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Freitags frei bei gleichem Lohn: Wie geht das?

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SBZ: Nur vier Tage arbeiten, freitags frei, bei vollem Lohn – wann kann ich bei Ihnen anfangen, Herr Keller?

Alfred Keller (lacht): Für einen Redakteur der SBZ finden wir bestimmt noch ein Plätzchen. Bauhelfer sind gerne willkommen …

SBZ: … mal schauen, was der Verleger dazu sagt, wenn er diese Zeilen liest. Aber ernsthaft, Ihr Arbeitszeitmodell hat in den Medien hohe Wellen geschlagen, der Betrieb Keller war auf TV-Kanälen, Onlineseiten und in Zeitschriften präsent. Bis dahin war es aber ein weiter Weg, oder?

Keller: Die Idee zur 4-Tage-Woche an sich ist gar nicht so neu. Darüber gesprochen haben wir im Betrieb schon vor einigen Jahren. Unsere Tochter Lara Keller war da intensiv miteingebunden. Junge Menschen haben ja noch mal einen anderen Blick für neue Entwicklungen. Wir hatten uns damals mit einem Kollegen ausgetauscht, der das so schon ausprobiert hatte. Anschließend sind wir auf unser Team mit einem Vorschlag zugegangen und haben Pro und Kontra aufgezeigt. Das waren, kurz gesagt, längere Arbeitszeiten und eine höhere Arbeitsbelastung am Tag, dafür aber mehr Freizeit und ein längeres Wochenende.

SBZ: Das können Sie als Chef aber nicht einfach von oben herab anordnen, oder?

Keller: Nein, wo denken Sie denn hin, Herr Jäger? Es war sehr wichtig, das Team von Anfang miteinzubinden in unsere Überlegungen. Mit dem Ergebnis, dass wir erst mal einen Probelauf fahren wollten. Eine Entscheidung, hinter der alle Mitarbeiter standen.

SBZ: Wie sah der aus?

Keller: Wir haben den Winter als Testphase genommen. Fünf Monate lang wurde vier Tage gearbeitet, bei voller Wochenstundenzahl. Zum Abschluss jedes Monats saßen wir mit dem Team zusammen und haben unsere Erfahrungen gesammelt, ausgewertet und die Betriebsabläufe Schritt für Schritt angepasst.

SBZ: Und am Ende des Probelaufs?

Keller: Die Belegschaft stand dem neuen Modell sehr offen gegenüber. Dennoch wollten wir jetzt nicht leichtfertig einfach so weitermachen. Deshalb haben wir im Frühjahr erneut einige Monate unter den Vorgaben einer normalen Woche mit fünf Arbeitstagen verbracht. Danach war das Meinungsbild eindeutig. Wir sind dauerhaft auf vier Tage umgestiegen.

SBZ: Was bedeutet das konkret?

Keller: Wir arbeiten nach wie vor 38,5 Stunden je Woche, aber jetzt eben verteilt auf vier Tage, nicht mehr auf fünf. Wobei das nur einen Teil der Belegschaft betrifft. Es sind unsere Baustellenteams, rund 20 Personen, die wirklich nur die vier Tage arbeiten – von den Azubis über die Facharbeiter bis hin zu den Meistern. Und die Bauhelfer auch, falls Sie Interesse haben, Herr Jäger (lacht).

SBZ: Und der Rest des Teams?

Keller: Unsere Kundendiensttechniker arbeiten auch freitags. Die machen ihre eigenen Termine und strukturieren sich ihre Arbeitswoche selbstständig. Es gibt ein Pensum und das wird abgearbeitet. Das Büroteam arbeitet ebenfalls in einer 5-Tage-Woche, zum Teil auch im Homeoffice. Der Notdienst ist natürlich weiterhin durchgängig erreichbar. Sie sehen, wir sind je nach Anforderung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Betrieb ziemlich flexibel unterwegs. Das halte ich für eine ganz wichtige Eigenschaft, um als Handwerksunternehmer auch in Zukunft eine gute Rolle spielen zu können: intern als attraktiver Arbeitgeber, in der Außenwirkung als zuverlässiger Handwerksbetrieb.

