SBZ: Herr Dr. von Schroeter, der Heiztechnikmarkt ist in einem dramatischen Wandel – weg von den fossilen, hin zu den erneuerbaren Energieträgern. Wird sich in den kommenden zehn Jahren ein Gleichgewicht zwischen fossilen und erneuerbaren Energieträgern einstellen oder erleben wir bereits das Ende von Öl und Erdgas?
Dr. Tillmann von Schroeter: Der Klimawandel und die Zielvorgaben der Politik machen eine schnelle Reduzierung der CO2-Emissionen in der Wärme- und Warmwasserversorgung notwendig. Auf diesem Weg haben wir unseres Erachtens zwei Phasen vor uns. Derzeit befinden wir uns in Phase eins: Der Markt schwenkt massiv auf erneuerbare Energien um – Wärmepumpen, Solarthermie, Photovoltaik. Eine Alternative zu diesem Vorgehen haben wir nicht, wenn wir die Energiewende in den gewünschten Zeiträumen umsetzen wollen. Parallel wird jedoch von vielen Marktteilnehmern an einem tragfähigen Wasserstoffkonzept gearbeitet. Das betrifft die Herstellung der geeigneten Produkte genauso wie die dafür notwendige Infrastruktur.
SBZ: Welchen Zeitraum würden Sie hierfür ansetzen?
Von Schroeter: Wir rechnen mit einem Zeitraum von zehn Jahren, die notwendig sind, um die Voraussetzungen für den Wasserstoffmarkt zu erfüllen. Deswegen wird es in diesen zehn Jahren sehr stark in Richtung erneuerbare Energien gehen. Anschließend wird sich in der zweiten Phase das gasgebundene Geschäft stabilisieren und von einer erdgas- auf eine wasserstoffbasierte Infrastruktur hin umgestellt werden. Bis es so weit ist, werden wir auch Zeiten erleben, in denen die erneuerbaren Lösungen häufiger in den Markt kommen als Gasheizungen.
SBZ: Die CO2-Abgabe könnte die Erdgaspreise stärker belasten als derzeit für die kommenden Jahre geplant. Würde das den Ausstieg aus dem Energieträger Erdgas beschleunigen?
Von Schroeter: Eine höhere und schneller steigende CO2-Abgabe würde den Druck auf die Sanierung von Altanlagen sicher erhöhen. Mit einem riesigen Mengenunterschied der verbauten Neuanlagen – egal ob technologieoffen oder strombasiert – rechnen wir jedoch nicht, weil die limitierenden Faktoren dann die Verarbeitungskapazität und die Materialverfügbarkeit im Markt sein könnten.
SBZ: Wäre das trotz allem das Aus für die Gas-Brennwerttechnik?
Von Schroeter: Wir glauben – genauso wie die meisten Hersteller im Markt – an eine Zukunft der Gas-Brennwerttechnik mit Wasserstoff als Energieträger. Derzeit verkaufen wir Geräte, die bis zu 30 % Wasserstoffbeimischung verarbeiten können. Was wir brauchen, sind Geräte, die voll konvertierbar mit 100 % Wasserstoff laufen – und das bis ca. 2025. Der Umbau der Erdgas- auf eine Wasserstoff-Infrastruktur braucht bei den Geräten einen Vorlauf. Nur so kann die Umstellung effizient organisiert werden. Das Gasnetz generell wird weiterhin in die meisten Haushalte reichen und damit eine tragende Säule in der Energieversorgung sein.
SBZ: Derzeit berücksichtigt die Politik bei der Verteilung des knappen Gutes Wasserstoff aber kaum den Sektor Gebäude?
Von Schroeter: Die Politik setzt natürlich alles daran, die Industrie, die im Land ist, auch hierzubehalten – und deswegen den verfügbaren Wasserstoff an diesen Stellen für eine Dekarbonisierung einzusetzen. Gerade die Industrie, die sich früher nah an den Kohlevorkommen angesiedelt hat, wird künftig in einem starken Infrastruktur-Wettbewerb dorthin gehen, wo neue, umweltschonende Infrastrukturen für die Energieversorgung gebaut werden. Hier kommt ein Standortkampf um energieintensive Industriezweige auf uns zu, der zu Verlagerungen führen und der Wasserstoff tendenziell verfügbarer machen wird.
