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Neues Bad in zwei Tagen, aber ohne SHK-Fachhandwerker

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Es ist paradox, dass Branchen die Umbrüche, die sie durchlaufen, oft selbst als Letzte erkennen. Noch weniger erkennen sie die Chancen, die daraus entstehen. So hätte wohl kaum ein Taxiunternehmer vor ein paar Jahren daran denken mögen, dass ihm aus dem Internet großer Wettbewerb erwachsen könnte – und genau da tauchte mit Uber ein weltweit agierendes Taxiunternehmen auf, das kein einziges eigenes Taxi besitzt.

Im benachbarten Heizungsgewerk ist der Umbruch schon im vollen Gange. Die Herausforderer haben bestenfalls Handwerker beschäftigt, die Unternehmer sind selbst aber keine. Mit der Übertragbarkeit dieser Ideen auf den Bäderbau befasste sich der Zukunftszirkel des Verbandes Garant Bad + Haus. Erstaunliche Erkenntnis: Das Bad lässt sich mit dem Stand der Technik in Losgröße 1 industriell herstellen und wie eine Küche von Monteuren an die Wand schrauben.

Im Galopp die Pferde wechseln?

Die Situation der Gewerke im technischen Ausbau ähnelt ein wenig dem der deutschen Autoindustrie. Unter vollen Segeln und hart am Wind – aber geht es auch vorwärts und in die richtige Richtung? Die Erblasten der SHK-Branche schlagen – bei vollen Auftragsbüchern – derzeit durch: Überalterte Belegschaften und kein Nachwuchs schaffen am Markt ein Angebotsvakuum. Die Komplexität des Arbeitsanfalls und der Technologien frisst Rendite.

2018, so meldet der „Spiegel“, haben die Unternehmen der Baugewerke 20 Prozent mehr Umsatz gemacht. Bauen ist jedoch nicht mehr, sondern vor allem teurer geworden. Dass man rund um Betongold derzeit viel Geld verdienen kann, ist kein Geheimnis – es hat sich rumgesprochen. Und wirkt anziehend.

Angreifer von außerhalb der Branchenwelt picken sich bei der benachbarten Heizung vor allem das schnelle Geschäft heraus; Spezialisierung auf den schnellen Heizungstausch in maximal zwei Tagen mit kleinen Monteurteams. „Zum Glück geht das nicht im Bad.“ „Alles viel zu komplex.“ „Komplettbad kann nicht jeder – und schon gar nicht im Altbau.“ Diese Meinungen stehen auf dem Prüfstand der Realität, wenn die Zukunft ausgezirkelt wird. Lässt sich Bäderbau digitalisieren – und gibt der Stand der Technik eine erfolgreiche Umsetzung her?

Professor: Bauen ist 70 Prozent zu teuer

Marketing und Vertrieb waren leider noch nie eine Stärke des SHK-Handwerks – genau dort haben digitale Vermarkter ihre Nase vorn. Was also, wenn einer mit dem Slogan wirbt: „Ihr neues Bad in zwei Tagen – 50 Prozent günstiger“? Der Münchener Professor Horst Wildemann, einer der Väter der Automobilproduktion aus dem Konfigurator, hat sich vor einiger Zeit den Bau vorgeknöpft. Nirgendwo sei derzeit das Potenzial für optimierte Prozesse größer als am Bau: Er verspricht, dass industriell und individuell gefertigte Häuser 70 Prozent billiger herzustellen seien als heute.

Zusammen mit den Ausbauspezialisten der Knauf-Gruppe ist er schon dabei, im Neubau zu liefern. Wir reden nicht von Fertighäusern: Die Bauherren planen und konstruieren ihre Wunschimmobilie an einem Onlinekonfigurator. Die örtlichen Gegebenheiten sind eingepreist, setzen Leitplanken in Sachen Bauvorschriften und Normen.

