurückzuführen waren. „Einerseits ist 2021 das Jahr, in dem sich Deutschland die ambitioniertesten Klimaziele seiner Geschichte gesetzt hat.
Andererseits wächst die Umsetzungslücke weiter, die die neue Bundesregierung jetzt dringend mit wirksamen Klimaschutzmaßnahmen schließen muss“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland bei Agora Energiewende. „Insbesondere beim Klimaschutz im Gebäudebereich und bei den erneuerbaren Energien gibt es großen Aufholbedarf.“
Das Bundes-Klimaschutzgesetz gibt Minderungsziele für die Bereiche Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft vor. Laut der Agora-Energiewende-Analyse verfehlt der Gebäudesektor nach 2020 nun auch 2021 das gesetzlich festgelegte Klimaziel, diesmal um 12 Mio. t CO2-Äquivalent. Das Bundesklimaschutzgesetz sieht für 2021 im Gebäudesektor eine zulässige Jahresemissionsmenge von 113 Mio. t CO2-Äquivalent vor. Berücksichtigt werden hier nach dem Quellenprinzip insbesondere die verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen von Heizungsanlagen.
Hinzu kommt eine knappe Zielverfehlung im Verkehrssektor, obwohl die Mobilität der Deutschen coronabedingt 2021 noch eingeschränkt war. Die Emissionen der Industrie lagen auf dem Zielpfad, weil die Produktion auch 2021 noch etwas gedämpft war.
„Die wirtschaftliche Erholung des vergangenen Jahres war nicht grün. Angesichts des fortgesetzten Konjunkturaufschwungs ist ein weiterer Emissionsanstieg 2022 bereits absehbar. Nur ein schnell wirksames und umfassendes Sofortprogramm der neuen Bundesregierung kann verhindern, dass die Schere zwischen Klimazielen und Klimamaßnahmen noch weiter aufgeht“, sagt Müller.
Siehe auch: Wie der Gebäudebestand bis 2045 CO2-neutral wird
2021: Einbruch bei Ökostromproduktion, Comeback der Kohle
Während die Stromproduktion aus Windkraftanlagen 2021 der Agora-Energiewende-Analyse zufolge den größten Einbruch aller Zeiten verzeichnete, gab es bei der Kohleverstromung einen Rekordzuwachs. Insgesamt lieferten erneuerbare Energien 40,5 % an der gesamten Stromerzeugung im Vergleich zu 43,6 % im Jahr 2020.
Ihr Anteil am Stromverbrauch, also abzüglich des Exportüberschusses, lag 2021 bei 42,3 % – im Vorjahr hatten sie dank Sondereffekten noch den Höchstwert von 45,6 % erreicht. Bei Braun- und Steinkohle stieg der Anteil an der Stromerzeugung dagegen bedingt durch hohe Gaspreise um knapp ein Fünftel auf 27,8 % – nach großen Verlusten im Jahr 2020.
Der gesunkene Ökostromanteil im Jahr 2021 hatte vor allem zwei Gründe: Einerseits erholte sich der Stromverbrauch gegenüber 2020 wieder und stieg von 548 auf 560 TWh (Mrd. kWh). Andererseits konnte dieser Anstieg aufgrund ungünstigerer Wetterbedingungen, wie schwächeren Winterstürmen zu Jahresbeginn, nicht von den Erneuerbaren abgedeckt werden.
Müller: „Der starke Rückgang bei den erneuerbaren Energien zeigt die Versäumnisse der Energiepolitik der letzten Jahre auf. Um den Ökostrom-Anteil bis 2030 wie im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehen nahezu zu verdoppeln, braucht es nun einen massiven und schnellen Ausbau von Wind- und Solaranlagen.“
Den Rekordambitionen bei den Klimazielen steht ein Zubau von Erneuerbaren-Energien-Anlagen 2021 von nur 6,7 GW auf insgesamt 137 GW gegenüber. Solaranlagen machten drei Viertel des Zuwachses aus, der Rest waren neue Windenergieanlagen an Land. Windenergieanlagen auf See wurden 2021 keine angeschlossen. Müller: „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Eine Ausbauoffensive für Solarenergie kann schon ab 2022 dazu beitragen, die Ökostromlücke zu schließen“, ergänzt Müller.
