Die Elektrifizierung der Heizwärmeversorgung ist im Neubaubereich in vollem Gang. Laut Angaben des Bundesverbands Wärmepumpe sind Elektrowärmepumpen bei den 2017 genehmigten Wohngebäuden mit einem Anteil von 43 % erstmals das beliebteste Heizungssystem – und lassen damit Gas als Energieträger knapp hinter sich. Zudem ist auch die eigene Photovoltaikanlage wieder attraktiver für Hausbesitzer.
Das E-Auto konkurriert mit der Heizung
Parallel dazu zeichnet sich ab, dass Elektroautos sich in den nächsten Jahren durchsetzen: Die Reichweiten steigen, die Ladeinfrastruktur auf den großen Verkehrsachsen wird ausgebaut, Modellauswahl und Preise steuern in Richtung Normalbürger. Aus Sicht des Klimaschutzes ist dies zu befürworten, denn im Straßenverkehr führt kaum ein gangbarer Weg am Elektromotor vorbei, um die Schadstoffemissionen über die nächsten 20 bis 30 Jahre gegen null zu reduzieren.
Die Frage ist nur: Wo kommt der ganze Strom her, wenn demnächst 20, 30 oder gar 50 % aller Autos elektrisch fahren und ihre Akkus an öffentlichen und privaten Elektrotankstellen geladen werden sollen? Im Eigenheim mit Wärmepumpe und Wallbox entsteht da eine ebenso krasse Konkurrenz wie in großen Wohnanlagen mit Gemeinschaftsgaragen: Für eine zügige Ladung des Autos an privaten Ladesäulen liefern diese meist 22 kW Ladestrom. Dies entspricht einem dreiphasigen Stromanschluss mit Absicherungen von 32 A. Nur so lässt sich ein großer E-Auto-Akku in wenigen Stunden füllen.
Damit wird das Elektroauto eine echte Konkurrenz zur Heizung – und zu anderen Großverbrauchern: Rufen neben dem Auto auch Heizung, Warmwasserbereitung oder andere Hausgeräte eine größere Leistung ab, dann ist die Gefahr sehr groß, dass sich nach kurzer Zeit die Schutzschaltung auslöst – dies betrifft vor allem ältere Bestandsgebäude.
Sind die Verteilnetze der Anforderung gewachsen?
Vergleichbares gilt im örtlichen Stromnetz. In einer Studie mit dem reißerischen Titel „Der E-Mobilitäts Blackout“ haben Analysten der Beratungsfirma Oliver Wyman zusammen mit Forschern der TU München vorgerechnet, dass die deutschen Niederspannungsnetze einem kommenden Boom von Elektroautos nicht gewachsen seien. Sie skizzieren darin den „Tagesschau-Effekt“: Viele Menschen kommen abends nach Hause, schließen ihr Elektroauto an die Wallbox an und starten den Ladevorgang. Ab einem Anteil von rund 30 % E-Mobilität in einem Stadtviertel droht damit ernsthafte Gefahr für die Netzstabilität, so die Schlussfolgerung der Studie.
Was die Experten nicht kommentieren, für Heizungsfachleute aber logisch ist: Zur gleichen Zeit würde normalerweise auch die Wärmepumpe auf Volllast gehen, um die nun bewohnten Räume auf Komforttemperatur zu heizen. Mit dem weiteren Wachstum von Wärmepumpen & Co. entsteht damit also der „Tagesschau-Effekt 2.0“.
