SBZ: Jeder Mensch wächst an seinen Aufgaben. Trifft das auch auf eine Betriebsübergabe zu?
Hermann-J. Kreitmeir: Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, man wächst an der Größe seiner Aufgaben. Bloß bei der Betriebsübergabe ist das aus einem bestimmten Grund schwierig. Die betreffenden Personen beginnen meist viel zu spät damit, den Prozess anzustoßen. Das wächst ihnen dann schnell über den Kopf.
SBZ: Aber wenn der Nachwuchs in den Startlöchern steht, beginnt die Übergabe doch quasi bei seinem Betriebseintritt?
Kreitmeir: Nicht alle sind in der glücklichen Position, Kinder zu haben, die die Firma auch übernehmen wollen. Dann steht die Frage im Raum, wo denn sonst noch geeignete Kandidaten zu finden sind. Diese Gedanken müssen sich Inhaber früh genug machen. Und dazu gehört es eben, sich Zeit zu nehmen.
SBZ: Verkaufen ist doch ebenfalls eine Option.
Kreitmeir: So ein Betrieb ist doch in den meisten Fällen das Lebenswerk der Inhaberin bzw. des Inhabers. Das gibt man doch nicht einfach in fremde Hände, weil kein Nachfolger gefunden wurde. Oder noch schlimmer, sie machen den Betrieb einfach zu. Am schlimmsten ist dabei, wenn es auf einen Zwangsverkauf hinausläuft. Es tut mir weh zu sehen, wenn eigentlich gut laufende Unternehmen fast schon verramscht werden müssen, um die Altersvorsorge des Chefs halbwegs zu sichern.
SBZ: Welcher Zeithorizont sollte geplant werden?
Kreitmeir: Das hängt natürlich von den Zukunftsplänen des Übergebenden ab. Vorausgesetzt, er hat überhaupt welche. Dann bekommt man auch eine klare Linie hinein. Zwei bis drei Jahre vor dem endgültigen Abschied halte ich für einen sehr guten Zeitpunkt, um sich zum Beispiel mit einem externen Berater zusammenzusetzen und die ersten Gedanken zu sortieren. Wichtig in dem Zusammenhang: Zu früh loszulegen bringt wenig. Dauert der ganze Vorgang zu lange, hängt zu viel in der Schwebe. Das macht dann die Mitarbeiter nervös.
SBZ: Ein ungünstiger Zustand?
Kreitmeir: Ja, das gilt es unbedingt zu vermeiden. Damit keine Abwanderung einsetzt. Ich empfehle in diesem Zusammenhang immer, so früh wie möglich ein konkretes Datum zu nennen, an dem die Übergabe faktisch abgeschlossen ist. Das sollte eben den Zeithorizont von zwei bis drei Jahren nicht überschreiten.
SBZ: Wie wichtig ist, dass der alte und der neue Chef in dieser Phase gemeinsam vorangehen? Das sind ja zwei wahrscheinlich völlig unterschiedliche Typen, die dann gemeinsam am Tisch sitzen, den Betriebsalltag steuern und sich über die Zukunft Gedanken machen.
Kreitmeir: Exakt. Die überhaupt gemeinsam an den Tisch zu bringen, ist schon eine Herausforderung. Der Neue hat − hoffentlich ist es so − eigene Vorstellungen und weiß eher, was er anders und in seinen Augen besser machen will. Da tritt dann der häufig beschworene Generationenkonflikt zutage.
SBZ: Das löst sich vermutlich nicht von allein?
Kreitmeir: Selten. Damit umzugehen, das müssen beide Seiten lernen. Das ist in meinen Augen nicht mit einem Steuerberater machbar, da braucht es einfach eine entsprechende Kompetenz im Haus. Es geht dabei auch viel um Moderation, darum, die unterschiedlichen Sichtweisen zu verstehen und zusammenzubringen. Ein externer Coach kann da beratend so einen Übergabeprozess gut begleiten. Im Idealfall natürlich mit SHK-Stallgeruch und unternehmerischer Erfahrung.
SBZ: Es braucht aber schon mehr als eine Moderation des Generationenkonflikts, um eine Betriebsübergabe erfolgreich zu bewältigen, oder?
