Geht es um die Risiken, sich im Unterrichtsbetrieb mit dem Corona-Virus zu infizieren, richtet sich das aktuelle Interesse vor allem auf die Qualität der Atemluft in Klassenräumen. Das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt ein regelmäßiges kurzzeitiges Fenster-Stoßlüften als wirksame Maßnahme gegen die Virusbelastung, was gleichzeitig auch den notwendigen Austausch von Kohlendioxid sicherstellt (20-5-Minuten-Regel). Die Dauer der Lüftung soll sich an der Außentemperatur orientieren. Den Einsatz mobiler Luftfiltergeräte erachtet das UBA nur im begründeten Ausnahmefall für sinnvoll (Corona in Schulen: Luftreiniger allein reichen nicht).
Zu dieser Problematik haben jetzt Prof. Dr. Hans-Martin Seipp und Prof. Dr. Thomas Steffens, Technische Hochschule Mittelhessen (THM), eine eigene Untersuchung in einem Klassenraum der Leibnizschule in Wiesbaden durchgeführt. Sie ermittelte, wie sich dort die Fenster-Stoßlüftung auf lungengängige Aerosole auswirkt.
Als wesentliches Resultat zeigte sich, dass die Stoßöffnung aller Fenster über 3 Minuten bei Außentemperaturen von 7 – 11 °C die eingebrachte Konzentration an Aerosolen bis zu 99,8 % senkte. Damit erwies sich die Fenster-Stoßlüftung um das 10- bis 80fache wirksamer als ein unlängst dokumentierter Einsatz der maschinellen Luftfilterung. Dabei war in demselben Klassenraum mit vier mobilen Luftfiltergeräten (siehe Anmerkung unten) nach ca. 30 Minuten bei gleichzeitigem Dauerbetrieb eine Reduzierung der Konzentration um 90 % festgestellt worden (siehe: Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt).
Standardisiert Aerosole im Klassenraum freigesetzt
Seipp, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin sowie Diplomingenieur für Umwelttechnik, betrieb an zwei Tagen Messungen in dem unbelebten Klassenzimmer mit einem Raumvolumen von 190 m3.
Bei geschlossenen Fenstern wurden zunächst standardisiert Aerosole im Klassenraum freigesetzt und durch zwei Ventilatoren verteilt. Der Zerfallsprozess der Aerosole wurde durch einen Laserpartikelmonitor registriert.
Anschließend wurden alle Fenster für begrenzte Zeitintervalle von 1 bis 5 Minuten geöffnet und dabei die Messungen fortgesetzt, sodass die Aerosolkonzentrationen vor und nach der Stoßlüftung vorlagen. Bei einer Außenlufttemperatur von 17 °C sank die Aerosolkonzentration nach Stoßlüften um 31 % (3 Minuten), bzw. um 83 % (5 Minuten).
Am zweiten Versuchstag bei 7 bis 11 °C Außenlufttemperatur wurden in aufeinanderfolgenden Aerosoluntersuchungen folgende Absenkungen erzielt: nach 1 Minute Stoßlüftung 92 %, nach 2 Minuten über 98 % und während drei Stoßlüftungen über 3 Minuten zwischen 99,4 und 99,8 %.
Schnelle Temperaturerholung
Die Ingenieurwissenschaftler der THM untersuchten auch den Aspekt der thermischen Behaglichkeit, der oft als Einwand gegen die Fenster-Stoßlüftung in der Herbst- und Winterzeit vorgebracht wird. Dabei wurde die Temperaturentwicklung an 10 Messstellen im Raum jeweils im Intervall von 10 s registriert.
Nach einem kurzfristigen Temperaturverlust von bis zu 6 °C stabilisierten sich die Raumlufttemperaturen bereits nach 4 bis 7 Minuten wieder auf einem Niveau, das nur noch 1 K unter dem Ausgangswert lag. Seipp und Steffens gehen davon aus, dass in einem belebten Raum eine noch schnellere Wiederaufwärmung zu erwarten ist.
Hohe Lärmbelastung durch Luftfiltergeräte
Kritisch bewertet Steffens, zu dessen Lehrgebiet der Arbeits- und Immissionsschutz zählt, dass von vier in einem Klassenraum betriebenen mobilen Luftfiltergeräten eine Lärmbelastung von 54 – 57 dB(A) ausgeht. Darunter leidet die Sprachverständlichkeit im Unterricht; und es stellt eine erhebliche Überschreitung gültiger Grenzen dar, die durch das Baurecht für Schulen (maximal 35 dB(A) bei Lüftungsanlagen) sowie den Arbeitsschutz (55 dB (A)) definiert sind.
Abschließend verweisen die Forscher darauf, dass kostenintensive Hochleistungs-Partikelfilter entsprechend allen internationalen Normen stets mit effizienten Vorfiltern betrieben werden. Damit seien aber mobile Luftfiltergeräte der Preisklasse unter 4500 Euro in der Regel nicht ausgestattet, ebenso wenig mit einem Melder der Notwendigkeit des Filterwechsels. Beides könne dazu führen, dass die Filterleistung sinkt und immer mehr Aerosole in der Raumluft verbleiben.
Als Resümee ihrer ersten Untersuchungsergebnisse zur Wirksamkeit der Fenster-Stoßlüftung im Vergleich zum Einsatz mobiler Luftfiltergeräte bestätigen Seipp und Steffens die UBA-Empfehlung zur Infektionsvorbeugung uneingeschränkt. Schon in naher Zukunft planen sie weitere Messungen in einer nordrhein-westfälischen Schule. ■
Anmerkung:
Im Text ist die Bezeichnung „(mobile) Luftfiltergeräte“ absichtlich verwendet worden, da sie sich insbesondere in ihrem Reinluftvolumenstrom von den bisher vorgestellten Luftreinigern unterscheiden. Prof. Dr. Joachim Curtius, Goethe-Universität Frankfurt, und sein Team haben bei der oben zitierten Untersuchung in dem Klassenraum viermal das Modell Philips 2887/10 verwendet. Es verfügt über einen einfachen Vorfilter für groben Staub und Flusen, einen HEPA- (mutmaßlich H13) und einen Aktivkohlefilter. Der typische Verkaufspreis lag im November 2019 unter 280 Euro, aktuell wird das Modell ab etwa 360 Euro angeboten. Laut Betriebsanleitung ist das Gerät „ausschließlich für den Hausgebrauch bei normalen Betriebsbedingungen vorgesehen“.
Die Untersuchung der Goethe-Universität Frankfurt veranlasste die Hessische Landesregierung nach eigenen Angaben dazu, die für die Ausstattung der Schulen zuständigen Schulträger mit bis zu 10 Mio. Euro u. a. bei der Anschaffung von Luftreinigungsanlagen zu unterstützen. Das Hessische Kultusministerium verweist allerdings auf die Veröffentlichung des Umweltbundesamts: Mobile Luftreiniger in Schulen: Nur im Ausnahmefall sinnvoll.