Zeitversetztes Laden statt „Tagesschau-Effekt“
Gunnar Bärwaldt ist Koordinator für Ladetechnik im Volkswagen-Konzern – eine Abteilung mit Zukunft beim größten Autohersteller der Welt. Der promovierte Wirtschaftsingenieur hat eine relativ schlichte Lösung anzubieten: „Wir brauchen eine intelligente Ladesteuerung, um die Nutzung des Stromnetzes zu optimieren und den Ausbaubedarf zu reduzieren.“ Man kann es auch einfacher sagen: Die Heizung und das Elektroauto müssen miteinander sprechen. Und das Haus muss mit dem Netz abstimmen, wer in welchem Zeitraum wie viel Energie benötigt. Aus Sicht der Netzstabilität ist das laut Bärwaldt eine absolute Notwendigkeit: „Solche Lösungen brauchen wir bereits ab einem Anteil an Elektroautos von 25 %“, gibt er zu bedenken.
Die Blackout-Studie von Oliver Wyman gibt auch eine zeitliche Prognose ab: In den Speckgürteln deutscher Großstädte rechnet sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit einer entsprechenden Verbreitung von E-Golfs, Teslas, Renault Zoes und deren Nachfolgern – plus dem wachsenden Anteil elektrisch betriebener Heizungen.
Variable Stromerzeugung und flexible Verbraucher
Die gute Nachricht: Weder das Wachstum der Elektromobilität noch der steigende Anteil an Elektroheizungen wirft unsere Stromversorgung aus der Bahn. Florian Samweber von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft etwa rechnete im letzten Jahr für das Magazin Wirtschaftswoche vor, dass eine vollständige Elektrifizierung der Pkw-Flotte in Deutschland den Strombedarf gegenüber heute um ca. 15 % steigern würde. Diese zusätzliche Strommenge lässt ihm zufolge die Versorgung nicht zusammenbrechen. Im Gegenteil: Etwa die Hälfte davon wird heute schon produziert, dann aber nicht benötigt. Der Strom landet daher im Ausland – häufig umsonst oder gar zu negativen Preisen.
Die Herausforderung besteht also darin, die Stromerzeugung und den wachsenden Verbrauch durch elektrische Heizungen und die Elektromobilität in Einklang zu bringen. Damit die (vor allem) auf erneuerbarem Strom basierende Energiewende klappt, müssen große Verbraucher, Erzeugungsanlagen und das Netz miteinander kommunizieren und ihre variablen Lasten flexibel anbieten. Ergo: „Dumme“ Elektroautos und Heizungen sind eine Belastung für die Energieversorgung, intelligent gesteuerte dagegen nutzen ihr.
Zuerst sprechen die Hersteller miteinander
In geschlossenen Systemen aus Wechselrichtern, Wallboxen und Heizungssteuerungen einzelner Hersteller klappen solche Abstimmungen innerhalb des Hauses schon heute – dank intelligenter Regel-, Energiemanagement- und Smarthome-Systeme. Mit Blick auf eine großflächige Einführung von E-Autos und eine umfassende Kommunikation mit dem Stromnetz müssen alle Systeme in derselben Sprache kommunizieren. Dafür arbeitet z. B. der Volkswagen-Konzern als Vertreter des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA) am EEBus-Kommunikationsstandard für die E-Auto-Ladetechnik mit. In dieser Arbeitsgruppe der EEBus-Initiative sitzen neben dem Autokonzern, seinen Technikzulieferern und Ladetechnikherstellern auch fast alle großen Heizungshersteller. Vor allem Vaillant und Viessmann sind aktiv an der Standardisierung beteiligt. Für die E-Auto-Ladetechnik schätzen Kfz-Experten, dass 2019 der nächste größere Schub in der Entwicklung und der Marktdurchdringung kommt. Dann will man bei Volkswagen so weit sein, dass die Ladetechnik mit der übrigen Haustechnik kommunizieren kann. „Wir müssen jetzt anfangen, unsere Lösungen zu entwickeln. Wenn der Boom erst da ist, ist es zu spät“, sagt Gunnar Bärwaldt.
