Der Ausbau erneuerbarer Energien im Stromsektor ist in den vergangenen Jahren rasant vorangeschritten. Doch der Wärmesektor mit seinen etwa 56 % Anteil am Gesamtenergieverbrauch Deutschlands stellt noch immer eine der größten Herausforderungen der Energiewende dar – denn eine Energiewende ohne Wärmewende wird es nicht geben.
Nur ein kleiner Teil der Wärmegewinnung erfolgt bisher durch regenerative Quellen, dagegen spielen beim Heizen von Wohnungen, Büros und Gewerbe sowie beim Prozesswärmebedarf in der Industrie nach wie vor Öl, Gas und Kohle die größte Rolle, siehe Bild 1 (aus: Bracke et al. 2022). Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, strebt die aktuelle Regierungskoalition daher an, zumindest die Hälfte der kommunalen Wärme bis 2030 aus klimaneutralen Quellen zu generieren (vgl. Koalitionsvertrag 2021–2025).
In der nun beginnenden zweiten Phase der Energiewende wird es daher um zweierlei gehen: einerseits darum, die durchgehende Versorgungssicherheit im Stromsektor aufrechtzuerhalten, wenn die volatilen Stromquellen zur Hauptquelle der Stromversorgung gehen, und andererseits im Wärmesektor den Anteil der erneuerbaren Wärmequellen von derzeit 16 % deutlich zu steigern. Beides lässt sich durch Sektorkopplung und einen verstärkten Einsatz von Geothermie und Wärmepumpen in Bereichen mit niedrigen bis moderaten Temperaturen und Wasserstoff vor allem im industriellen Bereich mit hohen Temperaturen erreichen (Bild 2, Bracke et al. 2022).
Das bedeutet Sektorkopplung
Zusätzlich kann der thermische Energiebedarf im Gebäudesektor auch eine entscheidende Rolle bei einer flexibleren und effizienteren Nutzung von erneuerbarem Wind- und Solarstrom spielen. Das bisherige Konzept, nach dem Kraftwerke dem momentanen Strombedarf folgen und durch flexible Erzeugung die Netzfrequenz stabil halten, ändert sich. Die Verantwortung geht zunehmend auf die Verbraucher über, denn im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken können Windkraft- oder Photovoltaikanlagen sich nur eingeschränkt nach den Verbrauchern richten, und ihr Anteil wächst stetig (Erdmann et al. 2021, Meyer-Braune et al. 2020).
Um das Stromnetz zu entlasten und den Strom vor allen Dingen dann zu nutzen, wenn er weniger CO2-behaftet ist, ist es daher hilfreich, wenn Verbraucher prognosebasiert agieren und sich am Angebot ausrichten. Eine gute Möglichkeit, überschüssigen erneuerbaren Strom thermisch effizient zu nutzen, bietet sich gerade im Gebäudesektor – das Stichwort heißt Sektorkopplung (Wietschel 2018). Durch die verfügbare thermische Speicherfähigkeit von Gebäuden können Erzeugung und Bedarf zeitlich entkoppelt oder zumindest entzerrt werden und Wärme oder Kälte auch zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar gemacht werden (Rath et al. 2021, Beucker et al. 2021).
Um die Effizienz- und Flexibilitätspotenziale von Gebäudeenergietechnik optimal nutzbar machen zu können, benötigt man daher a) ein Last- und/oder Gebäudemodell und b) Prognosen der volatilen Energiequellen und -senken und einen Optimierungsalgorithmus, der die Speicher immer zu den günstigsten Zeiten lädt, sowie c) die Hardwareintegration einer Steuerbox an den Anlagen, die bei gleichzeitiger Sicherstellung der Versorgungssicherheit die optimierten Fahrpläne für die Anlagensteuerung bereithält und diese immer im richtigen Moment ansteuert (Meeder et al. 2019a, 2019b).
Ein gelungenes Projekt: die Euref-Energiewerkstatt
Auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg, einem großen Büroquartier, konnte genau dieses Feld im vom BMWi geförderten Forschungsprojekt „Wind-Node“ erstmals erprobt (Wind-Node 2016–2021) und die Technologie im ebenfalls vom BMWi geförderten Projekt „Arche“ (2018–2022) an weiteren Standorten optimiert werden.
