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Es braucht mehr Wertschätzung und attraktive Entwicklungschancen

SBZ: Frau Krastel, Sie haben in München Bau­ingenieurwesen studiert und dort zehn ­Jahre lang gelebt, zwei Masterabschlüsse mit Forschungsaufenthalten in Australien und Kalifornien absolviert und schließlich erfolgreich promoviert. Das klingt auf den ersten Blick nicht unbedingt nach einem Weg, der die Übernahme eines SHK-Handwerksbetriebes im beschaulichen Mörlenbach zum Ziel hat.

Viktoria Krastel: Meine berufliche Ausrichtung war zwar nicht auf das Handwerk ausgerichtet und ich war ursprünglich auch nicht für die Nachfolge vorgesehen, aber ich bin mit dem Handwerk ­aufgewachsen. Das Familienunternehmen saß gewissermaßen immer mit am Tisch und hat auf alle Entscheidungen Einfluss genommen.

Das Thema Betriebsübergabe wurde für meinen Vater aufgrund seines Alters und einiger verworfener Optionen immer präsenter und dringender. Als er merkte, dass ich mich nach meiner Promotion neu orientieren wollte, hat er seine Chance gesehen. Zumal meine Fachausrichtung rund um erneuerbare Energien, Gebäudetechnik sowie energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen thematisch bereits eine Nähe zum ­Tätigkeitsfeld des Betriebes aufwies.

SBZ: Ist Ihnen die Entscheidung schwergefallen?

Krastel: Für mich ging das schon mit großen Veränderungen einher: von der Großstadt zurück aufs Land, von der Anonymität zurück in die totale Bekanntheit, vom Elfenbeinturm der Wissenschaft ins Handwerk. Daher habe ich mit meinem Vater ein Probejahr vereinbart, um zu schauen, ob der Betrieb und ich gut zusammenpassen. Letztendlich sind aus dem Probejahr dann zweieinhalb Jahre geworden, die mir gezeigt haben, wie viel Spaß eigentlich das Handwerk macht.

SBZ: Haben Sie in dieser Probephase eine bestimmte Strategie verfolgt?

Krastel: Ich habe für mich relativ schnell entschieden, dass ich sowohl die Mitarbeiter als auch die tatsächliche Arbeit besser kennenlernen möchte. Dafür habe ich einzelne Monteure auf der Baustelle aktiv begleitet. Das war ein ganz wichtiger Schritt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in unserem Betrieb der Chef bzw. jetzt die Chefin und auch die Meister in der Regel nicht auf den Baustellen mitarbeiten. Alleine dadurch ist schon viel Eis gebrochen worden. Ebenso wie durch mein Interesse an den Arbeitsprozessen und der Person.

Wir haben Strukturen geschaffen, die meine Mitarbeiter zur ­Eigenverantwortung befähigen und ihnen Raum zum ­Mitgestalten geben.

Den entscheidenden Punkt sehe ich aber darin, dass ich mir bis heute nicht anmaße, es besser zu wissen. Meine Expertise liegt in der Theorie und nicht in der Praxis auf der Baustelle. Das ist die Stärke der Monteure und diese Stärke müssen sie dort auch einbringen.

SBZ: Sie sind dann 2022 als Geschäftsführerin in den Betrieb eingestiegen. Eine Übergabe ist ein guter Zeitpunkt, alles auf den Prüfstand zu stellen und bestehende Organisationsstrukturen anzupassen. Welche Veränderungen haben Sie vorgenommen?

Krastel: Mein Vater hat bereits einen extrem ­soliden, sehr gut organisierten Betrieb aufgebaut. Die Monteure, das sind etwa zwei Drittel unserer rund 40 Mitarbeiter, sind in zwei Gruppen organisiert. Es gibt ein großes Team für die reine Montage auf der Baustelle und ein zweites Team, das nur für den Kundendienst, den Service zuständig ist. Jedes Team hat einen Teamleiter bzw. mehrere Projektleiter, die alles vom Büro aus koordinieren. Diese Struktur hat mein Vater eingeführt und sie fun­ktioniert nach wie vor sehr gut.

Überhaupt wurden die innerbetrieblichen Prozesse schon vor meiner Zeit stark weiterentwickelt und optimiert. Die Themen digitaler Materialfluss und das Sammeln von Daten hat mein Vater bereits sehr früh erkannt. Als ich eingestiegen bin, gab es ein sehr solides IT-System, ein digitales Lager, eine gute Nachkalkulation. In diesen Bereichen bestand also kein dringender Handlungs­bedarf, weswegen ich mich in einem ersten Schritt dem Thema Unternehmenskultur gewidmet habe. In welche Richtung wollen wir uns ­zukunftsorientiert entwickeln?

