Ein im Kontext des Russland-Ukraine-Kriegs aktualisiertes Thesenpapier postuliert: Die Wasserstoff-Heizung für Haushalte wird nur eine Nischenlösung sein.
Seit dem Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs ist klar, dass Deutschlands und auch Europas Energiepolitik neu ausgerichtet werden muss und geplante Wege für die Energiewende und die Klimaziele überprüft oder neu bewertet werden müssen. Das wird auch die Wasserstoffstrategie(n) betreffen.
Agora Energiewende und Agora Industrie haben die schon im November 2021 herausgegebenen „12 Insights on Hydrogen“ nun in einer leicht angepassten deutschen Übersetzung veröffentlicht. Das Thesenpapier hatte bereits vor dem russische Angriff auf die Ukraine das Ziel, evidenzbasierte Einschätzungen zu liefern, um die Vielfalt an Studien zu Wasserstoff in einem konsistenten Rahmen zu diskutieren. Inzwischen scheint dies noch wichtiger als zuvor zu sein.
„Brückentechnologie ist deutlich teurer geworden“
Im Vorwort der „12 Thesen zu Wasserstoff“ schreiben Simon Müller, Direktor Deutschland Agora Energiewende und Frank Peter, Direktor Agora Industrie:
„… Die Preise für fossiles Gas haben ungekannte Höhen erreicht, was spürbare Auswirkungen für Haushalte und die Wirtschaft hat. Es ist unklar, wie hoch die Kosten und das Niveau der Versorgung mit Erdgas in Europa künftig sein werden. Damit kommt weitere Bewegung in die Diskussion um [grünen] Wasserstoff, der mittel- und langfristig fossiles Gas ersetzen kann, heute aber noch größtenteils daraus hergestellt wird.
Klar ist: Für das Ziel der Klimaneutralität 2045 in Deutschland werden erhebliche Mengen an grünem Wasserstoff benötigt. Die hohen Gaspreise haben Auswirkungen auf den Weg dorthin: Bisher galt fossiler Wasserstoff mit CO2-Abscheidung als schnell skalierbare Brückentechnologie. Dieser Weg ist deutlich teurer geworden und grüner Wasserstoff ist relativ betrachtet schneller wettbewerbsfähig. Damit ist der Hochlauf von erneuerbarem Wasserstoff dringender denn je.
Die neuen Verhältnisse verlangen umso mehr den Fokus auf No-Regret-Anwendungen, die nur unter Einsatz von grünen Molekülen klimaneutral werden können.“
Zentrale Aussagen / Ergebnisse
Das Impuls-Papier enthält neben den 12 Thesen eine Komprimierung der Aussagen und abgeleiteten Ergebnisse in vier Punkten. Bereits sie verdeutlichen, dass die TGA- und SHK-Branche bei der Nutzung von Erdgas im Gebäudesektor nicht (weiter) von einer Substitution durch klimafreundlichen Wasserstoff oder Wasserstoffderivate ausgehen kann. Vielmehr muss sie sich darauf einstellen, dass die Wasserstoff-Heizung für Haushalte im Rahmen der Wärmewende bestenfalls eine Nischenlösung sein wird:
„Wasserstoff ist ein entscheidender Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität, allerdings hat die Elektrifizierung Vorrang, wo immer es möglich ist: Darüber besteht breite Einigkeit. Im Jahr 2050 werden CO2-freier Wasserstoff und grüne synthetische Brennstoffe etwa ein Fünftel der Endenergie bereitstellen, den großen Rest liefert erneuerbarer Strom. Expert:innen sind sich einig, dass Wasserstoff in erster Linie zur Dekarbonisierung von Industrie, Schifffahrt und Luftverkehr sowie zur Absicherung eines erneuerbaren Energiesystems beitragen wird. Entsprechend sollte die Wasserstoffinfrastruktur entlang dieser No-regret-Anwendungen entwickelt werden.“
„Um erneuerbaren Wasserstoff zu fördern, braucht es gezielte Politikinstrumente für No-Regret-Anwendungen. Nur so lassen sich dort, wo eine CO2-Bepreisung allein nicht (schnell) genug wirken kann, Anreize für die Nutzung von Wasserstoff schaffen. Während für No-regret-Anwendungen Politikinstrumente zu überschaubaren Kosten bereitstehen, gibt es keine überzeugende Strategie für die Wasserstoffnutzung durch Haushalte. Eine Beimischung wäre nicht zielführend, um die europäischen Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen.“
„Die Gasverteilnetze müssen auf das Ende ihres Geschäftsmodells vorbereitet werden. Klimaneutralitäts-Szenarien gehen von einem sehr begrenzten Einsatz von Wasserstoff in Gebäuden aus. Damit die EU auf 1,5-Grad-Kurs kommt, muss laut EU-Folgenabschätzung im nächsten Jahrzehnt der Verbrauch von Erdgas in Gebäuden um 42 % zurückgehen.“
„Europa hat grundsätzlich die Flächenpotenziale, um den Bedarf an grünem Wasserstoff zu decken. Aber: Für jedes GW Elektrolyse müssen 1 bis 4 GW zusätzliche Leistung aus Erneuerbaren installiert werden. Nichtsdestotrotz ist eine wettbewerbsfähige europäische Industrie auf preiswerten (grünen und CO2-armen) Wasserstoff angewiesen, der über Pipelines aus Nachbarländern kommt, um Transportkosten möglichst niedrig zu halten. Die Importe über den Weltmarkt werden hauptsächlich aus erneuerbar erzeugten, wasserstoffbasierten synthetischen Kraftstoffen bestehen.“
Besonders wichtig für die Einordnung von Wasserstoff im Rahmen der Wärmewende im Gebäudesektor ist These 1: „Konsens in der Wissenschaft, aber nicht in der Lobby: Wasserstoff ist zwar ein entscheidender Faktor für die Klimaneutralität, aber der Elektrifizierung nachgeordnet.“
Download des Impuls-Papiers: 12 Thesen zu Wasserstoff. ■
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