Am Heiligen Abend Notdienst – das mag keiner. Installateur Gilbert macht das richtig sauer. Ob der Abend für ihn noch eine Wende nimmt? Lesen Sie selbst. Autorin der Geschichte ist unsere Leserin Ida Goerdten.
Installateur Gilbert stapfte griesgrämig durch graue Matschpampe, immer der Nase nach Richtung Lagerhalle. Es war ein herrlicher Weihnachtstag und aus jedem Schaufenster klimperte dem Installateur entsetzlich harmonische Hängedeko entgegen.
Die Luft roch nach frisch gebrühtem Glühwein – und als wäre das nicht schon genug verschwendete Energie, lachte ein hell erleuchteter Weihnachtsmann auf Gilbert herunter. „Wohlig, warm, weihnachtlich“, dachte der Installateur verächtlich.
Schade nur, dass der Weihnachtsmann die Häuser der Menschen nicht warm zaubern konnte, denn DAS wäre wahrlich ein weihnachtliches Wunder gewesen. Überhaupt war das Thema Heizen aktuell ein hypersensibles. Dabei konnte Gilbert nichts dafür, wenn Frau Erhard und Herr Precht alles Ersparte lieber in weihnachtliche Polyestersocken und winterlichen Glühwein mit Schuss investieren wollten, nicht aber in ein weitestgehend warmes Wohnzimmer. Es half ja nichts. Der Heizungsbauer hatte Dienst und das am Heiligen Abend.
Bei der Lagerhalle angekommen, belud Gilbert genervt seinen alten VW mit öligen Ersatzteilen und verließ mit quietschenden Reifen das Firmengelände. Während der Installateur die Straße entlang fetzte, fragte er sich, warum Daniel nicht Notdienst machen konnte. Aber Kollege Daniel war mit seiner Frau Dora in den Dolomiten Skifahren, Kollegin Klara verbrachte Weihnachten mit ihren Kindern am Chiemsee und Uwe feierte – klar – bei seiner Mutter Ursula in Ulm. Übrig blieb Gilbert, der weder Freundin, noch Kinder, noch eine Mutter namens Ursula hatte. Dummerweise brauchte man aber mindestens eins davon für ein Weihnachtsfest – und so hatte er stattdessen Notdienst.
Als Erstes war die wunderschöne Werena Weiß an der Reihe. Werena Weiß war eine Frau mittleren Alters und sie wohnte in einem kleinen Reihenhaus mittlerer Größe. Werena war hübsch, ihr Wohnzimmer hingegen hochgradig hässlich. Um die Heizung zu erreichen, musste er eine sperrige Schlittenstatue und fünf funkelnde Weihnachtsfeen zur Seite schieben. Dabei zog er sich einen schmerzlichen Splitter ein. Zum Glück, war Werenas Heizungsproblem sofort behoben, sie hatte nämlich schlicht und ergreifend vergessen die Heizungen zu entlüften. Bei all der Zeit, die sie mit dem Shoppen von wertfreiem Weihnachtskram verbrachte, war das wahrlich kein Wunder.
Als Nächstes fuhr Gilbert zum wild wetternden Waldemar. Er war Wirtschaftswissenschaftler mit vielen Falten, einer Frau ohne Falten sowie drei völlig verzogenen Kindern. Nachdem Waldemar sich über Gilberts Verspätung von zehn Minuten beschwert hatte, ließ er ihn in seinen Kellerraum und begutachtete jede Bewegung des Installateurs. Schnell hatte Gilbert das Problem erkannt. Die Heizungspumpe war defekt und so galt es, elendig schwere Ersatzteile einzubauen. Pünktlich zur Mittagspause konnte Gilbert seinen Werkzeugkoffer schließen und den Kindern von Waldemar dabei zusehen, wie sie sich an die warm werdenden Heizkörper schmiegten. Zum Abschied schenkte Waldemars Frau dem hungrigen Heizungsbauer eine ganze Ladung vegane Weihnachtsplätzchen.
Die wiederum waren wirklich widerlich und so fuhr Gilbert zum Weihnachtsmarkt und bestellte ein warmes Wiener im Brötchen. Es schmeckte gut, doch das gleichförmige Gedudel aus den Lautsprechern erinnerten Gilbert für einen kurzen Moment daran, wie elendig einsam er am heutigen Tag war. Schnell verließ er den Markt und fuhr zu der letzten Kundin des Tages. Sie hatte einen Namen, den er nicht aussprechen konnte und wohnte bei einer Adresse die Gilbert nichts sagte. Es begann zu schneien.
Die Route führte den Installateur durch einen windigen Wald und schon bald war ihm gar nicht mehr wohl bei der Sache, denn aus dem zarten Schneefall war ein scheußlicher Schneesturm geworden. Dann, nach einer endlosen Weile, gab das Navi das Signal, „rechts abbiegen“, doch der Dienstwagen steckte plötzlich so tief im Schnee, dass Gilberts verzweifelte Fahrversuche volle Kanne versagten. Nachdem er festgestellt hatte, dass er in seinem verfluchten Funkloch weder Funk noch Internet hatte, stieg er aus und beschloss zu Fuß nach einer Tankstelle zu suchen.