SBZ: Wer Ihr Firmengebäude betritt, wird gleich im Eingangsbereich mit dem leuchtenden Schriftzug „Handwerk der Zukunft“ empfangen. Ist das Ihre Vision?

Krastel: Ja, das ist sie. Wir wollen gerne am und im Handwerk der Zukunft mitarbeiten. Diese Vision basiert auf drei Säulen. Die Randpfeiler, das sind auf der einen Seite die innovativen Technologien wie Wärmepumpen, Wärmerückgewinnung usw. und auf der anderen Seite die digitalen Prozesse. Und die dritte, die zentrale Säule, das ist der Mensch. Denn wenn wir vom Handwerk der Zukunft sprechen, dann müssen wir den Menschen in die Mitte stellen und wir müssen dafür sorgen, dass er Wertschätzung erfährt. Das ist essenziell.

Meine Vision basiert auf drei Säulen: innovative Technolo­gien, digitale ­Prozesse und in der Mitte, da steht der Mensch.

SBZ: Da sind wir doch auch relativ schnell bei dem Thema New Work, oder?

Krastel: Absolut. Und hiermit hängt auch die spannende Frage zusammen: Wie sieht ­eigentlich New Work im Handwerk aus? Wie muss die Mit­arbeiterführung erfolgen, wie gestalten sich Feedback-Prozesse, wie tragen wir zur Team­bildung bei, wie führen wir konstruktive Mitarbeitergespräche? Welche Strukturen und Abläufe braucht es dafür? Und vor allem auch, wie können sich die Mitarbeiter weiterentwickeln und ­ihre ­Potenziale entfalten? Dabei ist uns aufgefallen, dass es im Handwerk eigentlich keine transparenten Entwicklungsstufen für alle gibt.

SBZ: Wie meinen Sie das? Es gibt doch den ­klassischen Karriereweg. Start als Auszubildender, dann kommt der Geselle, dann Meister und wer will, kann auch noch den Techniker oder ein Studium draufpacken.

Krastel: Das stimmt, aber innerhalb der ­Stufen selbst ist nichts weiter klar definiert. Es geht ­darum, für jede Stufe Transparenz zu schaffen, die sowohl dem Unternehmen als auch dem Mitarbeiter einen Orientierungsrahmen gibt. Nicht nur mit Blick darauf, wie komme ich von einer Stufe zur nächsten, sondern auch, welche Entwicklungsmöglichkeiten habe ich innerhalb einer Stufe. Und dies auch mit der entsprechenden Gehaltsentwicklung zu verknüpfen. Denn nicht jeder Geselle zum Beispiel will oder kann Meister werden, möchte sich aber dennoch auch als Geselle weiterentwickeln.

SBZ: Haben Sie ein entsprechendes Entwicklungs­konzept für Ihre Mitarbeiter?

Krastel: Wir schulen unsere Mitarbeiter nach der T-Strategie, so nennen wir unser Konzept. Ziel ist, dass alle Mitarbeiter über eine breite Wissensbasis über verschiedenste Themenbereiche hinweg verfügen. Dafür gibt es Schulungen, die für alle zugänglich sind. In der Regel handelt es sich dabei um Herstellerschulungen. Dieses Grundwissen bildet der Querbalken des T ab. Zusätzlich haben einzelne Mitarbeiter die Möglichkeit, in bestimmte Bereiche tiefer einzusteigen, sozusagen eine Tiefenbohrung vorzunehmen.

Die jeweiligen Schulungen hängen dann von den spezifischen Interessen des Einzelnen ab. Das kann der Kälteschein sein, wenn der ­Mitarbeiter sich auf das Thema Klimatechnik und Wärmepumpen spezialisieren möchte. Es gibt aber auch Mitarbeiter, die sich für den Bereich Biomasse oder den Bereich Sanitär und Dusch-WC oder den Kundendienst und die Störungssuche interes­sieren. Wir schauen also, wer welche Entwicklungen braucht und möchte, und dann, wie wir das umsetzen können.

Digitalität sollte dazu genutzt werden, Prozesse neu zu ­denken und zu ­optimieren, um einen
besseren Nutzen für alle beteiligten Personengruppen zu erzielen.

SBZ: Und diese zum Teil individuellen Entwicklungspfade werden für alle transparent kommuniziert?

