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Heftige Kritik an der Energiewende

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Die Energiewende führt zu paradoxen Situationen: Strom ist zwar genug da, aber er wird am falschen Ort, zur falschen Zeit oder von Kraftwerken produziert, die inzwischen als unwirtschaftlich gelten, da sie aufgrund des steigenden Anteils von Strom aus erneuerbaren Energien immer weniger gebraucht werden. Neue Nord-Süd-Trassen sollen Windstrom nach Süddeutschland lenken, doch die Anwohner der geplanten Hochspannungstrassen lehnen diese ab, weil sie gesundheitliche Schäden befürchten oder um ihre Idylle bangen. Vielfach wird deshalb versucht, die Energieversorgungsprobleme lokal oder regional zu lösen, doch die Abhängigkeiten sind komplexer als bislang angenommen, wie eine Momentaufnahme vom 9. Deutschen Energiekongress in München zeigt, der jährlich vom Süddeutschen Verlag ausgerichtet wird.

Hoher Nachholbedarf bei Infrastruktur

Deutschland gerät durch die eher chaotisch verlaufende Energiewende ins Hintertreffen. Der aus Brüssel zugeschaltete damalige EU-Energiekommissar und heutige EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft Günther Oettinger bemängelte den schleppenden Ausbau der energietechnischen Infrastruktur und die aktuell fehlende Planungssicherheit in Deutschland. Wichtig sei, die deutschen Energiewende-Maßnahmen nicht kleinteilig zu lösen, sondern in ein gesamteuropäisches Konzept einzubringen, auch im Hinblick auf den Klimaschutz. Dazu sei es nötig, innerhalb der aktuell stattfindenden digitalen Revolution ein schnell reagierendes europäisches Stromnetz aufzubauen. Nur so könnten Ungleichgewichte zwischen Strom- und Gasversorgung beziehungsweise Erdgasangeboten und Erdgasnachfragen verbessert werden. Aufgrund der aktuellen geopolitischen Lage müsse die EU ein besonderes Augenmerk auf die Gasversorgung legen und die „Südöffnung“ über Italien und die Türkei vorantreiben. Nicht minder wichtig sei der Ausbau von LNG-Terminals in Europa, um überschüssige Flüssiggaskontingente aus den USA und dem Mittleren Osten in ein europäisches Gasverbundnetz einspeisen zu können. Oettinger kritisierte, dass sich das Thema Energieeffizienz in Deutschland weitgehend auf Sonntagsreden beschränke und die selbstauferlegten Ziele der Energiewende bei weitem nicht erreicht würden. Auch seien die Energiepreise in Deutschland zu hoch, was bereits zu einer schleichenden De-Industrialisierung, sprich Abwanderung energieintensiver Industrien nach USA, geführt habe, so Oettinger.

Kosteneffizienz ist das oberste Ziel

„Wir haben in Deutschland bei der Energieversorgung kein Mengenproblem, sondern ein Kostenproblem.“ Rainer Baake, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sieht die Verbesserung der Kosteneffizienz als oberstes Ziel einer auf erneuerbaren Energien aufbauenden Energieversorgung. Dazu sei es wichtig, die „Überförderung“ von Erneuerbaren abzubauen und die nationalen Stromnetze europaweit miteinander zu verbinden. Außerdem müssten die Bundesländer überzeugt werden, keine eigenständige Energiewendepolitik zu betreiben, sondern europäische Lösungen anzustreben. Um die Energiekosten in den Griff zu bekommen, sei es wichtig, dass sich Investoren und Betreiber von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen künftig auch um die Vermarktung ihres Stroms kümmern. Außerdem gelte es bei künftigen Wind- und PV-Anlagen, die Wertigkeit des Stroms stärker zu berücksichtigen. So gebe es genügend Mittagsstrom von PV-Anlagen, aber wenig Morgen- und Abendstrom. Offshore-Windanlagen müssten weiter ausgebaut werden, aber zu niedrigeren Kosten und mit regional angepassten Leistungen. Baake: „Wir streben ein sehr dezentrales Energiesystem an mit standortnaher Energieproduktion. Solche Lösungen sind bedeutend wirtschaftlicher.“

Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien sei es wichtig, die Themen Energieeffizienz und energetische Gebäudesanierung anzugehen. „Viele Maßnahmen der Energiewende, wie Netzausbau und Windkraft-Anlagen, stoßen bei der Bevölkerung auf Widerstand. Aber niemand ist gegen Energieeffizienzmaßnahmen“, erklärt Baake. Dazu gehöre auch, Stromangebot und Stromnachfrage besser zu koordinieren, z. B. durch das Verschieben von Lasten in Industrie und Gewerbe. Private Haushalte seien dazu kaum geeignet. Smart Meetering in Privathaushalten würde hohe Kosten bei der Installation und im Betrieb verursachen, aber nur zu geringen Einsparungen führen. Dort sei es wichtiger, hocheffiziente Haushaltsgeräte einzusetzen. Allenfalls in Haushalten mit Elektroauto könnten ein Smart Meter beziehungsweise zeitvariable Tarife zu einer Entlastung führen, so Baake.

Weniger Wärmepumpen, mehr Mikro-KWK-Anlagen

„Unsere Vorgängerregierung hat die Windkraft massiv bekämpft, deshalb müssen wir erst einmal die Planungsgrundlagen für den Umbau unserer Energieversorgung schaffen,“ behauptet Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg. Er machte aus seiner Überzeugung keinen Hehl, dass die „forschungsintensivste Region der Welt“ Nachholbedarf bei den Energiewende-Maßnahmen hätte. Insbesondere räche sich jetzt, dass der Südweststaat ganz auf Atomkraft gesetzt habe. Baden-Württemberg brauche deshalb eine neue, hocheffiziente und emissionsarme Stromerzeugung. Die Durchleitung von Strom aus Braunkohle aus anderen Bundesländern sei für ihn keine Alternative. Neben dem Netzausbau zur Durchleitung von Windstrom aus Norddeutschland will Baden-Württemberg verstärkt Programme zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Energiewende am Wärmemarkt auflegen. Da in Süddeutschland in erster Linie AKW-Strom ersetzt werden müsse, sei es bei der Gebäudeheizung derzeit sinnvoller, auf BHKW- und Mikro-KWK-Anlagen zu setzen und weniger in den Ausbau von Wärmepumpen zu investieren.

Bayern: Bereitschaftsstrom muss bezahlt werden

„Wenn die Energiewende überhaupt ein Bundesland schafft, dann ist es Bayern.“ Franz Josef Pschierer, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, ist überzeugt, dass trotz weiter steigendem Stromverbrauch in Bayern die Einbindung der erneuerbaren Energien in die bestehenden Strukturen machbar ist. Wichtig sei es, die K-D-F-Situation (Kälte, Dunkelheit, Flaute) netztechnisch zu beherrschen. Dazu werden gesicherte Kraftwerkskapazitäten benötigt, deren Bereitschaft vergütet werden muss. „Ähnlich wie bei der Berufsfeuerwehr, die nicht für Löscheinsätze, sondern für die Löschbereitschaft bezahlt wird, muss der Stromverbraucher in Zukunft für die Bereitstellung von Strom mehr bezahlen“, betont Pschierer. Dennoch sei der Ausbau der Eigenstromerzeugung ein wichtiger Bestandteil der Energiewende in Bayern. Weitere Eckpfeiler sieht Pschierer in der Optimierung der Wasserkraft und in Power-to-Gas-Anlagen. Da neue Stromtrassen zu Konflikten mit den Anwohnern führen, strebe Bayern ein hohes Maß an Selbstversorgung an. Kohlestrom über die neuen Trassen zu führen, sei der bayerischen Bevölkerung kaum vermittelbar. Deshalb werde es auch weiterhin Windkraftwerke in Bayern geben.

