Allerorten wird über Disruption, künstliche Intelligenz, neue Technologien und Produktlösungen gesprochen. Im Kern geht es dabei um die Fragen, mit welchen Produktinnovationen Endkunden gewonnen werden und wie Produkte vom Warenausgang des Herstellers an der Verwendungsstelle des Endkunden betriebsfertig bereitgestellt werden können.
Alte Zöpfe abschneiden
In der SHK-Branche galt das für die beteiligten Wertschöpfungsstufen lange Zeit als geklärt. Der dreistufige Vertrieb war unangefochten das Maß der Dinge. Ist das heute immer noch so eindeutig? Auf den ersten Blick scheinen die Marktverhältnisse klar geregelt. Erlauben Sie mir – zugegeben holzschnittartig und ein wenig plakativ –, Ihnen meine Marktaufteilung vorzustellen. Auf der Herstellerseite gibt es die Dickschiffe, die als Komplettanbieter vor und hinter der Wand gut aufgestellt sind. Dann gibt es die kleineren Markenhersteller, die zwar über tolle Marken und Produkte, aber möglicherweise nicht mehr über zukunftsfähige Vertriebsstrategien verfügen, weil sie sich beispielsweise zu abhängig von der Logistikfunktion des Fachgroßhandels gemacht haben.
Dann haben wir den Fachgroßhandel, der aus einem Riesen und ein paar weitaus kleineren Marktbegleitern besteht. Und wir haben das Handwerk, das sich immer mehr in zwei Lager aufteilt, nämlich die professionell geführten und organisierten Handwerksunternehmen und die „So-wie-halt-immer-schon-Schaffer“. Diese Suppe kocht schon seit Jahrzehnten. Jeder kennt jeden und alle haben sich wohl oder übel miteinander arrangiert.
Vor einigen Jahren hat ein sehr erfolgreicher Onlinehändler gezeigt, wie man die etablierte SHK-Branche aufmischen kann, indem man (kurz gesagt) mit einem attraktiven Großhandelssortiment den Endkunden mit aggressiven Preisen und bedarfsgerechten Services direkt adressiert. Hierbei ging es „nur“ um eine Änderung der Verkaufsweise. Man stelle sich nun vor, es treten neue Anbieter auf den Markt, die mit sogenannten disruptiven (neuen) Technologien und Abläufen bestehende Konzepte irrelevant machen würden, indem sie die Art und Weise, wie bestimmte Technologien oder Abläufe genutzt werden, grundlegend verändern. Vor dem Hintergrund, wie unbeholfen viele Spieler in der SHK-Branche auf diese Form der Digitalisierung des Markenvertriebs und die damit einhergehende gestiegene Standardisierung, Automatisierung und Transparenz reagiert haben, scheinen mir bei vielen schwierige Zeiten ins Haus zu stehen.
Mehrwert und Marge im Auge behalten
Sie meinen, das sei alles Blödsinn? Endkunden reagieren auf neue Technologien und Abläufe. Das gilt insbesondere, wenn sich dadurch Zeit, Geld oder Aufwand einsparen lässt. Wer hier in der Lage ist, die Nachfrage zu decken, wird im Geschäft bleiben. Die anderen werden eher früher als später vom Markt gehen. Schon beim Thema Smarthome zeigt sich, dass viele Hersteller erhebliche Probleme haben, geeignete Handwerksunternehmen zu finden, die bereit und fachlich in der Lage sind, diese komplexen Technologien gegenüber Endkunden zu beraten und zu vermarkten. Von der Montage und Inbetriebnahme mal ganz zu schweigen. Üblicherweise engagieren sich Händler oder Handwerker für Produkte und Lösungen, mit denen sie Geld verdienen können. Wenn also ein Produkt zwar Mehrwert für den Endverwender, aber keine Marge für den Händler oder Handwerker bietet, werden die ihren Endkunden andere Lösungen vorstellen und verkaufen.
Für den Vermarktungserfolg mancher Produktsortimente kann es daher – gerade auch im Interesse des Endverbrauchers – für einen Hersteller angezeigt sein, andere Vertriebs- und Bezugskonditionsmodelle (beispielsweise den zweistufigen selektiven Vertrieb mit Funktionskonditionssystem) zu wählen.
