Unglaublich flott unterwegs sind: Jungunternehmen. Sie probieren alles Mögliche aus und kalkulieren das Scheitern mit ein. „Beim nächsten Mal machen wir eben bessere Fehler”, sagen sie heiter. „Start many, try cheap, fail early”, heißt dieses Prinzip: Viele Projekte starten, sie in kleinen Schritten vorantreiben und via permanenter Feedbackschleifen auf Praxistauglichkeit testen, Flops schnell erkennen und sofort eliminieren. Das bedeutet: Falls man scheitert, scheitert man früh. So früh, dass sich der Schaden in Grenzen hält und eine Kurskorrektur nicht so schwierig ist. Je früher man also Irrwege und Misserfolge erkennt, desto besser. Das setzt allerdings eine Unternehmenskultur voraus, in der sich der Einzelne traut, Fehler zuzugeben, und nichts vertuscht wird.
Was Betriebe von der Onlineszene lernen können
In der Digitalwelt ist eine positive Fehlerkultur ganz normal. In manchen Unternehmen können sich die Mitarbeiter sogar für eine ungewöhnliche Auszeichnung qualifizieren: „Stelle ein Projekt vor, das so richtig vor die Wand gefahren ist“, lautet die Aufforderung dort. Der Sinn ist, dass alle daraus lernen. Denn eine negative Haltung gegenüber Fehlern erstickt Evolution und Innovationen im Keim.
Fehler werden in der digitalen Szene also als Entwicklungschancen gesehen. Dort fühlt man sich inspiriert von den Geschichten bekannter Unternehmer, die vor ihrem Durchbruch einige Male gescheitert sind. Ob Richard Branson, Mark Zuckerberg oder Jack Ma, der Gründer-CEO der chinesischen Alibaba Group: Die Offenheit ihres Umfeldes für ihr Scheitern machte sie erst zu den Weltveränderern, die sie nun sind.
Sogenannte „Fuck-up-Nights“, bei denen Gründer von ihrem Scheitern berichten, sind groß im Trend. Jeder kann dort klüger werden. Denn wer offen für Fehler ist, kann zukünftige Fehler eher vermeiden. Ihren Ursprung hat die Bewegung übrigens in Mexiko-Stadt, wo 2012 fünf gescheiterte Unternehmer zusammenkamen, um sich gegenseitig von ihren Misserfolgen zu erzählen.
Woher die Angst vor Fehlern überhaupt kommt
Natürlich können sich Onlinefirmen eine großzügigere Fehlerkultur leisten als andere Gewerbe. Denn digitale Produkte sind sowieso niemals fertig. Sie kommen als Betaversion auf den Markt und werden mithilfe der User ständig verbessert und weiterentwickelt. In der alten Industriekultur dagegen konnte jeder Produktionsfehler den Ruin bedeuten, weil klassische Herstellungsprozesse teuer waren. Hohe Qualitätsstandards und eine Null-Fehler-Kultur waren und sind bei Maschinen, Geräten und Gebrauchsgütern ganz einfach Pflicht.
Auch im Handwerk können Fehler den Betrieb teuer zu stehen kommen. Umso wichtiger ist es, ein vertrauensvolles Arbeitsklima zu schaffen, in dem die Mitarbeiter sich nicht scheuen, Fragen zu stellen, Schwierigkeiten auszusprechen und Fehler einzugestehen, bevor es zu größeren Problemen kommt.
Fehler 100-prozentig zu vermeiden ist allerdings kaum möglich. Jede Entscheidung trägt zwangsläufig die Möglichkeit des Scheiterns in sich. Nur da, wo nichts passiert, passieren garantiert keine Fehler. Sie bergen neben Risiken immer auch Potenziale. Ohne Fehlermachen ist Lernen nicht möglich.
Wie Fehler dem ganzen Team weiterhelfen
Deshalb brauchen Unternehmen eine fehlertolerante Lernkultur sowie Führungskräfte, die konstruktive Feedbackgespräche führen können. Und sie brauchen folgenden Punkt auf der Meeting-Agenda: „Welche Erfahrungen ich gemacht habe, die sich alle sparen können.“ Das bringt das gesamte Team sofort einen Schritt weiter.
Dafür wird ein geschützter Rahmen benötigt, damit alles offen und ehrlich auf den Tisch kommen kann. Jede erzählte Geschichte hilft den Anwesenden, genau die Fehler zu vermeiden, die andere hinter sich haben. Es gibt inzwischen sogar Firmen, die Bewerber bevorzugen, die schon mit einem Projekt gescheitert sind. Ihnen ist der Wert dieser Erfahrung bewusst.
Warum man Scheitern einkalkulieren muss
Eine fehleroffene, sanktionsfreie Lernkultur ist essenziell für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Denn Fehler machen heißt üben, um siegen zu lernen. Wenn man Fehler hingegen verschweigt, dann machen andere möglicherweise bald den gleichen Fehler – und das Ganze wiederholt sich unzählige Mal. Und wenn man es verschleppt, macht man aus einem Mini- ein Maxiproblem. Wenn ein mögliches Scheitern von vornherein einkalkuliert wird, ist man zumindest darauf vorbereitet, wenn es passieren sollte.