Als große Herausforderung der Energiewende sieht Pschierer den Wärmemarkt und hier insbesondere den privaten Energieverbraucher. Dieser soll künftig mit Anreizprogrammen stärker unterstützt werden. Um Lastspitzen im Netz zu vermeiden, soll außerdem ein Anreizsystem für Energiemanagementsysteme in der Industrie etabliert werden, auch in Hinblick auf den geplanten Ausbau der Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge. Da Bayern bisher zu rund 65 % mit Strom aus Kernkraft versorgt wurde, könnte die Entwicklung ähnlich wie in Baden-Württemberg verlaufen: BHKW- und Mikro-KWK-Anlagen könnten zusätzlichen Schwarmstrom liefern, Wärmepumpenanlagen würden womöglich aufgrund des Strompreisgefüges für den Verbraucher weniger attraktiv.

Erneuerbare Energien schwächen Heizkraftwerke

„Die Rolle des Wärmemarktes als CO2-Einsparer wird von den Verantwortlichen verkannt.“ Michael Feist, Vorstandsvorsitzender Stadtwerke Hannover AG, bemängelt, dass die Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) durch den wachsenden Anteil an Strom aus Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen immer stärker zurückgedrängt wird. Neue KWK-Anlagen kämen gerade noch auf etwa 1500 Jahresbetriebsstunden, so Feist. Frischwärme, also die direkte Erzeugung von Fernwärme, sei letztendlich die wirtschaftlichere Lösung für den Versorger. Allerdings entfalle damit das CO2-Senkungspotenzial der Kraft-Wärme-Kopplung. Es sei deshalb an der Zeit, den Ordnungsrahmen für Kraftwerke neu zu regeln, damit Investitionen in flexibel reagierende Stromerzeuger abgesichert werden können. Dazu eignen sich auch Biogas-und Biomasse-Anlagen, die gemeinsam mit erneuerbaren Energien und KWK-Anlagen gut die Residuallast abfahren könnten. Wichtig für eine von geopolitischen Unwägbarkeiten unabhängige Stromversorgung sei der Ausbau von Power-to-Gas-Anlagen, deren Wirtschaftlichkeit jedoch erst in fünf bis zehn Jahren erreicht werde. Auch Brennstoffzellen seien interessant, aber noch nicht wirtschaftlich. Besser sei es deshalb, auf verfügbare Technik zu setzen, um die Energieversorgung gegen politische Willkürmaßnahmen abzusichern. Leider sei der Ausbau mit Biogasanlagen durch das neue Erneuerbare-Energien-Gesetzt (EEG) de facto gestoppt worden, obwohl es sich hierbei um gut steuerbare Anlagen handle. Kleine, dezentrale KWK-Anlagen könnten die benötigten Strommengen bei Kälte, Dunkelheit und Flaute nicht garantieren, so Feist.

Braunkohle auf der Gewinnerseite

„Wir müssen uns von dem tradierten Selbstverständnis des Energiebereitstellers lösen und mit innovativen Geschäftsmodellen neue Wege beschreiten.“ Für Josef Hasler, Vorsitzender des Vorstands N-Ergie AG, Nürnberg, bedeutet die Energiewende in erster Linie eine Neubewertung der bereits getätigten Investitionen, beispielsweise in die 25 % Beteiligung an Block 5 des GuD-Kraftwerks Irsching. Die Anlage, einst als klimaschonendstes Kraftwerk der Welt gefeiert, sei im letzten Jahr gerade mal 400 Stunden in Betrieb gewesen, berichtet Hasler. Für einen wirtschaftlichen Betrieb seien aber 4000 bis 5000 Jahresbetriebsstunden erforderlich. Ursache des unrentablen Betriebs sei das Vordringen der erneuerbaren Energien mit einem typischen Einspeise-Maximum um die Mittagszeit. Das führe zu fallenden Strompreisen an der Strombörse und einem bevorzugten – weil billigeren – Einsatz von Kohlekraftwerken. „Braunkohle läuft derzeit super“, ätzt Hasler. Schuld daran seien die Merit-Order und der massive Preisverfall der Emissionsrechte im EU-Emissionshandel. Aufgrund der Abschaltung mehrerer Kernkraftwerke in Bayern (Grafenrheinfeld im Frühjahr 2015; Grundremmingen Block B Ende 2017 und Block C Ende 2021; Isar 2 in Ohu/Markt Essenbach Ende 2022) müsse nach einer Studie der Prognos AG ab 2020 in Bayern mit einer Leistungslücke in der Größenordnung von 20 % gerechnet werden. Wegen des Widerstands in der Bevölkerung gegen Pumpspeicherkraftwerke und neue Stromtrassen sei es wichtig, einen dezentralen Kapazitätsmarkt auf der Basis von Kraft-Wärme-Kopplung zu schaffen, betont Hasler. Regelenergie könne auch durch das Zusammenschalten von dezentralen Stromangeboten und verschiebbaren Lasten mithilfe von virtuellen Kraftwerken generiert werden. Auch Hasler geht davon aus, dass der Leistungspreis künftig bei der Strompreisgestaltung wieder eine größere Rolle spielen wird.