Aber zurück zur Fragestellung: Bäderbau geht ja nicht in zwei Tagen, oder doch? Branchen-Urgestein Ulrich Bergmann aus Mosbach hat auf der vergangenen ISH 2017 auf dem Messegelände jeden Tag ein Bad gebaut. Minutiöse Planung und Vorfertigung machen’s möglich. Der Handwerksunternehmer hat es geschafft, Online- und Offline-Aktivitäten geschickt in einer Prozesskette auszuarbeiten und zu verbinden. Allerdings ist das durchdachte Konzept Badia ( www.badia.one , die SBZ geht darauf in den nächsten Ausgaben genauer ein) vom Onlineauftritt und Erstkundenkontakt bis hin zur Umsetzung beim Endkunden mehr als ein Quantensprung für eine Branche, die mit Fehlmaßen im Zentimeterbereich umzugehen gelernt hat. Und die sich Duschkabinen gerne aufmessen lässt …

Aufmaß aus dem Scanner

Das Fraunhofer-Institut in Stuttgart vermisst mehrere Hundert Quadratmeter große Kreuzungen, wenn es darum geht, nach Straßen-Schießereien Geschossbahnen winkel- und millimetergenau nachzuberechnen. Die Textilindustrie vermisst heute Kunden in der Umkleidekabine mit Körperscannern bis aufs Ohrläppchen genau – und ermittelt so passgenaue Konfektionsgrößen.

Für die paar Flächen, Radien und Zylinder eines Bades braucht es keinen Supercomputer. Nur einen Aufmaßservice mit Scanner und Wärmebildkamera (wegen der Rohrleitungen). Und selbst wenn so ein Aufmaß-Scanner 60 000 Euro kosten sollte: Als Dienstleistung lässt sich das bei guter Auslastung gewinnbringend vermarkten.

Planspiel bei Familie Badner

Betrachten wir die genannten Möglichkeiten doch einfach mal anhand eines Gedankenspiels. Die Wirkung und Tragweite der Gedanken tritt damit noch deutlicher zutage: Unser „Kunde“ Familie Badner spielt spontan und sonntagnachmittags mit dem Gedanken, sich ein neues Bad „zu holen“. Bäderecke Müller und Badstudio Maier vor Ort haben geschlossen. Deshalb klickt Herr Badner kraft seiner auszahlungsfälligen Lebensversicherung auf das verlockende Spare-50-Prozent-Inserat in der Suchmaschine und landet auf der professionellen Internetseite von Bellbado24.com (fiktiv!) mit dem Versprechen: Angebot in unter 20 Minuten – ohne Aufwand!

Badners haben drei Optionen: Musterbäder (mit Preisen) durchklicken. Einen analogen Meterstab für ein provisorisches Aufmaß holen und ab in den Konfigurator zum Selberplanen oder gleich den Aufmaßservice mit dem weiter oben genannten Scanner bestellen und dafür 230 Euro zahlen (wird später verrechnet).

Nach Bilderklicken und Preisestudieren ist der Innenarchitekt in den Badners geweckt: Frau Badner holt den Zollstock, Herr Badner füttert den Konfigurator. Bäderecke Müller und Badstudio Maier denken beim Sonntags-Tatort-Bier noch darüber nach, wie sie den Arbeitsanfall der kommenden Woche bewältigen wollen, da haben die Badners schon das neue Bad konfiguriert und einen sehr ungefähren Preis. Und zwar einen Preis, für den weder Müller noch Maier überhaupt vom Hof fahren würden.

Schneller, günstiger, weniger Handwerk?

Eine Woche später: Weil die Familie Badner erst übernächste Woche mit einem Besuch des Badberaters von Bäderecke Müller rechnen kann und Bäderstudio Maier wegen Unterkapazitäten abgesagt hat, bestellen sie den Aufmaßscanner … Der kommt noch vor dem Badberater von Müller, scannt alles akribisch ab, klopft an Wände, macht Fotos und ist 45 Minuten später nach Kartenzahlung des Services wieder weg. Bei Abschluss werden die Kosten verrechnet. Am gleichen Tag noch melden sich die Badners in ihrem www.Bellbado24-Account an. Die Daten vom Scanner sind schon drin. Jetzt macht das Planen richtig Spaß, denn sie planen im eigenen Bad und können virtuell mit der Maus schon hinein. Auch kalkuliert wird ab jetzt live. Alles was aus der reichhaltigen Badobjekte-Bibliothek über den Bildschirm gezogen wird, schlägt sich in der Rechnung und im Zeitplan nieder. Badners erfahren jetzt, dass es richtig Geld kostet, ein WC quer durch den Raum zu verschieben. Weil man dazu auch Abflussrohre umziehen müsste. Ein Chat-Berater gibt online Tipps, wie am WC mit einer Möbelwand (auch ohne das Abwasserrohr zu verlegen) Intimität hergestellt werden kann – und verkauft bei dieser Gelegenheit ein Stück Badmöbel mehr. Überhaupt verkauft Bellbado24 lieber Produkte, als Rohre zu verlegen.