Krastel: Ja, so die Vision. Alle Mitarbeiter kennen die T-Struktur und es wird in Jahresgesprächen über individuelle (Wissens-)Ziele gesprochen. Generell sind Transparenz und Kommunikation für mich enorm wichtig. Ich möchte meine Mitarbeiter zur Eigenverantwortung befähigen und ihnen Raum zum Mitgestalten geben. Dafür haben wir schon relativ früh monatlich eine Runde eingeführt, in der strategische Themen diskutiert und gemeinsam Entscheidungen getroffen werden. Jeder, der möchte, kann sich hier einbringen.

SBZ: Um welche Entscheidungen geht es dabei beispielsweise?

Krastel: Ein Thema war die Energieausgleichsprämie. Wir haben darüber diskutiert, wie wir sie aufteilen und ob Auszubildende genauso viel wie die Gesellen bekommen sollen. Es wurde übrigens entschieden, dass sie sollen. Ein anderes Thema war, wie wir das Ausbildungskonzept strukturieren. Dazu gab es dann einen Workshop mit agilen Methoden. Die Leute bringen sich in diesen Runden enorm ein. Durch das Gefühl, mitgestalten und Entscheidungen beeinflussen zu können, entsteht eine äußerst positive Dynamik.

SBZ: New Work mit allem, was es ausmacht, ­findet erschreckenderweise in vielen SHK-Betrieben gar nicht statt. Dabei dürfte hier doch der Schlüssel zur Mitarbeiterbindung liegen?

Krastel: Wir haben ja auch eine Feedback-Kultur etabliert, damit sind einige zum Beispiel nicht zurechtgekommen und haben uns dann verlassen. Die Mehrheit aber begrüßt die Veränderungen. Man wird gesehen und wertgeschätzt und fühlt sich innerhalb des Teams gut aufgehoben. Da gibt es keine Rivalität untereinander, gegenseitige ­Hilfe ist selbstverständlich. Und diese Wertschätzung schaffe ich nur, wenn ich dem Mitarbeiter richtig begegne, ihm eine Entwicklungsperspektive gebe, mit ihm ordentlich kommuniziere, ihn gut bezahle und ihm Strukturen biete, in denen er sich wohlfühlt. Dann geht er auch nicht, weder in die Industrie noch zu einem Wettbewerber.

SBZ: Sprechen wir nun über die beiden anderen Säulen Ihrer Vision. Wie soll sich der Bereich ­digitale Prozesse weiterentwickeln?

Krastel: Hier müssen wir noch richtig ran, denn die Konkurrenz gewinnt bei der Digitalisierung mächtig an Boden. Und diese Konkurrenz ­sehe ich nicht in der SHK-Branche, sondern in den Start-ups bzw. den jungen Tech-Unternehmen, zu denen zum Beispiel Thermondo und 1,5 Grad gehören. Diese Firmen schaffen es nämlich hervorragend, den Kunden in den Fokus zu stellen und ihm eine optimale digitalisierte Kundenreise zu ermöglichen. Und sie haben richtig gute Kommunikationsstrategien. Das müssen wir erkennen und darauf reagieren. Wer diese Unternehmen nicht ernst nimmt und unterschätzt, begeht meiner Meinung nach einen Fehler.

SBZ: Welche Strategie verfolgen Sie mit Blick auf die neuen Akteure im Markt?

Krastel: Ich setze auf einen vollständig digitalisierten Prozess, der kundenzentriert ist. Für die Umsetzung brauche ich jemanden, der sich nur um die Digitalisierung in unserem Betrieb kümmert. Der mit mir die Prozesse neu denkt und sie dann digitalisiert. Es geht dabei nicht darum, vorhandene – und im schlimmsten Fall schlechte – Prozesse zu digitalisieren, denn das bringt mir gar nichts. Wir müssen uns anschauen, wie wir mithilfe der Digitalität den Prozess optimieren und einen besseren Nutzen für alle beteiligten Personengruppen erzielen. Für den Mitarbeiter im Büro, für den Mitarbeiter auf der Baustelle und vor allem auch für den Kunden.

Das kann meiner Meinung nach kein Externer bewerkstelligen und deshalb habe ich mich dafür entschieden, eine Stelle zu schaffen, die das explizit zum Ziel hat. Das ist ein Schritt, bei dem ich bewusst Kosten auf mich nehme, um das Unternehmen zukunftssicher aufzustellen. Diese Stelle ist auch keine Gefahr, für niemanden. Im Gegenteil, diese Stelle soll jeden Mitarbeiter bei Prozessen unterstützen und sich irgendwann selbst abschaffen. Bis dies jedoch so weit ist, gibt es noch viel zu tun.