Die neuen Megatrends frühzeitig erkennen
Ich bin überzeugt, dass neuen Technologien und Abläufen in der SHK-Branche in Zukunft eine Schlüsselrolle zukommen wird. Ein Beispiel: Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 60 % des weltweiten Energiebedarfs für die Heizung und Kühlung von Gebäuden verwendet wird. Der Versorgung und möglichst sparsamen Nutzung von (Trink-)Wasser wird bei steigenden Bevölkerungszahlen existenzielle Bedeutung zukommen.
Dass weltweit eine Vielzahl von Start-up-Unternehmen mit Milliarden von Risikokapital versuchen, in diesem Feld mitzumischen, ist daher nicht verwunderlich. Noch werden die verhältnismäßig hohen Marktzutrittsbarrieren (wie Kapitalkosten und Vertriebswege) den etablierten Platzhirschen etwas Zeit geben. Aber insbesondere im Objekt- und Projektgeschäft werden Endkunden marktfähigen neuen Technologien und Abläufen den Vorzug geben, um Kostensenkungspotenziale im Gebäudemanagement oder zusätzlichen Nutzungswert zu ermöglichen.
Im Kampf mit dem Tagesgeschäft, bei dem neben den Coronafolgen auch der Mangel an Material, Fachpersonal und Logistikfragen im Vordergrund stehen, geht leicht der Blick für zukünftige Megatrends verloren. Aus meiner Sicht zu unterscheiden sind dabei einerseits die operative Abwicklung von Geschäftsprozessen und die (zum Teil grundlegende) Veränderung von Technologien. Dreh- und Angelpunkt wird dabei die digitale Integration smarter Technologien sein. Schon heute fordert das professionelle Gebäudemanagement zentral gesteuerte Mess- und Regelungsmöglichkeiten für Beleuchtung, Belüftung und andere Themen. Das wird neue Anforderungen an Lieferanten und Handwerk stellen.
Damit einhergehen werden bestimmte IT- und Künstliche-Intelligenz-Lösungen, die bei der Planung, dem Betrieb und der Wartung von SHK-Installationen „normaler Standard“ werden. Es ist davon auszugehen, dass hier die Platzhirsche versuchen werden, ihre jeweiligen proprietären Lösungen durchzusetzen. Für das Gebäudemanagement ebenso wie für Handwerksunternehmen würde das bedeuten, mit mehreren Systemen parallel arbeiten zu müssen oder sich für ein Herstellersystem zu entscheiden. Wer hier Abhängigkeiten vermeiden will, sollte sich frühzeitig für einen gemeinsamen Open-Source-Standard einsetzen.
Wofür ist der Endkunde noch zahlungsbereit?
Eine weitere wichtige Frage wird die operative Aufgabenverteilung zwischen Industrie, Großhandel und Handwerk sein. Vordergründig geht es dabei um die Frage, wer von der Akquisition eines Auftrags über die Planung, Montage und Inbetriebnahme bis hin zu Wartung und Service welche Aufgabe übernimmt. Aus dem Blickwinkel disruptiver Geschäftsmodelle geht es aber vielmehr um die Frage, für welche Leistung in der Wertschöpfungskette ist der Endkunde bereit, welchen Preis zu bezahlen. Dieser Verteilungskampf wird insbesondere zu einer (kalkulatorischen) Neubewertung der Logistikdienstleistung des Fachgroßhandels führen. Beziehungsweise wird Vollsortiment-Lieferanten oder gut organisierten Handwerksunternehmen, die diese Logistikfunktion weniger benötigen, neue Chancen eröffnen.
Seit einiger Zeit schon ist zu beobachten, dass Hersteller im Projektgeschäft vermehrt versuchen, Aufträge selbst zu akquirieren, und diese selbst oder durch entsprechend autorisierte Handwerksunternehmen ausführen (lassen). Zudem ist zu beobachten, dass Hersteller gegenüber Endkunden selbst Wartungs- und Servicedienstleistungen anbieten und durchführen. Ob es sich dabei um zukunftsfähige Strategien oder zu kurz gedachtes Wildwest-Gehabe handelt, wird man sehen. Beispiele aus anderen Branchen lehren mich jedoch, dass Hersteller den Umgang mit Endkunden gut intern üben sollten, bevor sie ihre angestammten Absatzmittler verärgern.