Mehr Versorgungssicherheit durch höhere Energieeffizienz

Schneller als alle anderen Energiewende-Maßnahmen könnte eine stärkere Fokussierung auf die Energieeffizienz den Ausstieg aus den fossilen Energien beschleunigen. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, weist darauf hin, dass Energieeffizienz-Maßnahmen sowohl die Versorgungssicherheit verbessern als auch den Weg in eine treibhausgasfreie Energieversorgung unterstützen können. Allerdings müsse die deutsche Energiewende stärker mit den Maßnahmen in Europa koordiniert werden, denn nur so könne Europas Stellenwert im Klimaschutz gestärkt werden. Ähnlich wie fast alle Referenten attestierte Flasbarth der Energiewende im Wärmemarkt eine bedeutende Rolle, sowohl bei der Energieeinsparung als auch bei der Verbesserung der Energieeffizienz. Die energetische Gebäudesanierung müsse deshalb viel stärker vorangetrieben werden als bisher. Vor dem Hintergrund des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien sei es auch notwendig, den künftigen Bedarf an elektrischem Strom besser vorauszusagen. So gäbe es bei den konventionellen Kraftwerken erhebliche Überkapazitäten am Markt, da die Rolle der erneuerbaren Energien von der Energiewirtschaft lange Zeit falsch eingeschätzt wurde.

Verzögerung beim Netzausbau gefährdet Systemstabilität

Auch die Bundesnetzagentur hält es für sinnvoll, Defizite bei den Kraftwerkskapazitäten in Süddeutschland aufgrund der Außerbetriebnahmen der ältesten Kernkraftwerke möglichst durch dezentrale KWK-Anlagen und Mikro-KWK-Geräte auszugleichen. Ohne Netzausbau bis zu den Endpunkten der abgängigen Kernkraftwerke steige in den nächsten Wintern das Versorgungsrisiko, da die Systemstabilität aufgrund fehlender Übertragungskapazitäten gefährdet sei.

Peter Franke, Vizepräsident der Bundesnetzagentur, Bonn, räumt ein, dass sich der im Netzentwicklungsplan 2013 bestätigte Ausbau weiter verzögert. Geplant sind rund 2650 km Neubautrasse sowie Optimierungs- und Verstärkungsmaßnahmen an den bestehenden Netzen; betroffen sind etwa 2800 Netzkilometer. Der dafür notwendige Investitionsbedarf wird auf 16 Milliarden Euro geschätzt. Obwohl – bezogen auf das gesamte Bundesgebiet – die Kraftwerkskapazitäten ausreichen, besteht laut Franke die Besorgnis, dass vorhandene, tendenziell aber unwirtschaftlich gewordene Kraftwerke von den Betreibern vom Netz genommen werden.

Derzeit liegen 49 Stilllegungsanzeigen von Kraftwerksbetreibern vor, davon elf Kraftwerksblöcke, die von den Übertragungsnetzbetreibern als systemrelevant ausgewiesen sind. Eine Möglichkeit zur Netzstabilisierung sei das Instrument der Kapazitätskraftwerke, also die Bereitstellung einer strategischen Reserve außerhalb der bisherigen Strommarktmechanismen. Das in der Reservekraftwerksverordnung beschriebene Modell soll zunächst bis Ende 2017 befristet sein und gezielt die Versorgungsprobleme in Süddeutschland lösen. Ob Stromspeicher aktuell zur Lösung der vorübergehend einkalkulierten Engpässe beitragen können, werde in den betroffenen Kreisen noch diskutiert, so Franke. Einig sei man sich darin, dass mit Stromspeichern überschüssig erzeugter Strom aus erneuerbaren Energien in Zeiträume geringerer Erzeugung verlagert werden könne. Allerdings seien solche Speicher bislang großtechnisch nicht verfügbar. Die Speichertechnologie Power-to-Gas sei – abgesehen von der Wirtschaftlichkeit – kein Ersatz für gesicherte Erzeugungskapazitäten, da das gewonnene Gas in konventionellen Erzeugern wieder in Strom umgewandelt werden müsse.

