In einem Standpunkt erläutern Prof. Dr.-Ing Kati Jagnow und Prof. Dr.-Ing. Dieter Wolff was für die Wärmewende im Gebäudebereich wichtig ist und was auf den einzelnen Entscheidungsebenen zu beachten ist.
Seit mehr als 13 Jahren ist bekannt, dass zur Begrenzung der Klimaerwärmung ein dazu ausschöpfbares, weltweites Emissionsbudget minimal klein geworden ist. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen schreibt aktuell [1]:
„Damit der Temperaturanstieg (mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 %) den Wert von 1,75 °C nicht übersteigt und damit deutlich unter 2 °C bleibt, dürfen weltweit ab dem Jahr 2018 nicht mehr als 800 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden […]. Legt man den deutschen Anteil an der Weltbevölkerung zugrunde und vernachlässigt die historischen Emissionen, beträgt das ab 2020 verbleibende CO2-Budget für Deutschland maximal 6,7 Gigatonnen CO2. Es bezieht sich auf eine maximale Erderwärmung von 1,75 °C mit einer 67%igen Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung. Das deutsche anteilige Budget mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, beträgt 4,2 Gigatonnen CO2 ab 2020.“
Zur Einordnung: Der CO2-Ausstoß Deutschlands liegt derzeit je nach Berechnungsmethodik zwischen 0,8 und 0,9 Gigatonnen CO2/a.
Wärmeerzeugung primär auf Wärmepumpen umstellen
Im Gebäudebereich ist ein Weg zur Einhaltung des Emissionsbudgets der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung mit Photovoltaik-Anlagen und die Umstellung der Wärmeerzeugung primär auf Wärmepumpen. Zudem wird auch darüber hinaus weiterer regenerativer Strom, vorrangig aus Windkraft benötigt.
Am 18. Juni 2020 wurden mit der Abschaffung des „52-GW-Förderdeckels“ für den PV-Ausbau und der „1000-m-Abstandsregel“ für den Ausbau von Onshore-Windkraftanlagen zwei wesentliche Hemmnisse entschärft.
Der Ausbau des „Elektropfads“ gilt bevorzugt für alle Neubauvorhaben, wenn noch alle Planungsfreiheitsgrade gegeben sind. Hier erscheinen in Anbetracht der Klimaziele Lösungen mit dem fossilen Brennstoff Erdgas als nicht mehr zeitgemäß. Auch nicht anteilig, als sogenannte Hybridlösungen oder für BHKWs.
Im Bestand gilt: parallel sind alle Maßnahmen der Energieeinsparung und Effizienzsteigerung sowie der Ausbau erneuerbarer Wärmeerzeugung, überwiegend mit Elektrowärmepumpen, gleichzeitig zu ergreifen. Optionen in Richtung eines verstärkten Ausbaus von Wärmepumpensystemen sind zielkonform, wenn gleichzeitig für den Betrieb der Wärmepumpen verstärkt erneuerbarer Strom im gesamtdeutschen Stromnetz zur Verfügung steht bzw. erneuerbarer Eigenstrom aus PV-Anlagen genutzt werden kann.
Primärenergiebewertung durch Endenergie und CO2-Ausstoß ersetzen
Eine sofortige Umstellung der Bewertung von Maßnahmen auf die Indikatoren „Endenergie“ und „CO2-Emissionen“ anstelle der Primärenergiebewertung in Gesetzgebung und Förderprogrammen kann für eine einheitliche Kommunikation und ein einheitliches Monitoring eine sehr gute Basis ergeben. Über die Innovationsklausel des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) [2] ist dies einfach umsetzbar.
Die kontinuierliche, unterjährige Erfassung der Endenergieverbräuche anstelle theoretischer Bedarfsrechnungen ermöglicht hierbei eine fortwährende Überprüfung der einzuhaltenden Emissionsziele. Dies ist ohnehin bereits in den „Technischen Anforderungen für Einzelmaßnahmen“ der neuen Bundesförderung für effiziente Gebäude [3] vorgesehen.
