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So funktioniert ein Kollektivbetrieb im Handwerk

Arbeit und Ertrag gleichmäßig verteilt: eine Firma, kein Chef

Eigentlich war die Sache klar: Wenn der alte Chef in den Ruhestand geht, wird Jakob Schröder den Sanitär- und Heizungsbetrieb ­Freese in Nürnberg übernehmen. Sieben Jahre hatte er als Geselle und junger Meister für den alten Meister gearbeitet, dann sollte der Betrieb ihm gehören. Schröders Kollegen würden dann seine Angestellten werden. So war es seit Jahren vereinbart gewesen.

Doch im September 2020 hat Jakob Schröder gemeinsam mit Nico Schreiber und Philipp Köchel einen Kollektivbetrieb für Sanitär und Heizung gegründet. Nun sitzen drei gleichberechtigte Geschäftsführer der Plewa Installationen GmbH am Tisch. Die drei Männer haben sich in einem Coworking-Büro im Nürnberger Stadtteil Gostenhof eingerichtet. Eine Lehrerin arbeitet nebenan an ihrem Schreibtisch, weitere Mieter werden folgen.

An der Wand lehnt eine Badewanne, auf ein Korkbrett sind Zettelchen mit den aktuellen Aufträgen gepinnt. Jeder hat eine Spalte, die Zettel wandern von Angebot über Auftragsausführung bis Bezahlung nach unten. Hängen bei einem zu viele Zettelchen, wird umverteilt. Die Sekretärin ist aus der alten Firma mit in die neue gewechselt und arbeitet im Homeoffice in Kiel. Dorthin ist sie mit ihrem Mann, dem früheren Meister, gezogen, als der in den Ruhestand ging. Weil die Auftragslage so gut ist, stellt das Kollektiv ein Jahr nach Firmengründung einen Helfer ein. Später sollen nach einer Probephase alle Mitarbeiter gleichberechtigte Teilhaber des Kollektivs werden.

Schröder hat schon als Teenager ein Praktikum bei Hans Freese gemacht. Seine Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik absolvierte er in einem anderen Betrieb. Doch dann wechselte er wieder zu Freese, der ihn zu seinem Nachfolger aufbaute. Schröder übernahm immer mehr Verantwortung, und Freese zog sich mehr und mehr aus dem Betrieb zurück.

Die erste Reaktion war: „Du spinnst!“

Je näher die Betriebsübergabe rückte, desto mehr Unbehagen spürte Jakob Schröder. Den Kollegen sagen, was sie tun sollen, und dann mehr Geld auf dem Konto haben als sie. Immer auf Abruf, immer für alles verantwortlich sein. „Mir wurde klar: Ich will diese Rolle nicht“, sagt der Endzwanziger. Lieber wollte er „fair und gleichberechtigt“ mit den anderen zusammenarbeiten.

„Aber ich hatte auch Angst, alles zu teilen, was ich mir erarbeitet hatte“, räumt er ein. Sollte er wirklich auf sämtliche Privilegien verzichten? Geld und Verantwortung abgeben an zwei, die viel weniger Erfahrung haben als er? „In einem kapitalistischen System will normalerweise keiner den Ertrag seiner Leistung teilen“, sagt Schröder. Doch dieses Denken wollte er hinter sich lassen.

„Du spinnst“, war die erste Reaktion des alten Chefs, als Schröder ihm sagte, dass er den Betrieb nicht allein übernehmen werde. Doch er ließ ihn gewähren. Alle, die Schröder um Rat fragte, winkten ab: „Lass es sein, Jakob!“ Das mag auch daran liegen, dass Kollektivbetriebe in Deutschland kaum bekannt und verbreitet sind. Nach Schätzungen gibt es nur ein paar Hundert Kollektive in Deutschland, die meisten in Berlin und Hamburg. In Nürnberg ist der einzige andere bekannte Kollektivbetrieb eine Kneipe. Er habe kein praktisches Vorbild vor Augen gehabt, sagt Schröder, nur eine Wunschvorstellung.