„Wenn man ein 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich“
Was die Akzeptanz beim Kunden angeht, gibt sich der Elektro-Experte aus der AutomobiIbranche gelassen. Ein Energiemanagementsystem (EMS) soll die Abstimmung der verschiedenen Systeme übernehmen und selbst entscheiden können, wann welches System Strom bekommt. Unterschiedliche Verfügbarkeiten werden über variable Tarife abgebildet: Dann könnte z. B. zur Tagesschau-Zeit der Strom deutlich teurer sein als an einem sonnigen Mittag oder spät nachts. „Der Kunde muss nichts tun. Alle Stromproduzenten, Stromspeicher und Stromverbraucher im Haushalt kommunizieren selbstständig mit dem EMS. Dies ist dann der einzige Schnittpunkt zum Netzbetreiber und Energieversorger“, skizziert Gunnar Bärwaldt das integrierte Energiemanagement.
Für die Heizungsbranche heißt das: bereits heute über den Tellerrand hinauszuschauen und benachbarte Anwendungen, wie etwa eine E-Auto-Ladestation, mitzuberücksichtigen. Elektriker tun das, indem sie eine dicke, dreiphasige Leitung in die Garage legen und deren Absicherung vorbereiten. Heizungsbauer stellen sich auf den kommenden Mitbewerber um die Energie im Haus ein, indem sie etwa Wärmepumpenanlagen von Anfang an fit für eine vernetzte Steuerung machen und einen üppigen Speicher vorsehen. Dann klappt es auch mit der Energieverteilung im Haus, wenn künftig die Elektroautos großflächig hinzukommen.
Info
Mehr E-Autos weltweit unterwegs
Die Neuzulassungen von Elektroautos stiegen im Jahr 2017 weltweit auf 1,2 Millionen Pkw – ein neuer Rekord. Anfang 2018 lag der Gesamtbestand bei 3,2 Millionen. Der strombasierte Verkehr entwickelt sich in vielen Ländern rasant – allen voran in China. Das Land ist Spitzenreiter bei Bestand und Neuzulassungen und damit der weltweit dynamischste Markt: 1 212 280 E-Autos rollen derzeit auf Chinas Straßen. Durch die 579 000 Neuzulassungen gab es 2017 fast eine Verdopplung.
Auf Platz zwei stehen nach wie vor die USA mit einem Bestand von etwa 751 510 (2017: + 195 140). Japan nimmt mit einem Bestand von 201 410 Pkw den dritten Rang ein. Norwegen liegt auf dem vierten Platz: 187 270 zählten die Behörden, ein Plus von 62 320 im Jahr 2017.
Deutschland schneidet im internationalen Vergleich zwar immer noch relativ schlecht ab. Von 2016 auf 2017 hat sich die Zahl der E-Fahrzeuge jedoch auf 92 740 nahezu verdoppelt. Der Zuwachs betrug 54 490. Der Anteil der Neuzulassungen lag in Deutschland bei 1,6 %.
Diese Daten hat das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in einer Pressemitteilung im Februar 2018 bekannt gegeben. Der Analyse der Forscher zufolge konnten die chinesischen Hersteller BYD und BAIC auch die meisten Neuzulassungen für sich verbuchen. Der erfolgreichste westliche Hersteller war wie auch im Vorjahr Tesla mit 86 700 Neuzulassungen, trotz der Verzögerungen beim Modell 3. BMW hat es auf Platz vier geschafft, gefolgt von VW auf Platz fünf (www.zsw-bw.de/mediathek/datenservice).
Die Wachstumsrate der Neuzulassungen im Jahr 2017 war mit rund 55 % wie auch in den vorangegangenen Jahren sehr hoch. Bleibe sie annähernd auf diesem Niveau, werde die Zahl der jährlich zugelassenen E-Fahrzeuge 2025 bei mehr als 25 Millionen liegen, meinen die ZSW-Forscher.
Quelle: www.zsw-bw.de
Autor
Reinhard Otter ist Fachjournalist aus Stuttgart. Er ist Spezialist für Themen rund um Smarthome und das „Internet of Things“. otter@r-ot.de www.r-ot.de