Als ein erstes Ergebnis konnten wir für den Euref-Campus in Berlin-Schöneberg zeigen, dass durch ein effizientes Zusammenspiel verschiedener Energiewandler und prognosebasierter Fahrweisen die Energieversorgung sogar heute schon klimaneutral und zu Preisen eines konventionellen Energiekonzeptes erfolgen kann.
Das Projekt zeigt, wie Energiezentralen in Zukunft immer flexibler werden und intelligente Steuerungssoftware viele Potenziale ausschöpft. Wenn im Kontext der Energiewende von Flexibilität gesprochen wird, dann ist damit in der Regel die Fähigkeit von Elementen im Energiesystem gemeint, aktiv auf ein externes Signal, das die Variabilität von Stromerzeugung und Stromverbrauch widerspiegelt, mit einer Leistungsänderung zu reagieren (Beuker et al. 2021).
Eine besondere Energiezentrale, welche genau dies ermöglicht, errichtete die Berliner Gasag-Gruppe auf dem Euref-Campus in Berlin Schöneberg. Die Anlage zur CO2-neutralen Versorgung des Areals kann sogar im laufenden Betrieb besichtigt
werden.
Das Konzept
Die Wärmeerzeugung übernehmen zwei Biomethan-Blockheizkraftwerke (BHKW), zwei weitere Blockheizkraftwerke, zwei Niedertemperaturgaskessel für die Spitzenlast und ein Elektrokessel. Für die Biomethan-BHKWs in der Energiewerkstatt wird Biomethan bilanziell aus dem Gasnetz entnommen. Die dadurch ermöglichte fixe EEG-Vergütung ist ein wichtiger Baustein für die wirtschaftliche und klimaschonende Energieversorgung.
Die Kälteversorgung erfolgt durch zwei mit Ökostrom betriebene Kältekompressionsmaschinen mit der Möglichkeit der Freikühlung, also der Einbindung kalter Außenluft für effizientere Kältebereitstellung. Eine Besonderheit der Anlage ist das deutschlandweit erste sogenannte Power-to-Heat-/Power-to-Cold-Speichersystem (P2H/P2C) aus zwei Speichern mit einer Fassung von 22 m³, die hydraulisch so konzipiert sind, dass für jeden Speicher einzeln festgelegt werden kann, ob er mit Wärme oder mit Kälte beladen werden soll. Dazu wird erneuerbarer Strom je nach Bedarf in Wärme oder Kälte gewandelt (Power-to-Heat bzw. Power-to-Cold) und im Speichersystem gepuffert (Bild 3).
Heizen und kühlen, wenn viel Storm da ist – was im Prinzip einfach klingt, ist in der Praxis anspruchsvoll. Wann sollen die elektrischen Wärme- und Kältemaschinen eingeschaltet werden? Wenn überschüssiger Strom im Markt ist und die Preise an der Strombörse in Leipzig möglichst günstig sind, das ist klar. Das Besondere dabei: Niedrige Preise resultieren häufig aus einem Stromüberschuss aus erneuerbaren Quellen. Je mehr erneuerbare Energien in unser Energiesystem einfließen, desto mehr muss an den Möglichkeiten gearbeitet werden, sie nicht abzuregeln, sondern flexibel zu nutzen und wie in diesem Fall thermisch zu speichern. Denn wenn man den Platz für Speicher einplant, lässt sich thermische Energie verhältnismäßig einfach speichern, und der Bedarf ist und bleibt groß.
Die übergeordnete intelligente Steuerung der Energieanlage mit allen Schnittstellenabstimmungen wurde innerhalb eines weiteren Forschungsprojekts (Förderkennzeichen 1137-B5-O) von der „Geo-En Energy Technologies GmbH“ entwickelt, welche auch ein Unternehmen der Gasag-Gruppe ist. Innerhalb der IT-Lösung „Geo-En/EnergyNode“, die inzwischen Nexerion heißt, wurde und wird mit einem selbstlernenden Verfahren ein digitaler Fingerabdruck aller Verbraucher basierend auf historischen Mess- und Wetterdaten gebildet, welcher dann mithilfe aktueller Wetterprognosen eine Bedarfsprognose ermöglicht. Zur Deckung der Bedarfe wird schließlich unter Berücksichtigung aktueller Marktdaten mit einem stochastischen Optimierungsalgorithmus ein ökologisch und ökonomisch möglichst idealer Fahrplan errechnet und auf die Steuerung übertragen (Bild 4).