Netzausbau bestimmt Tempo der Energiewende

Die größte Herausforderung bei der Energiewende ist, die vom Netzausbau betroffenen Bürger und Behörden von der Notwendigkeit der Maßnahmen zu überzeugen. „Wir betreiben einen riesigen Aufwand, um über den Dialog mit Behörden, Kommunen und Bürgern Kompromisse bei der Trassenführung zu finden“, erklärt Paul-Georg Garmer, Senior Manager Public Affairs von der Tennet TSO GmbH, Bayreuth. Bei der Trassenkorridorsuche für die Suedlink-Verbindung von Wilster (Schleswig-Holstein) nach Grafenrheinfeld – eine, Zitat: „Hauptschlagader der Energiewende“ (Übertragungskapazität 4 GW) – habe das Unternehmen über neuartige Dialogveranstaltungen die Suche nach einem bürgerverträglichen Trassenverlauf unterstützt. Dazu organisierte Tennet 22 Infomärkte in fünf Bundesländern und nahm über 3000 konkrete Hinweise und Alternativvorschläge auf. Wichtig für die Sicherstellung der Stromversorgung seien ein gesamtgesellschaftliches Bekenntnis zum Netzausbau sowie schnelle Genehmigungsverfahren, denn nur so könne die Versorgung Süddeutschlands ohne den Neubau zusätzlicher Kraftwerkskapazitäten realisiert werden. Voraussetzung sei außerdem die Ausweisung aller von den Versorgern zur Stilllegung angezeigten konventionellen Kraftwerke in Süddeutschland als systemrelevant. Außerdem müsse ein gesichertes Redispachpotenzial (Regelleistung, Regelenergie) vorgehalten werden, um die Netzbetreiber in die Lage zu versetzen, temporär in den Markt einzugreifen.

Bürokratie und Vorschriften bremsen Wärmemarkt

Die Energiewende muss auch im Heizungskeller stattfinden, aber Bürokratie und Vorschriften verunsichern den Verbraucher. „Sechzehn Formulare für den Einbau eines Mikro-KWK-Geräts schrecken ab“, sagt Oliver Hill, Direktor Gasverkauf Deutschland, Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft VNG, Leipzig. Auch zusätzliche finanzielle Belastungen werden vom Verbraucher nicht akzeptiert. Ein Beispiel sei der Smart Meter, der zusätzlich Geld koste, aber bis dato für den Verbraucher keine Vorteile böte. Der Modernisierungsstau im Keller habe folgende Ursachen:

  • Die meisten Hausbesitzer sind mit ihrer Heizung zufrieden; ohne konkreten Anlass werde nicht erneuert.
  • Die Werbung für neue Heizungsanlagen gehe häufig an den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Hausbesitzer vorbei.
  • Große Investitionen mit langer Amortisationszeit verlieren an Bedeutung; kurzfristiger Konsum ist wichtiger.
  • Wenn energetisch investiert wird, dann in sichtbare Maßnahmen wie Solaranlage und Wärmedämmung.

