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Berlin

65 % erneuerbare Energien: Auch bei Heizungssanierung

 

lagom – stock.adobe.com

 

Ab 2025 muss jede neue Heizung auf der Basis von mindestens 65 % erneuerbarer Energien betrieben werden. Auch nach einer Heizungsmodernisierung. Die Gaswirtschaft ist wenig begeistert.

Dieser Beitrag von Jochen Vorländer erschien zuerst auf www.tga-fachplaner.de

Es sind nur 19 Worte, die die gesamte TGA-Branche verändern und den Wärmemarkt umkrempeln werden: SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP haben sich in ihren Koalitionsvertrag geschrieben:

„Zum 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 % erneuerbarer Energien betrieben werden.“

Man könnte sich über die von keinem Gesetzgeber dieser Welt umsetzbare Forderung – denn gemeint ist „auf der Basis von mindestens 65 % erneuerbarer Energien“ – amüsieren, aber im Mineralölhandel, in der Gaswirtschaft und in vielen Unternehmen der TGA-Branche wird man eher sorgenvolle Minen aufsetzen.

Wer gehofft hat, sein bisheriges Geschäftsmodell in eine Zeit zu retten, in der biologisch oder synthetisch erzeugte Brennstoffe ohne Treibhausgasemissionen von der Herstellung bis zur Verbrennung preisgünstig in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, muss sich nun eventuell in relativ kurzer Zeit neu positionieren.

GEG-Änderung mit 65-%-Klausel für erneuerbare Energien

Der nächste Meilenstein ist nur noch drei Monate entfernt. Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), will die Anpassung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) inklusive der 65-%-Klausel für erneuerbare Energien bis Ende April 2022 als Bestandteil des ersten Teils des Klimaschutz-Pakets der Bundesregierung aufs Gleis setzen. Selbst wenn das GEG es noch nicht ins Osterpaket schafft, der zweite Teil des Klimaschutz-Pakets ist als Sommerpaket [2022] angekündigt.

Wenngleich die Übereinstimmung mit dem aktuellen Gebäudeenergiegesetz – in § 72 Abs. 5 GEG ist mit dem „Einbau einer neuen Heizung“ die Heizungserneuerung gemeint – es nahelegte, gab es zunächst keine verbindliche Aussage der Regierungsparteien, dass die 65-%-Klausel für erneuerbare Energien auch für die Heizungsmodernisierung gelten wird. Inzwischen gibt es aber eine Klarstellung durch das BMWK. Dr. Patrick Graichen, Beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, hat eine entsprechende Schriftliche Frage an die Bundesregierung von Dr. Jan-Marco Luczak (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages, so beantwortet:

„Diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag erfasst nach ihrem Wortlaut sowohl den Ersteinbau in Neubauten als auch den Austausch oder Ersatz von Heizungsanlagen durch neue Anlagen in Bestandsgebäuden. Über die Umsetzung wird die Bundesregierung noch entscheiden.“

Habeck: Wir müssen Fehlinvestitionen vermeiden

Bis zum 1. Januar 2025 bleiben zwar noch 1070 Tage, die Gaswirtschaft sorgt sich aber um ihren Kundenstamm und fürchtet, dass ihr Plan, möglichst viele Öl-Heizungen auf Gas umzustellen, nicht aufgeht. Denn hält Robert Habeck Wort, kann die 65-%-Klausel für erneuerbare Energien schon in wenigen Monaten Wirkung entfalten:

In der Pressekonferenz zur Eröffnungsbilanz Klimaschutz kündigte er zum einen an, dass die 65-%-Klausel für erneuerbare Energien zeitnah umgesetzt wird. Damit sollen Fehlinvestitionen – Investitionen, die nicht mit den Klimazielen vereinbar sind – verhindert werden und der Markthochlauf von Wärmepumpen vorangebracht werden. Zum anderen soll parallel die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) zügig angepasst werden. Sie soll die neuen Vorgaben im Gebäudeenergiegesetz flankieren und damit bis 2025 den Markt auch beim Heizungsaustausch durch effiziente Anreize heranführen.