SBZ: Aber auch in unserer Branche haben wir keine gemeinsame Stimme „pro Wasserstoff“. Könnten Sie sich vorstellen, dass sich die
Politik dennoch zu einem Strategiewechsel Richtung Gebäudesektor bei der Verteilung
bewegt?
Von Schroeter: Natürlich sehen wir auch in unserer Branche den Kampf verschiedener Ideen und Konzepte. Und ich finde es toll, dass wir diese Kreativität zeigen und unterschiedliche Lösungsmodelle anbieten. Wenn ich dann aus dem Bereich Strom komme, favorisiere ich Wärmepumpen, wenn ich aus der Biomasse komme, argumentiere ich dementsprechend. Genauso wie Unternehmen, die mit Gas groß geworden sind und hier die nachhaltigste Lösung im Wasserstoff sehen. Jedes Konzept hat seine Vor- und Nachteile. Eines der ganz großen Pfunde, mit dem Wasserstoff wuchern kann, ist aber die Möglichkeit seiner Speicherung im großen Stil – im Gasnetz und riesigen Gasspeichern. Jede Volkswirtschaft, die über energetische Reserven verfügen kann, stand historisch stabiler da. Das weiß auch die Politik.
SBZ: Sie hatten vorhin bereits den limitierenden Faktor Einbaukapazität angesprochen. Welche Rolle wird das Fachhandwerk in diesem Umfeld in den kommenden Jahren spielen?
Von Schroeter: Wir haben oft als Industrie gesagt: Das Fachhandwerk wird das limitierende Element im Markt sein. Dieses Jahr hält uns das Fachhandwerk aber den Spiegel vor und sagt klipp und klar: „Wir begrenzen derzeit nicht das Marktwachstum – das seid ihr.“ Weil es dem Fachhandwerk momentan einfacher fällt zu skalieren als der Industrie mit ihren weltweiten Lieferketten und -abhängigkeiten. Wir müssen dem Fachhandwerk immense Anerkennung dafür zollen, was es dieses Jahr leistet. Jetzt muss erst einmal die Industrie ihre Hausaufgaben machen.
SBZ: Das hört sich so an, als ob das Fachhandwerk sich auf die derzeitige Situation im Markt gut eingestellt hätte. Wie sieht denn aus Ihrer Sicht künftig der idealtypische Handwerksbetrieb aus?
Von Schroeter: Den einen idealtypischen Betrieb wird es nicht geben, sondern viele unterschiedliche Ansätze, die alle erfolgreich sein können. Sicher wird das Thema Spezialisierung eine große Rolle spielen. Aber ein Fachhandwerker im ländlichen Raum wird oftmals breiter aufgestellt sein müssen als sein Kollege im Ballungsraum. Egal wo, gilt aber: Die Ansprüche des Endkunden hinsichtlich komplexer Anlagentechnik steigen. Und um das gut zu beherrschen, wird die Spezialisierung auf Themenfelder immer wichtiger. Gleichzeitig ist es ein Wettbewerbsvorteil, über ein gut ausgebautes Kooperationsnetzwerk mit den Nachbargewerken zu verfügen. So könnte auch die Produktivität weiter steigen.
SBZ: Welche Rolle wird Ihrer Ansicht nach in diesem Umfeld künftig den Branchenverbänden zukommen?
Von Schroeter: Die Interessenvertretungen sind eine große Stärke des deutschen Marktes. Die Verbände generieren Effizienzen, die es in anderen Ländern in dieser Form nicht gibt. Die Aufgaben in der Zukunft werden sich sicherlich ändern, weil sich unter anderem die Wertschöpfung im Markt verschiebt. Ich bin aber überzeugt davon, dass unsere Verbände diese Superchance annehmen und Lösungen anbieten werden. Zu verstehen, was man bewahren kann und wo man gegen Windmühlen kämpft, ist wichtig. Aber es nicht immer sofort erkennbar. Daher befinden sich Hersteller und Verbände immer wieder in einem produktiven Dialog. Das ist ein Teil der Branche und ein Teil unserer gemeinsamen Stärke.
SBZ: Das hört sich nach einer produktiven Zusammenarbeit aller Marktteilnehmer an.