In digitalen Erfassungs- und Regeleinrichtungen können dann automatisiert die wesentlichen Kenngrößen zur Effizienzbewertung des Gebäudes, der Nutzung und der Anlagentechnik erfasst und für einen Erfolgsnachweis dokumentiert werden. Dies kann bevorzugt mit dem Werkzeug „Energieanalyse aus dem Verbrauch EAV“ erfolgen. Die Qualitätssicherung in Planung, Ausführung und Betrieb ist damit gegeben.
Eine intensive Beschäftigung mit der Gebäudequalität findet somit nicht mehr nur bis zur Abnahme der Bauleistung über den Nachweis rechnerischer Normkennwerte und Qualitätssiegel statt, sondern verschiebt sich in die Phase der Nutzung und des Betriebs. Das verlagert Verantwortlichkeiten und muss eine Anpassung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), mindestens ihrer Leistungsbilder, nach sich ziehen.
Das GEG auf Nachweis des realen Verbrauchs umstellen
Auch Gesetzgebung und Förderprogramme können sich – ähnlich den Regelungen im EU-Land Schweden – an den tatsächlich gemessenen Energieverbräuchen als Nachweisinstrument orientieren. Anstelle eines komplexen Nachweisverfahrens – wie ihn das demnächst1) in Kraft tretende Gebäudeenergiegesetz (GEG) im Wesentlichen aus EnEV und EEWärmeG übernimmt – könnten Bauteilanforderungen für Gebäudehülle und Anlagentechnik den Nachweis für Neubauten und Modernisierung drastisch vereinfachen.
1) Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) tritt am ersten Tag des dritten auf die Verkündung im Bundesgesetzblatt folgenden Kalendermonats in Kraft. Erfolgt eine Verkündung noch im Juni, würde es am 1. September 2020 in Kraft treten.
Hierzu könnte auf die Ende März 2020 veröffentlichte „Energetische Sanierungsmaßnahmen-Verordnung“ [4] zurückgegriffen werden. Das Kompensieren zwischen baulichen und anlagentechnischen Maßnahmen in rechnerischen Bedarfs-Energiebilanzen (Normen: DIN 4701-10, DIN 18 599) würde dann der Vergangenheit angehören. Es ginge um die reale Effizienz aller Komponenten, um ein „UND“ und nicht ein „ODER“ – was mit dem geringen verfügbaren Restbudget an Treibhausgasemissionen korreliert.
Die Umstellung auf den Nachweis des realen Verbrauchs sollte das Kernthema bei der nächsten Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes sein. Eine Überprüfung der Anforderungen an zu errichtende und an bestehende Gebäude schreibt das Gesetz für das Jahr 2023 vor. Nach Maßgabe der Ergebnisse der Überprüfung soll dann innerhalb von sechs Monaten ein Gesetzgebungsvorschlag für eine Weiterentwicklung der Anforderungen an zu errichtende und bestehende Gebäude vorgelegt werden.
Ziel muss es in jedem Fall sein, dass schon sehr zeitnah Neubauten so errichtet werden, dass ihre Nutzung unter Berücksichtigung aller verwendeten Energieträger bis 2030 maximal sehr geringe und schon deutlich vor 2050 gar keine Treibhausgasemissionen über der Zielvorgabe zuzuordnen sind. Ohne diesen Grundsatz müssten Bestandsgebäude in den kommenden Jahren mit höheren Anforderungen als Neubauten energetisch modernisiert werden.
Neben dem Umweltnutzen hat der Nachweis des realen Verbrauchs einen weiteren Vorteil: Die Kostentransparenz steigt, Fehlinvestitionen werden so vermieden und nachträgliche Optimierungen sind fester Bestandteil des Systems.
Bestand auf Erneuerbare umstellen
Der maßgebliche Großverbraucher ist jedoch der Bestand. Hier erscheint es naheliegend, die Maßnahmen mit erster Priorität anzugehen, deren Gesamtkosten bei größtmöglicher CO2-Minderung zu einem Gesamtkostenminimum führen.
Da fossile Brennstoffe nach den erweiterten Pariser Klimazielen zur Klimaneutralität in einer zukünftig vollständig erneuerbaren Welt nicht mehr vorkommen, spielen die Investitionskosten je jährlich eingesparter Tonne CO2 im Vergleich zum fossilen Betrieb in der Vergangenheit die ausschlaggebende Rolle.