Große Preissprünge an den Energiemärkten
2021 war außerdem das Jahr der fossilen Energiepreisrallye mit großen Preissprüngen an den Märkten: Im Jahresverlauf verelffachte sich der Preis von fossilem Gas zwischenzeitlich – von anfangs 20 Euro/MWh (2 Ct/kWh) auf über 220 Euro/MWh (22 Ct/kWh).
Infolgedessen wurden Steinkohlekraftwerke verstärkt eingesetzt. Der Mehreinsatz von Kohlekraftwerken erhöhte den CO2-Ausstoß sowie die Nachfrage an CO2-Zertifikaten im Europäischen Emissionshandel (EU-ETS), wodurch auch der CO2-Preis im Jahresmittel von 24,8 Euro/t auf 53,6 Euro/t anstieg; Ende des Jahres 2021 lag er bei rund 80 Euro/t.
Im Tagesdurchschnitt stieg der Börsenstrompreis im Jahresverlauf zeitweise um mehr als das Siebenfache, von anfänglich 50 Euro/MWh (5 Ct/kWh) auf über 430 Euro/MWh (43 Ct/kWh). Stromkunden bekamen diese starken Preisanstiege an der Börse im vergangenen Jahr bisher nur vereinzelt zu spüren.
Durchschnittlich waren im Endkundensegment für Strom 32,2 Ct/kWh fällig – ein Plus von 3,9 % im Vergleich zu 31,0 Ct/kWh im Jahr 2020. Ursächlich hierfür war in erster Linie das Ende der Mehrwertsteuersenkung; gleichzeitig wirkte die Absenkung der EEG-Umlage dämpfend.
Müller: „Die Preisausschläge bei den Energiepreisen werden ab 2022 auch bei den Haushalten stark spürbar werden. Kurzfristig braucht es deshalb sozialpolitische Maßnahmen für einkommensschwache Haushalte, um steigende Strom- und Gasrechnungen abzufedern. Um langfristig günstige Energiepreise zu sichern, lautet die Lösung: Erneuerbare ausbauen. Nur so werden grüne Technologien wettbewerbsfähig und der Industriestandort Deutschland fit für die Klimaneutralität.“
Die Energiepreise werden die öffentliche Debatte auch dieses Jahr prägen. „Das Energiepreisniveau 2022 wird vor allem von der Entwicklung des Erdgaspreises abhängen, da dieser die Preise für Strom und Wärme vorgibt“, erwartet Müller. Ausschlaggebend seien die Wetterbedingungen zu Jahresbeginn, die Verfügbarkeit von Gas-Importkapazitäten sowie die geopolitische Lage.
2022 wird entscheidend für das Erreichen der 2030-Klimaziele
2022 muss die neue Bundesregierung das im Koalitionsvertrag angekündigte Klimaschutz-Sofortprogramm abschließen. Mit der Vollendung des Atomausstiegs 2022 und dem laufenden Kohleausstieg, muss das Sofortprogramm eine neue Dynamik für das Erreichen der 2030-Klimaziele schaffen.
Müller: „2022 gilt es, endlich genug Flächen für Windkraft zu sichern, die Photovoltaik zu entfesseln, und die Netze für Klimaneutralität zu planen. Die Industrie braucht einen belastbaren Investitionsrahmen. Gebäudesanierungen und die soziale Wärmewende gibt es nur mit klaren Vorgaben und ausreichenden Fördermitteln.“
Auf europäischer Ebene wird die Implementierung des Fit-for-55-Pakets der Europäischen Kommission im Vordergrund stehen, bei der die neue Bundesregierung die Chance hat, auf eine ambitionierte Umsetzung hinzuwirken. Müller: „2022 muss das Jahr der Klimamaßnahmen werden, wenn die Bundesregierung es mit dem Bekenntnis zum 1.5-Grad-Ziel ernst meint.“
Das bedeutet allerdings auch, die offiziellen Klimaziele für 2030 noch einmal deutlich anzupassen. Denn die bei der KSG-Novelle nach dem Klimaurteil nachgebesserten Zielwerte, sind bei der Bewertung mit einem Treibhausgas-Budget nicht mit dem Übereinkommen von Paris im Einklang.
Download der Studie: Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2021 ■
Im Kontext:
Ampel-Koalitionsvertrag: SHK-Themen und Statements
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