SBZ: Was machen Sie freitags?

Keller: Der Freitag ist naturgemäß ruhiger. Da habe ich sogar Zeit, den Jäger von der SBZ zu empfangen (lacht). Tatsächlich ist das jetzt ein echter Bürotag für mich geworden.

SBZ: Zurück zu den Baustellenteams und der 4-Tage-Woche. Besteht die Gefahr, dass sich Ihre Angestellten in den vier Tagen aufreiben?

Keller: Für die Mitarbeiter ist das Thema Arbeitsbelastung im eigentlichen Sinne nicht spürbar. Wir haben schon früher montags bis donnerstags von 7 bis 16:30 Uhr gearbeitet (mit Pausen), das lief aber meist immer auf nach 17 Uhr hinaus, bis die offiziell Feierabend gemacht haben. Da sind Überstunden angelaufen, die ich eigentlich gar nicht wollte. Mit der 4-Tage-Woche gibt es das nicht mehr, Arbeitszeit ist jetzt von 7 bis 17:15 Uhr (mit Pause). Am Donnerstagabend ist der Soll erfüllt. Das kann auch anstrengend sein, ja, aber hier wird niemand aufgerieben. Der Freitag ist dann komplett frei, Zeit für Privates. Wer möchte, kann an dem Tag zudem auf Betriebskosten auch zum Gesundheitstraining gehen oder zum Teamsport, das bieten wir zusätzlich mit an. Montags sehe ich sie dann hochmotiviert wieder!

SBZ: Na klar, wenn ich plötzlich freitags Zeit hätte für Schwarzarbeit, dann käme ich aus dem Grinsen auch nicht mehr heraus.

Keller: Die Vermutung liegt nahe, aber da kann ich Ihnen ganz klar widersprechen: Keiner meiner Mitarbeiter macht in seiner Freizeit Schwarzarbeit. Meine Leute geben 38,5 Stunden Höchstleistung und verdienen es deshalb, auch entsprechend gut entlohnt zu werden. Sie müssen sich nicht noch unter der Hand zusätzlich verkaufen.

SBZ: Dann wechsele ich mal die Perspektive: Wie groß ist die Versuchung, jetzt auch noch den Freitag zusätzlich hinzuzunehmen, um der ganzen Anfragen Herr zu werden?

Keller: Wir könnten sieben Tage am Stück arbeiten. Auftragslage und Nachfrage geben das her. Aber wir sind doch keine Maschinen! Das muss man einfach realistisch so einordnen.

SBZ: Was sagen die Kunden zum neuen Modell?

Keller: Ich hatte jetzt noch keinen Kunden, der gesagt hat: „Spinnt ihr? Freitags passiert auf meiner Baustelle nix?“ Im Gegenteil, die finden das alle gut. Zumal sich im Bauablauf jetzt ganz neue Möglichkeiten ergeben. Inklusive des Freitags bietet das lange Wochenende jetzt mehr Zeit, damit zum Beispiel Estrich oder auch Putz in Ruhe trocknen können. Ich will auch nicht verschweigen, dass wir in den vier intensiven Wochentagen eher mehr geschafft kriegen als in den fünf. Denn freitags war unsere Arbeitszeit bisher von 7 bis 11:30 Uhr – ehrlich, da waren die Teams manchmal erst um 8:30 Uhr auf der Baustelle und um 11 Uhr packten sie zusammen, da passierte ­wenig.

SBZ: Was ist denn der bedeutendste Vorteil?

Keller: Ganz klar, die Produktivität wird deutlich gesteigert. Das zeigt sich an den unterschiedlichsten Stellen: Es fallen weniger Rüstzeiten an, die laufenden Kosten sind geringer, ich verbrauche zum Beispiel weniger Reifen, weniger Sprit. Ich kann Baustellen jetzt eher sogar schneller abwickeln, weil an dem Freitag eben Fremdgewerke wie zum Beispiel Schreiner oder Elektriker ungestört ihr Werk verrichten können. Die Abläufe und die Koordination gestalten sich harmonischer. Das merken sogar die Kunden!

