Energieeffizientes Bauen muss nicht teuer sein. Bei sorgfältiger Planung und rationellen Baumethoden ist der Passivhausstandard sogar fast ohne Mehrkosten gegenüber der aktuell gültigen EnEV 2016 realisierbar. Herausragende Referenzen finden sich mittlerweile im gesamten deutschsprachigen Raum. Selbst im sozialen Wohnungsbau ist heute bei 5 Euro/m2 Bruttomiete der Passivhausstandard umsetzbar, wie die gemeinsame Initiative der Stadtgemeinde Schwaz, des Landes Tirol und der Neuen Heimat Tirol zeigt. Für die Anhänger des Passivhausstandards gelten dieses Projekt sowie Beispiele des Wohnungs- und Immobilienkonzerns ABG Frankfurt Holding als Durchbruch und Nachweis, dass mit einer exakten Detailplanung der energieeffizienten Maßnahmen und dem Einsatz von Serienbauteilen ein Heizwärmebedarf von maximal 15 kWh/(m2a) erreicht werden kann.
Weniger Dämmung durch bessere Fenster und Lüftung mit WRG
Die Planung von Passivhäusern ist ein Spiel mit vielen Variablen, das sehr viele Kenntnisse der realen Baukosten, der einzubauenden Komponenten, der Klimazone sowie der Lage und Verschattung des Bauwerks durch andere Gebäude voraussetzt. Für Wolfgang Feist, Gründer des Passivhaus Instituts in Darmstadt und Universitätsprofessor, ist die Planung eines Passivhauses ein dynamischer Prozess: Allerdings kann dieser kostentreibend oder kostensenkend sein – je nach Erfahrung und Kenntnisstand des Architekten bzw. Planers. Eine wichtige Rolle komme dabei den Komponenten „Fenster“ und „Lüftung“ zu, die in den letzten Jahren bei stabilen bis sinkenden Preisen bedeutend effizienter geworden seien. Feist empfiehlt, die am höchsten verfügbare Qualität einzusetzen, denn dann könne eine geringere Dämmstärke gewählt werden, was sich insbesondere im Geschosswohnbau auszahle.
Gute Passivhausfenster bestehen, so Feist, aus schmalen, hochwärmegedämmten Rahmen, einer Dreischeiben-Wärmeschutzverglasung (kostengünstig mit Argon-Füllung) und einem thermisch getrennten Abstandshalter. Damit könnten Fenster U-Werte von unter 0,7 W/(m2a) bei einem g-Wert von 0,52 erreichen. Die Differenzkosten zu einem konventionellen Fenster mit einem U-Wert von 1,2 W/(m2a) und g = 0,64 betragen inzwischen nur noch etwa 50 Euro/m2 (± 20 %). Deshalb sei es möglich, Passivhäuser zu geringeren Mehrkosten zu realisieren, da durch die höherwertigen Fenster die Dämmstoffstärke verringert werden kann. Bei Passivhausfenstern sei vor allem die Qualitätskontrolle wichtig. Oft würden zwar Fenster mit „warmer Kante“ bestellt, jedoch ein kalter Rahmenverbund geliefert. Für Feist geht die Entwicklung von Passivhausfenstern noch weiter: Ug-Werte von 0,35 W/(m2K) seien bereits auf dem Markt. Er empfiehlt auch, der Fenster-Wand-Schnittstelle mehr Beachtung einzuräumen. Dabei spiele die rationelle Montage und die Luftdichtheit zur Wand eine tragende Rolle bei der Wirtschaftlichkeit.
Lüftung mit Wärmerückgewinnung
Einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit von Passivhäusern leistet auch die neue Generation an Wohnungslüftungssystemen mit Wärmerückgewinnung. Während reine Abluftanlagen als Minimalausstattung mit rund 1250 Euro je Wohneinheit im Passivhausbereich eher als Notlösung ohne Einsparbeitrag gelten, bieten die neuen Wohnungslüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung in Passivhausqualität nicht nur mehr Komfort, sondern auch einen höheren Einsparbeitrag für die Passivhauszertifizierung. Solche Anlagen wurden in der Vergangenheit mit etwa 4500 Euro je Wohneinheit (ca. 80 m2, montiert) kalkuliert; heute gibt es bereits Systeme in der Größenordnung von 3000 Euro je Wohneinheit inklusive Montage. Diese Preise sind allerdings nur durch eine ausgefeilte Baustellenlogistik zu erreichen. Generell scheinen in den Bereichen Systemtechnik, Vorfertigung und Baustellenlogistik noch hohe Kostensenkungspotenziale zu liegen.