Das Handwerk muss sich noch mehr bündeln, auch um ein starkes Gegen­gewicht zu den ­neuen Marktakteuren bilden zu können.

SBZ: Das dritte Standbein für das Handwerk der Zukunft bilden innovative Technologien. Der Fokus liegt hier dann ganz klar auf erneuerbaren Energien mit allem, was dazugehört, nehme ich an?

Krastel: Unser Leitspruch lautet „Von Genera­tionen für Generationen“ und das bedeutet auch, dass wir Heizsysteme verkaufen wollen, von denen nachfolgende Generationen positiv beeinflusst werden. Und das kann einfach nicht fossil sein. Wichtig ist aber, dass wir auch hier den Kunden und seine Bedürfnisse in den Fokus nehmen.

Wir stellen immer wieder fest, dass die Kunden sehr daran interessiert sind, eine gute Beratungsleistung zu bekommen. Eine Beratungsleistung, die ihnen ein vollständiges Bild gibt und sie nicht einfach nur in irgendeine Richtung drücken will. Es hat jedes System seine Vor- und Nachteile. Damit aber die Beratung auf sinnvolle und strukturierte Art und Weise erfolgen kann, braucht es seitens der Betriebe eine entsprechende Expertise.

SBZ: Können Sie das bitte näher erläutern?

Krastel: Natürlich, gerne. Nehmen wir als Beispiel die Wärmepumpe, unser Betrieb beschäftigt sich bereits seit 15 Jahren mit der Technik. Und diese Technik ist einfach eine andere als bei einer Öl- oder Gasheizung. Obwohl die Hersteller hier dem Handwerk schon sehr entgegenkommen – Stichwort einfache Installation –, muss ich für die Beratung und Auslegung trotzdem wissen, was passiert da eigentlich, wie funktioniert der Kältekreislauf, was ist der Unterschied zwischen Monoblock- und Split-Gerät. All das wird leider nicht in der klassischen Ausbildung vermittelt. Dieses Wissen muss man sich selbst aufbauen. In unserem Betrieb haben wir zu diesem Zweck unter anderem auch die interne Ausbildung umgestaltet.

SBZ: Es gibt durchaus Firmen, die ähnliche ­Ansätze verfolgen, innovative Ideen haben und eigene Konzepte umsetzen. Findet hier eigentlich auch ein Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Betrieben statt?

Krastel: Das Handwerk ist ja super pragmatisch. Und in Bezug auf den Wissensaustausch könnten wir noch ein bisschen mehr von diesem Pragmatismus gebrauchen. Uns noch mehr darauf fokussieren, dass wir uns untereinander austauschen, miteinander ins Gespräch kommen, voneinander lernen und uns gemeinsam weiterentwickeln. Im kleinen Kreis funktioniert das schon sehr gut. Diese Netzwerke bringen enorm viel. Ich bin davon überzeugt, dass das Handwerk sich noch mehr bündeln muss. Um verstärkt agieren und dann auch ein Gegengewicht zu den neuen Akteuren, die auf den Markt drängen, bilden zu können.

SBZ: Welche Rahmenbedingungen benötigen die Betriebe generell, um das Handwerk der Zukunft erfolgreich gestalten zu können?

Krastel: Auf der politischen Seite wünsche ich mir mehr Verlässlichkeit. Es sollte in längeren Zyklen gedacht werden und es braucht Strukturen, die Kontinuität bringen. Darüber hinaus besteht Handlungsbedarf beim Thema Ausbildungsqualität und berufliche Perspektive. Natürlich können wir als einzelne Betriebe Karrierepfade für unsere Mitarbeiter entwickeln, aber viel sinnvoller wäre es, dies zu institutionalisieren und als Ergänzung zu den bestehenden Entwicklungsstufen fachliche Expertenpfade auf den Zwischenebenen zu definieren.

Wir sind hier als Betrieb noch einen Schritt weitergegangen und haben einen Antrag für ein Forschungsprojekt mit dem Ludwig-Fröhler-Institut für Handwerkswissenschaften in München – kurz LFI – gestellt. Thema des Projektes ist Karriere-Entwicklung im Handwerk. Denn wenn wir mit New Work und dem Handwerk der Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen wir unseren Fachkräften auch zukunftsfähige Karriere- und Entwicklungschancen bieten.

SBZ: Frau Krastel, vielen Dank für das interessante und äußerst informative Gespräch.

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