Bald waren seine Schuhe nass und sein Nacken noch nasser. Mürrisch kämpfte sich der verschneite Wärmevermittler in Richtung Wald und wanderte von dort einige kalte Kilometer Richtung Norden. Irgendwann kommt schon ein Haus, mutmaßte Gilbert und stapfte weiter. Nach einer endlosen Ewigkeit stoppte der Schneefall und plötzlich leuchtete in den Weiten des Waldes ein kleines Licht. Eilig stapfte Gilbert dem spärlichen Schein entgegen und schon bald befand er sich vor einer behaglichen Hütte. Aus dem Schornstein dampfte es wohlig und glitzernde Girlanden waren von Baum zu Baum gespannt. Märchenhafter Mist, murmelte Gilbert, humpelte zur Haustür und klopfte laut und deutlich auf das knarzende Holz. „Herein?“, krächzte eine Stimme aus dem Inneren.
Gilbert betrat den wohlig warmen Innenraum und starrte auf den knisternden Kamin. In einem quietschenden Schaukelstuhl saß eine dickliche Dame in eine wollige Decke gehüllt und strickte Strümpfe. „Ahh, Sie sind der Handwerker, den ich bestellt habe!?“, sagte die Alte freundlich. „Kann gar nicht sein“, grummelte Gilbert. „Ich muss zu einer Frau … ähm, Na nativitat is …“, versuchte Gilbert den merkwürdigen Namen auszusprechen. „Ja die bin ich. Großartig, dass Sie mich gefunden haben, Gilbert!“ Sagte die Frau und strickte besonnen weiter Söckchen.
„Aha, sind Sie denn überhaupt Kundin?“, Gilbert runzelte die Stirn. Wie so eine arme Alte seine Rechnung bezahlen wollte, war ihm ein Rätsel. Außerdem brauchte sie ihn gar nicht, sie hatte ja einen knisternden Kamin. „Kundin, Kundin …“, lachte die Frau leise und ihre lustigen Falten lachten mit. „Wann haben Sie das letzte Mal Weihnachten gefeiert?“, fragte sie Gilbert, der griesgrämig auf den knisternden Kamin starrte. Schuldbewusst schwieg er.
„Möchten Sie einen Tee?“, fragte die Alte weiter. „Nein, Ich möchte wissen, ob Sie Kundin bei der Heizungs Installations GmbH sind“, sagte Gilbert aufgebracht und wollte eigentlich einen Tee. „Hier!“ Die Frau erhob sich sachte aus dem Schaukelstuhl und gab Gilbert einen wohlig warmen Weihnachtstee. „Danke“, brummte Gilbert und nahm einen zaghaften Schluck von der zauberhaft schmeckenden Flüssigkeit. „Feiern Sie dieses Jahr Weihnachten?“, fragte die Dame ohne aufzuhören lieblich zu lächeln. „Erst beantworten Sie meine Frage“, brummte Gilbert stur. „Ob ich ihre Kundin bin?“, begann die Frau ruhig. „Ja und nein.“
Geduldig wartete der sonst so griesgrämige Gilbert auf eine Antwort. Die altkluge Alte hatte etwas Anmutiges an sich. „Nun zum einen …“, fuhr sie fort, „würde ich Sie liebend gern dafür bezahlen, dass Sie mir alle 2–3 Stunden einen Scheitel Holz von dem Stapel da drüben ins Feuer schmeißen …“ „Ok aber ich möchte nach Stundensatz bezahlt werden“, unterbrach sie Gilbert sofort.„Und zum anderen möchte ich, dass Sie mit mir Weihnachten feiern, ich bin doch immer so allein am Heiligen Abend. Also bin ich nicht nur Kundin, sondern sie dürfen auch mein Kunde sein. Ich stricke Ihnen nämlich gerade gemütliche Söckchen, ganz ohne piksigen Polyester.“
Das klang in der Tat verlockend für Gilbert. „Und ich bekomme also den ganzen Abend rechtmäßig vergütet?“ „Sie bekommen ein warmes Wohnzimmer, wohlige Söckchen und einen weihnachtlichen Winterschmaus.“ Gilbert freute sich und nickte. Zu Hause hatte er bloß noch dämliche Dosenravioli und Wintertee gab es dort auch nicht. „Fabelhaft, dann ziehen Sie schnell ihre Schuhe aus und machen Sie es sich auf dem zweiten Schaukelstuhl bequem!“ Freute sich die fröhliche Frau.
Gilbert hatte den schlichten Schaukelstuhl erst jetzt gesehen und hievte seinen kalten Körper hinauf. Es tat gut ins Feuer zu schauen und in beruhigender Begleitung zu sein. „Wohnen Sie eigentlich allein?“, fragte er nach einer Weile. „Ach nein, ich wohne mit meinem Mann zusammen, doch der ist Weihnachten viel beschäftigt. Ich bin doch die Weihnachtsfrau!“ ■
Von Ida Goerdten