Die drei Handwerker arbeiten seit etwa drei Jahren zusammen. Nico Schreiber hat bei Schröder die Ausbildung gemacht. Da war er schon 27 Jahre alt und hatte einen Master-Abschluss in Sozialer Arbeit. Warum das? „Weil es mir Spaß macht, mit Jakob zu arbeiten – und die Tätigkeit selbst auch“, sagt Schreiber. Der rund 30-Jährige ist im Bayerischen Wald aufgewachsen, in einem alten Haus, in dem es immer etwas zu tun gab. Weil alle anderen aus seinem Abiturjahrgang studieren gingen, machte er das auch. Trotz eines Stipendiums arbeitete er neben dem Studium als Helfer für Schröder. „Ich wollte etwas können, womit ich mir selber helfen und in sozialen Bewegungen etwas beitragen kann“, sagt Schreiber. Er engagiert sich in der politischen Jugendarbeit, ist Vorsitzender des Unterbezirks Nürnberg bei den „Falken“.

Philipp Köchel hat schon einige Hand­werks­betriebe von innen ­gesehen. So einen wie Plewa noch nicht.

Bild: Plewa / Privat

Philipp Köchel hat schon einige Hand­werks­betriebe von innen ­gesehen. So einen wie Plewa noch nicht.

Ein früherer Chef warf ihm Lappen ins Gesicht

Philipp Köchel, ebenfalls Ende zwanzig, hat schon einige Handwerksbetriebe von innen gesehen. Auf eine abgebrochene Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Klima- und Kältetechnik und eine Berufsbildungsmaßnahme folgte die Ausbildung zum Fahrzeuglackierer und schließlich eine Helfertätigkeit bei einem Landschaftsgärtner. Schließlich machte er auf Schröders Empfehlung hin die Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Später wurden sie Kollegen.

Doch auch er hatte unschöne Begegnungen mit einem Vorgesetzten in seiner Ausbildung. Anstatt sich loyal hinter ihn zu stellen, habe der sich mit dem Kunden gemein gemacht und angezweifelt, dass Schröder die Heizung richtig repariert habe. „Ich habe mich so mies gefühlt“, erinnert er sich.

Eines Tages im Frühjahr 2020 sagte Schröder: „Ich will nicht allein Chef sein. Lasst es uns als Kollektiv machen!“ Sie saßen gerade in der WG-Küche, denn Schröder und Schreiber sind Mitbewohner im Krähengarten, einem selbst verwalteten Wohnprojekt. Gemeinsam hatten sie es geschafft, dass ihr Haus Teil des Mietshäuser-Syndikats wurde. „Dass dieses Projekt geklappt hat, das hat mir die Hemmungen genommen“, sagt Schröder.

Ein Stuhlkreis ist im Handwerk unüblich

In der Küche waren Schreiber und Köchel erst einmal sprachlos. „Krass berührt“ sei er gewesen, sagt Schreiber. So eine Wertschätzung! Aber was heißt das jetzt? Plötzlich waren alle drei nervös. „Besser als allein nervös zu sein“, findet Schröder.

Die drei Handwerker recherchierten über Kollektivbetriebe und besuchten das Holzkollektiv in München, eine selbstverwaltete Schreinerei, die seit 1985 existiert. Einen Nachmittag lang schauten sie sich den Betrieb an und fragten die Schreiner aus. „Deren Miteinander war total harmonisch“, sagt Köchel. Und so nahmen sich die Nürnberger den Münchner Betrieb und deren Kollektivvertrag zum Vorbild.

Der auffälligste Unterschied zum klassischen Handwerksbetrieb ist die Tatsache, dass ein Mitarbeiter ein Projekt von Anfang bis Ende betreut. Das sei viel motivierender, als nur einen Arbeitsauftrag des Chefs auszuführen, sagt Köchel. Auch die Kunden profitierten davon, nur einen Ansprechpartner zu haben. Und Lob komme auch wirklich an.

Einmal in der Woche treffen sich die drei Installateure zur Teamsitzung. Im Büro mögen solche Meetings zum Alltag gehören, im Handwerk ist es ungewöhnlich, dass am Donnerstagnachmittag Befindlichkeitsrunde statt Baustelle angesagt ist: Wie geht es jedem? Braucht jemand Unterstützung? Sind die veranschlagten Arbeitsstunden in einem Angebot realistisch? Anschaffungen werden gemeinsam beschlossen, auch kritische Situationen und Rollenbilder sind Thema.