Das ganze Wochenende sind die Badners im Planungsfieber und immer wieder an der Planungssoftware online zugange. Den Badstil haben sie schon anhand von fünf Fragen ausgesucht. Die Seite hält auch ein Expertensystem bereit mit Häkchen für Familien, Senioren, Alleinstehende sowie Sportler und Menschen mit körperlichem Handicap. Badners designen sich ganz individuell ihr „letztes Bad“ wie der Seniorenentwurf scherzhaft im Callcenter genannt wird. Ein Mal lassen sie sich noch telefonisch beraten. Dazu wird ein Rückruf vereinbart. Es ging aber nur darum, ob bei der Brausefamilie Typ 3 auch noch Schwallbrause geht. Geht – war den Badners aber dann zu teuer.

Digitale Daten sind das neue Gold

Wie beim Autokonfigurator kommt dabei das Bad heraus, das alle nehmen – Weiß mit Holzfurnier. Was sie nicht merken: Beim Konfigurieren dienen die Angaben der Badners zur Persönlichkeitsanalyse. Das verbessert nicht nur die Ansprache der Badners, sondern generell der Zielgruppe Badrenovierer. Mit jeder Eingabe verfeinert Bellbado24 seine Kenntnis über Kundengeschmack und -bedürfnisse und entwickelt das Businessmodell weiter, was dazu führt, dass der Deckungsbeitrag optimiert wird und die Varianten einfach bleiben.

Badners haben irgendwann in diesem Gedankenspiel ihr Traumbad zusammengeklickt. Sie sind im Begriff, 18 000 Euro auszugeben. Die Nachbarin hat bei Bäderecke Müller 32 000 hingeblättert. Das Bad ist schön, aber die hatten wochenlang Baustelle und viele Fliesenfugen. Bei der finalen Bestellung wird angeklickt, dass eine Bellbado24-Traumbad-Architektin den Entwurf noch begutachtet – gehört zum Service. Die lobt sie für den tollen Entwurf: Diese kompetente Expertin überzeugt sie im Bauherrentelefonat durch intelligente Fragestellung dann noch davon, dass sie sich vom eingesparten Geld ein Bellbado24-Dusch-WC zulegen: „Po-Gesundheit, Sie wissen schon“, für 600 Euro. Im Hintergrund arbeitet ständig die künstliche Intelligenz, das Rückgrat des Bellbado24-Systems – darin sind ein paar Jahrzehnte Erfahrung mit Badrenovierungen eingepreist.

Badbau geht ganz schnell

Im Angebot der Badners ist ein auf Versicherungsmathematik basierender Puffer Risikostufe 2 für Überraschungen hinter der Wand mit eingeplant. Auch der Mann mit dem Scanner schätzte die Risikostufe in dem 90er-Jahre-Haus aus Erfahrung so ein. Der Auftrag an Bellbado24 kommt zustande. In der Bellbado24-Zentrale arbeiten viele Callcenter-Agenten, zehn Projektsteuerer und vier Juristen. Nach dem Vier-Augen-Prinzip wird jetzt der Auftrag eingesteuert und die Abschlagsrechnung gleich gestellt.

Die BIM-gerechten Datensätze (BIM = Building Information Modeling) gehen direkt auf die diversen Maschinen. In der Fertigungshalle 3 in Mecklenburg wird in drei Wochen (wenn alles just in time beisammen ist) Badners Bad konfektioniert – gleichzeitig mit 72 anderen Bädern. Eine CAD-Wasserschneidmaschine fertigt vorher bei einem Zulieferer in NRW zwei wandhohe Keramikplatten für hinters WC und hinter den Waschtisch mit allen Bohrungen. In einem Vormontagewerk in Polen werden die Vorwandinstallationen zusammengeschraubt, die Badmöbel werden in Tschechien produziert. Die restliche Kommission aus Keramik, Plastik und Chrom ist schon unterwegs – zu Großabnehmerkonditionen. Bellbado24 ist mit Abstand Deutschlands größter Bäderbauer im mittleren Preissegment und hat eine eigene Hausmarke.

