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Prädikat wertvoll: Der hydraulische Abgleich für Heiz- und Kühlwasserverteilsysteme

Der hydraulische Abgleich gehört zu den Standardleistungen der Handwerksbetriebe und muss von den Kunden ausdrücklich ­beauftragt werden.

Ingo Fabricius

SBZ: Die einschlägigen Förderprogramme zur Renovierung oder Erneuerung von Heizungsanlagen erfordern mittlerweile einen hydraulischen Abgleich. Aus welchem Grund führen dennoch viele Handwerksunternehmen keinen hydraulischen Abgleich von Heiz- und Kühlwasserverteilsystemen durch?

Ingo Fabricius: Ganz einfach: weil es nicht mehr Beauftragungen für den hydraulischen Abgleich gibt. Spaß beiseite – es ist ja so, dass die Durchführung des hydraulischen Abgleichs zu den Standardleistungen der Handwerksbetriebe gehört. Diese führen selbstverständlich nur das aus, was auch von den Kunden beauftragt wird. Leider hatte der hydraulische Abgleich in der Vergangenheit vonseiten der Kunden nur eine sehr begrenzte Wahrnehmung, was sich in den letzten Jahren etwas geändert hat. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Thema vermehrt in den politischen Fokus gerückt wurde, wie beispielsweise durch die Förderprogramme. Hier gehört der hydraulische Abgleich mittlerweile zu den Fördervoraussetzungen.

SBZ: Welche Voraussetzungen benötigt der hydraulische Abgleich? Können Sie eine kurze Prozessbeschreibung mit den wichtigsten Gesichtspunkten geben oder ist die ganze Angelegenheit doch komplexer?

Fabricius: Die eine kurze Prozessbeschreibung gibt es leider nicht und die Voraussetzungen lassen sich kaum durch eine simple Aufzählung benennen. Was sicher gilt, ist „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ – und den kennt der qualifizierte Handwerker. Letztlich wird der hydraulische Abgleich aber auch nicht mehr auf einem Blatt Papier manuell durchgerechnet, sondern durch vielfältig im Markt verfügbare Software begleitet. Diese Software bildet den gesamten Prozess ab. Hier kommt im Übrigen die VDI 2073 Blatt 2 ins Spiel, auf die die Hersteller gern bei der Erstellung ihrer Software zurückgreifen.

SBZ: Warum ist der hydraulische Abgleich so wichtig?

Thomas Wollstein: Der hydraulische Abgleich stellt sicher, dass ein Wasserkreislauf energieeffizient betrieben werden kann. Bei einer Heizungsanlage sorgt der hydraulische Abgleich dafür, dass alle Heizkörper bedarfsgerecht durchströmt werden. Auf der Annahme, dass dies der Fall ist, basiert die Auslegung des Wärmeerzeugers. Werden einzelne Heizkörper ungenügend durchströmt, so können diese nicht die nötige Leistung liefern. In der Praxis führt dies oft dazu, dass die Leistung durch Erhöhung der Vorlauftemperatur angehoben wird, damit ein Raum wunschgemäß beheizt werden kann. Jedoch wird damit die Heizung weniger energieeffizient betrieben. Analog gilt dies auch für Kühlkreisläufe.

SBZ: Welche langfristigen Vorteile bringt der hydraulische Abgleich?

Fabricius: Der hydraulische Abgleich optimiert die Energieeffizienz des Gesamtsystems „Heizungsanlage“. Damit einhergehend wird der Brennstoff- bzw. Energieverbrauch minimiert, was wiederum die Wirtschaftlichkeit erhöht und somit den Geldbeutel des Mieters oder Eigentümers schont. Aber auch das Betriebsverhalten der Anlage unter Komfortaspekten wird verbessert. So erwärmen sich beispielsweise während der morgendlichen Aufheizphase die Heizkörper gleichmäßiger und insgesamt auch schneller. Außerdem können unangenehme Pfeif- und Fließgeräusche, wie sie durch falsch eingestellte Ventile und Pumpen entstehen können, vermieden werden.

SBZ: Ist ein fehlender oder mangelhafter hydraulischer Abgleich sofort erkennbar und welche Folgen kann er nach sich ziehen?