Aktuell gäbe es in Deutschland rund 3,4 Millionen Öl- und Gas-Heizsysteme, die älter als 20 Jahre sind. Der typische Austauschturnus liegt derzeit bei rund 30 Jahren. Wichtig für die Gaswirtschaft sei das gestärkte positive Image der Gasheizung in Bezug auf funktionale Zuverlässigkeit und Preisentwicklung bei den Energieträgern. So steige der Gaspreis nur moderat, der Strompreis dagegen überdurchschnittlich an. „Viele Wärmepumpenbetreiber merken jetzt, dass sie eine Stromheizung im Keller haben“, lästert Hill. Auch die Pelletheizung leide unter steigenden Brennstoffkosten. Abgesehen davon gäbe es komfortablere Heizsysteme als einen Pelletkessel. Den Erfolg der Wärmedämmung führt Hill auf erfolgreiche Werbekampagnen der Dämmindustrie sowie auf die Fortschritte bei der Thermografie von Bestandsgebäuden zurück. „Hier werden die Energieverluste deutlich sichtbar gemacht. Das erzeugt eine starke Motivation beim Verbraucher. Wir sollten diese Potenziale nutzen, anstatt dagegen anzukämpfen“, resümiert Hill. Er ist zuversichtlich, dass Erdgas in Kombination mit erneuerbaren Energien auch noch in den nächsten drei Jahrzehnten mit über 50 % Marktanteil die dominante Heizenergie bleibt. Laut einer Studie der Prognos AG im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie könne die Wärmepumpe ihren Anteil bis zum Jahr 2050 allenfalls auf 14 % ausbauen, zitiert Hill.

Ein goldenes Zeitalter für Erdgas steht bevor

Die deutsche Energiewende dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die erneuerbaren Energien bislang global eine sehr geringe Rolle spielen. Realität sei ein stark steigender globaler Energieverbrauch mit einem wachsenden Anteil an Kohlestrom. Um die Treibhausgase weltweit zu reduzieren, sei in erster Linie ein Umstieg von Kohle zu Erdgas notwendig, sagt Dr. Ludwig Möhring, Geschäftsführer Wingas GmbH, Kassel. Möhring sieht für Erdgas ein goldenes Zeitalter, zumal die globalen Erdgasreserven nach heutiger Erkenntnis noch mehr als 200 Jahre reichen werden. „Erdgas ist der Schlüssel für eine CO2-arme Welt, da global verfügbar“, so Möhring. Besonders bedeutsam für den Erdgasmarkt sei der weltweite Ausbau von LNG-Exporthäfen und LNG-Infrastruktureinrichtungen zur Anlandung von Flüssiggas. Allein in den USA gäbe es 13 genehmigte und 14 geplante LNG-Exporthäfen mit einer Gesamtkapazität von etwa 130 bcm/a (bcm = 1 billion cubic metres bzw. 1 Milliarde m3 oder etwa 11 TWh). „Der Wettbewerb am globalen Erdgasmarkt nimmt durch die Handelsaktivitäten der USA mit LNG weiter zu“, resümiert Möhring. Erdgas sei deshalb die treibende Kraft für einen nachhaltigen und bezahlbaren Klimaschutz – global und in Europa. Allerdings habe sich Deutschland zurzeit von seinen selbst auferlegten Klimaschutzzielen verabschiedet. Möhring: „Deutschland ist in Sachen Klimaschutz nicht mehr Vorbild für die Welt. CO2-mäßig haben wir nichts erreicht“, kritisiert Möhring. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien sei gleichzeitig der Anteil an Strom aus Kohle- bzw. Braunkohlekraftwerken gestiegen, der von Erdgas dagegen signifikant zurückgegangen. 2013 seien die CO2-Emissionen gegenüber dem Jahr 2011 um 3 % gestiegen. Aus Sicht von Möhring kümmere sich die deutsche Regierung zu sehr um noch höhere Energiestandards für Neubauten und zu wenig um die energetische Sanierung des Gebäudebestands. „Wir müssen an die Bestandsbauten, denn dort arbeiten rund 78 % aller Heizkessel ineffizient.“ Dabei sei es wichtig, die Kosteneffizienz und den Klimaschutz von Energiesparmaßnahmen stärker zu berücksichtigen. Neue effiziente Heizkessel seien bedeutend wirtschaftlicher als Wärmedämm-Maßnahmen. Klimaschutz müsse sowohl für Haushalte als auch für Industrie und Gewerbe bezahlbar bleiben, bekräftigt Möhring.