Gaswirtschaft warnt vor „Kostenexplosion beim Heizen“

Michael Riechel: „Pläne der Bundesregierung laufen faktisch auf ein Verbot moderner Gas-Heizungen hinaus.“

Thüga AG

Michael Riechel: „Pläne der Bundesregierung laufen faktisch auf ein Verbot moderner Gas-Heizungen hinaus.“

Eine neue Gas-Heizung eine Fehlinvestition? Die Gaswirtschaft sieht das erwartungsgemäß nicht so. Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstands der Thüga Aktiengesellschaft (am 26. Januar 2022):

„Die Klarstellung des BMWK läuft auf eine ‚Quasi-Pflicht‘ zum Einbau von Strom-betriebenen Wärmepumpen in Neu- und Bestandsimmobilien hinaus. Damit missachtet das BMWK die Tatsache, dass der Einbau von Wärmepumpen in Millionen Bestandsgebäuden technisch kaum oder gar nicht umsetzbar und mit einem erheblichen Sanierungsaufwand sowie einem zusätzlichen massiven Ausbau der Stromnetze verbunden ist. Das wird für Millionen Hauseigentümer und Mieter zu deutlich höheren Kosten beim Heizen führen und insbesondere einkommensschwache Haushalte völlig überfordern.

Diese negativen Folgen wären jedoch bei richtiger politischer Weichenstellung vermeidbar. Für gut gedämmte Neubauten sind Wärmepumpen eine adäquate Wahl. Ältere Gebäude mit konventionellen Heizkörpern, die knapp zwei Drittel des gesamten Bestands in Deutschland ausmachen, sind für den Einsatz von Wärmepumpen dagegen ungeeignet.

Deutschlands Hauseigentümer wollen ihre alten Heizungen am liebsten durch klimafreundliche Modelle und insbesondere durch Wärmepumpen ersetzen.

www.co2online.de

Deutschlands Hauseigentümer wollen ihre alten Heizungen am liebsten durch klimafreundliche Modelle und insbesondere durch Wärmepumpen ersetzen.

Hier sollte die neue Bundesregierung im Sinne des Klima- und Verbraucherschutzes ansetzen und zunächst dafür sorgen, dass die rund 4 Millionen Öl-Heizungen, die aktuell noch in Betrieb sind, zügig gegen moderne Gas-Brennwertheizkessel oder Fernwärme-Anschlüsse ausgetauscht werden. Allein durch den Einbau moderner Gas-Brennwertheizkessel können so bis zu 40 % CO2-Emissionen gegenüber alten Öl-Heizungen eingespart werden. Mittel- und langfristig können die Gas-Heizungen ohne großen Aufwand auf den Betrieb mit klimaneutralen Gasen wie Biomethan und klimaneutralem Wasserstoff umgestellt werden.“

Riechel verweist in seiner Stellungnahme zur Klarstellung des BMWK auf einen im September 2021 vorgelegten Vorschlag der Thüga-Gruppe zur Einführung einer Treibhausgas-Minderungsquote für Gas (Bewertung des Thüga-Vorschlags der TGA-Redaktion).

Wo hat Riechel Recht hat und wo eher nicht?

Das Statement von Michael Riechel zeigt mögliche Diskussionslinien in den nächsten Wochen. Denn im Gasvertrieb wird das bisherige Geschäftsmodell mit einer sinkenden Gasmenge zunehmend Probleme bekommen: Das vorhandene Gasnetz hat zwar einen hohen Wiederbeschaffungswert, ist aber noch gar nicht vollständig refinanziert, verursacht zudem laufende Kosten und muss bei mehreren Themen an Anforderungen der Energiewende angepasst – oder sogar abgewickelt werden: Der Abschied vom Erdgasnetz gehört auf die Agenda

Doch wo hat Michael Riechel Recht und wo eher nicht? Wo muss Berlin eventuell nachbessern oder sogar den Plan noch einmal überdenken?

„Für gut gedämmte Neubauten sind Wärmepumpen eine adäquate Wahl.“ An diesen Satz wird auch die Wärmepumpenindustrie nichts auszusetzen haben. Allerdings ist „gut gedämmt“ keine besondere Eigenschaft, sondern eine gesetzlich vorgeschriebene Anforderung. Fakt ist hingegen: In einem Neubau ist eine Gas-Heizung nur noch mit besonders guter Dämmung oder gleichwertigen Maßnahmen möglich.

„Massiver Ausbau der Stromnetze erforderlich“: Ohne Zweifel wird es nicht funktionieren, dass ohne Maßnahmen in den Stromnetzen und bei der Stromerzeugung alle heute mit Erdgas oder Heizöl beheizten Gebäude kurzfristig auf elektrische Wärmepumpen umgestellt werden können. Das wäre auch unrealistisch. 2021 sind in Deutschland 154 000 Heizungs-Wärmepumpen verkauft worden. 34 000 mehr als ein Jahr davor. Der Markthochlauf ist also noch in einer frühen Phase.