Kreitmeir: Natürlich. Es gibt wichtige Voraussetzungen, die im Laufe der Übergabe angegangen und geklärt werden müssen. Ein bedeutender und umfangreicher Punkt ist, die ganzen Strukturen, die im Unternehmen vorherrschen, auf den Prüfstand zu stellen. Wird da noch zeitgemäß gearbeitet oder der Entwicklung hinterhergehinkt? Gibt es versteckte oder gar offene Konfliktherde innerhalb des Betriebs oder außerhalb, etwa mit Lieferanten? Ich empfehle immer, den Betrieb einmal komplett zu durchleuchten. Das hilft, Schwachstellen und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Aber Obacht: Die Betrachtung und Analyse durch einen neutralen Berater von außen auf die Firma ist ehrlicher, als wenn der Chef selbst versucht, Übersicht reinzubringen. Er sieht seinen Betrieb ja meist durch die eigene Chefbrille. Das hilft nicht weiter.
SBZ: Der neue Inhaber soll ja wissen, was ihn erwartet.
Kreitmeir: Nicht nur das. Aus der Standortbestimmung heraus lässt sich ein Konzept für die zukünftige Ausrichtung ableiten. Und zwar zugeschnitten auf die Vorstellungen, die der neue Chef mitbringt. Das ist dann eine zukunftsorientierte Übergabe.
SBZ: Wenn ich das jetzt zeitlich grob überschlage, dann sind zwei Jahre Übergangsphase doch eher ein Mindestzeitraum.
Kreitmeir: Wenn der alte Chef weiß, wann und wie er übergeben möchte, und wenn mit dem Nachfolger ein Konzept erarbeitet wurde, wenn Strukturen hinterfragt werden und Mitarbeiter ins Boot geholt, dann greifen alle Schritte letztlich ineinander und zwei Jahre sind ein guter Zeitraum. Die Übergabe und damit einhergehend die großen und kleinen Veränderungen, die müssen ja nicht abgeschlossen sein. Was zählt ist, dass ein Plan dahintersteht, erste Ergebnisse sichtbar werden und letztendlich alles im Flow bleibt.
SBZ: Woran scheitern Betriebsübergaben?
Kreitmeir: Sie scheitern häufig, wenn bei einer Übergabe innerhalb der Familie Spannungen auftreten. Besonders, wenn es mehrere Geschwister sind. Das ist ja eine hoch emotionale Angelegenheit. In gerade diesen Situationen halte ich es für unverzichtbar, einen externen Begleiter zu haben, der zwischen allen Parteien ausgleichend vermittelt. Wenn sich nämlich leichte atmosphärische Störungen zu dauerpräsentem Frust aufbauen, ist meist nur noch wenig zu retten. Zum Problem kann auch werden, dass der alte Chef (die alte Chefin) nicht loslässt. Nachfolger brauchen Freiheit, um sich zu entwickeln. Als dritten Punkt möchte ich etwas ganz Praktisches anführen. Leider begegnet mir zu oft ein Nachfolger, der technisch zwar top ist, aber als Unternehmer noch zu wenig auf dem Kasten hat. Da muss man dann einiges nachsteuern. Einen Handwerksbetrieb müssen sie heute letztlich wie ein kleines Unternehmen betrachten und auch so führen. Hauptsächlich Handwerker und nebenbei Chef, das kann schiefgehen. Manche Übergaben scheitern zudem an der simplen Tatsache, dass die Übernehmenden gar nicht so genau wissen, in welchem Zustand sich der Betrieb befindet, den sie künftig führen wollen. Deshalb ist die von mir bereits angesprochene komplette Durchleuchtung so wichtig.
SBZ: Was sollte dabei unbedingt auf den Tisch kommen?
Kreitmeir: Welche Investitionen wurden in den vergangenen Jahren im Betrieb getätigt? Welche stehen an? Gibt es ein Lager und wie ist es organisiert, wie viel Geld steckt da drin? Welche Alters- und Qualifikationsstruktur haben die Mitarbeitenden? Wie war die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Geschäftsfelder in dem Betrieb, sofern überhaupt in Geschäftsfeldern gedacht wird? Wie ist die Markt- und Konkurrenzsituation? Wurde eine Unternehmenswertanalyse durchgeführt?
SBZ: Wer trifft auf dem Weg der Betriebsübergabe die wichtigen unternehmerischen Entscheidungen? Alt oder Jung?
Kreitmeir: Das ist eine gute Frage. Ich kann für meine Arbeitsweise sagen, ich bin am besten damit gefahren, wenn der Nachfolger die wichtigen Entscheidungen trifft. Es soll ja schließlich sein Betrieb werden. Der Seniorchef wird aber eingebunden, sodass er die Überlegungen nachvollziehen kann. Der Coach muss die Erfahrung des Seniors mit dem Tatendrang des Juniors zusammenbringen. Letztendlich ist es außerdem wichtig, dass die Mitarbeiter sehen, der Nachfolger entscheidet schon.