Auch ein Teil der Unternehmensphilosophie: Jakob Schröder transportiert einen elektrischen Warmwasserspeicher im Lastenrad.

Bild: Plewa / Privat

Auch ein Teil der Unternehmensphilosophie:
Jakob Schröder transportiert einen elektrischen Warmwasserspeicher im Lastenrad.

Sie achten darauf, nicht über ihre Grenzen zu gehen

„Manchmal fühle ich mich dann doch als Chef“, sagt Schröder, der als Einziger einen Meistertitel trägt. Über dieses Ungleichgewicht haben sie natürlich auch gesprochen. Und beschlossen, dass sich jeder in den Bereichen fortbilden soll, die ihn interessieren, zum Beispiel für bestimmte Geräte.

Eher selten im Handwerk ist auch die 30-Stunden-Woche, alle drei haben je einen freien Wochentag. Zunächst haben sie ihre Gehälter niedrig angesetzt, doch da Plewa schon das erste Geschäftsjahr mit einem deutlichen Plus abgeschlossen hat, zahlen sich die drei Geschäftsführer inzwischen monatlich je 2500 Euro Bruttogehalt aus.

Zugute kommt dem Kollektiv, dass es ohne Schulden starten konnte. Für einen symbolischen Euro hatte es den Betrieb übernommen. Die GmbH-­Einlage von 15 000 Euro bildete das Startkapital für ein Firmenlogo, ein paar neue Werkzeuge und ein Lastenrad.

Genug Arbeit hatten sie von Anfang an. Dabei achten die Männer darauf, dass sie sich nie voll auslasten. Einer stehe immer für Notfälle bereit, „und die gibt es ständig“, sagt Schröder. Schließlich soll kein Kunde zwei Monate lang auf eine kleine Reparatur warten müssen.

Auf Chefs ist Köchel nicht gut zu sprechen. Er spricht von „Stressmachern“ und einer „Watschen-Kultur“, die im Handwerk immer noch lebendig sei. Ein ehemaliger Chef habe ihm immer einen Lappen ins Gesicht geworfen, wenn ihm etwas nicht passte. Nur auf einen Vorgesetzten lassen die drei nichts kommen. „Hans Freese ist anders, er ist der netteste Mensch in der Branche“, sagt Schröder.

In ihrem Kollektivvertrag haben die drei festgelegt, dass sie einmal im Jahr ihre Arbeitskraft kostenlos einem solidarischen Projekt zur Verfügung stellen möchten. Und so hat Schreiber in diesem Jahr schon drei Wochen in Rostock verbracht, wo die „Sea Eye 4“ gebaut wurde. Zusammen mit einer Freundin verlegte er die Installation auf dem Seenotrettungsschiff. Und das während seiner regulär bezahlten Arbeitszeit. Ebenfalls vereinbart ist ein betriebliches Kindergeld. Wenn einer von ihnen Vater wird, bekommt er jeden Monat 150 Euro extra aufs Konto.

Nico Schreiber vor dem Seenotrettungsschiff Sea Eye 4. Für das Engagement musste er keinen Urlaub nehmen.

Bild: Plewa / Privat

Nico Schreiber vor dem Seenotrettungsschiff Sea Eye 4.
Für das Engagement musste er keinen Urlaub nehmen.

Maximaler Profit ist nicht das erklärte Ziel

Und dann wäre da noch die Sache mit dem Firmennamen. Das Kollektiv hat sich nach einem Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten benannt: Felix Plewa wurde 1906 in Harburg geboren und lernte Klempner. Er platzierte Knallkörper mit Parolen gegen die Nationalsozialisten an mehreren Orten. Zunächst blieb er unentdeckt, aber 1943 wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Viele Kunden finden den Firmennamen gut, anderen ist er egal. Sie schätzen das Klempnerkollektiv eher dafür, dass es Aufträge zuverlässig und schnell ausführt.