Von Schroeter: Absolut! Die vergangenen 18 Monate haben gezeigt, welche Kreativität und welches Engagement in unserer Branche stecken. Unser Wunsch ist es, dass wir weiterhin so großartig zusammenarbeiten und Verantwortung übernehmen. Gemeinsam können wir die SHK-Branche noch erfolgreicher und auch attraktiver für den Nachwuchs machen. Dadurch haben wir die Chance, der Branche ein noch größeres gesellschaftliches Gewicht zu verleihen.
SBZ: Auch die Frage, wie die SHK-Betriebe schnell an ihre Ware kommen, ist an dieser Stelle wichtig. Wie bewerten Sie die weitere Entwicklung im zwei- und dreistufigen
Vertrieb?
Von Schroeter: Bedingt aus der gewachsenen Historie haben beide Modelle unterschiedliche Vorteile. Wenn wir aber gerade von einer höheren Komplexität von Systemen in der Heiz- und Energietechnik gesprochen haben, ist es wichtig, dass die Baustellen lokal sicher versorgt werden. Und dass genau zum richtigen Zeitpunkt die Produkte verschiedener Hersteller zum Arbeitsbeginn da sind. Hier spielt der Großhandel eine ausgesprochen wichtige Rolle. Bei sehr individueller Ware als Komplettsystem ist dagegen der Direktkontakt zwischen Hersteller und Fachhandwerk vorteilhafter. Deswegen ist eine Koexistenz beider Vertriebswege für die Branche berechtigt.
SBZ: Die Unterstützung des Fachhandwerks wird auch durch die Werkskundendienste in der SHK-Branche geleistet. Hierzu gab es jedoch immer wieder kritische Stimmen über eine augenscheinliche Konkurrenz zum Fachhandwerk. Wie wird sich dieses Verhältnis entwickeln?
Von Schroeter: Auch hierbei spielt die immer komplexere SHK-Welt eine wichtige Rolle. Dadurch ist das Vorhalten von spezialisiertem Wissen in der Fläche entscheidend, um alle Probleme beim Kunden lösen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Spezialwissen am effizientesten dadurch organisiert ist, wenn es jeder Fachhandwerker alleine vorhält. Das ist eine Aufgabe des Herstellers mit seinem Kundendienst. Dazu kommt, dass viele Hersteller in der Branche die Erfahrung machen, dass das Fachhandwerk immer mehr Reparaturaufträge beim jeweiligen Kundendienst platziert, damit es seine Ressourcen in den Bau neuer Heizsysteme investieren kann.
SBZ: Bedeutet das, dass ein mögliches Spannungsfeld zwischen Kundendienst und Fachhandwerk gar nicht mehr besteht?
Von Schroeter: Das, was gerade passiert, ist aus unserer Sicht eine Anpassung der Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette, mit dem Ziel, den Kunden zufriedenzustellen. Das ist eine Riesenchance für alle Marktteilnehmer, um gemeinsam flexibel neue Konzepte zu testen. Nur so können wir dem Endkunden – wie bereits angeführt – seine Wünsche nach komplexeren Lösungen noch erfüllen. Davor können wir die Augen nicht verschließen. Denn wenn wir gemeinsam dem Endkunden keine Lösung bieten können, wird er sich andere Wege suchen, wie sich seine Wünsche erfüllen lassen.
SBZ: Genau in dieses Feld spielt ja auch der Onlineverkauf von Produkten in der Heiztechnik hinein. Onlineverkauf galt einmal als Schreckgespenst in der Branche. Hat er sich heute etabliert?
Von Schroeter: Es gibt nicht den einen Onlineverkauf in der Branche, sondern verschiedene Wege. Einfache „Steckerprodukte“ gehen direkt. Bei Heizsystemen findet eine erste Ansprache des Endkunden online statt und der Fachhandwerker verkauft nach der Beratung offline ein Heizgerät und die Installation. Hier gibt es immer ein Zusammenspiel, weil die Beratungsintensität steigt, die Anbahnung aber immer häufiger online geschieht. Wir müssen gemeinsam lernen, was der Endkunde will und wie er sich informiert. Und da haben die Onlinekanäle in den letzten Jahren an Gewicht gewonnen.
SBZ: Wir sprachen jetzt öfter über die Komplexität in der Branche. Aus unserer Sicht sind die wirklich bahnbrechenden Innovationen in der Heiztechnik in den vergangenen Jahren auf den Messen aber weniger geworden.
