„Die aktuelle Planung der Gasfern- und Verteilnetze setzt auf den unveränderten Fortbestand der Gasinfrastruktur – und riskiert damit Investitionsruinen für Staat und Gaskunden“, mahnt Dr. Barbara Saerbeck, Projektleiterin Grundsatzfragen bei Agora Energiewende.
Viele Aspekte rund um die Energiewende haben einen breiten, allgemein anerkannten Konsens. Nicht dazu gehört die Zukunft von Erdgas / Gas im Wärmemarkt. Unter anderem die Gaswirtschaft und Teile der Heizungsindustrie sehen in der Defossilisierung bzw. Dekarbonisierung des Energieträgers Erdgas durch Grünen und übergangsweise Blauen oder Türkisen Wasserstoff (die H2-Farbpalette erklärt) neben der unbestritten notwendigen saisonalen Speicherung erneuerbarer Energien und der Verminderung von Treibhausgasemissionen bei industriellen Prozessen auch einen wesentlichen Beitrag für die Energiewende im Gebäudebereich.
Bezogen auf ein einzelnes Gebäude bzw. sein Heizungssystem klingt die zunehmende Substitution von Erdgas durch in allen Vorketten weitgehend treibhausgasneutrale Substitute durchaus plausibel. Bei einem erweiterten Blickwinkel gibt es aber mehrere Probleme:
● Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend für das Erreichen der nationalen Klimaziele und internationaler Verpflichtungen (Pariser Übereinkommen, 1.5-Grad-Ziel, Green Deal). Treibhausgasneutrale Erdgas-Substitute (Grüner, Blauer, Türkiser Wasserstoff oder daraus hergestelltes synthetisches Methan) sind mindestens in den nächsten zehn Jahren kaum und nicht günstig verfügbar. Es ist abzusehen, das verfügbare Mengen bevorzugt für andere Anwendungen zur Verfügung gestellt werden. Die im novellierten Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) vorgegebene Minderung der nach dem Quellenprinzip verbrennungsbezogenen CO2-Emissionen mit Erdgas beheizter Gebäude muss also durch andere Maßnahmen und / oder einen Energieträgerwechsel erfolgen.
● Beim Neubau sinken die Marktanteile der Gas-Heizung bereits seit einigen Jahren deutlich, der Trend dürfte sich im gesamten Gebäudesektor noch beschleunigen.
● Wenngleich die Sanierungsrate im Gebäudebereich gering ist, werden der durchschnittliche Gasbezug und auch die im Gebäudebereich abgesetzt Gasmenge bei Bestandskunden weiter sinken.
● Prinzipiell ist über einen Wechsel des Energieträgers Heizöl zu Erdgas, insbesondere bei der in der Regel zeitgleich notwenigen Heizungsmodernisierung und der Kombination mit erneuerbaren Energien, eine erhebliche Verminderung der Treibhausgasemissionen möglich. Allerdings lässt sich ein mit dem KSG-Zielpfad kompatibles CO2-Budget bis 2030 nur zeitnah erreichen. Wird beispielsweise erst 2025 umgestellt, muss bereits eine CO2-Einsparung von 32 % (inklusive weitere Maßnahmen) erzielt werden.
Mit diesem Wert wird zwar das gebäudespezifische „CO2-Budget“ für die Dekade 2021 bis 2030 eingehalten, die jährlichen CO2-Emissionen liegen aber bereits ab 2028 und damit erst nach drei Jahren Nutzung schon wieder über dem Zielkorridor.
● Der momentane Gaspreis mit deutlich über 10 Ct/kWh bei Neuverträgen resultiert aus besonderen Rahmenbedingungen. Er gibt aber einen Vorgeschmack auf eine CO2-Bepreisung, die sich den externen Kosten der CO2-Emissionen annähert sowie die Preise, die sich bei einer Substitution von Erdgas durch weitgehend CO2-neutrale Ersatzgase abzeichnen. Der vor der Preisrallye übliche Endkundenpreise von 0,0628 Euro/kWh (inkl. der CO2-Bepreisung von 2021) würde bei einem Zertifikatpreis von 180 Euro/tCO2 auf 10 Ct/kWh steigen.
● Alle Entwicklungen führen dazu, dass eher steigende Netzkosten auf eine sinkende Gasmenge umzulegen sind.
● Steigende Netzkosten senken die Attraktivität des Energieträgers Gas, was auf Kundenseite neben Einsparmaßnahmen bei verfügbaren Alternativen vermehrt zum Systemwechsel führen wird, wodurch die verkaufte Gasmenge weiter sinkt.
„Diese Planung der Gasinfrastruktur ist falsch“
Die aktuellen Aktivitäten der Gaswirtschaft passen wenig zu diesem Bild. Saerbeck leitet ihren Blog-Beitrag so ein: „Die Gasindustrie investiert aktuell, was das Zeug hält. 2019 flossen rund 2,5 Mrd. Euro in den Aus- und Neubau der deutschen Gasnetze (laut BNetzA Monitoring-Bericht).
Bis 2030 sind laut Netzentwicklungsplan Gas allein für die Ferngasnetze weitere 2,2 Mrd. Euro vorgesehen, wobei die Ferngasnetzbetreiber sogar Investitionen in Höhe von 7,8 Mrd. Euro für nötig halten. Die Zahlen erwecken den Eindruck, dass Gasnetze künftig die gleiche Bedeutung haben werden wie heute. Dabei wissen wir: Diese Planung der Gasinfrastruktur ist falsch. Hier werden erhebliche Kostenfallen für Heizkund:innen und Steuerzahler:innen errichtet.“
„Weitsichtige Politik sollte jetzt den Ausstieg aus dem Gas planen“
Saerbeck führt aus, dass weder Erdgas-Heizkessel noch mit Wasserstoff betriebene Heizsysteme das Prinzip der klimaneutralen und effizienten Verwendung von grüner Energie erfüllen. Bei der Gebäudeheizung auf einen (noch) raren und teuren Energieträger wie Wasserstoff zu setzen, seit schlicht kein tragfähiges Konzept zur Klimaneutralität. Immer mehr Gasverteilnetze würden zukünftig kaum noch benötigt.
Im Weiteren zeigt Saerbeck, was die (Fehl-)Entwicklungen an Kosten bedeuten, bzw. dass sich kostspielige Fehlinvestitionen abzeichnen. Ihr Fazit: „Weitsichtige Energie- und Klimapolitik sollte daher jetzt den bevorstehenden Ausstieg aus dem Gas planen.“
Zum Standpunkt: Worüber keiner reden will: Der bevorstehende Abschied vom Gasnetz. ■
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