Netzwerke und neue Kooperationen
Es stehen allen Beteiligten in der SHK-Branche dynamische Zeiten bevor. Was sind die Voraussetzungen, um in einem solchen Umfeld erfolgreich agieren zu können? Für mich sind das: fokussierte Kompetenz, Digitalität soweit nötig und sinnvoll sowie Legalität des Geschäfts- und Vertriebsmodells. Meine persönliche Kompetenz fokussiert sich auf die wettbewerbs- und kartellrechtliche Legalität von Geschäfts- und Vertriebsmodellen qualitätsorientierter Markenhersteller. Es geht um Markenführung und Vertriebssteuerung mit legalen Werkzeugen.
In den letzten Jahren haben die europäischen und nationalen Kartellbehörden den maximalen Interbrand- (Markenhersteller untereinander) und Intrabrand-Wettbewerb (Händler eines Markenherstellers untereinander) befeuert. Der überregionale Onlinehandel war den Behörden dabei ein willkommenes Instrument, um Preisdruck auf den regionalen Stationärhandel auszuüben. Auch die ab Mitte nächsten Jahres gültige „Vertikale Gruppenfreistellungsverordnung“ mit den dazugehörigen Leitlinien wird diese Grundhaltung fortsetzen. Es scheint, als solle nach dem Willen der EU-Kommission der Binnenmarkt als einheitlicher Markt angesehen werden, in dem ein Onlinehändler aus dem polnisch-ukrainischen Grenzgebiet mit einem Stationärhändler auf den Pariser Champs Élysées in (Preis-)Wettbewerb tritt. Als Vertriebsentscheider sollte man vor dieser neuen Realität nicht einmal erwägen, weiterhin mit „altbewährten“ Vertriebswerkzeugen zu operieren.
Kartellrecht erlaubt mehr
Denn das Wettbewerbs- und Kartellrecht stellt auch eine ganze Reihe von zulässigen und wirksamen Werkzeugen für Markenhersteller zur Verfügung. Wichtig ist es, die einschlägigen wettbewerbs- und kartellrechtlich zulässigen Regeln zu kennen und sich bei der Umsetzung seiner digitalisierten Markenstrategie daran zu halten. Als Beispiele genannt seien die Möglichkeit, unterschiedliche Bezugskonditionen bei Online- und Offlineverkäufen zu gewähren (sog. Dual Pricing), qualitative Kriterien beim Stationär- und Onlineverkauf der Markenprodukte vorzugeben oder Onlinemarktplätze und Online-Auktionsplattformen grundsätzlich zu verbieten. Außerdem gibt es bestimmte Möglichkeiten der Reglementierung bei der Nutzung von Online-Produkt- und -Preissuchmaschinen, für Vorgaben im Objektgeschäft sowie weitere Werkzeuge.
Grundlage dafür ist ein vom Endkunden her gedachtes (selektives) Vertriebssystem. Das umfasst eine kluge Vertriebsstrategie, die mit legalen Werkzeugen (Außendienst, Innendienst, Marketing, Produktmanagement und selektiver Vertriebsvertrag) auf Basis eines straffen Compliance-Systems (insb. Schulung und kartellrechtlicher Überwachung der Absatzkräfte) um- und durchgesetzt wird.
Im Fußball kann man nur Tore schießen, wenn man nach den Regeln spielt. Sobald gefoult wird, pfeift der Schiedsrichter. Dieses Beispiel passt ganz gut zur Compliance im Vertrieb. Man organisiert ein zulässiges Spielsystem, trainiert die Spieler auf dieses System, sorgt für die Fitness und stellt sie auf Maßnahmen der gegenüberstehenden Mannschaft (z. B. Abseitsfalle) ein.
Eine andere Chance sind neue Kooperationsmöglichkeiten auf der Lieferantenseite. Solche Zusammenschlüsse kennt man bisher nur als Einkaufskooperationen auf Nachfragerseite. Doch ist es beispielsweise möglich, dass sich Lieferanten zu einem sogenannten Effizienzkartell im Sinne des § 2 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) zusammenschließen. Die Mitglieder eines Effizienzkartells können sich unter bestimmten Voraussetzungen zu sogenannten vertraglichen Nebenleistungspflichten abstimmen und diese gemeinsam gegenüber der meist nachfragemächtigen Handelsseite durchsetzen. Zur groben Orientierung sind Nebenleistungspflichten solche Regelungen, die üblicherweise in allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt werden. In der Möbelbranche konnte ich gemeinsam mit einem Zusammenschluss namhafter Herstellerunternehmen die erfolgreiche Umsetzung eines solchen Effizienzkartells anwaltlich begleiten.