Gesprächsrunden, Extrazeit für soziale Projekte, Geld für Sorgearbeit und dann noch ein Firmenname, der einer historischen Persönlichkeit gedenkt – ist das nicht zu viel Idealismus für einen Handwerksbetrieb? Kann sich so eine Firma halten? Sinje Grenzdörffer ist überzeugt davon, dass in solchen alternativen Wirtschaftsmodellen die Zukunft liegt. Die Wirtschaftsgeografin schreibt gerade ihre Doktorarbeit mit dem Titel „Arbeit transformieren – Wirtschaft transformieren?“ an der Universität Kiel.

Mitten in der Coronapandemie hat sie 200 Unternehmen befragt, bei denen Entscheidungsgewalt, Firmeneigentum oder beides in den Händen der Mitarbeiter liegt. Kein einziges davon habe sich während der Pandemie aufgelöst, sagt Grenzdörffer. „Stattdessen sind die Leute kreativ geworden.“ Sie spricht von einer „stärkeren Krisen-Resilienz demokratischer Betriebe“ im Vergleich zu normalen Firmen, da sie langfristiger denken. „Maximaler Profit ist oft nicht das Ziel. Dadurch entsteht eine gewisse Unabhängigkeit von externen Wirtschaftsdynamiken.“

Ein Blick nach Italien, wo Kollektive verbreiteter sind, bestätigt Grenzdörffers These. Etwa 87 % der Kollektive, die zwischen 2007 und 2013 in Italien gegründet wurden, existierten laut einem Bericht der International Cooperative Alliance auch 2013 noch. Von den hierarchisch organisierten Betrieben überlebte weniger als die Hälfte. Auch eine Studie des italienischen Forschungsinstituts Euricse von 2015 bescheinigt den mitarbeitergeführten Firmen eine deutlich höhere Überlebensrate, insbesondere in Krisenzeiten.

In Deutschland fehlt die passende Rechtsform

Warum es trotz der Erfolge so wenig Kollektive gibt, erklärt Grenzdörffer mit Gewohnheit: „Arbeit als Grundkonzept wird selten überdacht.“ Das größte Problem jedoch sei, dass es in Deutschland keine passende Rechtsform gebe. In Italien verhelfe das Marcora-Gesetz mitarbeitergeführten Firmen schon seit 35 Jahren zu einem sicheren Rechtskonstrukt.

Für deutsche Kleinstkollektive wie Plewa bietet sich die GmbH an. Schwieriger wird es, wenn es mehr Mitarbeiter sind, die nicht alle als gleichberechtigte Geschäftsführer firmieren können. Dann unterscheidet sich die Binnenstruktur vom Rechtskonstrukt, manche Kollektivmitglieder haften, andere nicht. Größere Kollektive behelfen sich mit einer Kombination aus GmbH oder Genossenschaft plus Stiftung. „Das bringt jedoch einen hohen bürokratischen Aufwand mit sich“, sagt Grenzdörffer.

Wie die Klempner in Nürnberg orientieren sich die meisten von Grenzdörffers Umfrageteilnehmern an den Bedürfnissen und Lebensumständen der Mitarbeiter. Fast alle dulden gesellschaftlich-politisches Engagement nicht nur während der Arbeitszeit, sondern fördern es explizit. „Das bricht mit der Vorstellung, was Arbeit eigentlich ist“, sagt Grenzdörffer.

Doch ist es nicht naiv, Wachstum und Leistung als Prinzipien eines funktionierenden Wirtschaftsbetriebs abzuschwören? Grenzdörffer dreht die Frage um: „Ist es nicht eher naiv, an einem Modell festzuhalten, das aus der Zeit der Industrialisierung stammt?“ Sie zieht Parallelen zur Umweltbewegung: Wie diese der ökologischen Übernutzung des Planeten entgegenwirken möchte, setzten alternative Wirtschaftsbetriebe einen Gegenpol zu Profitmaximierung und Ausbeutung von Arbeitskräften.

Dann wäre da noch die Sache mit dem Firmennamen. Das Kollektiv hat sich nach einem Widerstandskämpfer gegen die National­sozialisten benannt: Felix Plewa wurde 1906 in Harburg geboren und lernte Klempner.

Bild: Plewa / Privat

Dann wäre da noch die Sache mit dem Firmennamen. Das Kollektiv hat sich nach einem Widerstandskämpfer gegen die National­sozialisten benannt: Felix Plewa wurde 1906 in Harburg geboren und lernte Klempner.

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