Von Schroeter: Das mag vielleicht auf den ersten Blick so aussehen. Denn beispielsweise sieht ein Wasserstoff-Heizgerät von außen nicht anders aus als das gewohnte Gas-Brennwertgerät. Auch eine völlig neue Wärmepumpe wie unsere Arotherm plus wirkt von außen wie die bereits bekannten Wärmepumpen. Die Innovation steckt im Innenleben. Der Umgang und die Anschlusssituation sind aber wie gewohnt. Dahinter steckt einfach die Erkenntnis, dass ein Produkt, je gewohnter es ist, umso einfacher zum Markterfolg kommt. Das ist ein Wettbewerbsvorteil für jeden Hersteller. Natürlich wird es immer auch Lösungen für die Nische geben, aber das sind wiederum Aufgaben für die bereits angesprochenen spezialisierten Fachhandwerksbetriebe – und nicht für das Gros der Unternehmen.
SBZ: Genauso wichtig ist für das Fachhandwerk die Unterstützung der Hersteller durch Dienstleistungen. Welche Erfahrungen hat die Branche hier in den letzten Jahren gemacht?
Von Schroeter: Wenn man unter die vergangenen Jahre einen dicken Strich zieht, sieht man, dass sich die Fachhandwerksbetriebe weiter digitalisieren. Kundendienstaufträge wurden früher fast ausschließlich durch einen Anruf platziert. Heute kann sich unser Fachhandwerkspartner in das Fachpartner-Net einloggen und sich seinen Wunschtermin aussuchen. Generell haben wir aber gelernt, bei digitalen Werkzeugen viel mehr Demut an den Tag zu legen, was die Umsetzung betrifft. Die erste Idee war vielleicht gut, aber dann muss sie immer weiter verfeinert werden, um erfolgreich zu sein. Unsere Partner haben zu Recht die Erwartung, dass eine digitale Dienstleistung mit jedem Release besser wird. Und das ist auch unser Anspruch.
SBZ: Die schnellere Digitalisierung der Unternehmen in der Branche ist sicher auch ein Aspekt aus der Pandemie. Doch wie sieht es mit den weiteren Entwicklungen der letzten eineinhalb Jahre aus? Was wird Ihrer Ansicht nach andauern, was wieder verschwinden?
Von Schroeter: Um mit dem zu beginnen, was wir alle vermisst haben: Unsere Branche schätzt den persönlichen Austausch. Das ist auch so, weil wir in unserem Markt nach wie vor auf langfristige Partnerschaften setzen. Und dafür muss man ein Gespür für seinen Partner bekommen, was sich nicht durch ein Onlinemeeting ersetzen lässt. Wiederum haben wir aber gelernt, dass nicht jede Reise erforderlich, sondern auch ein digitaler Termin möglich ist. Wir haben in unserer Branche einen Produktivitätssprung erlebt, der auch durch digitale Hilfsmittel möglich geworden ist. Künftig die Balance zwischen diesen Polen zu finden, wird uns noch länger beschäftigen.
SBZ: Abschließend noch die Frage, wo Sie die Megatrends der kommenden Jahre in der Heiztechnik sehen?
Von Schroeter: Das wichtigste Thema wird ohne Frage die Nachhaltigkeit sein. Wie bekommen wir die Heizsysteme CO2-frei und wie unterstützen wir die Energiewende? Zweiter Trend ist die Digitalisierung in allen Bereichen – sei es die Unterstützung des Fachhandwerks durch Installations-, Inbetriebnahme- und Wartungsassistenten wie unser ISA oder die Fernüberwachung und -parametrierung von Heiz- und Energieanlagen. Dadurch, dass der digitale Austausch zwischen den Komponenten noch viel intensiver wird, kann es zu deutlichen Gewinnen in puncto Effizienz kommen. Und drittens wird uns der Wärmekomfort in größeren Ballungszentren mehr beschäftigen. Denn Fernwärmenetze, die durch fossile Energieträger versorgt werden, können hier keine Lösung sein. Vielmehr müssen wir auch bei der Modernisierung von Mehrfamilienhäusern Wege zur CO2-freien Lösung vor Ort finden.
SBZ: Herr Dr. von Schroeter, vielen Dank für das Gespräch.