Aufgrund anderer Energiewende-Erfordernisse muss die elektrische Infrastruktur ohnehin und insgesamt angepasst werden. Der Wärmepumpen-Zubau wird den Bedarf mit der Zeit erhöhen, mit einem intelligenten Lastmanagement jedoch auch langfristig nicht der kritische Faktor sein, auch nicht bei der Stromerzeugung: Kalte Dunkelflaute: Genug Strom auch bei 9 Mio. Wärmepumpen

Absatz von Heizungs-Wärmepumpen in Deutschland von 2015 bis 2021.

Bundesverband Wärmepumpe

Absatz von Heizungs-Wärmepumpen in Deutschland von 2015 bis 2021.

„Wärmepumpen-Eignung von Bestandsgebäuden:“ In Deutschlang gibt es rund 18 Mio. Wohngebäude. Sie werden überwiegend mit Erdgas und Heizöl sowie Fernwärme beheizt. Und es wird tatsächlich im Millionenbereich Gebäude geben, in denen nicht ohne weitere Maßnahmen eine Standard-Wärmepumpe die Beheizung wirtschaftlich übernehmen kann. Wie in der Vergangenheit wird auch das Ampel-GEG entsprechende Ausnahmen machen oder über Härtefallregeln ermöglichen.

In die Mehrzahl der Millionen Bestandsgebäude ist aber mit einer Wärmepumpe die vollständige oder bei größeren Gebäuden eine mindestens 65%ige Beheizung ohne umfangreiche zusätzliche Sanierungsmaßnahmen realisierbar. Indes ist bei der deutlich überwiegenden Mehrzahl der Gebäude die den Wärmebedarf bestimmende Gebäudehülle nicht mit den Klimazielen kompatibel und muss beim nächsten Sanierungszyklus verbessert werden. Der von Riechel angeführte „erhebliche Sanierungsaufwand“ existiert also, aber hat nur wenig mit der 65-%-Klausel für erneuerbare Energien zu tun.

Die Vorlauftemperatur wird unabhängig vom Wärmeerzeuger fast immer zu hoch angesetzt und lässt sich meistens zusätzlich kostengünstig verringern. Die tatsächlich erforderliche Vorlauftemperatur im Auslegungsfall ist in bestehenden Gebäuden nur selten mit marktverfügbaren Wärmepumpen nicht erfüllbar. Und mit dem Markthochlauf wird es auch noch technische Weiterentwicklungen geben.

SBZ-Artikelserie zu Heizungs-Wärmepumpen im Bestand:
Reicht die Leistung von Wärmepumpen in Bestandsgebäuden aus?
Wärmepumpen: Darum sind sie auch im Bestand sehr effizient 
Wärmepumpen: CO2-sparend und wirtschaftlich
Wärmepumpe: So entwickelt sie sich technologisch weiter
Die Wärmepumpe im unsanierten Ein- und Mehrfamilienhaus

„Quasi-Pflicht zum Einbau von Wärmepumpen“: Elektrische Wärmepumpen (gekoppelt mit einer gebäudenahen Photovoltaik-Anlage) sind aus heutiger Sicht die logischste Energiewende-Lösung für viele Gebäude in ganz Europa. Dass die Ampel-Koalition hier ebenfalls einen Schwerpunkt setzen will, geht aus ihrem Koalitionsvertrag auch hervor, ohne dass das Wort Wärmepumpe darin verwendet wird.

Ja nach Gebäude und Gebäudelage können auch mit fester Biomasse befeuerte Heizkessel die 65-%-Klausel für erneuerbare Energien als alleiniges System erfüllen. Zudem spricht nach bisherigem Wissensstand nichts dagegen, die restlichen 35 % weiterhin mit einer Gas-Heizung bereitzustellen. Bei der typischen Fahrweise von Hybridsystemen mit Heizkessel und Wärmepumpe sinkt auch der Ausbau- und Lastmanagementbedarf im Stromnetz. Über das Erdgasnetz bezogenes Biomethan wäre hingegen nach der neuesten BEG-WG-Richtlinie zur Erfüllung einer EE-Klasse nur bei einer KWK-Anlagen hinreichend (diese Regelung hat aber noch die GroKo verabschiedet). 

„Deutlich höheren Kosten beim Heizen“: Setzt man dafür Gesamtkosten über den Lebenszyklus an, ist bei der Heizungsmodernisierung mit dem aktuellen Stand der BEG-EM-Förderung (BAFA) schon bei moderaten Annahmen für die Entwicklung des CO2-Preises nach 2026 die Wärmepumpe das günstigste Heizsystem. Unvorhersehbare Kostenentwicklungen bei Strom und Gas können dies naturgemäß ändern. Zudem gibt es unterschiedliche Ergebnisse für Eigentümer, Mieter und Vermietende. Hier hat die Ampel aber Änderungen / Maßnahmen / Ausgleiche angekündigt. Eine Bewertung, ob die Behauptung eher richtig oder eher falsch ist, wird sich somit erst beantworten lassen, wenn die Bundesregierung ihr Gesamtwerk vorgelegt hat.