Bei ökologischen und langfristigen Lösungen ergeben sich – nach Rifkin – Grenzkosten von Null für jede zusätzlich erzeugte Kilowattstunde elektrische Energie [5].
Der Aufwand für Raumheizung in Wohn- und Nichtwohngebäuden könnte durch Maßnahmen an der Gebäudehülle, durch kontrollierte Wohnungslüftung (v. a. in Neubauten und entsprechend modernisierten Gebäuden), und durch Heizungsoptimierungsmaßnahmen (Hydraulischer Abgleich, Pumpen- und Vorlauftemperaturregelung) so klein wie wirtschaftlich möglich sein.
Dadurch werden die Heizlast und die Investitionen für zukünftige Wärmeerzeuger, vor allem für Wärmepumpenlösungen begrenzt. Es bieten sich im Bestand gegebenenfalls auch bivalente Lösungen an. Mit zunehmender Klimaerwärmung müssen sie von allein einen geringeren Bedarfsanteil übernehmen und der Einsatz fossiler Energieträger inklusive der damit verbundenen Treibhausgasemissionen sinkt. Im Winter 2019/20 gab es in vielen Regionen Deutschlands keinen Tag, dessen Mittelwert der Außentemperatur unter 0 °C lag.
Der Aufwand für Trinkwarmwasser hat sich nach den Ergebnissen eigener Felduntersuchungen in den letzten Jahrzehnten verringert. Auch Werte von 400 bis 500 kWh/(Pers ∙ a) sind in Mietwohngebäuden anzutreffen. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf.
Aufgrund geringerer Nutzwärmemengen und einer gleichzeitigen Wohnflächenvergrößerung verschiebt sich der Fokus auf Systeme, die sich durch weniger Netzverlust auszeichnen. Dadurch könnte die Trinkwassererwärmung – zukünftig mit elektrischen Durchlauferhitzern und / oder elektrischen Kleinspeichern erfolgen. Eine Eigennutzung von PV-Strom – auch als Mieterstrom – kann hierbei sehr große Vorteile bringen.
Durch politische Entscheidungen für die Nutzung selbsterzeugten Stroms für Eigenverbraucher können hierbei allerdings künftig Zusatzkosten entstehen, die solche Lösungen unwirtschaftlich machen [6].
KWK muss hinterfragt werden
Der „Elektropfad“ wird wahrscheinlich gegenüber dem „Technologiemix-Pfad“ beschleunigt umgesetzt, da gebäudezentrale Lösungen mit Wärmepumpen und / oder elektrischer Direktheizung wesentliche thermische Vorverluste vermeiden: von Nah- und Fernwärmenetzen und von (Zwischen)Speichern.
Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Kraft-Wärme-Kopplung in Heiz- und in Blockheizkraftwerken sinken umso mehr, je besser die Gebäude sind. Dies dient allein der Verlustvermeidung. Heute gilt: Jede vermiedene Kilowattstunde muss nicht fossil bereitgestellt werden. Künftig gilt: Jede vermiedene Kilowattstunde muss nicht regenerativ bereitgestellt und ggf. zwischengespeichert werden.
Heizkraftwerke und Blockheizkraftwerke würden einen mittel- und langfristig um 3- bis 5-fach so hohen Ausbau der PV- und Windkraft-Kapazitäten erfordern (vgl. PER-Bewertung nach Passivhaus-Institut [7]). Vor allem, wenn sie noch längere Zeit zunächst mit Erdgas unter Erschöpfung des noch verbliebenen geringen Emissionsbudgets betrieben würden.
Eine Abkehr von KWK ist zurzeit nicht absehbar. Gegenwärtig gilt die sehr „wärmefreundliche“ KWK-Bewertung (Stichwort „Stromgutschriftmethode“) in den Berechnungsvorschriften der EnEV und auch künftig mit dem GEG.