Wollstein: Ein fehlender Abgleich bedeutet, dass Heiz- oder Kühlflächen nicht gleichmäßig durchströmt werden. Er macht sich dadurch bemerkbar, dass eine unnötig hohe Heiz- oder Kühlleistung erzeugt und verteilt werden muss. Somit sind die Energiekosten – Wärme-/Kälteerzeugung und Pumpenleistung – also unnötig hoch.

Der vermutlich häufigste Fall zeigt sich anhand einer Heizung in einer Mietwohnung: Die Heizkörper in einzelnen Wohnungen werden zu gering durchströmt und „nicht richtig warm“, obwohl der Mieter die Thermostatventile weit geöffnet hat. Die Folge sind also Beschwerden, zu denen auch eine erhöhte Geräuschbelastung durch Strömungsgeräusche führen kann. Zudem ist eine verursachergerechte Abrechnung der Heizkosten durch Heizkostenverteiler erschwert bis unmöglich, weil Heizkostenverteiler lediglich Erfassungs- und keine Messgeräte sind.

SBZ: Die VDI 2073 Blatt 2 behandelt ausschließlich den hydraulischen Abgleich und berücksichtigt den thermischen Abgleich nicht. Erläutern Sie bitte dennoch den Unterschied zwischen hydraulischem und thermischem Abgleich. Welche Abgleichmethode sollte in welchem Fall sinnvollerweise angewendet werden?

Fabricius: Wie das Wort „hydraulisch“ schon anzeigt, zielt der hydraulische Abgleich auf die Einstellung der Volumenströme eines wassergeführten Verteilsystems, also Heizung oder Kühlung ab. Der thermische Abgleich basiert hingegen auf thermischen Parametern, wie beispielsweise den Temperaturen am Heizkörper und des Raumes, und er könnte quasi auch als Raumtemperaturregelsystem bezeichnet werden. Der hydraulische Abgleich ist immer sinnvoll. Schließlich lässt sich in den meisten Fällen durch reines Berechnen und Einstellen – und im Regelfall ohne bauliche Veränderungen an der Anlage – eine Verbesserung der Effizienz erreichen.

Auch mit dem thermischen Abgleich kann eine Effizienzverbesserung realisiert werden. Allerdings ist er mit seiner Funktionsweise auf die bedarfsgerechte Wärmeversorgung des Raumes zugeschnitten. Man spricht daher auch vom „Abgleich des Wärmeübergabekreises“. Ohne zu tief in die technischen Details einzusteigen, lässt sich festhalten, dass bei größeren Liegenschaften der thermische Abgleich auf diesen Bereich beschränkt bleibt. Das bedeutet, dass die bei größeren und komplexeren Verteilsystemen ebenfalls abzugleichenden Erzeuger- und Verteilkreise bei diesem Verfahren außen vor bleiben. Nichtsdestotrotz kann der thermische Abgleich eine Alternative zum hydraulischen Abgleich sein. Das gilt insbesondere in älteren Bestandsgebäuden. Oftmals ist dort keine ausreichende Dokumentation über das Verteilsystem – samt der in den Wänden verlegten Rohre – vorhanden. Fehlende Dokumentation ist für den hydraulischen Abgleich eine nicht zu unterschätzende Hürde in Bezug auf den Aufwand und die zu erreichende Güte des Abgleichs.

SBZ: Ist es möglich, die Einsparpotenziale zu benennen?

Fabricius: Zum Einsparpotenzial eines durchgeführten hydraulischen Abgleichs wurden einige Untersuchungen und Studien von unabhängigen Hochschulen und Forschungsstellen durchgeführt. Im Ergebnis wurde dabei ermittelt, dass in Einzelfällen bis zu 15 % Einsparung erzielt werden konnte. Der Mittelwert liegt jedoch im Bereich von 5 bis 8 %. In der DIN V 18599-5 zur energetischen Bewertung von Gebäuden wird ein nicht durchgeführter hydraulischer Abgleich mit einem Aufschlag von 6 % berücksichtigt.

SBZ: Sind aus Ihrer Sicht vermehrt Schulungsangebote zum hydraulischen Abgleich für das Fachhandwerk notwendig?