„CO2-Einsparung“: Dass beim Austausch einer alten Öl-Heizung durch einen Gas-Brennwertheizkessel die CO2-Emissionen sinken, ist kaum zu bestreiten. „Bis zu 40 %“ kann allerdings auch 0 % bedeuten und selbst 40 % sind bezogen auf ein einzelnes Gebäude ein zu kleiner Beitrag zum Erreichen der Klimaziele 2030. Und relevant für die übergeordneten Klimaziele sind nicht verbrennungsbezogene CO2-Emissionen, sondern die Treibhausgasemissionen, die von der Förderung bis zur Verbrennung entstehen. Dafür gibt es ja nach Herkunft des Erdgases sehr unterschiedliche Bewertungen.

Aber auch der Minderungssprung ist noch nicht entscheidend. Wichtiger ist, wie hoch die Treibhausgasemissionen absolut sind, die an einer nicht mehr korrigierbaren Investitionsentscheidung nahezu zwangsläufig hängen. Also die Menge, um die das Treibhausgas-Budget verringert wird. Ein Investor erwartet, dass eine neue Heizung über mindestens 15 Jahre eine tragfähige Lösung ist. Nur bei einem sehr großen Anteil treibhausgasneutraler Gase während der Nutzungszeit einer heute neu installierten Gas-Heizung, wird eine elektrische angetriebene Wärmepumpe mit der sich abzeichnenden Dekarbonisierung bei der Strombereitstellung höhere Treibhausgasemissionen verursachen. Der erforderliche sehr große Anteil treibhausgasneutraler Gase ist jedoch nicht ansatzweise in Sicht und die Treibhausgasemissionen einer Wärmepumpenheizung werden deutlich geringer als bei der Gas-Heizung sein.

„Mittel- und langfristig können die Gas-Heizungen ohne großen Aufwand auf den Betrieb mit klimaneutralen Gasen wie Biomethan und klimaneutralem Wasserstoff umgestellt werden“, ist eine wichtige technische Eigenschaft, es ist aber nicht erkennbar, wo diese Gase für den Wärmemarkt herkommen sollen.

„Konventionelle Heizkörper sind für Wärmepumpen ungünstig“: Vermutlich zielt Riechel damit auf die unterschiedlichen Vorlauftemperaturanforderungen von Heizkörpern und Flächenheizungen ab. Es ist richtig, dass für den Betrieb einer Wärmepumpe die erforderliche Vorlauftemperatur einer Flächenheizung günstiger für als bei Heizkörpern ist. Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass bei einer Wärmepumpe als Wärmeerzeuger eine Flächenheizung gegenüber Heizkörpern immer im Vorteil ist. Entscheidend ist die bezogene Energiemenge. Diese kann je nach Nutzung und der Architektur des Gebäudes bei einer Flächenheizung deutlich höher als bei leicht regelbaren Flachheizkörpern ohne große Masse ausfallen. Mit steigendem Dämmstandard nimmt hierfür die Wahrscheinlichkeit zu. In einer klimazielkompatiblen Gebäudehülle dürften Heizkörper energetisch günstiger sein, Flächenheizung können aber für einen netzdienlichen Betrieb vorteilhaft sein.

Was eine Gas-Brennwertheizung, ob mit Erdgas oder grünem Wasserstoff befeuert, gar nicht kann, ist: kühlen. Die Gebäudekühlung wird aufgrund vieler Entwicklungen auch in Wohngebäuden immer häufiger nachgefragt werden. Ein großer Teil der heute am Markt verfügbaren Wärmepumpen können auch zum Kühlen eingesetzt werden. Eine Flächenheizung kann dazu mit geringem Zusatzaufwand genutzt werden, aber Räume lassen sich auch über normale Heizkörper kühlen.

Die Bundesregierung muss bei der Wärmewende auch die Entwicklungen im EU-Recht berücksichtigen und die deuten eher darauf hin, dass die Pläne der Ampel aufgrund der langen Übergangsfristen noch nicht ausreichen werden. Möglich ist ebenso, dass das Bundesverfassungsgericht auch der neuen Bundesregierung noch einmal erklärt, welche Verpflichtungen sich aus dem Grundgesetz und dem Pariser Übereinkommen in Sachen Klimaschutz ergeben.  Jochen Vorländer