Was der falsche Umgang mit Fehlern kostet
Die einzigen Fehler, die nicht toleriert werden können, sind Absicht, Nachlässigkeit und Schlamperei. Ansonsten ist ein Fehler erst wirklich ein Fehler, wenn er zum zweiten Mal passiert. Bei uns darf jeder Fehler machen, nur nicht den, ihn zum Schaden des Unternehmens zu vertuschen. Dieser Satz sollte in den Leitlinien eines jeden Unternehmens stehen. Denn der falsche Umgang mit Fehlern verursacht gleich fünffache Kosten:
- Aufwendungen für die fehlerhafte Leistungserstellung
- Aufwendungen für die notwendige Mängelbeseitigung
- Umsatzverluste durch die Abwanderung enttäuschter Kunden
- Umsatzverluste, die aus negativer Mundpropaganda entstehen
- Vertrauensverluste aufgrund einer schlechten Reputation
Dort, wo keine Fehler zugelassen oder diese sogar geahndet werden, verbringen Mitarbeiter ihre Zeit damit, sich abzusichern. Sie belauern die lieben Kollegen, um deren kleinste Fehler anzuprangern. Oder sie lassen sie wissentlich ins Messer laufen. Das behindert die Arbeit und mindert die Leistung.
Warum die Suche nach dem Schuldigen kontraproduktiv ist
Jede Führungskraft kann und muss eine Aus-Fehlern-lernen-Kultur etablieren. Damit beginnen Sie so:
- Verlangen Sie von Ihren Mitarbeitern, über schlechte Nachrichten als Erster informiert zu werden.
- Verlangen Sie außerdem, dass Ihre Mitarbeiter Ihnen gegebenenfalls widersprechen, und loben Sie sie öffentlich dafür – wenn der Widerspruch berechtigt war.
- Bedanken Sie sich ausdrücklich bei denen, die ihre Fehler zügig offenlegen oder schlechte Botschaften überbringen.
- Drücken Sie starkes Missfallen aus, wenn Ihnen gezielt etwas verschwiegen wurde, wenn Fehler unter den Teppich gekehrt werden, wenn Berichte geschönt sind oder wenn ganz offensichtlich gelogen wird.
- Fragen Sie sich aber auch, welche internen Strukturen und Prozesse individuelles Versagen überhaupt erst möglich gemacht haben. Denn Fehler werden gerne personalisiert. Sind aber der Huber oder die Müller schuld, dann kann die Organisation selbst nichts für sich lernen.
Wie konstruktives Fehlermanagement aussieht
Aktives Fehlermanagement heißt außerdem: Fehler und die dazugehörige(n) Lösung(en) werden aufgezeichnet und für diejenigen, die daraus lernen können, einsehbar gemacht. Und sie werden statistisch ausgewertet. Dann macht jedes Teammitglied diesen Fehler (hoffentlich) nur noch einmal. Und Verbesserungen müssen nicht immer wieder neu entwickelt werden.
Die Suche nach Schuldigen kommt bei all dem nicht vor. Erst dann kann es auch keine Rechtfertigungsarien geben, die Zeit und Nerven kosten, aber nichts bringen. „Nur wenn sich die Schuldfrage nicht stellt, kann man die Ursachen finden und über Lösungen nachdenken“, erläutert der Vorzeigeunternehmer Detlef Lohmann. Dies kann sogar bedeuten, die Mitarbeiter von Schuld freizusprechen, also ausdrücklich zu sagen, dass niemand schuld ist an einer Situation. So wird der blockierte Kopf schnell wieder frei.
Info
Fördergespräche: Lösungen statt Schuldzuweisungen im Fokus
Natürlich wird von einer guten Führungskraft erwartet, dass sie klare Ansagen macht und konsequent handelt, wenn die Leistung nicht stimmt oder Fehler immer wieder passieren. Viele Vorgesetzte vermeiden es jedoch, Fehlergespräche zu führen, weil sie Angst haben vor einer unangenehmen Reaktion des Mitarbeiters (er/sie ist verletzt, wird böse, sperrt sich, weint), mit der sie nicht umgehen können. Oder sie befürchten, sich unbeliebt zu machen bzw. im Gegenzug selbst kritisiert zu werden.
Entscheidend ist daher, wie das Gespräch geführt wird. Es kann vorwurfsvoll sein oder den Lerneffekt in den Fokus rücken. Grundsätzlich lässt sich ein Fehler auch anders benennen: Kinderkrankheit, Korrekturmodus, Lernchance, Optimierungspotenzial, Testlauf, Schwachstelle, Anlaufschwierigkeit, Lapsus, Patzer, Missgeschick, Anfängerirrtum, Panne, Ersterfahrung. So können Sie aus einem Fehler- ein Fördergespräch machen. Dies ist notwendig, um den Mitarbeiter auf Folgen seines Verhaltens hinzuweisen und ihm die Möglichkeit zu geben, seine Leistungen zu verbessern. Wer seinen Mitarbeitern berechtigte Kritik vorenthält, enthält ihnen die Chance vor, sich zu entwickeln.
In einem Fehlergespräch geht es letztlich nur um zwei Fragen:
- Was war die genaue Ursache und wie kam es dazu?
- Wie können wir es in Zukunft besser machen?
Suchen Sie mit Ihren Mitarbeitern gemeinsam nach passenderen Lösungen. Das kann sich etwa wie folgt anhören: „Gut dass der Fehler jetzt aufgetaucht ist. Er ist zwar ärgerlich, doch nun lassen Sie uns sehen, wie wir das beheben können und was wir in Zukunft daraus lernen.“ Bleiben Sie dabei immer sachlich, werden Sie nicht persönlich, tadeln Sie nur die Sache, nicht aber den Menschen. Und verzichten Sie darauf, oberlehrerhafte Ratschläge zu geben, um herauszustellen, dass Sie es doch viel besser gemacht hätten.
Autor
Anne M. Schüller (München) ist Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin ist Expertin für Touchpoint-Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. info@anneschueller.de, (0 89) 6 42 32 08 www.anneschueller.de