SBZ: Wie können die Mitarbeiter ins Boot geholt werden?
Kreitmeir: Mitarbeiter werden ja bei der Standortbestimmung schon aktiv miteinbezogen. In meinem Fall ist es so, dass ich mit jedem aus der Belegschaft längere Einzelgespräche führe, um mir ein Bild über das Unternehmen als Ganzes zu machen. Die sehen viele Dinge anders, und diese Einschätzungen sind wirklich Gold wert. Mit mir als Coach sprechen sie auch anders als mit dem Chef. Das hilft bei der Standortbestimmung enorm.
SBZ: Das klingt nach viel Reden und Zuhören.
Kreitmeir: Kommunikation ist bei einem Übergabeprozess unfassbar wichtig. Wird etwas falsch oder gar nicht angesprochen, dann ergeben sich Missverständnisse, es passieren Fehler und das kostet letztendlich Geld, Nerven und Energie.
SBZ: Den neuen Chef im Sozialraum vorzustellen und vielleicht den, der den Übergabeprozess als Coach begleitet, das reicht wohl nicht?
Kreitmeir (lacht): Nein, auf gar keinen Fall.
SBZ: Was ist dafür eine gute Herangehensweise, um die Mitarbeitenden mitzunehmen?
Kreitmeir: Auf alle Fälle das Gespräch, das ich mit jedem Einzelnen unter vier Augen führe. Das darf dann auch mal zwei Stunden oder gar mehr in Anspruch nehmen. Welcher Berater nimmt sich sonst so viel Zeit? Ich mache das, weil es ganz entscheidend ist für die Zukunft des Betriebs.
SBZ: Was kann der neue Chef dazu beitragen?
Kreitmeir: Hier sollten regelmäßige Termine für den Austausch mit den Mitarbeitenden angesetzt werden. Besprechungen mit den Führungskräften im Betrieb und mit allen Mitarbeitenden sollten mehrmals die Woche stattfinden. Auch nach der Übergabe. Das gehört zu einer modernen Unternehmensführung einfach dazu. Es hat auch nix mit Kontrolle oder so zu tun, sondern mit Menschen anständig führen, mit Interesse zeigen.
SBZ: Wie gelingt der Rückzug des ausscheidenden Inhabers?
Kreitmeir: Der Königsweg von mir läuft immer so ab, dass mit dem Senior geklärt wird, welche Aufgaben er einen gewissen Zeitraum lang noch übernimmt. Aufgaben, die sinnstiftend sind und dem Betrieb nützen, natürlich. Aufgaben aber, die losgelöst sind von den großen unternehmerischen Entscheidungen, die jetzt der Nachfolger treffen soll. Das geht am besten in Teilzeit. Das heißt, statt fünf Tage die Woche arbeitet er am Anfang noch vier, einige Zeit später nur noch drei Tage. Wenn der Punkt erreicht ist, wird ein Zeitpunkt abgesprochen, an dem er ganz aus dem Unternehmen ausscheidet. Ich erinnere an dieser Stelle noch mal an die zwei bis drei Jahre, die so eine Übergabe insgesamt umfassen sollte. Im besten Fall wird der Senior mit einem großen Fest in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.
SBZ: Das ist ein Einstieg ins Privatleben.
Kreitmeir: Genau. Ich möchte an dieser Stelle aber betonen, dass beim Übergabeprozess auch das Privatleben des neuen Chefs / der neuen Chefin eine entscheidende Rolle spielt. Stichwort Work-Life-Balance. Niemand übernimmt heutzutage einen Betrieb, um sich auf Jahrzehnte hinaus 80 Stunden pro Woche ans Unternehmen zu binden. Das macht keine Partnerin und kein Partner auf Dauer mit. Deshalb beziehe ich bei der Übergabe auch immer die Familien und Lebensumstände der betreffenden Personen mit ein. Denn das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, der über Erfolg oder Scheitern einer Übergabe entscheidet.
SBZ: Herr Kreitmeir, vielen Dank.
Der SHK-Coach
Hermann-J. Kreitmeir hatte mehrere Führungspositionen in namhaften Firmen und Konzernen inne, ehe er vor 15 Jahren „Kreitmeir & Partner“ gründete. Er gibt sein Wissen und seine Erfahrungen als Coach an mittelständische Handwerksfirmen weiter, insbesondere an SHK-Betriebe, und begleitet Inhaber und Geschäftsführer, u. a. bei der Betriebsübergabe.