Wollstein: Schulungen halten wir für wichtig. Aus diesem Grund hat sich vor Kurzem auch ein Richtlinienausschuss konstituiert, der die Schulungsrichtlinie des VDI zum hydraulischen Abgleich überarbeiten wird. Der VDI beabsichtigt, wie bei den wichtigen Themen der Trinkwasserhygiene oder Wärmepumpen, VDI-Schulungspartnerschaften anzubieten. Diese bieten den Teilnehmenden den Vorteil einer qualitätsgesicherten Schulung: Denn wenn „VDI“ draufsteht, ist auch VDI drin! Teilnehmende, die eine solche Partnerschulung erfolgreich absolvieren, erhalten eine VDI-Urkunde. Sie heben sich damit von Teilnehmenden anderer Schulungen ab, für die der VDI keine Qualitätssicherung leistet.

SBZ: Sollte ein Fachhandwerker in jedem Fall den hydraulischen Abgleich beherrschen?

Wollstein: „Sollte“ ist nicht das richtige Wort – er muss ihn sogar beherrschen! Denn der hydraulische Abgleich wird durch das GEG zur Pflicht. Ein Handwerker, der die Pflicht nicht draufhat, verletzt den Grundsatz von Treu und Glauben nach BGB, wenn er sich einem potenziellen Auftraggeber gegenüber als fachkundig darstellt. Die inhaltlichen Gründe und die negativen Auswirkungen eines fehlenden hydraulischen Abgleichs liegen ganz klar auf der Hand.

SBZ: Herzlichen Dank für das Gespäch.

Thomas Wollstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik, weist auf die ­Notwendigkeit des hydraulischen Abgleichs für neue und bestehende Heiz- und Kühlwasserverteilsysteme hin.

Bild: VDI

Thomas Wollstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik, weist auf die ­Notwendigkeit des hydraulischen Abgleichs für neue und bestehende Heiz- und Kühlwasserverteilsysteme hin.

Der hydraulische Abgleich wird durch das GEG zur Pflicht – der Fachhandwerker muss das draufhaben.

Thomas Wollstein

VDI 2073 Blatt 2:2024-02 „Hydraulik in Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung – Hydraulischer Abgleich“

Der in technischen Regeln und Verordnungen, wie beispielsweise dem GEG, geforderte hydraulische Abgleich beschreibt die erforderlichen Bemessungen und Einregulierungen von Wasserverteilsystemen, insbesondere von Heiz- und Kühlanlagen. Konkret ist damit gemeint, mit den richtigen Rohren, Armaturen und Pumpen über ein rechnerisches Bestimmen und Einstellen von Regulierwiderständen oder selbsttätig wirkenden Abgleicharmaturen die Sollverteilung der Wasserströme auf die einzelnen Übergabestellen, wie beispielsweise Raumheiz- und Raumkühlflächen oder Wärmeübertrager, für den Bemessungsfall zu realisieren.

Oberstes Ziel ist, das Energieeinsparpotenzial von Heiz- und Kühlwasserverteilsystemen durch den hydraulischen Abgleich voll auszuschöpfen. Die Richtlinie „Hydraulik in Anlagen der technischen Gebäudeausrüstung – Hydraulischer Abgleich“ legt detailliert die Auslegung neuer und die rechnerische Überprüfung bestehender Heiz- und Kühlwasserverteilsysteme dar. Ziel ist, den hydraulischen Abgleich im Auslegungszustand unter Verwendung von Regulierwiderständen oder selbsttätig wirkenden Abgleicharmaturen nachprüfbar durchzuführen. Verfahren, die die Messung von Temperaturen als Grundlage des Abgleichs haben, werden nicht betrachtet.

In der Praxis ist nämlich die Sollverteilung der Wasserströme je nach Anschluss- und Verlegeart, nach zentraler oder dezentraler Pumpenanordnung und nach stetiger oder unstetiger Auf-zu-Wirkweise der Stellarmaturen unterschiedlich. Eine zentrale Rolle für die Regelfähigkeit spielt eine ausreichende „Ventilautorität“ der Regelarmaturen. Hierzu gibt es unterschiedliche technische Lösungen, die in dieser Richtlinie detailliert betrachtet werden. Die Nutzung dieser Richtlinie ist unter Wahrung des Urheberrechts und unter Beachtung der Lizenzbedingungen, die in den VDI-Merkblättern geregelt sind, möglich.

www.vdi.de/richtlinien