Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat heute (23. Juni 2022) nach Abstimmung innerhalb der Bundesregierung die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die sogenannte Alarmstufe, ausgerufen. Aktuell sei die Versorgungssicherheit gewährleistet, aber die Lage angespannt. Der Notfallplan Gas hat drei Stufen, die dritte ist die Notfallstufe.
Grund für die Ausrufung der Alarmstufe ist die seit dem 14. Juni 2022 bestehende Kürzung der Gaslieferungen aus Russland und das weiterhin hohe Preiseniveau am Gasmarkt. Zwar sind die Gasspeicher aktuell mit rund 58 % stärker gefüllt als im Vorjahr. Doch sollten die russischen Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 weiterhin auf dem niedrigen Niveau von 40 % verharren, sei ein Speicherstand von 90 % bis Dezember kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar. Dies zeigen Berechnungen der Bundesnetzagentur.
Damit liegt aktuell eine Störung der Gasversorgung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt; die Ausrufung der Alarmstufe sei deshalb notwendig. Die europäischen Partner wurden über den Schritt informiert.
„Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen“
Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck: „Auch wenn aktuell noch Gasmengen am Markt beschafft werden können und noch eingespeichert wird: Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff Putins auf uns.
Es ist offenkundig Putins Strategie, Unsicherheit zu schüren, die Preise zu treiben und uns als Gesellschaft zu spalten. Dagegen wehren wir uns. Es wird aber ein steiniger Weg, den wir jetzt als Land gehen müssen. Auch wenn man es noch nicht so spürt: Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen. Das wird sich auf die industrielle Produktion auswirken und für viele Verbraucher eine große Last werden. Es ist ein externer Schock.“
„Befüllung der Gasspeicher hat jetzt oberste Priorität“
Habeck: „Als Bundesregierung setzen wir alles daran, die Folgen zu mildern und die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Die Befüllung der Gasspeicher hat jetzt oberste Priorität. Wir kümmern uns um alternative Gas-Lieferungen und bauen mit Hochdruck die nötige Infrastruktur. Wir beschleunigen den Ausbau der Erneuerbaren Energien in nicht gekannter Weise. Das wird eine nationale Kraftanstrengung.
Aber wir können sie in Solidarität miteinander bewältigen – Bund, Länder und Kommunen, Bürger, Unternehmen, die Zivilgesellschaft. Energie einzusparen, ist das Gebot der nächsten Monate. Alle Verbraucher – sowohl in der Industrie, in öffentlichen Einrichtungen wie in den Privathaushalten – sollten den Gasverbrauch möglichst weiter reduzieren, damit wir über den Winter kommen. Als Regierung treiben wir die Energieeffizienz voran und setzen auch bei uns im Ministerium Energiesparmaßnahmen um.“
Kohlekraftwerke, um den Gasverbrauch zu senken
Um den Gasverbrauch in der Stromerzeugung zu senken, wird die Bundesregierung, wie am 19. Juni angekündigt, zusätzliche Kohlekraftwerke aus der Bereitschaft abrufen. Dazu hat das BMWK bereits die Kraftwerksbetreiber angeschrieben und gebeten, die nötigen Schritte zu veranlassen. Das entsprechende Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz, das den Abruf der Gasersatz-Reserve ermöglicht, ist derzeit im parlamentarischen Verfahren.
Das BMWK bereitet alle entsprechenden Verordnungen vor; um sie zügig nach Inkrafttreten und passgenau zu nutzen. Habeck: „Wir bringen Kohlekraftwerke in den Markt und reduzieren die Menge an Gas. Das ist schmerzlich, Kohlekraftwerke sind einfach Gift fürs Klima. Aber für eine Übergangszeit müssen wir es tun, um Gas einzusparen und über den Winter zu kommen.“
Außerdem hat die Bundesregierung eine Kreditlinie von zunächst 15 Mrd. Euro zur Speicherbefüllung zur Verfügung gestellt, abgesichert durch eine Garantie des Bundes. „Wir füllen die Speicher, sie müssen zum Winter hin voll sein“, sagte Habeck.
Noch im Sommer soll zudem ein Gasauktionsmodell an den Start gehen, das industrielle Gasverbraucher anreizt, Gas einzusparen. Die Bundesnetzagentur hat dieses Modell am 21. Juni 2022 näher ausbuchstabiert. Weitere Konkretisierungen werden in den kommenden Wochen erfolgen, damit es zügig an den Start gehen kann. Habeck: „Wenn darüber hinaus weitere Maßnahmen nötig sind, werden wir sie ergreifen.“
FAQ-Liste des BMWK zum Notfallplan Gas
§ 24 EnSiG wird vorerst nicht aktiviert
Von dem sogenannten Preisanpassungsmechanismus, den § 24 des Energiesicherungsgesetzes ermöglicht, macht die Bundesregierung vorerst noch nicht Gebrauch. Voraussetzung für diesen Mechanismus ist nach § 24 EnSiG, dass die Bundesnetzagentur eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland feststellt und durch Verkündung im Bundesanzeiger feststellt, das bedeutet faktisch, es muss eine verstetigte Reduzierung des Gesamtimportmengen geben.
Habeck: „Dieser Mechanismus kann in bestimmten Situationen notwendig sein, um einen Kollaps der Energieversorgung zu verhindern. Aber er hat auch Schattenseiten, daher arbeiten wir auch an alternativen Konzepten. Es gilt, den Markt trotz hoher zusätzlicher Kosten am Laufen zu halten.“
Berechnungen der Bundesnetzagentur zur Gasversorgungslage
Die Bundesnetzagentur hat Szenarien berechnet und damit die Gasmengenentwicklung bis Juni 2023 bestimmt. Diese Szenarien zeigen, dass eine Störung der Gasversorgung vorliegt.
Auch bei einem kontinuierlichen Verbleib der Lieferungen durch Nord Stream 1 auf dem Niveau von 40 %, ist die im Gasspeichergesetz vorgesehene Speicherfüllung bis zum 1. Dezember auf 90 % nur dann möglich ist, wenn man unterstellt, dass innereuropäische Gaslieferungen nicht mehr vollständig erfolgen und man davon ausgeht, dass der Gasverbrauch in diesem Winter 20 % unter dem normalen Niveau liegt. ■