Vier Wochen später stehen bei den Badners in diesem Gedankenspiel zwei „Grobmotoriker“ in blauen Bellbado24-Latzhosen vor der Tür, die erst alles abkleben und dann alles rausreißen. Bis um 20:30 Uhr dann alles besenrein ist. Tags darauf wird um 7 Uhr das Bad in Komponenten geliefert: „Wie bei Amazon“, sagt Frau Badner noch. Zwei Monteure mit Bohrschrauber und Schraubenschlüssel setzen die Platten ein und dübeln die Möbel fest. Nichts muss nachgebessert werden, dank detaillierter Vorplanung wird alles fachgerecht nach Plan zusammengesteckt. Am Tag 3 erfolgt die Feininstallation – auch die nach dem Steckprinzip für Wasser und Strom.

Frau Badner hat auch das Reinigungspaket gebucht. Der Putzmann (60 Euro/h) lässt noch ein lustiges Comic-Büchlein da, in dem alles steht, was Badners zu Reinigung und Pflege des neuen Bades wissen müssen. Es bleiben keine Fragen offen. Nur die Branche hat Diskussionsbedarf. Die SBZ freut sich auf Ihre Meinung zu dem Gedankenspiel. Senden Sie uns einfach einen Kommentar an leserforum@sbz-online.de

Info

Ihre Meinung ist gefragt

Was sagen Sie: Ist das beschriebene Szenario nah genug dran an der Wahrheit oder zu weit weg, als dass es dem klassischen SHK-Handwerk gefährlich werden könnte? Schreiben Sie der SBZ Ihre Meinung unter

leserforum@sbz-online.de

Nachgefragt

„Sonst findet sich jemand, der uns die Arbeit abnimmt“

SBZ: Wie kam es zu dem Gedankenexperiment „Bad ohne SHK-Fachhandwerker“?

Marc Schulte: Wir haben eine Menge Bäderbauer in unserer Verbundgruppe – und alle haben sie das gleiche Problem: Zu wenig Mitarbeiter, kaum Nachwuchs, alle werden älter – und Nachfrage nach Bädern ist da. Wir müssen uns deshalb ernsthaft die Frage stellen, wie wir mit weniger und vielleicht auch weniger qualifiziertem Personal mehr Bäder bauen.

SBZ: Was waren die Vorgaben?

Schulte: Wir wollten keine Zukunftsmusik, sondern den Stand der Technik abbilden. Und keine Denk-Tabus: Geht nicht gibt’s nicht. Wenn man alles zusammenträgt, dann ist alles verfügbar, was es für dieses Online- und Offline-Geschäftsmodell braucht. Vom Laserscanner bis zum Bäderbau in einem Tag.

SBZ: Wer könnte so etwas umsetzen? Welche „Industrie“ ist da gemeint?

Schulte: Genau da muss man aufpassen. Wir reden nicht von der klassischen Sanitärindustrie. Die ist in diesem Modell eher vergleichbar mit dem Ziegelwerk, das Bausteine liefert. Es könnte eine neue Industrie geben, die aus diesen Bausteinen und aus individuell gefertigten Elementen eine Dienstleistung und ein Bad formt, die deutlich günstiger sind als alles, was wir kennen. Wir haben mit Professor Horst Wildemann gesprochen. Der Mann gilt als Kanban-Papst (Kanban = Methode der Produktionsprozess-Steuerung) und hat bei vielen Konfiguratoren der Autoindustrie mitgemischt. Und er meint: Wir bauen (besser: basteln) heute 70 Prozent zu teuer, weil viele Prozesse völlig aus der Zeit gefallen sind.

SBZ: Was muss diese neue Industrie können?

Schulte: Im Internet hoch sichtbar sein, einen guten Konfigurator mit einem Expertensystem und künstlicher Intelligenz verknüpfen, ein Prozess-Betriebssystem aufbauen und Onlineservice bieten – und perfekte Logistik. Und dann vieles den Kunden machen lassen.

SBZ: Warum wollen Sie hier eine Diskussion anstoßen?

Schulte: Weil Garant Bad + Haus sich als Plattform versteht und wir das Geschäftsmodell unserer Mitglieder verteidigen wollen. Und dazu müssen wir strategische Allianzen andenken, die über das aktuelle Vorstellungsvermögen der Branche hinausgehen. Wenn wir das Vakuum im Markt nicht bedienen, dann wird sich irgendein „Amazon-Bad-Klon“ finden, der die Arbeit für uns tut.

Autoren

Marc Schulte ist Geschäftsleiter der Handwerker-Verbundgruppe Garant Bad + Haus (Rheda-Wiedenbrück). www.garant-gruppe.de

Holger Siegel ist Geschäftsführer der Agentur „idpool“ mit Sitz in Stuttgart. www.id-pool.de