Weitere Einsparungen seien beim Stromverbrauch der Lüftungssysteme zu erwarten, so Feist. Die kostensenkenden Innovationen rund um Wohnungslüftungssysteme würden dem Passivhausstandard vollends zum Durchbruch verhelfen, auch wegen der zu erwartenden weiteren Einsparungen bei den Heizkosten. Zu bedenken sei, dass viele Kosten beim Bau von Passivhäusern nichts mit den eigentlichen Investitionen zu tun haben, sondern mit der Lernkurve der beteiligten Planer und ausführenden Unternehmen, konstatiert Feist. Fehlendes Passivhauswissen führe zu kostensteigernden Lösungen mit unnötigen Sicherheitszuschlägen. Seine Erfahrung: „Mit jedem ausgeführten Passivhausprojekt reduzieren sich die spezifischen Mehrinvestitionen von Passivhäusern.“ Betrugen diese beim ersten Passivhaus in Kranichstein im Jahr 1991 noch rund 320 Euro/m2, so lagen sie im Jahr 2016 nur noch zwischen 50 und 80 Euro/m2. Bis 2020 seien auch Werte deutlich unter 50 Euro/m2 erreichbar, so Feist.
Konventionelle EnEV-Gebäude teurer als Passivhäuser
Hart ins Gericht mit der Wohnungswirtschaft ging auch Frank Junker, Vorsitzender der Geschäftsführung der ABG Frankfurt Holding, (Eigentümerin: Stadt Frankfurt am Main). Das Unternehmen betreut einen Bestand von rund 51 000 Wohnungen für etwa ein Viertel der Frankfurter Bevölkerung und gilt als einer der Pioniere bei der breiten Umsetzung des Passivhausstandards im Geschosswohnbau. „Nach unseren Erfahrungen sind die Wohnungsbauunternehmen die Bremser der verschärften EnEV. Seit über 15 Jahren sind wir mit Passivhäusern auch kommerziell erfolgreich.“
Wichtig seien ein intelligentes, gewerkeübergreifendes Planungssystem und die Einhaltung der Passivhausregeln von der Vorplanung bis zur Bewirtschaftung der Immobilie. Junker ist überzeugt, dass bei einer sorgfältigen Planung ein höherer Gebäudeenergiestandard die Baukosten nicht ansteigen lässt. „Wir stellen fest, dass sich das Passivhaus mehr und mehr durchsetzt und damit den Stand der Technik im Neubaubereich vorgibt.“ Allein in Frankfurt habe die ABG über 3000 Wohnungen im Passivhausstandard realisiert. Inzwischen seien konventionell erstellte Gebäude nach EnEV- oder KfW-Effizienzhausstandard in Frankfurt oft teurer als die von der ABG errichteten Passivhäuser.
Ein wichtiger Meilenstein zu mehr Kosteneffizienz sei die Ausnahmeregelung für Passivhäuser von der Heizkostenverordnung, wenn der Heizwärmebedarf unter 15 kW/(m2a) liegt. Ein Monitoring durch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik in einer ABG-Liegenschaft habe bestätigt, dass durch die Warmmiete keine zusätzliche Belastung für den Vermieter entsteht. Eigenen Erfahrungen zufolge seien Passivhausgebäude bei der Errichtung heute nur noch etwa 3 bis 5 % teurer als solche nach EnEV 2016. Allerdings hätten Gebäude im Passivhausstandard längerfristig ein höheres Mietsteigerungspotenzial, sodass sich für die Wohnungswirtschaft die zusätzlichen Investitionen in jedem Fall rechnen.
PH-Zertifizierer hilft Fehler in der Praxis zu vermeiden
Es ist schon beeindruckend, wie viel Know-how das Passivhaus Institut seit seiner Gründung im Jahr 1996 akkumuliert hat. Damit wird auch den Newcomern der Einstieg in den Passivhausstandard erleichtert. Wer als Passivhausneuling ganz sicher gehen will, schaltet bereits bei Beginn einer Passivhausplanung einen Zertifizierer ein, denn dadurch lassen sich die typischen Anfangsfehler vermeiden. Doch auch bei eher routinierten Passivhausplanern können Zertifizierer noch zwischen 20 und 40 Hinweise auf eine Passivhaus-konforme Planung und Ausführung geben. Martin Sambale vom Energie- und Umweltzentrum Allgäu (eza!) nennt als typische Fehler:
- falsche Klimadatensätze
- falsche Flächenangabe
- Abweichung des realen Baugrundstücks von der geplanten Himmelsrichtung
- Fehleinschätzung von Verschattungen (führen zur Überhitzung im Sommer)
- Planungsfehler bei der Lüftung (sehr häufig) und bei den Fenstern (häufig).
Auch der Verbrauch von Hilfsstrom für Regelungs- und Steuerungsaufgaben werde unterschätzt. Neben dem Erkennen von Fehlern durch das Vier-Augen-Prinzip erhält der Planer im Rahmen der Passivhauszertifizierung noch ganz grundsätzliche, aber auch konkrete objektbezogene Hinweise zum Passivhaus-gerechten Bauen. Von Vorteil ist, dass durch die begleitende Zertifizierung der gesamte Planungsprozess dokumentiert wird und damit alle Planungsschritte nachverfolgt werden können. Bezogen auf die Gesamtkosten eines Passivhauses, den Lebenszyklus des Gebäudes und die Betriebskosten sei das Honorar für den Zertifizierer vernachlässigbar.