Die Menge an verschiedenen Energiewandlern und die daraus resultierende Flexibilität gibt einem die Möglichkeit, alle 15 Minuten immer wieder neu auf Basis von Markt- und Wetterprognosen die optimale Einsatzreihenfolge der Energiewandler festzulegen. Die Strommengen für den Betrieb der Kältekompressionsmaschinen können im Voraus am Day-ahead-Markt beschafft werden, am Intraday-Markt besteht dann noch weiteres Optimierungspotenzial. Doch auch wenn man sich viel Mühe gibt – Prognosen sind nie perfekt. Zusammen mit der Leibniz-Universität Hannover wurde daher auch erprobt, inwiefern man im Verlauf des Anlagen- und Prognosebetriebs Unsicherheiten in Prognosen quantifizieren und wiederum in die Bewirtschaftung der Speicher einfließen lassen kann.
Fazit und Ausblick
Ein Schlüssel für das Projekt war die Beherrschung von Automatisierungstechnik über die gesamte Prozesskette – von der Datenentstehung am Sensor bis zur Automatisierung der Prognosebildung und Fahrplanoptimierung.
Im Laufe der Projektzeit hat sich entgegen ursprünglichen Annahmen herausgestellt, dass es aus Optimierungssicht die meiste Zeit des Jahres von Vorteil ist, beide Speicher der P2H-/P2C-Anlage mit den Kältekompressionsanlagen mit Kälte zu beladen, da es aufgrund eines Rechenzentrums auf dem Euref-Campus einen nahezu ständigen Kältebedarf über das Jahr gibt.
Die Strommarktpreise und die Preisvolatilität werden aufgrund von mehr erneuerbaren Energien im Energienetz weiter steigen, was zur weiteren Erhöhung der Wirtschaftlichkeit von flexiblen Anlagen dieser Art führen wird. Die Senkung der hohen Letztverbraucherabgaben, die beim Strombezug zu entrichten sind, würde der Wirtschaftlichkeit von Projekten und damit auch indirekt einer CO2-Minderung weiteren notwendigen Vorschub geben. Im vom BMWi geförderten Projekt Arche (2018–2022) werden die Erkenntnisse weiterentwickelt und auf weitere Anlagen übertragen, die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.
Info
Zahlen zum Projekt
Info
Der Euref-Campus
Das ca. 5,5 Hektar große Stadtquartier ist Symbol der Energiewende in Deutschland (Bild 5) und Standort für Unternehmen aus den Bereichen Energie, Nachhaltigkeit und Mobilität. Seit Beginn der Standortentwicklung 2008 haben sich auf dem Euref-Campus nationale und internationale Unternehmen und Forschungseinrichtungen angesiedelt. Ökologisch und ökonomisch nachhaltige Lösungen machen den Büro- und Wissenschaftscampus – der bereits seit 2014 die Klimaziele der Bundesregierung für 2045 erfüllt – zu einem europaweit einmaligen Zentrum für innovative Zukunftsprojekte. In einem engen Austausch und in zahlreichen Partnerschaften entwickeln Global Player, Start-ups sowie forschende und lehrende Einrichtungen intelligente Lösungen für die Stadt der Zukunft
Der Euref-Campus ist ein Referenzort für die Smart-City-Strategie des Landes Berlin. Mit einer klimaneutralen Energieversorgung, einem intelligenten Energienetz, den energieeffizienten Gebäuden, der Erprobungsplattform für Elektromobilität und den zahlreichen Forschungsprojekten beweist der Campus, dass die Energiewende machbar und finanzierbar ist.
Über Veranstaltungen zu den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit, geführte Campustouren und Unternehmensbesuche sowie informative Projekte wie die Energiewerkstatt baut das Stadtquartier seine Funktion als Forum und Informationshub stets weiter aus.