In vielen Studien, initiiert durch verschiedene Interessensverbände, wird eine weitere Ausbauförderung von KWK gefordert – ungeachtet der Netzverluste. Sie nehmen jedoch zu – sowohl absolut, als auch relativ, je geringer der tatsächliche Wärmebedarf der Gebäude zukünftig sein wird. Vor allem weil die Nutzwärmemengen sinken. Für das Ziel einer Klimaneutralität erscheint diese Strategie der Interessensverbände nicht sinnvoll. Sie findet sich aber in den vielen, derzeit diskutierten Quartiersansätzen mit dem Vorschlag des Ausbaus von Nah- und Fernwärmesystemen bis hin zu einem Anschlusszwang wieder.
Nah- und Fernwärme 4.0, Kraft-Wärme-Kopplung, BHKW-Technologie und einfache Brennwerttechnik verlieren ihre Bedeutung, je schneller der Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung mit Windkraft und Photovoltaik gelingt. Kalte Fernwärme (10 bis 20 °C) mit unterschiedlichen Wärmequellen könnte zukünftig als Wärmequelle für Gebäude dienen. Auch dezentrale Lösungen ergeben wirtschaftlichere Gesamtlösungen.
Fördern: Nur mit Blick auf das Erreichen der Klimaziele
Aktuelle Untersuchungen des ISE [8] zeigen, dass Investitionen für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 wesentlich von der gesellschaftlichen Bereitschaft abhängig sind, auch einen Suffizienz-Pfad mit Einschränkungen gegenüber heutigen Wohlstandsforderungen zu beschreiten. Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Technologien von 500 Mrd. Euro stünden Investitionen von 3500 Mrd. Euro für ein Szenario Business-As-Usual bis 2050 gegenüber.
Die wissenschaftlichen Sachverständigenräte und weitere Berater der Bundesregierung ([1], [9 – 13]) empfehlen, für einen Aufschwung in und nach der Coronavirus-Krise Konjunkturprogramme an den Anforderungen eines zukünftig zwingend verbesserten Klimaschutzes zu orientieren, um Klimaneutralität zu erreichen. Übertragen auf die Förderung der Baukonjunktur steht so der Anspruch: Nur hocheffiziente Maßnahmen am Gebäude und für eine zukünftige Anlagentechnik (Ersatz fossiler Wärmeerzeuger, bevorzugt durch Wärmepumpen) sollten gefördert werden.
Literatur
[1] C. Hornberg und et al: Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa – Umweltgutachten 2020. Berlin: Sachverständigenrat für Umweltfragen, 2020
[2] BMWI: Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Energiesparrechts für Gebäude. Berlin: BMWI, 2019
[3] BMWI: Förderrichtlinie zur Bundesförderung für effiziente Gebäude – Wohngebäude (BEG WG). Berlin: BMWI, 2020
[4] BMF: Verordnung zur Bestimmung von Mindestanforderungen für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden nach §35c des Einkommensteuergesetzes – (Energetische Sanierungsmaßnahmen-Verordnung – ESanMV). Berlin: Deutscher Bundestag – Drucksache 19/15312, 2019
[5] J. Rifkin: Der globale Green New Deal. Frankfurt: Campus, 2019
[6] K. Oberzig: DGS-News: Keine Enteignung von selbst erzeugtem Strom. Online: https://www.dgs.de/index.php?id=2298&type=0 [Zugriff am 20.05.2020]
[7] B. Krick: Teil 1: Erneuerbare Primärenergie – ein Bewertungssystem mit Zukunft. Darmstadt: IG-Passivhaus-Fachinformation, 2015
[8] P. Sterchele und et al: Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem – Die deutsche Energiewende im Kontext gesellschaftlicher Verhaltensweisen. Freiburg: Fraunhofer ISE, 2020
[9] R. Harthan und et al: Treibhausgasminderungswirkung des Klimaschutzprogramms 2030 (Kurzbericht). Dessau: Umweltbundesamt, 2020
[10] K. M. Schmidt: Brief des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Berlin: Wissenschaftlicher Beirat, 2020
[11] F. Hein, F. Peter und P. Graichen: Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klimabilanz Deutschlands. Berlin: AGORA Energiewende, 2020
[12] RLS: New Deal für das Erneuerbare Energiesystem. Berlin: Reiner Lemoine Stiftung, 2020
[13] C. Kemfert und e. al: Die Beendigung der energetischen Nutzung von Kohle in Deutschland. Berlin: DIW Berlin, 2018