Fazit

Das Ergebnis der bisherigen Energiewendemaßnahmen ist ernüchternd. Wärmewende und Energieeffizienzprogramme lassen auf sich warten. Kapazitätsengpässe in Süddeutschland könnten ein Konjunkturprogramm für KWK-Anlagen in Gang setzen und in Folge auch für Wärme- und Stromspeicher. Offen ist, ob sich unter den gegebenen Netzbedingungen Elektro-Wärmepumpen behaupten können; Marktforscher stufen ihren Anteil am Wärmeerzeugermarkt bis 2050 auf allenfalls 14 % ein. Die Erdgaswirtschaft ist zuversichtlich, dass die Dominanz der Erdgasheizung bestehen bleibt.

Info

Weltenergieausblick

„Wir führen uns manchmal auf, als seien wir der Nabel der Energie-Welt, aber Deutschland ist – global betrachtet – nur eine Randfigur.“ Michael Schmidt, Vorstandsvorsitzender BP Europe SE, kritisierte die Vorstellung der Deutschen, die Energiewende sei eine weltweit einmalige Veranstaltung. Dabei ist Deutschland gerade mal mit 3 % am Welt-Energieverbrauch beteiligt; die globale Auswirkung der deutschen Energiewende ist also gering. Auch wenn sich Deutschland zum Energiesparweltmeister entwickele, nehme die globale Energienachfrage laut BP Energy Outlook in den nächsten 20 Jahren um 40 % zu. Vor allem China und Indien würden die Nachfrage anheizen.

Die Shale-Gas- und Shale-Öl-Revolution in den USA werde die Rolle der fossilen Brennstoffe weiter stärken, auch wenn Öl seine Dominanz als führender Energieträger verliere. Eher ernüchternd sei die Prognose für erneuerbare Energien: trotz starker Nachfrage werde ihr Anteil am Welt-Energiemix in zwei Jahrzehnten nur bei 6 bis 7 % liegen. Durch den weltweiten Nachfrageschub bei Öl, Erdgas und Kohle werde die globale CO2-Belastung ungebrochen steigen, auch wenn die Wachstumsraten zurückgehen. Der Energiehunger der Schwellenländer bewirke, dass der Energieanteil der OECD-Staaten und der EU weiter schrumpfe, mit weitreichenden Folgen. Schmidt: „Die EU wird künftig auf dem globalen Energiemarkt nur noch eine Nebenrolle spielen. Fast 90 % des Welt-Energiemarktes findet bereits außerhalb der EU statt.“

Selbst wenn die erneuerbaren Energien in der EU bis 2030 einen Anteil von 27 % erreichten, bliebe die weltweite Dominanz der fossilen Energien bestehen. BP rechnet damit, dass in den OECD-Ländern der Ölverbrauch bis 2035 um 18 % zurückgehe, außerhalb der OECD im gleichen Zeitraum aber um 60 % steigen werde. Hintergrund hierfür sei die globale Zunahme der Mobilität. So werde sich weltweit die Anzahl der privaten und gewerblichen Fahrzeuge von derzeit 1,1 Milliarden auf 2,3 Milliarden bis 2035 erhöhen.

Die EU-Länder müssten einkalkulieren, dass durch den Energiehunger der Schwellenländer die Nachfragemacht der EU auf dem Welt-Energiemarkt geschwächt werde. Deswegen nehme die Energie-Importabhängigkeit der EU trotz sinkenden Ölverbrauchs weiter zu. Schon im nächsten Jahrzehnt dürfte die Importabhängigkeit der EU bei Öl bei über 90 %, bei Erdgas bei über 80 % liegen. Aus Sicht von BP entwickle sich hier ein strategisches Dilemma für die EU. Vor diesem Hintergrund müssten Klimaschutz, Energie-Importabhängigkeit, international wettbewerbsfähige Energiekosten und Versorgungssicherheit neu gegeneinander abgewogen werden. Wichtig sei es, dass Deutschland seine Energiewende stärker mit den Zielen der europäischen Energiepolitik abstimme und harmonisiere. Was den Klimaschutz anbelangt, so präferiere BP, den Verbrauch fossiler Energien durch ein gefördertes Energieeffizienzprogramm stärker zu senken.

Autor

Wolfgang Schmid ist Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, 80751 München, wsm@tele2.de