Hohes Potenzial zur Vereinfachung der Heiztechnik
Besondere Beachtung fand der Plenarvortrag von Burkhard Schulze Darup, Architekt und Städteplaner, Berlin/Nürnberg, zum Thema „Passivhaus – Quo vadis?“ Er ist überzeugt, dass – im Gegensatz zu anderen Sektoren der Energiewende – im Gebäudebereich die Techniken und Komponenten zum Erreichen der Klimaziele mittlerweile vorhanden sind. Allerdings müssten die im Passivhausbau verwendeten Effizienzkomponenten einfacher und nachhaltiger werden, um die Mehrkosten gegenüber konventionellen Bauweisen weiter zu reduzieren. Dabei sollte die Nutzungsdauer der Bauteile mindestens 60 Jahre betragen.
Schon heute lägen die Mehrkosten einer Passivhauswanddämmung gegenüber EnEV-Standard bei nur noch 12 bis 30 Euro/m2 Wohnfläche, je nach Geschossigkeit. Besonders deutlich seien die Kostensenkungen bei Passivhausfenstern, die vor 20 Jahren noch um den Faktor 3 teurer als Standardfenster waren. Heute liegen die Mehrkosten bei nur noch 5 bis 15 Euro/m2 Wohnfläche. Allerdings könnte der Aufwand für die Qualitätssicherung bei Wärmebrücken und der Luftdichtheit der Gebäudehülle am Beginn der Lernkurve eines Passivhausplaners durchaus bei 30 Euro/m2 Wohnfläche liegen.
15 bis 20 Teelichter heizen ein Passivhaus
Eher disruptive Änderungen sind bei der breiten Einführung des Passivhausstandards bei den konventionellen Heizsystemen zu erwarten. „Wenn ein Einfamilienhaus im Passivhausstandard auch bei kaltem Winterwetter mit 15 bis 20 Teelichtern beheizt werden kann, so wird offenkundig, dass es ein hohes Potenzial zur Vereinfachung der Heiztechnik gibt“, meint Schulze Darup. Da die Energiewende „elektrisch“ ist, müssten erneuerbare Wärme und regenerative Stromgewinnung zusammengeführt werden. Durch einfachere Systemlösungen für Heizung und Trinkwas_sererwärmung könnten 15 bis 40 Euro/m2 Wohnfläche eingespart werden. Das gelte insbesondere für Wärmepumpenkonzepte, bei denen neben dem Aggregat sowohl primärseitig als auch auf der Heizseite jeweils deutlich kleinere Lösungen als für den EnEV-Standard gefordert sind, sagt Schulze Darup. Wichtig sei es, einen Wettbewerb in der Heizungsbranche zu initiieren, damit auf diesem wichtigen Feld zeitnah einfache, innovative Konzepte auf den Markt kommen.
Auch bei der Lüftungstechnik müsse sich bei den Kosten (Investition und Wartung) noch etwas bewegen. Die bisherigen Investitionskosten lägen bei 50 bis 100 Euro/m2 Wohnfläche, innovative Lüftungslösungen könnten heute schon ab 35 Euro/m2 Wohnfläche bzw. 3000 Euro je Wohneinheit im Geschosswohnbau gebaut werden, so Schulze Darup.
Fazit
Die Anzahl und Kostenstruktur der realisierten Passivhausprojekte lassen vermuten, dass der Passivhausstandard beim Invest mit den konventionell erstellten Gebäuden nach EnEV- bzw. KfW-Effizienzhausstandard zeitnah gleichziehen wird. Das für jeden Planer nutzbare, umfassende Know-how des Passivhaus Instituts sowie die Hilfestellung durch sogenannte Zertifizierer erleichtern den Einstieg für Newcomer.
Weitere Effizienzverbesserungen sind bei Fenstern, Wohnungslüftungssystemen und Wärmepumpen zu erwarten. Im Geschosswohnbau spielen künftig die Vorfertigung, der rationelle Einbau und die Baustellenlogistik eine tragende Rolle zur Senkung der Baukosten.
Info
Dicker Tagungsband
Passend zum Schwerpunktthema der 22. Internationalen Passivhaustagung „Passivhaus – das lohnt sich!“ vom 9. bis 10. März 2018 in München zeigten zahlreiche Referenten auf, dass energieeffizientes Bauen und Sanieren wirtschaftlich und bezahlbar ist.
Im rund 780 Seiten starken, informativen Tagungsband (Format: ca. DIN A5; Preis: 90 Euro) sind die Aktivitäten von 16 Arbeitsgruppen mit 150 Fachbeiträgen und 6 Plenarvorträgen dokumentiert, wobei manche Beiträge auf Englisch sind. Veröffentlicht wurden auch zahlreiche anschauliche Grafiken, Charts, Fotos etc.
Autor
Wolfgang Schmid ist freier Fachjournalist für technische Gebäudeausrüstung, München, wsm@tele2.de