SBZ: Lassen Sie uns noch etwas über den Nachwuchs plaudern. Wie funktioniert eine 4-Tage-Woche in Verbindung mit der Berufsschule?

Keller: Wenn ein Berufsschultag auf einem Freitag liegt, dann ist das eben so. Wir sprechen das mit Bewerbern frühzeitig an. Generell lernt aber jeder neue Mitarbeiter unsere Abläufe erst mal kennen. Wer bei uns eine Ausbildung machen will, muss zuerst mal mindestens zwei Wochen Praktikum absolvieren. Also, zum Berufsschulfreitag gab es noch nie eine Diskussion. Auch nicht zu den Themen Arbeitszeiten und Pausen. Die jungen Leute haben ihre Mittagszeit und machen ihre Vesperpause.

SBZ: So gesehen dürfte die 4-Tage-Woche Ihr Auftreten, Herr Keller, gerade bei jungen Menschen und potenziellen Bewerbern doch aufwerten, oder?

Keller: Das erzielt gerade nach außen eine enorme Wirkung. Die Auszubildenden und die jüngeren Mitarbeiter sind schon mit Begeisterung dabei. Das spüren auch unsere Kunden. Die Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wächst enorm, die Wertschätzung untereinander steigt und das sollte man natürlich auch dementsprechend kommunizieren. Wissen Sie, Herr Jäger, ich bin jetzt mehr als 25 Jahre im Geschäft, aber noch nie war die Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Nachwuchs so wichtig wie heutzutage. Den jungen Menschen zuzuhören, etwas mitzunehmen und dann auch zu versuchen, es umzusetzen, das zählt. Nur Vorgaben machen, im Sinne von „so muss es laufen“, das funktioniert heute nicht mehr.

SBZ: Ist diese Entwicklung hin zur 4-Tage-Woche ein Musterbeispiel dafür, wie ein Unternehmer Leute mitnimmt und sie beteiligt an der Entscheidungsfindung?

Keller: Das ist mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen. Ich sage im Betrieb immer, das ist unser Unternehmen. Wir haben Auszubildende, wir haben Meister, wir haben Studenten, wir haben Gesellen und Helfer und jeder ist ein ganz, ganz wichtiges Bindeglied. Der Betrieb funktioniert nur, wenn allen bewusst ist, dass hier ein respektvoller Umgang miteinander der wichtigste Schmierstoff für den gemeinsamen Erfolg ist.

SBZ: Eines ist bei Ihren medialen Auftritten in den vergangenen Monaten sehr deutlich geworden: Sie haben immer auch für das Handwerk an sich Stellung bezogen, nicht bloß allein für den SHK-Betrieb Keller.

Keller: Das Handwerk generell gewinnt in der Öffentlichkeit gerade enorm an Prestige. Diese Entwicklung müssen wir weiter verstärken. Ich bin der Meinung, grundsätzlich kann die 4-Tage-Woche jedes Handwerk von unseren über 130 Berufen umsetzen. Wichtig ist Flexibilität, wichtig ist Kommunikation mit dem Team, wichtig sind Arbeitsstrukturen und Organisation. Wir in meinem Betrieb arbeiten nicht weniger, wir arbeiten gleich viel, aber deutlich effektiver. Hier kann das Handwerk zeigen, dass es anpassungsfähig ist und damit attraktiv und zukunftsfähig. Ich möchte sogar sagen: zukunftsfähiger als mach anderer Job! Apropos: Wann wollen Sie als Bauhelfer anfangen?

SBZ: Herr Keller, besten Dank für das Angebot, aber ich arbeite gerne bei der SBZ!

Wie finden Sie diesen Beitrag? Wir freuen uns über Ihr Feedback mit Betreff „4 Tage“ per E-Mail an jaeger@sbz-online.de und Robert.Reisch@gentner.de

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